Biohandel

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„Holt Eure Schilder wieder raus!“

Warum der Vorschlag zur Neuen Gentechnik den Markenkern von Bio bedroht – und wie die Branche darauf reagieren kann

Die EU-Kommission will viele Gentechnik-Pflanzen ungeprüft und ohne Kennzeichnung auf den Markt lassen. Das gefährdet die gesamte Bio-Branche in ihrer Existenz. Noch ist Zeit, diese Gefahr abzuwenden. Das hat schon einmal geklappt.

Für den Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) steht Bio auf dem Spiel. Der Ökolandbau werde industriellen Interessen „geopfert“, warnt der Verband in einer Resolution. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht bereits das „Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung“. Der grüne Bundestagsabgeordnete Karl Bär sagt: „Der Vorschlag wäre das Ende der ökologischen Landwirtschaft“.

„Der Vorschlag“ ist ein Verordnungsentwurf, den die EU-Kommission Anfang Juli vorgelegt hat. Sie will damit die meisten mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas hergestellten Pflanzen ohne Zulassung und Risikoprüfung anbauen lassen. Die fertigen Pflanzen und die daraus hergestellten Lebensmittel sollen ohne Kennzeichnung in die Regale kommen. „Tabubruch auf den Tellern“ titelte die taz und das trifft es gut.

Seit gut 20 Jahren hat die EU ein strenges Gentechnikrecht, das für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eine Risikoprüfung verlangt, bevor sie auf Mensch und Umwelt losgelassen werden. Sie müssen gekennzeichnet sein, damit die Verbrauchenden entscheiden können, ob sie Genfood essen wollen. Die allermeisten wollen nicht, weshalb es seither keine kennzeichnungspflichtigen Lebensmittel in den Regalen gibt.

Massiver Eingriff ins Erbgut soll ohne Folgen bleiben

Für den Anbau verlangt das Gentechnikrecht Schutzmaßnahmen und Haftungsregelungen, um die gentechnikfreie Landwirtschaft abzusichern und eine Koexistenz zu ermöglichen. Zugelassen für den Anbau ist EU-weit nur ein Gentech-Mais, der in Spanien und Portugal angebaut wird. Die meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten haben den Anbau verboten. In Deutschland endete der letzte Feldversuch vor gut zehn Jahren.

Das alles soll sich radikal ändern. Die EU-Kommission hält Pflanzen, bei denen mit gentechnischen Eingriffen gezielte Mutationen hervorgerufen wurden oder in die Genmaterial von theoretisch kreuzbaren Pflanzen (Cisgenese) eingebaut wurde, für weitgehend harmlos. Deshalb nimmt sie diese Pflanzen aus dem Gentechnikrecht heraus und will sie als „NGT-Pflanzen“ extra regeln. Dabei definiert sie zwei Kategorien.

Für NGT 1-Pflanzen entfallen alle Vorgaben des Gentechnikrechts

Bei NGT-Pflanzen der Kategorie 1 dürfen Gentechniker ohne Zulassung an bis zu 20 Stellen ins Erbgut eingreifen. Dazu dürfen sie 20 kleine Erbgut-Bausteine, die Nukleotide, einfügen oder ersetzen. Sie können zudem beliebige Gene an- oder abschalten sowie Genkonstrukte hinzufügen oder austauschen, die von verwandten Arten stammen. Auf den Punkt gebracht: Für die EU-Kommission sind 20 derartige gentechnische Eingriffe noch keine Gentechnik.

Für NGT 1-Pflanzen entfallen alle Vorgaben des Gentechnikrechts. Sie brauchen keine Zulassung mehr, keine Risikoüberprüfung; sie werden nicht gekennzeichnet und nicht überwacht. Statt dessen genügt eine Anmeldung. Rechtlich werden sie ebenso behandelt wie jede Pflanzensorte aus herkömmlicher Züchtung. Nur das Saatgut muss als „NGT 1“ gekennzeichnet sein. So ähnlich wie derzeit Hybridsaatgut das Kürzel „F1“ trägt. Das soll sicherstellen, dass Bauern und Gärtner wissen, was sie anbauen. Doch die fertige Pflanze kommt dann ohne Kennzeichnung auf den Markt. Die allermeisten NGT-Pflanzen, an denen geforscht wird, (auf dem Markt sind bisher kaum welche) fallen in diese Kategorie (siehe Interview).

Testbiotech-Geschäftsführer Christoph Then

„Neue Gentechniken setzen Schutzmechanismen außer Kraft“

Die Neue Gentechnik sei präzise, sicher und ihre Produkte so harmlos wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen. Das behauptet zumindest die EU-Kommission. Gentechnik-Experte Christoph Then erklärt, warum das nicht stimmt.

Die zweite Kategorie gilt für NGT-Pflanzen, bei denen mehr als 20 gentechnische Eingriffe vorgenommen wurden oder bei einem einzelnen Eingriff mehr als 20 Nukleotide verändert wurden. Für sie gelten kurze Fristen für eine Zulassung und das Risiko soll fallbezogen bewertet werden. Die Details dazu will die Kommission später regeln.

NGT 2-Pflanzen müssten die Hersteller und Verarbeiter weiter kennzeichnen, dürften aber dazu schreiben, wie nachhaltig sie angeblich sind. Die EU-Kommission will die Mitgliedsstaaten verpflichten, für diese Pflanzen Koexistenz und Haftung zu regeln. Das bisherige Gentechnikrecht würde demnach nur noch für Pflanzen gelten, bei denen mit alter oder neuer Gentechnik artfremdes Erbgut eingeführt wurde.

Für die Bio-Landwirtschaft bleiben NGT 1-Pflanzen als Gentechnik verboten. Da das Saatgut gekennzeichnet werden muss, können Bio-Landwirte weiterhin gentechnikfreies Saatgut wählen. Doch sie können sich kaum noch dagegen wehren, dass NGT 1-Pflanzen ihre Erzeugnisse verunreinigen. Weil es für diese Pflanzen kein Standortregister mehr geben soll, wissen die Bio-Landwirte nicht, was die Nachbarn anbauen – sofern sie es nicht selbst herausfinden. Es sollen keine Sicherheitsabstände oder sonstige Schutzmechanismen mehr gelten, wie sie das geltende Gentechnikrecht vorschreibt – auch nicht für Feldversuche.

NGT – Was ist das?

Als Neue Gentechnik (NGT) werden Methoden bezeichnet, die gezielt in die DNA des Erbguts schneiden und dadurch Änderungen an Genen vornehmen. Das bekannteste Verfahren ist das 2012 vorgestellte Crispr/Cas.

Mit NGT lassen sich gezielt einzelne Nukleotide – das sind quasi die Buchstaben der Erbinformation (Genom) – ändern oder ganze Gensequenzen – deren Wörter – neu einbauen. Dieses Umschreiben wird als Genom-Editierung bezeichnet. Alte gentechnische Verfahren konnten nur zusätzliche Erbinformationen in die Zelle schleusen, aber nicht das Erbgut in sich verändern. Deshalb sind mit NGT weit tiefere und auch riskantere Eingriffe ins Erbgut möglich als bisher (siehe Interview).

Die EU-Kommission will diese Risiken nicht wahrhaben und betont die klimafitten Pflanzen, die sich mit NGT schnell herstellen ließen. Was von diesen Versprechungen zu halten ist, zeigt ein Faktencheck im September-Heft von Schrot&Korn.

Die Natur wird patentiert

„Es ist völlig unklar, mit welchen – eventuell gemeinsam genutzten – Maschinen Gentechnik-Ware in Berührung kommt oder in welchen Verarbeitungs- und Handelsunternehmen die Gentechnik-Erzeugnisse genutzt werden und somit Bio-Lebensmittel verunreinigen können“, sagt Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Dachverbandes BÖLW. Auch die Haftungsregelungen, wie sie für klassische Gentechnik gelten, würden hinfällig. Weil die Kommission die Pflicht zur durchgängigen Kennzeichnung abschaffen wolle „bürdet sie die hohen Kosten für die Verhinderung von Gentechnik-Verunreinigungen vollständig der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft auf“, erläutert Andres. Damit werde das Verursacherprinzip auf den Kopf gestellt.

Wie die Bauern könnten auch Hersteller und Händler von Bio-Lebensmitteln ihre Lieferketten nicht mehr gentechnikfrei halten, heißt es in einer Resolution des BNN: „Damit wären auch Läden des Bio-Fachhandels keine Einkaufsstätten mehr, die gentechnikfreie Lebensmittel und Naturprodukte garantieren können“. Kurz: Bio kann – würde der Vorschlag Gesetz – einen wichtigen Teil seines Markenkerns, die Gentechnikfreiheit, nicht mehr garantieren. Doch das ist nicht die einzige Gefahr.

Konzerne versuchen, sich natürlich vorkommende Pflanzeneigenschaften patentieren zu lassen

Wie jede gentechnische Entwicklung sind auch NGT-Pflanzen patentierbar. Die großen Gentech-Konzerne, allen voran Corteva und Bayer, halten schon jetzt mehr als 1.000 Patente für NGT-Verfahren und damit im Labor hergestellte Pflanzen. Dabei zeigt sich eine gefährliche Entwicklung. Die Konzerne versuchen, natürlich vorkommende Pflanzeneigenschaften (etwa eine Krankheitsresistenz) im Labor nachzubauen und lassen sich diese patentieren – inklusive aller natürlichen Pflanzen, die diese Eigenschaft haben. Jeder, der mit diesen Pflanzen selber züchten will, müsste dann Lizenzgebühren zahlen.

„Die Nutzung von überlebenswichtigen Krankheitsresistenzen darf nicht privatisiert werden“, sagt dazu Magdalena Prieler von Arche Noah. „Dass die großen Saatgut-Unternehmen sich künftig massenweise neue Patente auf Pflanzeneigenschaften sichern können, ist für sie so etwas wie die vergoldete Kirsche auf der Sahnetorte“, kommentiert Bioland-Präsident Jan Plagge diese Entwicklung. Selbst der NGT-freundliche Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter warnt, dass diese Patente „den Züchtungsfortschritt massiv gefährden“.

Trotz all dieser offensichtlichen Gefahren ist es außerhalb der Blase der Bio- und Umweltverbände bisher ziemlich ruhig geblieben. Dabei liegt die einzige Chance, die es noch gibt, diese Verordnung aufzuhalten oder zumindest zu entschärfen genau darin: Die Öffentlichkeit zu informieren und politischen Druck aufzubauen.

Denn im Herbst müssen das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten im Ministerrat jeweils ihren Standpunkt zum Kommissionsvorschlag festlegen und dann miteinander verhandeln. Im Herbst sind Landtagswahlen in Bayern und Hessen, im kommenden Juni dann die Wahlen zum Europäischen Parlament. Genug Möglichkeiten also, um Parteien und Mandatsträger zur Rede zu stellen.

„Wir wollen auch in Zukunft selbst entscheiden, was wir züchten, säen, verfüttern, ernten, verarbeiten, verkaufen und essen. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen!“

Annemarie Volling, bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zuständig für die Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie Saatgut und Patente

Dass das keine Utopie ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Von 2006 bis 2008 machte ein breites Bündnis gegen den damals drohenden Anbau von Gentech-Mais in Deutschland mobil. 350 Kommunen erklärten sich zu gentechnikfreien Zonen und schließlich mutierte selbst die CSU zur Gentechnikkritikerin. 2009 verbot die damalige Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) die Aussaat von genverändertem Mais der Sorte MON 810.

Annemarie Volling von der AbL will an den damaligen Erfolg anschließen und ruft deshalb die Branche auf: „Holt Eure Schilder wieder raus: Keine Gentechnik auf Acker und Teller, organisiert Infoveranstaltungen, schreibt Briefe!“ Ihr Ziel: „Wir wollen auch in Zukunft selbst entscheiden, was wir züchten, säen, verfüttern, ernten, verarbeiten, verkaufen und essen. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen!“

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