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Zwischenbilanz

Ein Jahr Cem Özdemir – „Mutloser“ Minister mit „Lernfähigkeit“

Ein Jahr ist die Ampel-Koalition im Amt. Und damit auch Cem Özdemir als Ernährungs- und Landwirtschaftsminister. Bioland und der Bauernverbund Abl bewerten den Start des Grünen-Politikers höchst unterschiedlich.

Es war ein turbulenter Start für Cem Özdemir. Ins erste Jahr als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft startete der Grünen-Politiker mit einem prall gefüllten Pflichtenheft: Darin stand unter anderem die nationale Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), der Umbau der Tierhaltung inklusive der Entwicklung einer staatlichen Tierwohlkennzeichnung mit separater Bio-Stufe sowie die Ausarbeitung einer Strategie, wie Deutschland bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Ökolandbau hinbekommt. Erste Ergebnisse zum letzten Punkt will Özdemir auf der Biofach im Februar präsentieren.

Zusätzlich musste sich der Chef des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ab dem 24. Februar, dem Tag an dem Russland seinen Krieg in der Ukraine begann, mit einer existenziellen Frage auseinandersetzen: Werden die Deutschen trotz gestörter und zerstörter Agrar-Lieferketten weiterhin genug zu essen haben? Dabei ging es auch darum, ob nun nicht alles dafür getan werden müsse, genügend Lebensmittel im Land zu produzieren, auch auf Kosten des Ökolandbaus, der weniger effizient ist als der konventionelle.

Rund zehn Monate nach Kriegsausbruch kann die erste Frage mit Ja beantwortet werden: Auch wenn Lebensmittel zuletzt mehr als 20 Prozent teurer waren als vor einem Jahr ist die Versorgung gesichert. Und was die Bio-Landwirtschaft angeht: Da gehen die Meinung auseinander.

Abl: „Mutlos, zu wenig, zu langsam, zu viele Zugeständnisse“

Bioland, Deutschlands größter Bio-Anbauverband, attestiert Özdemir Lernfähigkeit in Sachen Ökolandbau. Dort habe er wichtige Zeichen gesetzt. „Das Ziel von 30 Prozent Biofläche bis 2030 ist im besten Sinne ambitioniert – und dass Özdemir den Ökolandbau zum Leitbild der Landwirtschaft ausgerufen hat, besitzt Signalwirkung“, kommentiert Bioland-Präsident Jan Plagge das erste Jahr der Özdemir-Amtszeit. Auch das Vorhaben zum Umbau der Tierhaltung mit neuer, verpflichtender Kennzeichnung und separater Bio-Stufe sei vielversprechend, so der Verband.

Nach den vielen Ankündigungen von Özdemir fordert Plagge aber auch, dass „der Agrarminister jetzt liefern“ müsse. 2023 müsse das Jahr der Umsetzungen werden. „Die aktuell noch vielen Unklarheiten bei vielen der Vorhaben des Agrarministers müssen dafür aufgelöst werden“, so Plagge.

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Bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (Abl) klingt das Fazit anders: „Mutlos, zu wenig, zu langsam, zu viele Zugeständnisse gegenüber der Agrarindustrie und der Bauernverbandsspitze“ – so fasst der Bundesgeschäftsführer Georg Janßen das erste Jahr Agrarpolitik des BMEL zusammen. Die AbL, ein Zusammenschluss aus konventionell und ökologisch wirtschaftenden Bauernhöfen, fordert Özdemir dazu auf, im zweiten Amtsjahr einen agrarpolitischen Aktionsplan aufzulegen. Dessen Inhalte sollten unter anderem sein: Strategien für einen konsequenten Klimaschutz, Gentechnikfreiheit, gerechte Erzeugerpreise, eine Reduktion der Pflanzenschutzmittel und eine Weiterentwicklung des GAP-Plans.

Gelegenheiten, die längst überfälligen Veränderungen in der Agrarpolitik und Landwirtschaft einzuleiten, hätte es aus Sicht der AbL-Bundesvorsitzenden Elisabeth Fresen durchaus gegeben. „Minister Özdemir hatte die große Chance, die Versäumnisse der Vorgängerregierung bei der Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) zu korrigieren, und hat diese ohne erkennbare Haltung und nennenswerte Verbesserungen einfach ziehen lassen. Mehr noch, er hat der Spitze des Bauernverbandes nachgegeben und Aspekte der Nachhaltigkeit, wider besseren Wissens, hinter eine Ausweitung der Produktion gestellt“, so Fresen. „Aktuell profitieren von der GAP einmal mehr vor allem industrialisierte Großbetriebe, nicht die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren wertvollen Leistungen für lebendige ländliche Räume.“

Bioland kritisiert Blockadehaltung der FDP

Auch Bioland sieht an diesem Punkt Versäumnisse. Der Verband mahnt, dass für 30 Prozent Bio bis 2030 noch deutlich mehr GAP-Fördermittel in den Ökolandbau fließen müssten. „Trotz weniger Nachbesserungen trägt diese GAP-Umsetzung in der jetzigen Form nicht zur dringend notwendigen Transformation der Landwirtschaft bei“, so Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik und Kommunikation bei Bioland.

Eine schlechte Bilanz zieht die AbL auch beim Umbau der Tierhaltung. „Mit den Vorschlägen der Borchert-Kommission lag bei Amtsantritt des Ministers ein schlüssiges und breit getragenes Gesamtkonzept für einen gesellschaftlich akzeptierten Umbau der Tierhaltung samt Kennzeichnung vor“, so der Abl-Vorsitzende Martin Schulz. Anstatt dieses umzusetzen, habe sich das BMEL jedoch dafür entschieden, „Klientelpolitik für wenige zu machen. Ganz nach dem Vorbild der Vorgängerregierung, nur in Grün. Gleichzeitig nimmt sie billigend in Kauf, dass eine durchaus nötige Reduktion von Tierzahlen durch die massenhafte Aufgabe bäuerlicher Betriebe vonstattengeht. Auch hier sind die Profiteure agrarindustriell aufgestellte Tierhaltungsbetriebe im In- und Ausland“, so Schulz.

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Bioland kritisiert beim Umbau der Tierhaltung, dass die Finanzierungsfrage noch nicht geklärt sei. „Lediglich eine Milliarde steht als Anschubfinanzierung bislang bereit. Die Transformation der Tierhaltung wird aber ein Vielfaches davon benötigen“, so Gerald Wehde. „Solange die Finanzierung nicht auch langfristig geklärt ist, gibt es hier keine Klarheit für die Landwirt*innen.“ Wehde richtet seinen Vorwurf weniger gegen das BMEL. Er sieht hier vielmehr eine „Blockadehaltung der FDP in dieser Sache“ als „ein echtes Problem für den gesamten Umbau.“ So gesehen gehe es bei Özdemir im kommenden Jahr nicht nur ums Umsetzen, sondern auch ums Durchsetzen. Dazu gehört laut Bioland auch eine feste Bio-Quote in öffentlichen Mensen und Kantinen, um das ausgerufene Bio-Ziel zu erreichen.

Der Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) nimmt derweil die gesamte Politik in die Pflicht. Das Ziel von 30 Prozent Bio könne nur dann erreicht werden, wenn neben der Landwirtschaftspolitik auch alle anderen Politikbereiche daran mitwirken: das Wirtschaftsministerium mit auf Nachhaltigkeit fokussierten Förderprogrammen und Bio-Gründungsfonds, das Finanzministerium mit einer ökologischen Steuerreform und das Forschungsministerium mit gut ausgestatteten Öko-Forschungsprogrammen und mehr Bildung zu Bio. Aus dem Umweltministerium müssen dem BÖLW zufolge Konzepte kommen, die das volle Umweltleistungspotenzial von Bio heben. Selbst das Verteidigungsministerium könne einen Beitrag leisten: indem es die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr künftig mit Bio-Essen verpflege.

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