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Gemeinwohl-Ökonomie

ECOnGOOD: Supersiegel für echte Nachhaltigkeit?

Seit Februar gibt es mit „ECOnGOOD“ ein neues Nachhaltigkeitslabel auf dem Markt. Was das Siegel verspricht und warum sich die dahinterstehende Gemeinwohl-Ökonomie das langfristige Ziel gesetzt hat, sich selbst überflüssig zu machen.

Ob EU- oder Verbands-Bio, Planet-Score oder Eco-Score, Grüner Knopf oder GOTS, Natrue oder Cosmos-zertifizierte Kosmetik, Fair Trade oder Blauer Engel: wer beim Einkauf Wert auf Nachhaltigkeit legt, verliert in der Siegelflut schnell den Überblick. Mit dem ECOnGOOD“-Siegel der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) wurde auf der Biofach im Februar ein weiteres Label vorgestellt. Wozu brauchen wir also noch ein weiteres Siegel?

Ole Müggenburg hat darauf eine Antwort: „Um der Siegelflut langfristig ein Ende zu bereiten“, sagt der Sprecher des Vereins für Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) in Deutschland. „Das Ziel sollte ein umfassender gesetzlicher Nachhaltigkeitsstandard sein, die Mutter aller Siegel quasi.“

Ein Über-Siegel wäre im Prinzip auch im Sinne der Europäischen Union, die die Flut an – oft falschen Nachhaltigkeitsversprechen – eindämmen möchte. Am Montag stimmte das EU-Parlament für die sogenannte Green-Claims-Directive. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Richtlinie soll Unternehmen dazu verpflichten, umweltbezogene Angaben künftig wissenschaftlich zu belegen.

Auch ein umweltfreundliches Unternehmen kann unethisch handeln

Wie so ein Meta-Siegel aussehen könnte, weiß Müggenburg ebenfalls: Die GWÖ zeige mit ihrem neuen, „ECOnGOOD“ genannten Label, wie die Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen gemessen, bewertet und transparent vergleichbar gemacht werden können.

Für Müggenburg sticht das rechteckige Siegel mit QR-Code aus dem Dickicht der Nachhaltigkeitsversprechen hervor. „Viele Siegel konzentrieren sich nur auf die ökologische Nachhaltigkeit einzelner Produkte. Und selbst wenn ein Unternehmen oder ein Verein grundsätzlich einen sozialen Zweck verfolgt, kann es sich beispielsweise seinen Mitarbeitenden oder Lieferanten gegenüber unethisch verhalten“, erklärt Müggenburg. Anders sein Verein: „Die GWÖ denkt Nachhaltigkeit in ihrer Gesamtheit: ökologisch, sozial, ethisch“, so Müggenburg.

Jedes „ECOnGOOD“-Label ist mit einem QR-Code versehen, über den man direkt auf die GWÖ-Audit-Plattform gelangt. Hier kann man sehen, wann ein Unternehmen seine letzte Gemeinwohlbilanz erstellt hat und wie es dabei in den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdimensionen abgeschnitten hat. Müggenburg erklärt: „Unsere Gemeinwohl-Bilanz misst den Beitrag einer Organisation zum Wohle der Menschen und des Planeten. Sie macht transparent, wie sehr Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitgestaltung im Unternehmen gelebt werden.“

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Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann präsentiert gemeinsam mit Geschäftsführerin Manuela Raidl-Zeller den neuen Gemeinwohlbericht des Bio-Pioniers aus dem österreichischen Waldviertel. Herzstück darin ist die Gemeinwohl-Bilanz. Von 1000 möglichen Punkten hat Sonnentor laut eigenen Angaben 743 bekommen. Ein Plus von 18 Punkten im Vergleich zum letzten Bericht vor zwei Jahren. „Das Schöne an der Gemeinwohl-Ökonomie ist, dass sie uns immer aufzeigt, in welchen Bereichen wir noch Potenziale haben“, sagt Raidl-Zeller. (kam)

Nachhaltigkeits-Bilanzierung

Gemeinwohl-Ökonomie – „Und ich dachte, ich mache bereits alles richtig“

Die Bio-Branche will mehr als nur gesunde Produkte verkaufen. Ihre Unternehmen wollen nachhaltig und ethisch verantwortungsvoll agieren. Eine Gemeinwohl-Bilanz kann zeigen, ob man den eigenen Ansprüchen gerecht wird.

In den 20 Kriterien, nach denen bewertet wird, kann ein Unternehmen insgesamt maximal 1.000 Gemeinwohl-Punkte erreichen. Vergleichbar ist das Konzept mit dem Corporate Social Responsibility (CSR) Reporting – der Nachhaltigkeits-Berichterstattung. „Das ist aktuell allerdings nur für Großunternehmen verpflichtend, die größte Zahl aller Nachhaltigkeitsberichte wird nicht von unabhängiger Seite geprüft“, bemängelt Müggenburg.

Anders als etwa der Eco-Score oder der Planet-Score, die – unterschiedlich differenziert – den Lebenszyklus einzelner Lebensmittel bewerten, ist das „ECOnGOOD“-Label nicht produktspezifisch. So kann ein GWÖ-Unternehmen denselben QR-Code auf allen Produkten verwenden. Verbraucherinnen und Verbraucher gelangen über den Code stets auf der allgemeinen, unternehmensbezogenen Webseite.

Matthias Beuger und Pia Kissinger aus dem Nachhaltigkeitsteam der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) haben sich mit dem Label genauer auseinandergesetzt: „Bei ,ECOnGOOD' steht die Leistung des gesamten Unternehmens im Fokus. Mit dem Nachhaltigkeitslabel entscheiden sich die Herausgeber im Spagat zwischen einfach verständlichem (Rot-Grün) Front-of-Pack Labeling und dem Versuch, ganzheitlich über die Gemeinwohlleistungen zu informieren.“ Über einen QR-Code gelangen die Verbraucherinnen und Verbraucher auf die komplexen Informationen. „Wir begrüßen die Entscheidung, Transparenz und Information statt Vergleichbarkeit und Marketing in den Vordergrund der Auslobung zu stellen. Im Kern muss die Weiterentwicklung hin zu einem nachhaltigeren Unternehmen im Zentrum der Bemühungen stehen“, so Beuger und Kissinger.

Völlig neu ist das GWÖ-Konzept nicht

Das könnte auch Greenwashing vorbeugen. Denn nach wie vor gibt es zahlreiche Firmen, die nur einen Teil ihrer Produkte auf nachhaltig trimmen, während ihr übriges Produktportfolio zu wünschen übrig lässt. Völlig neu ist das GWÖ-Konzept allerdings nicht. Es gibt bereits diverse andere Nachhaltigkeits-Zertifizierungen wie EMAS, B-Corp und CSE, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen.

Es wird immer wichtiger, dass sich Unternehmen und Organisationen mit den ökologischen, sozialen und ethischen Auswirkungen ihrer Aktivitäten auseinandersetzen. „Firmen, Vereine oder Kommunen können mithilfe unserer Unterlagen einen Gemeinwohl-Bericht erstellen. Das kostet erstmal nichts – außer gut investierter Zeit“, sagt Ole Müggenburg, der neben seinem Job als Öffentlichkeitsarbeiter für die GWÖ auch PR für Voelkel macht. Anschließend könne man sich für ein Audit anmelden. Dabei kommen GWÖ-lizenzierte Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer ins Unternehmen, um die Richtigkeit der Selbstauskunft zu überprüfen. Das Ergebnis ist eine zertifizierte Gemeinwohl-Bilanz.

Wer das Label verwenden möchte, muss außerdem Mitglied in einem Gemeinwohl-Verein werden. Die Kosten für das Audit sowie die jährliche Mitgliedsgebühr sind je nach Mitarbeiterzahl gestaffelt. Tress Lebensmittel, das Unternehmen hinter der Marke Tress Brüder, ist eines der Pilotunternehmen, die das Label als erste verwenden. Louisa Häußler leitet bei Tress den Bereich Nachhaltigkeit. Sie sagt: „Das ,ECOnGOOD' Logo steht für komplette Transparenz. Das Unternehmen wird dabei nicht für sich betrachtet sondern immer in Beziehung zu seiner Umwelt.“ Das Label sei ein echter Meilenstein, um Anreize zu schaffen, sich am Gemeinwohl zu orientierten.

Ziel ist ein staatliches Meta-Siegel

Auch Safthersteller Voelkel nutzt das Label. „Als regional verankertes Familienunternehmen leisten wir auf vielen verschiedenen Ebenen einen Beitrag zum Gemeinwohl. Das „ECOnGOOD“-Label macht dies endlich für Verbraucher*innen erkennbar“, sagt Geschäftsführer Stefan Voelkel. Kundinnen und Kunden sei es auf diese Weise möglich, am Regal die Entscheidung für das Produkt eines Unternehmens zu treffen, das Menschen entlang seiner Lieferkette fair behandelt und die Umwelt möglichst wenig belastet. Weitere Firmen, die in der Pilotphase mit dabei sind: Caritasverband für die Stadt Köln e.V., Fahnen-Gärtner GmbH, Inoio GmbH, Prior1 GmbH, PROSA Architektur und Stadtplanung, Raiffeisenbank Lech am Arlberg, WEtell GmbH.

Müggenburg und seine Mitstreiter hoffen, dass der Staat sich an dem „ECOnGOOD“-Siegel ein Beispiel nimmt. Er sagt: „Unsere Mitglieder beweisen schon heute, dass ethisches wirtschaften möglich ist. Eine solche Initiative müsste eigentlich vom Gesetzgeber kommen, aber die Widerstände in der Wirtschaft sind enorm. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber irgendwann nachzieht“. Oberstes Ziel sei „ein gesetzlicher Meta-Standard, eine Art Supersiegel, für das wir als Verein dann nicht mehr gebraucht werden.“ Sobald der Staat eine verpflichtende, unabhängige Nachhaltigkeitsbilanz einführe und gemeinwohlorientierte Unternehmen belohne, habe der Verein sein Ziel erreicht – und sich damit quasi selbst abgeschafft.

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