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Der Bio-Absatz steigt, aber reicht’s für alle?

Nach den Hamsterkäufen wächst der Bedarf an Bio noch immer – und das nicht nur in Deutschland. Gibt es genug Rohstoffe, um diese Nachfrage zu decken? Und wer bekommt sie? BioHandel hat nach Antworten gesucht.

Seit des Corona-Lockdowns ist die weltweite Nachfrage nach ökologischen Produkten im Handel stark gewachsen. Eine durchaus positive Entwicklung, die in ihrem derart schnellen Tempo allerdings auch die Frage aufwirft, ob es genügend Bio-Rohstoffe gibt, um den Bedarf zu decken.

Das sind schon beeindruckende Zahlen, die derzeit von der Agrarmarkt Informationsgesellschaft AMI kommen: Im März und April 2020 kauften die Deutschen jeweils ein Viertel mehr Bio-Frischgemüse als im Vorjahresmonat. Im Mai lag die Steigerungsrate bei Gemüse immer noch bei 22 Prozent, bei Obst sank sie auf 13 Prozent.

Auch bei Milch und Fleisch schossen die Absatzmengen während des Corona-Lockdowns nach oben, beruhigten sich im Mai ein wenig, lagen aber weiterhin deutlich über dem Vorjahr. Und die bis Redaktionsschluss vorliegenden Zahlen für den Juni weisen in die gleiche Richtung: Bio-Frische ist weitaus stärker gefragt als noch Anfang des Jahres gedacht.

Absatz stabilisiert sich auf höherem Niveau

Hinzu kamen die Hamsterkäufe im Trockensortiment. Sie räumten im Frühjahr so manches Lager leer und führten zu Engpässen bei der Logistik und in der Herstellung. Auch hier deuten die Zahlen darauf hin, dass sich der Absatz auf einem höheren Niveau als vor Corona stabilisiert hat.

Einzelhändler auf der ganzen Welt verzeichnen kräftige Umsatzsteigerungen für Bioprodukte.

Ecovia Intelligence

Diese Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. „Einzelhändler auf der ganzen Welt verzeichnen kräftige Umsatzsteigerungen für Bioprodukte“, schrieben die Marktforscher von Ecovia Intelligence Ende April. „Immer wenn es einen Lebensmittelskandal oder eine gesundheitliche Bedrohung gibt, wollen die Menschen mit einer besseren Ernährung vorsorgen“, erklärte Ecovia-Geschäftsführer Amarjit Sahota auf foodnavigator.com.

Entwarnung für kommende Monate

Doch die stetig steigende Nachfrage hat eine Kehrseite: Gibt es genug Bio-Lebensmittel, um sie zu befriedigen? Oder wird die Ware langsam knapp? „Im Moment kann ich sagen, es reicht noch“, erklärte Diana Schaack, Ökolandbau-Expertin der AMI Mitte Juli. Das mag verwunderlich klingen und gilt auch nicht für alle Bio-Erzeugnisse in gleichem Maße. Doch auch andere Gesprächspartner gaben sich gelassen, zumindest für die nächsten Monate. Dabei sind die Erklärungen für die einzelnen Warengruppen durchaus unterschiedlich.

Umstellen braucht Zeit

„Bei Milch zum Beispiel hatten die Marktteilnehmer vor Corona Sorge, dass das Angebot zu groß werden könnte“, erläutert Diana Schaack. Die Erzeugerpreise waren deshalb 2019 leicht rückläufig. „Jetzt fließt die Milch so stark ab, dass einige Molkereien bereits daran denken, Umsteller von ihren Wartelisten aufzunehmen.“ Es gibt zahlreiche Milcherzeuger, die umstellen wollen und nur auf den Abnahmevertrag der Molkerei warten.

Allerdings dauert es meist ein Jahr, bis ein Umsteller die erste Bio-Milch liefern kann. Das wäre dann Mitte 2021. Bis dahin könnte es womöglich eng werden, denn die Milchanlieferungen steigen gegenüber dem Vorjahr nur noch leicht. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark und Österreich, die gut ein Viertel der in Deutschland verkauften Bio-Milch liefern. Zudem geht im Herbst die angelieferte Milchmenge saisonal bedingt zurück.

Neue Ernte schätzungsweise durchschnittlich

Jetzt im September ist die neue Getreideernte weitgehend eingebracht. Nach den Mitte Juli vorliegenden Schätzungen dürfte sie durchschnittlich ausfallen, da es nach einem zu trockenen Frühjahr in weiten Teilen Deutschlands doch noch genug geregnet hat.

Am sehnsüchtigsten auf die Ernte gewartet haben die Dinkel-Verarbeiter. „Bei uns ging im Mai der Demeter-Dinkel für die Nudeln aus“, berichtet Liane Maxion, die Geschäftsführerin von Naturata: „Wir mussten einige Nudelsorten bis zur neuen Ernte auslaufen lassen und haben den gesamten restlichen verfügbaren Dinkel in die Renner Spirelli, Penne und Spaghetti verarbeitet.“

Getreide erstmal knapp

Schuld an der Dinkel-Knappheit, konventionell und bio, waren die Nudel-Hamsterkäufe im März. „Wir beziehen den Dinkel von einer Erzeugergemeinschaft auf der Schwäbischen Alb und sprechen die Anbaumengen vorher mit ihnen ab. Die hohe Nachfrage war natürlich nicht einkalkuliert“, erläutert Maxion. Und anderswo einkaufen komme nicht in Frage – selbst wenn es irgendwo noch Dinkel gegeben hätte.

Auch bei Weizen und Roggen sei deutlich mehr verarbeitet worden als gedacht, sagt Reinhard Sips, Getreideeinkäufer der Spielberger Mühle. Doch da seien die Lager gut gefüllt und die Landwirte froh über die zusätzliche Nachfrage gewesen. „Das ist dadurch gut abgeflossen, auch der Verbandsroggen, es gibt jetzt, Mitte Juli, kaum noch alte Ernte.“

Bei EU-Bio-Roggen dagegen seien die Lager noch voll und der Preis im Keller. Von den Ernteergebnissen wird es abhängen, ob genug Verbandsgetreide für die steigende Nachfrage vor allem im LEH zur Verfügung stehen wird. Manche Marktteilnehmer fürchten hier einen zunehmenden Verteilungskampf.

Obst- und Gemüsebedarf rechtzeitig planen

Bei Obst und Gemüse geben sich die bundesweiten Großhändler gelassen: „Durch die langjährig erprobte, frühzeitige und vorausschauende Anbauplanung haben wir bereits im Vorfeld Bedarfsmengen mit den jeweiligen Erzeugern sowohl in Deutschland als auch weltweit abgestimmt“, teilte Weiling-Sprecher Hanjörg Bahmann mit.

Für Dennree erklärte Petra Renner, Leitung Wareneinkauf Obst und Gemüse: „Entwicklungen in diesem Bereich können wir aufgrund der langjährigen Partnerschaften mit unseren Erzeugern gut planen und begegnen.“ Grundsätzlich sei die Verfügbarkeit von Obst und Gemüse im Sommer aber immer von wetterbedingten Schwankungen in den Erntemengen abhängig.

Tauziehen um wichtigste Produkte im Herbst

„In regulären Jahren hätten wir jetzt, in der Ferienzeit, ein Überangebot und Vermarktungsdruck. So läuft die Nachfrage auf hohem Niveau weiter, das entlastet den Markt und die Preise bleiben stabil“, sagt Norbert Schick, der beim Regionalgroßhändler Grell Naturkost den OG-Einkauf leitet. Doch sollte die Nachfrage weiterhin steigen „gibt es im Spätsommer oder Frühherbst ein Tauziehen um die wichtigsten Produkte“, prophezeit er. Schließlich seien 40 Prozent Umsatzplus in keiner Anbauabsprache berücksichtigt worden.

„Wir werden die Planungen für die kommende Saison entsprechend erhöhen und uns auf die Suche nach neuen Produzenten begeben, um den Bedarf zu decken“, kündigt Schick an. Was unerwartete Nachfrage bewirken kann, zeigte sich, als im Juli die Äpfel knapp wurden. Aufgrund der guten deutschen Ernte 2019 bestellten die Händler für den Frühsommer 2020 kaum Überseeware.

Wir werden die Planungen für die kommende Saison entsprechend erhöhen und uns auf die Suche nach neuen Produzenten begeben.

Norbert Schick, Grell Naturkost

Doch durch die Corona-Nachfrage waren die Lager viel schneller leer als gedacht und Nachschub knapp: „Das Angebot wird gestreckt, um möglichst lückenlos in die neue Saison zu wechseln“, beschrieb die AMI Anfang Juli den Engpass. Solche Engpässe könnten auch entstehen, wenn aufgrund der großen Nachfrage die Lager für Wintergemüse schneller leer werden als geplant und Rote Bete, Kürbis, Möhren und Kartoffeln 2021 schon im zeitigen Frühjahr auslaufen.

Schweine dringend gesucht

Auch bei Fleisch ist die Nachfrage groß. Bei Rind sieht die AMI dennoch kaum Probleme: „Für den Herbst erwarten die Vermarkter stabile Schlachtmengen und durchaus die Möglichkeit, auch dann die höhere Nachfrage als im Vorjahr zu bedienen“, schrieben die Marktbeobachter Mitte Juni. Als Grund nannten sie die zunehmende Umstellung von Rindermästern und Milchviehbetrieben.

Für Schweine dagegen berichtet die AMI von einer andauernden „Unterversorgung“ für EU-Bio- und Verbandsware. Da man ein Schwein nur einmal schlachten kann, stellt sich hier – und bei anderen knappen Erzeugnissen – die Frage: Wer bekommt die Ware? Thema war in den vergangenen Monaten im Fachhandel allerdings nicht das Fleisch, sondern Demeter-Ware, insbesondere Milchprodukte (siehe Infobox unten).

So konnte die Molkerei Berchtesgadener Land schon Bioland in den ersten Monaten 2019 die Nachfrage nach Demeter-Vollmilch nicht mehr voll abdecken. Verkaufsleiter Florian Zielinski begründete das damals in der Naturkost-Info des Händlerverbandes Naturkost Süd mit dem starken und unerwarteten Absatzwachstum Ende 2018 in allen Vertriebsschienen, auch im Bio-Fachhandel. Neukunden habe man schon seit langem keine mehr angenommen. Die Molkerei Schrozberg erklärte den Engpass bei Demeter-Butter gegenüber Naturkost Süd „mit unserem jährlichen zweistelligen Wachstum im Bio-Fachhandelsmarkt“.

Wer kriegt die Ware?

Sabine Franz, die die beiden B2-Biomärkte in Reutlingen und Balingen sowie einen Frische-Lieferdienst führt, machte vor Weihnachten 2019 die Erfahrung, dass Demeter-Milch und Molkereiprodukte im Glas bei beiden Molkereien knapp waren. Deshalb musste sie die Produkte in den Abo-Kisten durch andere ersetzen – und bekam prompt die Rückmeldung verärgerter Kunden: Bei Edeka gibt’s Demeter aber!

Fachhandel benachteiligt?

„Das ist schon eine herbe Geschichte“, sagt Franz und erzählt noch eine aktuelle aus Corona-Tagen: „Als jetzt Spielberger ein Produkt auf EU-Bio umstellte, weil keine Demeter-Ware mehr verfügbar war, kam eine Kundenfrage, warum dann das Produkt bei Campo Verde noch in Demeter-Qualität verfügbar sei.“ Fälle wie diese schüren immer wieder die Vermutung, dass bei der Verteilung zunehmend knapper Verbandsware der Fachhandel benachteiligt würde.

Das gilt auch für Bioland, insbesondere wegen der zunehmenden Zusammenarbeit mit Lidl. Bioland-Sprecher Gerald Wehde will die Knappheit an Verbands-Erzeugnissen bei wenigen Produkten nicht an Lidl festmachen. „Grundsätzlich gilt für unsere Zusammenarbeit mit Lidl, dass wir erst einmal im Erzeugerbereich die Grundlagen schaffen müssen. Also weitere Erzeuger aufnehmen, sie beraten und umstellen.“

Schließlich wolle man langfristige Perspektiven schaffen. Ein solches „sehr gut abgesprochenes, planbares Vorgehen“ wünscht sich Wehde auch von anderen Marktteilnehmern. Denn es gebe welche, die seien „durchaus offensiv im Organisieren von Ware der Anbauverbände unterwegs“.

Verbände ohne Entscheidungsmacht über Lieferungen

Wen sie beliefern, müssten Verarbeiter und Erzeuger selbst entscheiden, darauf habe der Verband keinen Einfluss. „Wir können nur durch Beratung und Hilfe bei der Umstellung für Nachschub sorgen sowie Erzeuger, Hersteller und Handel vernetzen.“ Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft führt ein knappes Angebot bei hoher Nachfrage zu steigenden Preisen. Das stimmt zwar nicht immer, etwa wenn langfristige Verträge mit festen Preisen abgeschlossen werden. Auch spielt die Marktmacht einzelner Teilnehmer eine Rolle.

Wir können nur durch Beratung und Hilfe bei der Umstellung für Nachschub sorgen sowie Erzeuger, Hersteller und Handel vernetzen.

Gerald Wehde, Bioland

Doch generell gilt die Regel, und sie hat die Preise für Bio-Lebensmittel in den letzten Monaten deutlich steigen lassen, wie die Zahlen der AMI zeigen. Zum Beispiel Frischgemüse im April: Die verkaufte Menge stieg gegenüber dem Vorjahresmonat um 25 Prozent, der Umsatz um 42 Prozent. Vereinfacht gesagt: Das Gemüse war 13 Prozent teurer als im April 2019.

Trend zu Bio-Produkten wird anhalten

Die Zahlen zeigen auch: Trotz der finanziellen Unsicherheit während der Coronakrise sparten die Menschen nicht am gesunden Bio-Essen. Offen ist, ob das auch bei einer länger anhaltenden Rezession so bleibt oder ob der Bio-Umsatz dann das knapper werdende Haushaltsgeld spürt.

Amarjit Sahota geht davon aus, dass der Trend hin zu mehr frischen Bio-Produkten anhalten wird. Er begründet das mit den Erfahrungen aus dem BSE-Skandal in Europa oder den Auswirkungen der Lungenkrankheit SARS in Asien. Nach einem jeweils steilen Anstieg sei die Nachfrage nach Bio-Lebensmittel danach stetig weitergewachsen.

Auch die Rezession dürfte daran wenig ändern. Das legen die Erfahrungen der Finanzkrise nahe. Damals, 2009, schrumpfte die deutsche Wirtschaft um fünf Prozent, während der Bio-Umsatz stabil blieb. Zudem ist das Virus nicht aus der Welt, sondern wird die Menschen noch länger begleiten und ängstigen.

„Wir haben einen moderierenden Auftrag“

Interview mit Schimon Porcher, Leiter der Abteilung Markt bei demeter e.V., über die Verteilung von Demeter-Ware:

Wie stark wächst Demeter im Fachhandel und im LEH?

Auf Ebene der Verarbeiter ist der Demeter-Umsatz 2019 insgesamt um 27 Prozent gestiegen. Der Umsatz mit Demeter im Fachhandel hat 2019 um 15 Prozent zuge­nommen, Demeter wuchs also auch im Fachhandel stärker als der Fachhandel insgesamt. Wir hatten auch ein sehr starkes Wachstum im LEH, da dort Partner neu hinzugekommen sind und ihr Sortiment aufgebaut haben.

Wer kriegt was, wenn die Ware knapp wird?

Als Verband können wir die privatwirtschaftlichen Ent­scheidungen unserer Erzeu­ger und Verarbeiter weder treffen noch beeinflussen. Wir haben hier einen mo­derierenden Auftrag. Da wir einen sehr guten Überblick haben, wo es was gibt, kön­nen wir Erzeuger und Ver­arbeiter zusammmenbrin­gen. Aber wir können keine Priorisierung treffen.

Aber der Verband könnte den Anspruch formulie­ren, dass alle Vertriebs­schienen gleich behandelt werden?

Das ist unser Ziel. Natürlich wollen wir, dass jeder, der mit Demeter-Produkten han­deln will, das auch tun kann. Aber auf die wirtschaftliche Entscheidung etwa einer Molkerei haben wir keinen Einfluss.

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