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Puten: Können Puten Bio sein? (BioHandel, 12/2013)

Gruselige Bilder haben die Diskussion über die Bio-Putenhaltung wieder belebt. Dabei geht es nicht nur um Stallmanagement und Agrarstrukturen. Die entscheidende Frage lautet: Sind moderne Putenhybride überhaupt ökotauglich?

Puten

Leben Bio-Puten besser als konventionelle?

Im Prinzip ja. Sie haben mehr als doppelt so viel Platz im Stall und zusätzlich noch zehn Quadratmeter Auslauf pro Tier. Ihre Schnäbel werden nicht verstümmelt. Sie haben erhöhte Sitzmöglichkeiten zum Aufbäumen, bekommen mindestens 95 Prozent Biofutter und leben in Herden mit maximal 2.500 Tieren. Um zu verhindern, dass die Tiere zu schnell wachsen, schreibt die EU-Öko-Verordnung als Mindestmastdauer für Truthennen 100 und für Truthähne 140 Tage vor. In der Praxis stehen Bio-Puten oft 140 bis 180 Tage im Stall.

Die Öko-Haltungsbedingungen führen nicht automatisch dazu, dass Bio-Puten gesünder wären. Für ihre Dissertation hat die Tierärztin Olga Ermakow die Fleischuntersuchungsbefunde von 300.000 Öko-Puten mit denen von 255.000 konventionell gehaltenen Puten verglichen. Sie alle wurden von 2004 bis Mitte 2009 in einem großen Geflügelschlachthof geschlachtet. Das Fazit: 'In der Öko-Haltung traten grundsätzlich die gleichen Gesundheitsprobleme wie in der konventionellen Haltung auf. Als Ursache für dieses Ergebnis muss der Einsatz nicht geeigneter Rassen in der Öko-Haltung diskutiert werden.'

Fazit

Der Handel muss entscheiden, was er anbietet: Bioläden stehen gegenüber ihren Kunden für eine artgerechte Tierhaltung im Wort. Deshalb ist es Aufgabe der Händler, sich sachkundig zu machen und sich zu entscheiden, welche Qualitäten sie ihren Kunden anbieten. Bei den Eiern hat dieser Prozess begonnen, die regionale Vermarktung gestärkt und Alternativen zum Kükenmord marktfähig gemacht. Beim Geflügelfleisch ist dieser Prozess jetzt fällig. Erst bei den Puten, langfristig auch bei den Masthühnern. Denn die oft eingesetzte Hybride Hubbard JA 757 ist wenig öko-kompatibel. Besser geeignete Rassen sind jedoch deutlich teurer. Für diesen Prozess braucht es Transparenz über Haltungsbedingungen und Marktstrukturen, eine offene Diskussion innerhalb der Branche und darüber hinaus und schlie lich Antworten:

  • Wie viele tote Tiere und Antibiotika akzeptiere ich als vertretbar?
  • Mit welchen Strukturen will ich zusammenarbeiten?
  • Gibt es die Qualität schon, die ich anbieten will?
  • Oder kann ich sie zusammen mit Partnern, etwa kleinen regionalen Erzeugern, auf die Beine stellen und erfolgreich vermarkten?

Doch am Anfang stehen Transparenz und Diskussion. Dafür bietet BioHandel, ein Forum. Im Heft und auf
www.biohandel-online.de/puten

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Weniger Federpicken - mehr tote Tiere

Den Status Quo in deutschen Bioputenställen beschreibt eine aktuelle, nur in Teilen veröffentlichte Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Deren Datenbasis lieferten 40 Ställe von 12 Bio-Putenmästern. Ein Branchenkenner berichtet, dass vor allem vorbildliche Betriebe mitgemacht hätten. Er sei sich sicher, dass es im Gros der Bioputenställe weniger gut aussieht. Schwerpunkt der Studie waren Federpicken und Kannibalismus. Das Ergebnis: Trotz ungekürzter Schnäbel war die Verletzungsrate mit rund zwölf Prozent in der Endmast deutlich geringer als in der konventionellen Haltung. Daten zu Fu ballenschädigungen wurden nicht veröffentlicht. Sie sollen nach Aussagen Beteiligter vergleichbar hoch sein wie in der konventionellen Haltung. Deutlich höher sollen die Mortalitätsraten in den Betrieben gewesen sein. Sie habe zwischen acht und sechzehn Prozent betragen.

Es ist normal, dass in einer Herde während der Mastzeit einige Tiere sterben. Doch welche Mortalitätsrate gilt als akzeptabel? Stefan Mutter, Prokurist beim Geflügelverarbeiter Freiland Puten Fahrenzhausen sagt dazu: 'Für vertretbar halten wir maximal zehn Prozent. Der Durchschnitt bei unseren Mästern liegt bei fünf bis sieben Prozent.' Einige dieser Mäster haben auch an der oben genannten Studie teilgenommen. Der Putenhalter, aus dessen Ställen die Anfang September gezeigten Bilder stammten, wies in den Stallbüchern Mortalitätsraten von 13 und 20 Prozent auf, noch weit vor der Endmast.

Anfällig macht die Tier ihre Ernährung: Intensivputen haben in den ersten Wochen einen hohen Bedarf an der Aminosäure Methionin. Dieser lässt sich über eiwei haltige Pflanzen nicht decken. Konventionell kann synthetisch hergestelltes Methionin zugefüttert werden, bei Ökotieren nicht. 'Wir mussten nach der BSE-Hysterie 2001 aus dem Allesfresser Pute einen Vegetarier machen. Mit dieser Vorgabe ist keine tierart- und bedarfsgerechte Ernährung der Vögel möglich', sagt Stefan Mutter. Er fordert, tierische Proteine als Futter zuzulassen.

Ohne Antibiotioka geht es nicht

Häufige Todesursache sind Infektionen. Sie können mit Antibiotika bekämpft werden. Bei Bioputen ist nur eine einmalige Behandlung zulässig. Diese kann jedoch mehrere Wochen dauern und zahlreiche Antibiotikagaben umfassen - bis die Infektion aus dem Bestand verbannt ist.

'Im Durchschnitt der letzten Jahre musste jede fünfte Herde mit Antibiotika behandelt werden', sagt Stefan Mutter für Fahrenzhausen. Der Demeter-Geflügelhalter Carsten Bauck musste bei acht von 22 Aufzuchten Antibiotika einsetzen. 'Trotz bester Tierbetreuung, trotz aller Liebe zu diesen Tieren ist es uns nicht gelungen, ganz ohne Antibiotika auszukommen. Jedes Mal war es ein Schlag ins Kontor, unsere Bemühungen haben offensichtlich nicht ausgereicht.' Carsten Bauck hat für sich beschlossen, aus der Putenmast auszusteigen und erst einmal nach geeigneten Putenrassen und Elterntieren zu suchen: 'Wir benötigen eine Putenrasse, die zu unserem Hof passt, die wir mit unserem Futter versorgen können, die grundsätzlich keine Medikamente benötigt.'

Ökotaugliche Puten sind rar

Die Suche dürfte schwierig werden. Weltweit werden 95 Prozent der Putenzucht von nur zwei Unternehmen - Aviagen und Hybrid/Hendrix - kontrolliert. Sie arbeiten mit Hybridputen, die für eigene Nachzucht ungeeignet sind. Alle Linien sind auf intensive Mast, schnelle Gewichtszunahme und große Brust ausgelegt, auch die leichteren Tiere, etwa die Hybriden Hockenhull oder Wirral. Das gilt auch für die schwarz gefiederten KellyBronze-Puten des Typs BBB. Sie sind weniger schwer als Big6, robuster, freilandtauglicher und gelten als langsam wachsend. Nach Deutschland gebracht hat sie Ende der 90-er Jahre Martin Bohn, der damit sein Unternehmen Freiland Puten Fahrenzhausen begründete. Bis heute gibt es die Tiere in Deutschland nur in Bio-Haltung und ihr Fleisch vorwiegend im Biofachhandel - nicht nur unter der eigenen Marke, sondern auch in Eigenmarken sowie in Wurst- und Fleischwaren anderer Verarbeiter. Die vorliegenden Daten zeigen, dass die Gesundheitsprobleme die gleichen sind wie bei Big6. Von Kelly gibt es auch kleinere Puten wie die Super Mini, ebenso von der Firma Grimaud in Frankreich.

Ein Problem bei allen diesen Putenhybriden ist, dass die Eier von konventionell gehaltenen Elterntieren gelegt werden. Erst die Küken wachsen dann in Ökobetrieben auf. Möglich ist das durch Ausnahmegenehmigungen. Küken von ökologisch gehaltenen Eltern wären deutlich teurer.

Rasseputen statt Hybriden halten fast nur Hobbyzüchter. Manche Arten sind vom Aussterben bedroht, etwa die RonquiËres Pute, die daraus gezüchteten Cröllwitzer oder die ursprüngliche Bronze-Pute. Sie alle sind freilaufende Vögel, bei denen die Hähne kaum mehr als zehn Kilogramm auf die Waage bringen. Sie brauchen pro Kilogramm Fleisch weit mehr Futter als Hybride. 'Entscheidend ist, dass die öffentliche Hand eine Züchtungsforschung finanziert, die unabhängig von den großen Züchterkonzernen und ihren einseitigen Zuchtzielen ist', fordert der Bio-Dachverband BÖLW.

Aussteigen oder langsam umsteuern?

Neu sind all diese Probleme nicht. Bisher beschränkte sich die öffentliche Reaktion der Anbauverbände meist auf den Hinweis, dass man von den schnell wachsenden Puten nur die Hennen mäste, weil die leichter seien. Als Anfang September das ARD-Magazin Fakt Bilder kranker Bio-Puten zeigte, gab der BÖLW die Probleme in der Bio-Putenmast öffentlich zu und kam zu dem Schluss: 'Grundlegende Änderungen sind unbedingt erforderlich.'

Demeter hat angekündigt, 2014 'konsequent die Puten-Rassen auszuschlie en, die aus tierschutzrechtlichen Gründen problematisch sind'. Allerdings gibt es laut Branchenexperten nur noch einen Demeter-Betrieb, der Puten (Big6) in nennenswerter Grö enordnung mästet. Auch Bioland verfügt nur über eine Handvoll grö erer Putenmäster. Doch einen Ausstieg aus der Mast oder das Verbot bestimmter Rassen erwägt der Verband nicht. 'Es ist nichts damit gewonnen, wenn diese Puten dann nach EU-Bio-Standards oder gar konventionell gemästet werden', argumentiert Bioland-Sprecher Gerald Wehde. Mehr Puten mästende Mitglieder haben der Biokreis und Biopark, vor allem aber Naturland. 'Mittelfristig wollen wir aus der Mast schnell wachsender Hybriden wie Big6 aussteigen', sagt Pressesprecher Markus Fadl. 'Aber das setzt voraus, dass es eine funktionierende Alternative gibt.'

Biofino und Fahrenzhausen: die Bioputen-Vermarkter

Laut Agrar-Marktinformationsgesellschaft AMI gab es 2012 rund 285.000 Bioputen-Stallplätze, was 570.000 geschlachteten Tieren entsprach. Das wäre bei 37,7 Millionen Puten (Statistisches Bundesamt für 2012) ein Bio-Anteil von 1,5 Prozent. Größter Anbieter in diesem Nischenmarkt ist der Naturland-Partner Biofino. Er gehört zu 80 Prozent dem genossenschaftlichen Agrarkonzern GS Agri, der vor allem Futtermittel produziert. 20 Prozent halten Andreas und Markus Tiemann. Die Söhne des Naturland-Partners Heinrich Tiemann (Wiesengold) mästen auch Puten und beliefern Biofino ebenso wie einige andere Naturland-Betriebe. Biofino bezeichnet sich selbst als Marktführer, liefert Puten- und Hühnerfleisch vor allem in den LEH, produziert aber nach Angaben von Branchenkennern auch für Fachhandelseigenmarken.

Marktführer für Geflügelfleisch im Biofachhandel ist Freiland Puten Fahrenzhausen. Das Unternehmen gehört mehrheitlich dem Gründer Martin Bohn. Sechs Aufzucht- und 39 Mastbetriebe in Deutschland und Österreich beliefern Fahrenzhausen mit Puten oder Hähnchen. Etwa 85 Prozent des Geflügels steuern große Betriebe aus dem Osten bei. Deren Futter kommt aus einer eigens errichteten Futtermühle, die mehrheitlich dem Südzucker-Konzern gehört. Von agrarindustriellen Strukturen will Stefan Mutter nicht sprechen. 'Den Begriff agrarindustrielle Strukturen muss man an nachprüfbaren Kriterien festmachen. Ansonsten ist das nur eine leere Worthülse.' Für ihn hat die Organisationsstruktur klare Vorteile. 'In der Futtermühle wird nur Futter für unsere Mäster produziert. Wir können den Input genau kontrollieren und fahren das fertige Futter mit eigenen Lkw aus.' Bei der Betriebsgrö e halte man sich an die vom Biokreis im Frühjahr 2013 beschlossenen Obergrenzen.

Vor Fahrenzhausen bezog der Fachhandel Geflügelfleisch vor allem aus Frankreich, wo die Brüder Bodin in den 70-ern mit Biogeflügelmast begonnen hatten. Die deutsche Allein-Importeurin Jeanine Friese importiert und vertreibt deren Produkte der Marke Le Picoreur bis heute. Auch Bodin mäste Big6, setze aber keine Antibiotika ein, versichert Jeanine Friese. Angaben über die Mortalitätsrate wollte das zu einem französischen Geflügelkonzern gehörende Unternehmen nicht machen.

Weitere Infos: Mehr zu den Marktstrukturen lesen Sie auf biohandel-online.de/Markt

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