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Kinderprodukte

Kritik an strengeren Regeln für Lebensmittelwerbung

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft verschärft ihre Regeln für an Kinder gerichtete Werbung. Wissenschaftler und Verbraucherschützer halten die Selbstverpflichtung der Branche dennoch für nicht ausreichend.

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft unterwirft sich einer strengeren Selbstverpflichtung bei der Bewerbung ihrer Produkte für Kinder. Mit der Neufassung der „Verhaltensregeln des Deutschen Werberat über sämtliche Formen der kommerziellen Kommunikation für Lebensmittel“ wird das Alter der Kinder, für die besondere Werbebeschränkungen gelten, von zwölf auf 14 Jahre angehoben, teilte der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) am Montag mit. Darüber hinaus sieht der Kodex, der in seiner überarbeiteten Form Anfang Juni in Kraft treten soll, weitere Änderungen vor.

Demnach dürfen Unternehmen künftig positive Ernährungseigenschaften von zu süßen, salzigen oder fettigen Lebensmitteln, deren übermäßige Aufnahme im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung nicht empfohlen wird, nicht mehr hervorheben. Der ZAW nennt hier beispielhaft Angaben wie „unter Zusatz wertvoller Vitamine und Mineralstoffe“ oder „hoher Vollkornanteil für körperliche Leistungsfähigkeit“. Aussagen wie etwa „Vitamine und Naschen“ bei Bonbons dürften damit vorbei sein, zumindest unter bestimmten Bedingungen: Denn das Verbot gilt nur für Werbung, die im direkten Umfeld von Kindersendungen platziert wird oder sich direkt an unter 14-Jährige richtet.

2020 wurden 126 Werbeverstöße geahndet

„Die jetzige Erweiterung ist ein weiterer Baustein des umfangreichen Maßnahmenkatalogs, den die deutsche Lebensmittelwirtschaft freiwillig umsetzt, um einen aktiven Beitrag für einen gesünderen Lebensstil zu leisten", teilte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland, mit. Die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats verbieten Unternehmen bereits, Kinder direkt zum Kauf- und Konsum eines Produkts aufzufordern. Auch auf Werbung, die den Eindruck erweckt, der Verzehr eines bestimmten Lebensmittels sei für eine ausgewogene Ernährung unersetzlich, soll unterlassen werden.

Verbraucher, die den Verdacht haben, dass ein Unternehmen mit seiner Werbung den freiwilligen Auflagen nicht nachkommt, können sich beim ZAW beschweren, der den Fall dann prüft. Handelt es sich um einen Verstoß gegen den Werbekodex, teilt der Rat das dem Unternehmen mit. 2020 passierte das laut ZAW in unterschiedlichen Bereichen 126 Mal. In 114 Fällen zogen die Unternehmen ihre Werbung demnach zurück oder änderten sie. Zwölf Mal griff der ZAW zu seinem schärfsten Schwert und sprach eine öffentliche Rüge aus, weil Unternehmen der Beanstandung des Werberats nicht nachkamen.

Studie: Kinder sehen pro Tag 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel

Auf seiner Webseite lobt der ZAW die Vorteile einer freiwilligen Selbstkontrolle. Sie sei unter anderem unbürokratischer und passe sich schneller an gesellschaftliche Veränderungen an. Beim Thema Lebensmittel für Kinder geht sie Kritikern indes nicht weit genug. „Freiwillige Selbstverpflichtungen sind nachweislich nicht geeignet den Junkfood-Konsum von Kindern zu senken“, teilte die Verbraucherorganisation Foodwatch mit und stützt sich dabei auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem vergangenen Jahr. Demnach überwiegt in der Wissenschaft die Auffassung, dass freiwillige Selbstbeschränkungen beim Kindermarketing nur sehr bedingt oder gar nicht greifen.

Schon länger fordern Wissenschaftler, Kinderärzte und Krankenkassen strengere Richtlinien oder ein Werbeverbot. Erst im März sorgte eine Studie der Universität Hamburg für Diskussionen, wonach sich jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel ansieht, zehn im Fernsehen und fünf im Internet. Durchschnittlich 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder dort wahrnehmen, beziehen sich demnach auf ungesunde Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten.

„Für das Medium Fernsehen ist eine klare Zunahme des Werbeausmaßes
insbesondere von ungesunden Lebensmitteln gegenüber dem Beginn der
Dokumentation 2007/2008 festzustellen, obwohl Kinder deutlich weniger
fernsehen als vor 12 Jahren“, schreibt Studienleiter Dr. Tobias Effertz.
Sein Fazit: Weil das Ausmaß an Kindermarketing ungesunde
Ernährungsweisen der Kinder kausal begünstige, sollte es gesetzlich
verboten werden. In zahlreichen Ländern ist die Bewerbung von
Kinderlebensmitteln mitunter deutlich strenger reglementiert als in
Deutschland.

ZAW und Lebensmittelverband wehren sich gegen Werbeverbot

Der ZAW wehrt sich dagegen, der Werbung die Schuld daran zu geben, dass Kinder übergewichtig sind. „Die Realität belegt, dass Kommunikationsverbote im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas nicht erfolgversprechend sind“, teilte die Werbervereinigung mit und nannte Großbritannien und Norwegen als Beispiele: Dort hätte die Einführung von Werbeverboten nicht zu weniger Übergewicht geführt. In Südkorea sei die Zahl trotz eines eingeführten Werbeverbots sogar gestiegen, so der ZAW.

Ähnlich sieht man das auch beim Lebensmittelverband Deutschland. „Ein Werbeverbot für einzelne Lebensmittel macht die Menschen nicht schlank", sagte Hauptgeschäftsführer Minhoff. Die Entwicklung von Übergewicht, Adipositas und nicht übertragbaren Erkrankungen sei multikausal bedingt. Eine einseitige Fokussierung auf einzelne Faktoren wie den Konsum bestimmter Lebensmittel sei deshalb nicht zielführend.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) begrüßte die strengeren Werbeauflagen. „Denn Werbung darf Kinder nicht dazu verleiten, sich ungesund zu ernähren", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP und forderte die Bundesländer auf, konsequent zu kontrollieren. Neben dem Werbekodex des ZAW bestimmt in Deutschland der Medienstaatsvertrag der Länder darüber, wie für Lebensmittel geworben werden darf.

Weiterführende Links:

„Verhaltensregeln des Deutschen Werberat über sämtliche Formen der kommerziellen Kommunikation für Lebensmittel“

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und
gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim BMEL, Juni 2020

Studie: Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV, Universität Hamburg, März 2021

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