Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Klimawandel

Bio-Landwirte bangen um ihre Ernten

Öko-Landwirtschaft ist resilienter als konventionelle. Trotzdem geraten Bio-Landwirte auf der ganzen Welt zunehmend unter Druck. Denn das Wetter wird immer unberechenbarer.

Auf den Feldern stellt niemand den Klimawandel infrage. Dort sieht man ihn. Inwieweit Bio-Bauern von extremen Wetterereignissen betroffen sind, hängt stark von regionalen Wetterverhältnissen ab. Das Jahr 2021 ist noch nicht vorbei und trotzdem kann man bereits feststellen, dass sich der negative Trend des Klimawandels fortsetzt. Nur zeigt er sich in einem anderen Extrem, als die Jahre davor: Während 2018, 2019 und 2020 Trockenheit herrschten, hoffte man in diesem Jahr in Deutschland, dass der Regen aufhört.

Biokreis-Bauer Stefan Bauer aus Oberrüsselbach in Oberfranken wird Jahr für Jahr verzweifelter. Durch die zunehmend höheren Temperaturen legen die Bäume – Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen und Pflaumen – mit der Vegetation früher los „und bekommen dann eins übergebraten“, sagt er. 90 Prozent habe der Ernteausfall im vergangenen Jahr betragen, 2021 liege man immerhin bei „nur“ 50 Prozent Schaden. „Ich als Landwirt muss den Klimawandel ausbaden!“, bringt er im Biokreis-Magazin die Betroffenheit der Bio-Bauernschaft zum Ausdruck.

Stefan Bauer ist mit seiner Ohnmacht nicht allein. Anderthalb Jahresernten Rotwein im Wert von 50 Millionen Euro hat die zerstörerische Flut vernichtet oder verdorben, schätzt der Präsident des Weinbauverbands Ahr Hubert Pauly in der Wirtschafts-Woche. Die materiellen Schäden sind dabei nicht eingerechnet.

Weltweit schlechtes Honigjahr

Ralf Geiger ist seit 50 Jahren in der Imkerei unterwegs und berichtet von einer deutschlandweit, ja europaweit sehr unterdurchschnittlichen Honigernte 2021. Es sei das schlechteste Honigjahr seit mindestens zehn Jahren, erzählt der Imkermeister. Nach einem warmen März mit gutem Start für die Bienen gab es bis in den Sommer hinein eine kühle regnerische Wetterlage, die in den meisten Regionen nur wenig oder gar keinen Frühjahrshonig brachte. In den wenigen Sonnenwochen, in denen die Bienen sammeln konnten, brachten die Geigers ihre Bienen in spätblühende Regionen, wodurch noch eine Ernte möglich wurde. Das Deutsche Bienenjournal berichtet, dass dort, wo die Imker nicht mit Futter direkt am Bienensitz geholfen haben, eine erhebliche Zahl an Völkern verhungerte.

Im Corona-Jahr 2020 war Bio-Honig besonders beliebt und daher waren die Lager im Frühjahr leer. Geiger beobachtet sowohl im Großhandel als auch im Einzelhandel eine Preissteigerung von 20 bis 30 Prozent und erwartet, dass viele Imker nicht ganzjährig lieferfähig sein dürften, da auch die Sommertracht deutschlandweit unterdurchschnittlich sei. Geiger zeichnet seit 1980 die Blühtermine für die Bienenpflanzen auf – allein in den letzten zwanzig Jahren gab es Verschiebungen von drei bis vier Wochen. Das auszugleichen wäre immer schwieriger und mit einem großen Aufwand verbunden.

Ähnlich besorgniserregend ist die Situation in Mittelamerika. Vor allem zwei Hurrikans hätten laut Gepa-Einkaufsmanagerin Annika Schlesinger bei zwei Honig-Partnerkooperativen in Guatemala massive Schäden verursacht. Die Handelspartner hätten jeweils nur ein Drittel ihrer sonstigen Honigernte eingefahren. Auch in Mexiko hatten die Gepa-Partnerkooperativen2021 mit unerwarteten Regenfällen und Kälteeinbrüchen zu kämpfen, die zu einer massiven Preissteigerung führten. Das Besorgniserregendste laut Lucas Silvestre, Geschäftsführer der Honigkooperative Guaya’b in Guatemala, sei der Rückgang des Produktionsvolumens. „Früher produzierten die Bienenstöcke 50 Kilo Honig, heute nur noch 15 Kilo.“

Geschmacksveränderungen und Preisanstiege

In Europa hatten wir zwar keine Hurrikans, dafür verheerende Waldbrände. Sie werden von Jahr zu Jahr heftiger und haben eine katastrophale Auswirkung auf das Mikroklima. „Es brennt im wahrsten Sinne des Wortes an allen Ecken und Enden unseres Planeten, auch hier bei uns“ – so schildern die griechischen Partner von Heuschrecke Naturkost den Ernst der Lage. „Übrig bleibt eine Steinwüste, die nicht mehr bewirtschaftet und nur schwer wieder aufgeforstet werden kann.“

Heuschrecke-Mitinhaberin Ursula Stübner erzählt, dass einige ihrer Partner in Griechenland nur in absoluten Notfällen ihre Felder bewässern, um die Kräuter an die immer häufiger auftretenden Hitzeperioden und den Wassermangel zu gewöhnen. Stübner bringt auch eine weitere Problematik in den Vordergrund: Durch die Klimakrise verändert sich bei einigen Tees und Kräutern der Geschmack, was von Endverbrauchern bereits reklamiert wird. Das liegt daran, dass sich das Spektrum der ätherischen Öle bei extremen Klimaschwankungen verschiebt – der Gehalt kann sinken oder steigen. Gewürze, Kräuter und Tees schmecken dann nicht mehr wie gewohnt.

Es wird immer schwerer, Standards einzuhalten.

Ursula Stübner, Heuschrecke

Da der Klimawandel die Kaffeeproduktion schon seit vielen Jahren beeinträchtigt, wird Kaffee preislich vermutlich bald ganz schön bitter schmecken. Gepa-Kaffee-Einkaufsmanager berichten, dass 2021 die Hurrikane in Mittelamerika auch viele Kaffeeparzellen weggespült haben. In Brasilien, das als stärkster Kaffee-Exporteur weltweit die Preisentwicklung an der Börse bestimmt, ist im Frühjahr die Ernte ebenfalls massiv zurückgegangen und der Preis sprunghaft gestiegen. In der Ernte 2021/22 rechnet man mit erheblichen Verlusten, da die Kaffeepflanzen durch den Frost teilweise stark beschädigt sind. Auch das würde sich weiterhin auf den Börsenpreis auswirken.

Ernteschäden durch zu viel Niederschlag

Alle Hersteller sind sich einig: Der kalte Frühling hat 2021 die Reifeprozesse verzögert, der lang andauernde und teils starke Regen ließ die Felder versumpfen. Bei schnellwachsenden Kulturen wie Salaten, Radieschen und Kräutern sind die Folgen unmittelbar zu sehen, so Sascha Damaschun, Geschäftsführer des Großhändlers Bodan. Ausgebremstes Wachstum, Fäulnis oder Aufplatzen wie bei Kohlrabi oder Radieschen seien heuer leider keine Ausnahme.

Bei Lagerware wie Möhren, Zwiebeln, Kartoffeln oder Rote Bete gäbe es mehr Pilzkrankheiten und Fäulnis, und es sei zu erwarten, dass die Lagerfähigkeit leidet. Zuckerrüben, Mais oder Leguminosen weisen ebenfalls weniger Ertrag beziehungsweise Qualität auf. Deutliche qualitative Verschiebungen seien zum Teil auch bei Kartoffeln zu erwarten, wo der Stärkegehalt aber auch der Ertrag negativ betroffen sind, heißt es bei Naturland.

Ähnlich bestellt ist es um die Dreschfrüchte. Der Umfang von Lagerbeständen und das Auskeimen des Korns am Halm wird darüber entscheiden, wie die Verteilung von Konsum- und Futterweizen ausfallen wird. Bei Biokreis erwartet man eine Preissteigerung bei Eiweißfrüchten wie Soja, Raps und Sonnenblume. „Gänzlich bemessen lassen sich die Auswirkungen vermutlich erst im November“, schätzt Sascha Damaschun.

Bedarf langfristig planen

Die Frage, welche Zusatzmaßnahmen Bio-Landwirte ergreifen könnten, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, kann laut Bioland-Pressesprecher Gerald Wehde nicht eindeutig beantwortet werden, weil das stark standortabhängig sei. Bedarfe sollte man besser mit wenigstens einem Jahr Vorlauf planen, da besonders starke Nachfragesteigerungen oder -Einbrüche von Einzelprodukten wie etwa bei Hafer oder Dinkel schwer zu kompensieren sind, empfiehlt hingegen Naturland.

Das System einer vielgliedrigen Öko-Fruchtfolge erfordere ebenfalls Planung, besonders auf regionalen Märkten. Hilfreiche Maßnahmen währen für Biokreis-Geschäftsführer Josef Brunnbauer auch, auf Kulturen auszuweichen, die Trockenheit besser vertragen, wie zum Beispiel der Anbau von Soja. Darüber hinaus könnte man Winterungen statt Sommerungen anbauen, die Bewässerung ausweiten, oder, soweit möglich, Versicherungen für Starkregen und Sturm abschließen.

Bio ist resilienter als konventionell

Ist die Bio-Landwirtschaft in Sachen Klima gegenüber der konventionellen eher im Vor- oder im Nachteil? Laut Naturland haben Bio-Bauern die Nase vorn, da gute Bodenstruktur und Durchwurzelung sowie die vielfältige Fruchtfolge beim Bio-Anbau durchaus Systemvorteile gegenüber konventionellen Herstellern hätten. Untersuchungen hätten gezeigt, dass auf ökologisch intakten Böden die Versickerung von Wasser deutlich höher sei als bei verdichteten Bodenstrukturen. Zu berücksichtigen wäre jedoch die längere Reaktionszeit bei Bio wegen der langen Umstellungszeit.

Vielfalt findet man nur auf ökologisch bewirtschafteten Feldern.

Roland Schüren, Bäckermeister

Wer selbst beurteilen möchte, ob Bio oder konventionell besser für die Umwelt ist, dem kann Bäckermeister und Innovator Roland Schüren aus Hilden in NRW nur empfehlen, einmal während der Ernte bei einem Bio-Landwirt mitzufahren. „Dann sieht man, wie ein Bio-Feld lebt“, schwärmt er. „Es passiert schon mal, dass ein Fuchs, ein Wildschwein oder ein Reh aufgeschreckt werden und vor einem herlaufen. Diese herrliche Vielfalt findet man nur in ökologisch bewirtschafteten Feldern. Der Artenschutz und die Artenvielfalt geht mit der Bio-Landwirtschaft viel besser einher, als mit der konventionellen“, so der Unternehmer.

Ob Bio auch in Bezug auf Markt und Politik im Vorteil ist, würde laut Bioland neben der Marktentwicklung insbesondere von den politischen Rahmenbedingungen auf EU-, Bundes- und Länderebene abhängen. „Die neue Bundesregierung muss auf jeden Fall die Rahmenbedingungen für den Öko-Landbau so verbessern, dass die Öko-Flächenziele für das Jahr 2030 in der EU (25 Prozent), in Deutschland (20 Prozent) und den Bundesländern (bis 40 Prozent) erreicht werden können“, sagt Gerald Wehde.

Bio braucht politische Entscheidungen

„Nur“ nachhaltig zu wirtschaften, reicht Roland Schüren auch nicht mehr. Er ist einer, der die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt. Obwohl er, wie er sagt, in den letzten vier Jahren mit einem blauen Auge davongekommen ist, macht ihm der Klimawandel so zu schaffen, dass er als Bundestagskandidat der Grünen in die Politik gegangen ist.

Der Unternehmer ist überzeugt, dass in der kommenden Legislaturperiode zentrale Richtungsentscheidungen in Bezug auf die Klimakrise getroffen werden müssen und will sich dafür einsetzen, dabei die richtigen Weichen zu stellen. Außerdem würde sich die Bio-Landwirtschaft zu langsam fortentwickeln: „Es müsste schneller mehr Bio-Landwirte geben“, so Schüren. Er hat den Eindruck, dass zumindest hierzulande der Anbau nicht mit der Nachfrage mithält und hofft, dass durch die Unwetter der Klimawandel mehr in den Fokus rücken wird.

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