Biohandel

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Bio-Handel in der Ukraine

„Trotz Krieg wollen wir unsere Verträge erfüllen“

Auch rund vier Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges funktioniert die Produktion von Bio-Lebensmitteln in der Ukraine bemerkenswert gut. Die größte Herausforderung jedoch ist die Logistik. Exportiert wird zu einem hohen Preis.

Seit vier Monaten führt Russland in der Ukraine Krieg und hat damit nicht nur großes Leid über Teile der ukrainischen Bevölkerung gebracht, sondern auch weltweit wirtschaftliche Turbulenzen hervorgerufen. Da die Ukraine ein wichtiges Exportland für konventionelle sowie ökologische Rohstoffe ist, sind viele Importeure in Sorge, ob ihre ukrainischen Lieferanten trotz des Krieges lieferfähig bleiben. Während einer internationalen Online-Konferenz wurden Erfolgsgeschichten und Herausforderungen für ukrainische Bio-Exporte von Regierungsvertretern, Zertifizierern, Exporteuren und Importeuren analysiert.

Aussaatkampagne 2022 ist zu 99 Prozent abgeschlossen

Laut Liudmyla Khomichak vom ukrainischen Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung sind derzeit 30 Prozent der ukrainischen Bio-Flächen entweder besetzt oder vermint. Dennoch sei die landesweite Aussaatkampagne 2022 zu 99 Prozent abgeschlossen. Folglich dürfte die Ukraine auch in diesem Jahr in der Lage sein, ihr hohes Produktionsniveau wichtiger Kulturen wie Getreide, Hülsenfrüchten und Ölsaaten aufrecht zu erhalten.

Anastasiia Bilych von Arnika Organic, einem Unternehmen, das in der Poltova-Region auf über 15.000 Hektar Soja, Sonnenblumen, Mais und andere Bio-Kulturen anbaut, berichtete: „Zu Beginn des Krieges hatten wir sehr mit dem Mangel an Saatgut, Treibstoff und Ersatzteilen zu kämpfen. Trotz allem haben wir es geschafft, unsere Felder einzusäen.“

Liluck, ein Produzent von Bio-Birkensaft, hatte hingegen weniger Glück: die Birkensafternte findet nur einmal im Jahr im März und April statt – als der Krieg gerade begonnen hatte. Daher konnten nur die Hälfte der ursprünglich geplanten Mengen geerntet werden. „Wir sind froh, dass wir dies trotz aller Schwierigkeiten geschafft haben, sind jedoch nun mit anderen Problemen konfrontiert. Zum Beispiel fehlen Glasflaschen, da einige große Glasproduktionsanlagen in der Ostukraine besetzt sind oder stillgelegt wurden“, erklärte Handelsdirektor Andrii Martyniuk.

Logistik: Die Ukraine denkt über den Tellerrand hinaus

Während die Produktion in der Ukraine trotz des Krieges bemerkenswert gut funktioniert, ist und bleibt die Logistik die größte Herausforderung. Laut Sergiy Galashevskiy von der Zertifizierungsstelle Organic Standard, von dessen Kunden etwa ein Drittel aller ukrainischen Bio-Exporte stammt, wurden vor dem Krieg rund 70 Prozent der Bio-Exporte per LKW transportiert.

Seit Kriegsbeginn haben zerstörte Brücken und ein Mangel an Treibstoff und Fahrern enorme logistische Engpässe verursacht, weshalb inzwischen nur noch 45 Prozent der Bio-Exporte per Straße transportiert werden. Gleichzeitig haben Schienentransporte und Gütertransporte per Binnenschifffahrt um 35 Prozent zugenommen.

Da alle ukrainischen Seehäfen von der russischen Armee besetzt sind, ist es fast unmöglich geworden, große Mengen an Waren zu exportieren. „Unsere Exporteure denken jetzt über den Tellerrand hinaus und nutzen neue Exportrouten. Zum Beispiel liefern sie ihre Produkte mit Lastwägen und Zügen nach Konstanza in Rumänien, nach Danzig in Polen und nach Klaipėda in Litauen, von wo aus sie per Seefracht weiter exportiert werden können.

Auch der Hafen von Reni ist ein wichtiger Umschlagplatz geworden. Hier haben wir ein bio-zertifiziertes Lager, Danube Prom Agro LLC, in dem rund 10.000 Tonnen Bio-Produkte gelagert werden können. Von dort aus wird die Ware dann über die Donau direkt nach Österreich und Deutschland transportiert", sagte Galashevskiy.

Bereits 2016 hatte die Agrofirma Pole, größter Hirseexporteur der Ukraine, ihr Hauptvertriebszentrum nach Polen ausgelagert. „Für viele Ukrainer begann der Krieg bereits 2014, als Russland die Krim annektierte. Nur zwei Jahre später gründeten wir in Polen eine Tochterfirma und ließen das Lager nach Bio-Standard zertifizieren. Natürlich haben auch wir mit Kosten und Transportverfügbarkeit zu kämpfen, aber wir sind froh, dass wir unsere Distribution bereits vor dem 24. Februar umgestellt hatten", sagte Vertriebsleiter Andriy Yelsukov.

Hohe Transportkosten für lange Lieferzeiten

Die logistischen Bemühungen, um Exporte aus dem Land zu bekommen, sind zwar bewundernswert, haben jedoch ihren Preis. „Seit Kriegsbeginn haben sich die Preise für LKW-Transporte in die Schweiz und nach Deutschland verdoppelt“, berichtete Anastasiia Bilych von Arnika Organic. Gleichzeitig hat ihr Unternehmen noch immer tausende Tonnen Bio-Ware auf Lager, die darauf warten, versendet zu werden. „Selbst wenn Sie den dreifachen Preis für Fracht bezahlen, löst dies nicht das Problem der Transportknappheit“, bestätigt auch Oleg Makasak von FMM Europe B.V. Die Regel ‚mehr zahlen für mehr Service‘ gilt in Kriegszeiten nicht mehr."

Stattdessen steigen die Kosten in ungeahnte Höhen, während sich die Lieferzeiten verlängern. „Unsere Logistikkosten sind um 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig gibt es an den Grenzen lange Staus. Einige LKW brauchen fünf bis sechs Tage, um das Land zu verlassen", sagte Andrii Martyniuk von Liluck.

Das Gleiche gilt für den Schienenverkehr: „Im Moment warten wir noch auf 400 Tonnen Bio-Soja, das vor drei Wochen auf Eisenbahnwaggons geladen wurde. Aber die Waggons befinden sich immer noch in einer Warteschlange an der Grenze“, sagte Amos Ramsauer von der deutschen Firma Agriprotein.

Kann Bio-Qualität jetzt noch gewährleistet werden?

Bereits vor der russischen Invasion, am 31. Dezember 2021, war die Ukraine von der Liste der Risikoländer für Bio-Einfuhren in die Europäische Union gestrichen worden. Während der Konferenz sorgte die Nachricht, dass das Land den EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten habe, für optimistische Minen: Im Erfolgsfall würde dies Importe in der Zukunft erheblich erleichtern.

Trotz aller Bemühungen, die Ukraine in diesen Zeiten durch Handel zu unterstützen, riet Dr. Jochen Neuendorff von der deutschen Zertifizierungsstelle GfRS zur Vorsicht: „Es müssen nun mehr denn je vorbeugende Maßnahmen gegen Kontamination und Vermischung mit konventionellen Gütern getroffen werden. Besonders bei Waren, die per Schiene transportiert werden, ist das Kontaminationsrisiko sehr hoch“, warnte er.

Ein großes Problem sei, dass bei konventionellen Produkten Pestizide wie Bromid oder Phosphid zur Verlängerung der Produkthaltbarkeit erlaubt seien. Diese hinterließen Rückstände in Lagereinrichtungen, Terminals und Waggons. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Bio-Unternehmer alles in ihrer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass die Ukraine nicht wieder auf die Liste der Risikoländer kommt. Ich kann daher nur davon abraten, mit Zertifizierern zusammenzuarbeiten, die falsche Versprechungen machen. Better safe than sorry", riet Neuendorff.

„Wir brauchen Aufträge, kein Mitleid“

Nach vier Monaten Krieg haben sowohl das ukrainische Volk als auch die Bio-Branche der Ukraine hohe Widerstandsfähigkeit und Durchhaltevermögen bewiesen. Toralf Richter vom FiBL Schweiz ist nicht überrascht: „Die Ukraine ist bekannt dafür, innovative Lösungen für bestehende Probleme zu finden.“

Andrii Lytvyn vom ukrainischen Entrepreneurship and Export Promotion Office (EEPO) betonte, dass Europa aufgrund der geografischen Nähe und der Blockade der Seehäfen nun zu einem noch wichtigeren Handelspartner geworden sei als noch vor dem Krieg. Zum Abschluss der Konferenz verwies er auf ein Zitat des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky, der, als er gefragt wurde, ob er erwäge, aus seinem Land zu fliehen, antwortete, dass er Munition brauche, keine Mitfahrgelegenheit.

„Wir brauchen Aufträge, kein Mitleid“, sagte Lytvin und bat die internationalen Partner um weitere Unterstützung durch Handel. „Wir sind bereit, unsere Verträge zu erfüllen – trotz aller Herausforderungen, die der Krieg mit sich bringt.“ Wer auf der Suche nach Geschäftskontakten in der Ukraine ist, solle den regelmäßig aktualisierten Katalog ukrainischer Bio-Exporteure konsultieren, der derzeit mehr als 70 Unternehmensprofile enthalte. Darüber hinaus werden Vertreter des ukrainischen Bio-Sektors vom 26. bis 29. Juli auf der Biofach in Nürnberg in Halle 4a, Stand 511, vertreten sein.

Die Veranstaltung wurde vom ukrainischen Entrepreneurship and Export Promotion Office im Rahmen des staatlichen Projekts Diia Business gemeinsam mit der Zertifizierungsstelle Organic Standard und der ukrainischen Plattform Organic Initiative organisiert. Unterstützt wurde die Konferenz durch die schweizerisch-ukrainischen Programme „Higher Value Added Trade from the Organic and Dairy Sector in Ukraine“ (QFTP) und „Organic Trade 4 Development in Eastern Europe“ (OT4D), die vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, IFOAM – Organics International und Helvetas durchgeführt werden.

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