Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Umweltschäden beziffern

Wie die Bio-Branche aus Pennys „Wahre Verkaufspreise“-Studie lernen kann

Die versteckten Kosten von Lebensmitteln treiben die Branche schon lange um. Seit September werden sie nun auch von Rewe-Discounter Penny thematisiert. Warum Bio dabei nicht nur positiv wegkommt, erklärt Studienleiter Tobias Gaugler von der Uni Augsburg.

Erst kürzlich hat das Beratungsunternehmen Soil and More im Auftrag von Greenpeace eine Studie zu den wahren Preisen der Fleischerzeugung in Deutschland veröffentlicht. Allein durch den Konsum von Rind- und Schweinefleisch werden rund 6 Milliarden Euro externe Kosten pro Jahr verursacht. Laut der Studie fällt die Belastung der Umwelt bei ökologischem Fleisch zwar geringer aus, jedoch müsste der Erzeugerpreis für Bio-Fleisch trotzdem höher liegen, plus 23 Prozent bei Schwein und 50 Prozent bei Rind. Durch reinen Konsum von Fleisch aus ökologischer Tierhaltung könnten die externen Kosten auf 3,81 Milliarden Euro gesenkt werden.

Das Kilo gemischtes Hackfleisch konventionell kostet bei Penny 3,99 Euro. Doch eigentlich müsste es mindestens 13,66 Euro kosten. Denn pro Kilo fallen für die emittierten Treibhausgase, die Abgase beim Energieverbrauch und die Schäden durch den freigesetzten Stickstoff 9,67 Euro an. Diese versteckten Kosten hat Penny durch Wissenschaftler der Universitäten Augsburg und Greifswald ermitteln lassen.

Sie haben auch die versteckten Kosten für Äpfel, Bananen, Kartoffel, Tomaten, Milch, Mozzarella und Gouda ermittelt, jeweils für das konventionelle Produkt und die Bio-Variante. Zum Ladenpreis addiert ergeben sich für diese acht Produkte neue, teurere Verkaufspreise. Penny-Kunden bekommen sie jetzt am Regal mitgeteilt – allerdings nur im Nachhaltigkeits-Erlebnismarkt Penny Grüner Weg in Berlin-Spandau.

Einsicht oder Marketing?

Zu dessen Eröffnung hatte der Rewe-Discounter die „Wahre Verkaufspreise“-Studie veröffentlicht und ein großes mediales Echo erzielt. Ein Discounter, der über die versteckten Kosten seiner Lebensmittel berichtet, das hat Sensationswert. „Wir sind als Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Markt ohne Zweifel Teil des Problems“, räumte Stefan Magel, Bereichsvorstand Handel Deutschland der Rewe Group, ein. Er versprach lediglich, „sowohl die Anzahl der Produkte mit dieser Kennzeichnung zu erhöhen als auch den Test auf weitere Märkte auszuweiten“ – falls die Kunden positiv auf die doppelte Auszeichnung reagieren.

Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) begrüßte, „dass mit dieser Aktion gezeigt wird: Billige, konventionell erzeugte Lebensmittel gehen am meisten zulasten von Umwelt und Allgemeinheit“. Nur sei es mit der Erkenntnis nicht getan: „Was wir jetzt brauchen, sind echte Maßnahmen. Es ist höchste Zeit, dass die Preisverzerrung im Lebensmittelhandel endet“, sagte BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel mit Blick auf Penny und die Bundesregierung. Auch die meisten Teilnehmer einer Online-Umfrage auf biohandel.de fanden die Aktion gut, weil sie die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkt.

Kritische Stimmen gab es zur Glaubwürdigkeit des Discounters. „Ein weiterer Werbe-Coup von Penny um sich rein zu waschen“, schrieb ein Teilnehmer und fragte sich: „Welche Anbauverbände werden wieder darauf hereinfallen?“ Doch für die Bio-Branche und den -Fachhandel sind beim Thema wahre Kosten nicht die Motive der Rewe-Gruppe interessant, sondern drei andere Fragen: Warum Penny und nicht wir? Ist Bio wirklich so viel näher dran an den wahren Kosten? Und wie kommen diese auf den Kassenzettel?

Thema treibt Branche um

Das Thema „wahre Kosten“ treibt die Branche schon lange um, weil Mehrkosten für Bio-Lebensmittel dadurch entstehen, dass Öko-Landwirte umweltverträglicher wirtschaften. Oder umgekehrt: Konventionelle Lebensmittel sind zu billig, weil die Umweltschäden und die sozialen Kosten, die ihre Herstellung verursacht, von der Allgemeinheit getragen werden. Das wissenschaftlich mit Zahlen zu belegen, ist nicht einfach, weder auf staatlicher Ebene noch runtergebrochen auf das Kilo Schweinehack.

Einen ersten Versuch startete der niederländische Bio-Importeur Eosta (Nature and More) bereits 2015 und berechnete für einige seiner Obst-Lieferanten und konventionellen Nachbarbetriebe die externen Kosten. Mit den Daten – umgesetzt in plakative Bilder – startete der Großhändler 2016 die Kampagne „Was unser Essen wirklich kostet“. „Die Reaktionen des Handels waren gemischt, im LEH ebenso wie im Naturkosthandel“, zog Eosta-Chef Volkert Engelsman 2017 im BioHandel Bilanz: „Dennree, Basic und Alnatura haben die Kampagne mit Begeisterung aufgegriffen“. Andere Bio-Märkte und Großhändler seien sehr zurückhaltend gewesen.

Soil and More und TMG-Thinktank for Sustainability griffen Eostas Erfahrungen auf und initiierten ein groß angelegtes True Cost-Projekt gemeinsam mit Unternehmen der Lebensmittelbranche sowie der GLS Bank und dem Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY). Es soll den ökologischen und sozialen Nutzen und die Kosten von Lebensmitteln in die Jahresabschlüsse von Unternehmen integrieren (siehe Interview in der Infobox).

Warum Penny?

Das Team um Tobias Gaugler von der Uni Augsburg hatte 2018 seine erste Studie vorgestellt, unterstützt damals vom Münchner Bio-Festival Tollwood und der Schweisfurth-Stiftung. Die Studie erregte in Fachkreisen Aufsehen und führte dazu, dass sich die Rewe-Gruppe (und nicht der Bio-Fachhandel) bei Gaugler meldete und fragte, ob er seine Zahlen auf Produkte im Laden herunterbrechen könne. Dass sich Rewe damit befasst, zeigt, dass dieses Thema im konventionellen Handel als relevant (zumindest für die Außenwirkung) angesehen wird.

Tobias Gaugler sieht das Unternehmen jetzt in der Pflicht: „Rewe hat sich da in eine gewisse Verantwortung reinmanövriert, das Thema weiter zu bewegen. Sonst hieße es zu Recht, das war nur eine Eintagsfliege.“ Fazit: Die Bio-Branche war und ist bei dem Thema Pionier – auf der Ebene einzelner Unternehmen. Für einen unternehmensübergreifenden Ansatz war das Interesse nicht groß genug. Dass ein gemeinsames Handeln möglich und wirkungsvoll ist, zeigt das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft mit seiner Pestizidstudie. So etwas für die wahren Preise auf die Beine zu stellen, hat die Branche versäumt.

Bio steht nur bedingt besser da

Gauglers Studie für Penny betrachtet konventionelle Produkte und deren Bio-Pendant. Die Zahlen im Detail zeigen, dass Bio-Produkte bei einzelnen Parametern schlechter abschneiden als die konventionellen. Bei den konventionellen Äpfeln wird der Schaden durch Treibhausgase mit 6,7 Cent je Kilogramm beziffert, bei den Bio-Äpfeln sind es 9,7 Cent. Auch beim gemischten Hackfleisch ist der konventionelle Treibhauseffekt geringer. Bei den meisten anderen berechneten Lebensmitteln liegt Bio nur knapp vorne. Ähnlich ist das Bild bei den Energieemissionen und beim Stickstoff.

Nur bei den Treibhausgasen durch Landnutzungsänderung steht Bio gut da. Diese fallen nur bei konventionellen tierischen Lebensmitteln an, weil diese urwaldschädliches Palmöl und Soja aus Übersee als Futtermittel enthalten. Unter dem Strich sind die berechneten Schadenskosten pro Kilogramm bei gemischtem Bio-Hackfleisch und Bio-Tomaten höher als konventionell, bei Kartoffeln herrscht Gleichstand und bei den anderen Lebensmitteln beträgt der Bio-Vorsprung maximal ein Drittel.

Anders ausgedrückt: Ein Liter Bio-Milch müsste der Studie zufolge im Laden 75 Cent mehr kosten, um die betrachteten Umweltfolgen auszugleichen. Beim Kilo gemischtes Hack wären es 11,58 Euro mehr, die Preisdifferenz zum konventionellen Produkt, das um 9,67 Euro mehr kosten müsste, würde sogar noch wachsen.

Fehlende Parameter schmälern positive Bio-Bilanz

Diese Ergebnisse haben mehrere Gründe: Gauglers Zahlen beziehen sich auf das Kilogramm produziertes Lebensmittel. Damit schlagen die geringeren Bio-Erträge deutlich zu Buche. „Außerdem berücksichtigt unsere Studie einige Kostentreiber nicht, die Bio entgegenkämen, etwa den Pestizideinsatz, resistente Keime oder die Artenvielfalt“, erklärt Gaugler.

Denn diese Parameter ließen sich nur schwer in Zahlen fassen. Welche Bedeutung die Pestizide haben, zeigt eine Zahl von Eosta. Der Großhändler hatte mit den Wirtschaftsprüfern von EY berechnet, dass bei einem Kilogramm konventioneller Äpfel 21 Cent für die durch Pestizidrückstände verursachten Gesundheitskosten hinzugerechnet werden müssten. Sie kämen zu den von Gaugler errechneten Umweltkosten von 17,4 Cent hinzu. Und schon sieht die Bilanz ganz anders aus.

Auch beruhen Gauglers Zahlen auf Durchschnittswerten, die sich wie die zugrundeliegenden Studien auf EU-Bio beziehen. Strengere Verbandskriterien, die die Ergebnisse beeinflussen könnten, bleiben ebenso außen vor wie betriebliche Besonderheiten. „Unsere Bio-Angus-Fleischrinder fressen ihr ganzes Leben lang nur Gras und kein Gramm Getreide oder Soja“, schrieb ein Teilnehmer der BioHandel-Umfrage. Dass Bio-Fleisch in seiner Studie schlecht abschneidet, erklärt Gaugler damit, dass das Tierwohl als Parameter fehlt: „Es ist schlichtweg effizienter, ein Tier schnell, auf wenig Platz, ohne Auslauf und mit viel Eiweißfutter großzuziehen. Das schlägt sich in den Zahlen nieder.“

Größter Unterschied zwischen pflanzlicher und tierischer Ernährung

Aus all diesen Gründen seien das in der Studie auch nicht die wahren Kosten, sagt Gaugler. „Wir können mit unseren Zahlen nur einen Teil der Wahrheit abbilden und das schreiben wir auch.“ Doch bereits jetzt zeige sich klar, dass bei den Umweltauswirkungen der große Unterschied zwischen pflanzlicher und tierischer Ernährung liege und weniger ausgeprägt zwischen den Anbausystemen.

Fazit: Nicht nur diese Studie zeigt, dass Bio-Vorteile schrumpfen, wenn die Bezugsgröße nicht der Hektar Fläche ist, sondern die Menge der darauf erzeugten Lebensmittel. Mehrere Arbeiten zeigen auch, dass es bei der CO2-Bilanz, beim Humusaufbau, beim Tierwohl oder beim Artenschutz zwischen einzelnen Bio-Betrieben eine große Spannbreite und damit ein großes Potenzial an Verbesserungen gibt. Sich für solche Verbesserungen einzusetzen, die beispielhaften Betriebe zu unterstützen und dies darzustellen, wäre eine Chance für den Bio-Fachhandel. Doch der konventionelle Handel schläft nicht, wie das Demeter-Bruderkalbfleisch bei Kaufland zeigt.

Forderung nach Abgaben für umweltschädliche Produkte

Die Penny-Studie umfasste acht Produkte. Im Regal eines Vollsortimenters stehen mehrere tausend Lebensmittel. Schon das zeigt, dass dieser Ansatz öffentlichkeitswirksam ist, aber kaum alltagstauglich. Zumal kein Händler solche wahren Preise verlangen könnte, solange die Mitbewerber weiterhin ihre Billigprodukte anbieten. Und wer beides auslobt und den Verbrauchern die Wahl lässt, was sie zahlen, schiebt nur wieder Verantwortung ab.

Bleibt also das Ordnungsrecht: Eine nach Giftigkeit gestaffelte Abgabe auf Pestizide und eine Stickstoffabgabe fordert die Bio-Branche seit Jahren. Tierschützer drängen schon lange auf strengere Standards für die konventionelle Tierhaltung. Doch diese Forderungen sind bisher an der Agrarpolitik abgeprallt.

„Die Unternehmen müssen handeln“

Im Gespräch mit Tobias Bandel, Agrarwissenschaftler und Mitbegründer des Beratungsunternehmens Soil and More, über den Einbezug von Nachhaltigkeitsanstrengungen in die Unternehmens-Bilanz.

Herr Bandel, hat Sie die Studie von Penny überrascht?

Nein. Wir stehen ja in engem Kontakt mit Tobias Gaugler. Wir verfolgen grundsätzlich den gleichen inhaltlichen Ansatz, jedoch setzen wir True-Cost-Accounting anders um.

Wie machen Sie das?

Wir wollen die wahren Kosten in die Bilanzen der Unternehmen integrieren. Wenn Sie sich einen konkreten Betrieb ansehen, dann können Sie nicht mit Metadaten, also Durchschnittswerten aus Studien arbeiten, wie im Rahmen der Penny-Studie. Wir sind auf dem Feld und sammeln betriebsspezifische Daten. Sie machen es möglich, den Betrieb mit anderen zu vergleichen und sie zeigen künftige betriebswirtschaftliche Probleme auf. Wir versuchen, den Unternehmen klar zu machen, dass sie handeln müssen, um wirtschaftliche Risiken und Schäden zu vermeiden.

Was sagen Sie den Unternehmen?

Finanzinstitute erkennen zunehmend, dass Risiken, die das Naturkapital betreffen, die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens direkt beeinflussen. Von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin gibt es bereits ein Merkblatt, wie Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt werden sollten.

Wer nicht nachhaltig wirtschaftet, bekommt von der Bank also kein Geld?

Der Trend geht in diese Richtung. Deshalb zielen wir mit dem True-Cost-Accounting darauf, Nachhaltigkeitsanstrengungen zu beziffern, zu monetarisieren und in die Bilanz einzubeziehen. Klingt kompliziert. Ist es auch, aber die Ergebnisse lassen sich auf einfache Aussagen runterbrechen: Wer Humus aufbaut und Pestizide verringert, mindert ökonomische Risiken.

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