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Diskussion um Lieferkettengesetz

Bio-Branche zeigt, dass verantwortungsvolles Lieferkettenmanagement möglich ist

Akteure der Bio-Branche haben sich Anfang der vergangenen Woche zum Status quo des viel diskutierten Lieferkettengesetzes ausgetauscht. Neben Empfehlungen rund um die Umsetzung eines solchen Gesetzes wurden auch zwei Best-Practice-Beispiele vorgestellt.

Rund 80 Teilnehmer, überwiegend aus Bio-Handel, -Verarbeitung und -Verbänden, haben sich vergangenen Montag bei einem Online-Seminar über das Thema Lieferkettengesetz ausgetauscht. Organisiert wurde das virtuelle Treffen vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und Misereor.

Die Veranstalter lieferten einige Hintergrundinformationen, brachten Licht ins Dunkel der zunehmend unübersichtlichen politischen Gemengelage und gaben Anregungen, wie Unternehmen schon heute für mehr Fairness entlang ihrer Lieferketten sorgen können. Zudem berichteten Verantwortliche der Unternehmen Lebensbaum und Alnatura, wie sie das Monitoring von Menschenrechten bereits in ihre Unternehmensprozesse integriert haben.

Warum braucht es ein Lieferkettengesetz

Weniger als ein Fünftel, genauer gesagt nur 13 bis 17 Prozent aller deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, kommen bislang ihren Sorgfaltspflichten in punkto Menschenrechte nach. Das ist das Ergebnis des jüngsten Monitorings zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Die Zahlen sind ein Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft und wurden von den Sprechern von Misereor, Markus Wolter und Armin Paasch, zurecht mehrfach in den virtuellen Raum geworfen.

Paasch, der bei Misereor für Politik und globale Zukunftsfragen zuständig ist, erläuterte, dass inzwischen fast 80 Prozent der DAX-Konzerne im Ausland Umsätze erzielten. Dabei gingen günstige Importe und die Auslagerung von Produktionsstätten oft auf Kosten von Mensch und Umwelt im globalen Süden.

Mit drei Beispielen führte Paasch den Teilnehmern die verheerenden Konsequenzen mangelnder Sorgfaltspflichten vor Augen:

  • einen vom TÜV Süd zertifizierten Damm in Brasilien, bei dessen Bruch 2019 knapp 300 Menschen ums Leben kamen
  • der Export giftiger, in der EU verbotener Pestizide nach Brasilien und Südafrika durch Bayer und BASF
  • umfassende Auftrags-Stornierungen in Bangladesch durch C&A während der Coronakrise.

In diesem Zusammenhang verwies Paasch auf die häufig zitierte Aussage von Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet!“

Entscheidung über deutsches Lieferkettengesetz wird immer wieder vertagt

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, in Sachen Wirtschaft und Menschenrechte gesetzlich tätig zu werden. Seither ist viel Zeit verstrichen. Obwohl sich inzwischen viele Politiker aus Regierungskreisen, allen voran Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil, für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen haben, fehlt noch immer eine verbindliche politische Entscheidung.

„Das Lieferkettengesetz steht auch in diesem Monat erneut auf der Agenda der Kabinetts-Sitzungen. Wenn hier nicht bald ein Kompromiss gefunden wird, landet das Thema als nächstes im Koalitionsausschuss“, sagte Paasch. Dabei sei Eile geboten: „Je näher die nächste Bundestagswahl rückt, umso eher wird das Lieferkettengesetz zum Wahlkampfthema – und könnte damit in die nächste Legislaturperiode rutschen“, warnte er.

„Wir von Misereor fordern, dass ein solches Gesetz schon für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern gilt“, sagte Paasch. Diese Zahl stamme nicht von ungefähr: laut Handelsgesetzbuch und Definition der EU-Kommission zählen solche Unternehmen offiziell als Großunternehmen. Die Minister Heil und Müller fassen bislang eher Unternehmen ab 500 Mitarbeitern ins Auge, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier hingegen spricht von Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern. „Damit wären nur 280 deutsche Firmen von dem Gesetz betroffen und die Sorgfaltspflichten würden entgegen den Standards der Vereinten Nationen auf direkte Zulieferer begrenzt“, beklagte Paasch. „Es bleibt zu hoffen, dass im Koalitionsausschuss doch noch ambitionierte Eckpunkte durchgesetzt werden. Andernfalls bliebe nur die Hoffnung auf eine strengere EU-Regulierung“, so der Menschenrechtsexperte.

Fünf Kernelemente unternehmerischer Sorgfaltspflicht

Obwohl auf EU-Ebene die Zeichen für mehr Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten gutstehen, mahlen die europäischen Mühlen wie gewohnt langsam. „Im Frühjahr 2021 soll ein entsprechender Gesetzesvorschlag gemacht werden. Dann gäbe es frühestens 2024 eine verbindliche Regulierung – und auch das ist noch sehr optimistisch“, sagte Paasch.

Die schleppenden politischen Entwicklungen sollten aber kein Unternehmen davon abhalten, schon jetzt aktiv zu werden. So lud Paasch alle Unternehmen ein, die Initiative Lieferkettengesetz zu unterstützen und das Business Statement des Business and Human Rights Ressource Centre zu unterzeichnen.

Die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011, die mitunter an die unternehmerische Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte appellieren, scheinen also nicht ausreichend Wirkung zu zeigen. Doch wie können Unternehmen sich dem Thema annähern und belegen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachkommen? Paasch stellte hierfür die vom NAP identifizierten fünf Kernelemente unternehmerischer Sorgfaltspflicht vor:

  • Veröffentlichung einer Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte
  • Durchführung von Risikoanalysen
  • Einführung entsprechender Maßnahmen und Kontrollen
  • Regelmäßige Berichterstattung
  • Errichtung effektiver Beschwerdemechanismen

Best Practice: Lieferkettenmanagement und Menschenrechte bei Lebensbaum

Dass verantwortungsvolles Lieferkettenmanagement möglich ist, zeigte Henning Osmers-Rentzsch, der bei der Firma Lebensbaum für das Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement verantwortlich ist. Dabei räumte er gleich zu Beginn ein, dass es in Agrar-Lieferketten besonders häufig zu Menschenrechtsverletzungen komme.

Statt auf ein Lieferkettengesetz zu warten, hat das auf Tee, Kaffee und Gewürze spezialisierte Bio-Unternehmen Lebensbaum bereits vor vielen Jahren Weichen gestellt und Maßnahmen ergriffen, um die eigenen Lieferketten transparent und fair zu gestalten. Schon heute erfülle Lebensbaum dadurch aus eigenem Antrieb die im NAP Branchenleitfaden der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) geforderten Sorgfaltspflichten (Grundsatzerklärung, Risikoanalyse, Maßnahmen und Kontrolle, Berichtswesen, Beschwerdemaßnahmen).

„Von besonderer Bedeutung ist nach unserer Erfahrung die Etablierung eines engen Austausches“, sagte Osmers-Rentzsch. „Dabei hat sich gezeigt, dass das direkte Gespräch mit den Menschen vor Ort am ehesten vorhandene Herausforderungen zutage bringt.“

Anderen Unternehmen empfiehlt er, zunächst die Risiko-Länder in den eigenen Lieferketten zu identifizieren. Anschließend böte es sich an, das kostenlos zugängliche Online-Tool „CSR Risiko-Check“ zu nutzen. Mit einer einfachen Filterfunktion kann man hier je Herkunftsland und Produktgruppe umfassende Risiko-Dossiers herunterladen. Diese könnten Hinweise auf potenzielle soziale Schwachstellen in den eigenen Lieferketten geben. „Die Frage ist nicht, ob ein Lieferkettengesetz kommt, sondern, wann es kommt“, ist Osmers-Rentzsch überzeugt. Je früher Unternehmen sich darauf vorbereiteten, desto besser.

Best Practice 2: Sozialstandards bei Alnatura

Auch Manon Haccius, Leiterin des Qualitätsmanagements bei Alnatura, beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie das Bio-Handelsunternehmen Fairness und Menschenrechte in der Wertschöpfungskette verankern kann. Schon 2014 wurden nach dreijähriger Vorarbeit die Alnatura Policy Sozialstandards verabschiedet. Sie verpflichten die Herstellerpartner, die für Produkte der Alnatura-Marke Rohwaren aus Risikoländern verarbeiten, zur nachweislichen Einhaltung anerkannter Sozialstandards.

Haccius erklärt: „Hierfür haben wir eine Liste mit mehr als 30 Standards erarbeitet, deren soziale Regelungen wir als im Wesentlichen gleichwertig erachten. Das macht es den Herstellern leichter, sich im Dschungel der Standards zurechtzufinden.“ Die Hersteller müssten auch jedes Jahr einen Bericht vorlegen, der die Einhaltung der Standards dokumentiert. „Für Produkte wie Palmfett, Kakao, Zucker, Kaffee und Tee haben wir inzwischen eine gute Verfügbarkeit aus sozial abgesicherten Lieferketten“, so Haccius. Auch bei anderen Produkten sei man auf einem guten Weg.

Doch die Bemühungen brauchten Zeit. „Wir hatten nach der Verabschiedung unserer Policy zweieinhalb Jahre für die Umsetzung der Sozialstandards eingeplant. Es hat jedoch fünf Jahre gedauert, sie durchzusetzen. Faire Lieferketten sind keine Technik, die einmal eingerichtet wird und dann läuft alles von selbst. Sie stellen Unternehmen vor eine ständige Aufgabe, die fest in die Unternehmensprozesse integriert werden muss“, sagte Haccius.

Bundesregierung bietet Unternehmen Orientierung beim Thema Nachhaltigkeit

Zum Abschluss des Seminars wies Moderatorin Claude Blaschette, Scoutin für Entwicklungszusammenarbeit beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, noch auf bereits vorhandene Beratungs- und Unterstützungsangebote der Bundesregierung hin. Hierfür gebe es den sogenannte Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte, der auch eine Ansprechpartnerin für die Ernährungsindustrie habe.

Für 2021 kündigte Blaschette außerdem den Launch eines sogenannten KMU-Kompasses an. Das Online-Tool werde kleine und mittlere Unternehmen bei der Identifizierung von Nachhaltigkeitsrisiken unterstützen.

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