Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Lebensmittelverschwendung

So finden auch krumme Möhren einen Käufer

Lassen sich Bio-Konsumenten für Obst und Gemüse mit Ecken und Kanten gewinnen? An der Uni Kassel-Witzenhausen hat man diese Frage wissenschaftlich untersucht. Ein Ergebnis: Es gibt viel, was der Handel für die Vermarktung unvollkommener Lebensmittel tun kann.

Viel zu oft entscheiden sich Kunden für Obst und Gemüse, das äußerlich perfekt scheint. Nicht Perfektes hingegen wirkt oft abschreckend und bleibt entsprechend in der Gemüse-Abteilung liegen. Doch das Problem geht über die Ladentheke hinaus.

Bereits im Großhandel bleiben Landwirte oft auf entsprechenden Produkten sitzen. Ein Beispiel aus der konventionellen Landwirtschaft zeigt, dass bei Karotten jährlich etwa 25 bis 40 Prozent der Ernte nicht auf dem Frischmarkt abgesetzt werden kann, wie das Thünen-Institut in seinem Bericht „Wege zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen“ feststellt.

Verlustraten im Biobereich – so eine Studie aus Österreich – scheinen in einer ähnlichen Größenordnung zu liegen. Alternative Verwertungswege wie Biogas oder Kompost existieren, sind jedoch sehr fraglich, wenn man die ethische Perspektive aber auch (Umwelt-)Kosten in die Diskussion miteinbezieht.

Ein weiteres Problem sind die vom Handel zunehmend schärfer werdenden freiwilligen(!) Qualitätsstandards. Auch die Verbraucheransprüche sind gewachsen, was man ebenso als Ursache wie als Konsequenz hoher Handelsstandards sehen kann. Im Anbau wird die unsichere Abnahme der Produkte oft gezwungenermaßen mit einkalkuliert, was zur Überproduktion beiträgt. Die Folge liegt auf der Hand.

Aktionswoche gegen Lebensmittelverschwendung

Unter dem Motto „Deutschland rettet Lebensmittel!“ findet vom 29.09. bis 06.10.2021 zum zweiten Mal die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) initiierte Aktionswoche gegen Lebensmittelverschwendung statt, an der sich auch zahlreiche Lebensmitteleinzelhändler beteiligen. In diesem Jahr sind Obst und Gemüse das Schwerpunkthema. Hier wird aufgrund von Verderb, Schäden oder Verformungen mit am meisten entsorgt. Die Aktionswoche ist Bestandteil der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung des BMEL.

Artikel: Was der Bio-Fachhandel gegen Lebensmittelverschwendung tut

Verschwendung soll halbiert werden

Mittlerweile hat auch die Weltgemeinschaft das Problem erkannt. Laut den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen soll die Lebensmittelverschwendung weltweit bis 2030 um 50 Prozent sinken. Deutschland hat dieses Ziel entsprechend übernommen. Soweit, so ambitioniert.

Doch wie kann der Biohandel seinen Teil dazu beitragen? Steht doch die ökologische Landwirtschaft für ein System, das die Gesundheit der Ökosysteme und der Menschen stärken und erhalten will, wie es in den Prinzipien der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) heißt.

Viele Ansprüche kommen jedoch an ihre Grenze, schaut man auf aktuelle Entwicklungen: Steigende Lebensmittelstandards prägen den Biosektor mittlerweile ebenso wie eine breitere Kundenschicht, die im Zweifel auch beim Discounter einkauft. Ein Apfel mit dunklen Stipsern vom letzten Hagel als Indiz für Bio zieht da nicht unbedingt.

Gleichzeitig zeigen einzelne mutige Akteure im Lebensmittelsektor ebenso wie Verbraucherstudien, dass gutes Marketing sehr wohl überzeugen kann. Damit Interessierte die Problematik sowie mögliche Lösungsansätze besser einschätzen können, stellte das Fachgebiet für Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel-Witzenhausen folgende Fragen:

  1. Was hält Bio-Konsumenten vom Kauf „unvollkommener“ Lebensmittel ab?
  2. Wie kann man dies durch Marketing ändern, um Lebensmittel zu retten?

Unvollkommene Lebensmittel sind dabei alle uneingeschränkt verzehrbaren Produkte, die aufgrund äußerer Erscheinung oder wegen baldigem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) von „optimalen“ Produkten abweichen. Die Forschung ermöglichten Mittel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Projektträgerschaft liegt bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN).

Qualität muss offensiv kommuniziert werden

Zunächst wurden Interviews mit einzelnen Experten und organisierte Diskussionsrunden mit Bio-Konsumenten geführt. Danach folgte eine (aus Corona-Gründen digitale) Befragung von insgesamt 1.732 Bio-Konsumenten zu Einstellungen und Motiven zu unvollkommenen Lebensmitteln und Lebensmittelverschwendung im Allgemeinen. Folgendes Zwischenfazit lässt sich aus den Untersuchungen ziehen.

1. Gute Qualität will kommuniziert werden

Ein ungewöhnliches Äußeres oder ein nahendes MHD rufen oft Bedenken hervor, etwa bezüglich Geschmack, Frische und Gesundheit. Dies liegt an der geringen Vertrautheit mit ungewöhnlich aussehendem Obst und Gemüse beziehungsweise an geringem Wissen zum MHD. Interessanterweise wurde bei verformten Äpfeln im Vergleich zu „perfekt“ aussehenden Äpfeln kein Unterschied in Bezug auf Geschmack, Gesundheit und Frische erwartet. Vielleicht nicht ohne Grund.

Die Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Bio-Verbraucher bereits ein hohes Problembewusstsein hat. Trotzdem wünscht sich einer von zwei Befragten zusätzliche Informationen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Neben Informationen erhöht eine spielerische Präsentation der Produkte, in der mit frechen Namen und positiven Eigenschaften gespielt wird (etwa Krumme Kerle), die Identifikation mit dem Thema. Die Natürlichkeit der Produkte zu betonen, kann ebenfalls hilfreich sein.

2. Rabatte haben ihre zwei Seiten

Auch Bio-Kunden fordern Rabatte. Bei verformten Bio-Äpfeln war im Durchschnitt ein Rabatt von rund 30 Prozent nötig, bei einem um 50 Prozent gesenkten Preis stieg die Kaufbereitschaft deutlich. Gleichzeitig haben Rabatte eine Doppelfunktion: Sie können Produkte attraktiver machen, jedoch in ihrer Funktion als Qualitätsindikator mitunter auch Bedenken auslösen.

In Verbindung mit positiver Kommunikation (wie etwa zur Lebensmittelrettung), kann sich die Wahrnehmung jedoch stark ändern. Was gerade noch als rabattierter Ramsch wahrgenommen wurde, wird plötzlich zu einem sichtbaren Beitrag zu einer besseren Welt. Allerdings: Für wahre Lebensmittel-Wertschätzung gilt es, langfristig von der „2-Klassen-Lebensmittelgesellschaft“ wegzukommen. Denn auch unvollkommene Lebensmittel haben ihren Preis.

3. Ansprechend und sichtbar präsentieren

Indem die Verfügbarkeit von unvollkommenen Lebensmitteln erhöht wird, kann man Verbraucher an Unvollkommenes gewöhnen. Dafür sollten besonders Rabattecken sichtbarer und attraktiver gestaltet werden. Neben einer Verarbeitung im Ladenbistro kann außerdem die Verwendung von Mischbeuteln mit „vollkommenem“ und unvollkommenem Obst/Gemüse den Absatz steigern.

Interessant ist hierbei auch: Gerade wenn viel Bio und eher im Fachhandel eingekauft wird, besteht bereits mehr Offenheit gegenüber Unvollkommenem. Außerdem scheint die Toleranz für ungewöhnliche Größen oder Formen bei Obst und Gemüse höher zu sein im Vergleich zu ungewöhnlicher Farbe.

Alles in allem zeigt sich: Es gibt viel, was der Handel für die Vermarktung unvollkommener Lebensmittel tun kann. Jetzt braucht es nur noch mehr mutige Initiativen.

Die Autoren sind Mitarbeiter der Uni Kassel-Witzenhausen und Teil des von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Forschungsprojekts „Mar­ke­ting von Sub­op­ti­mal Food im Öko-Han­del“.

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