Biohandel

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Mitmach-Supermarkt

FoodHub: Wer hier einkauft, dem gehört der Laden

Der genossenschaftliche Mitmach-Supermarkt Food Hub ist der erste seiner Art in Deutschland – und nicht der letzte. Das alternative Vermarktungskonzept verspricht gute, überwiegend biologisch produzierte Lebensmittel für alle und faire Preise für die Erzeuger.

„Bist du schon für eine Schicht eingetragen?“ Mit dieser ungewöhnlichen Frage wird man begrüßt, wenn man im „Food Hub“-Supermarkt einkaufen möchte. Wirklich gewöhnlich ist an diesem Ladenkonzept kaum etwas, obwohl man den Mitmach-Supermarkt auf den ersten Blick für einen klassischen Bioladen halten könnte: bunt gestrichene Wände, liebevoll geschreinerte Obst- und Weinregale, eine Abfüllstation für Müsli, Nüsse und Körner.

Bei der Neueröffnung von Food Hub Anfang Juli, standen bei Deutschlands erstem solidarischen Mitmach-Supermarkt zwar noch einige Regale leer. Doch die Mitglieder haben es in beeindruckend kurzer Zeit geschafft, einen ansprechenden Vollsortimenter einzurichten, der regionale und überwiegend biologisch erzeugte Lebensmittel anbietet.

Mitglieder? Richtig, bei Food Hub gibt es kaum Mitarbeiter, nur Mitglieder. Es handelt sich um ein genossenschaftliches Konzept. Die Mitglieder kaufen sich mit fünf Anteilen zu insgesamt 180 Euro ein. Damit gehört auch ihnen der Laden. Sie leisten drei Stunden Arbeitseinsatz im Monat und können dafür hochwertige Lebensmittel zu einem günstigen Preis einkaufen. Viele Produkte stammen von Direktvermarktern aus der Region.

Grenzen zwischen Verbrauchern und Mitarbeitern werden aufgelöst

Auch in weiteren deutschen Großstädten wie Hamburg, Berlin und Köln entstehen gerade Supermärkte dieser Art. Das Konzept gibt es in den USA schon seit Jahrzehnten. In Deutschland nimmt es erst jetzt an Fahrt auf. Das große Vorbild: die „Park Slope Food Coop“ in New York, die 1973 gegründet wurde. Rund 17.000 Mitglieder gehören der Genossenschaft an. Der erfolgreiche Supermarkt erzielt etwa 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr.

Zurück nach München. Kristin Mansmann, Karl Schweisfurth und Quentin Orain – drei Menschen, die sich für eine Sache zusammengefunden haben. Sie haben vor etwa zwei Jahren die Idee von Food Hub ins Leben gerufen. Es ging los mit Workshops. Dann gründeten sie eine Einkaufsgemeinschaft, schließlich die Genossenschaft für den Supermarkt.

„So etwas muss langsam wachsen“, erklärt Kristin Mansmann. Was langsam wächst, hat Substanz. Das weiß sie, denn sie ist auf einem kleinen Bauernhof groß geworden. Die Imkerin setzte sich vor zwei Jahren für das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ ein, das zu verschärften Auflagen für die Landwirtschaft führte. Während dieser Zeit entstand die Idee für Food Hub: „Wenn wir den Landwirten schon einiges abverlangen, dann müssen wir sie auch dabei unterstützen, ihre Produkte zu vermarkten“, fand Mansmann.

Vor der Eröffnung des Mitmach-Supermarkts hat sich die Einkaufgemeinschaft ein Jahr lang erprobt. Die Mitglieder haben Lebensmittel direkt von Produzenten aus der Umgebung bezogen, Abholung und Verteilung organisiert. Daraus ist ein Netzwerk gewachsen, das für die Gründung der Genossenschaft sehr wichtig war. Die Geduld hat sich gelohnt: Knapp 800 Mitglieder zählte die Genossenschaft zum Zeitpunkt der Neueröffnung von Food Hub.

Das Besondere an dem Konzept: Die Grenzen zwischen den Verbrauchern und Mitarbeitern werden aufgelöst und die Nähe zu den Produzenten wächst. Denn auch die Direktvermarkter gehören der Genossenschaft an. Sie halten Vorträge im Laden oder bieten Hofführungen an. Es handelt sich um ein Großstadtkonzept, das den kleinen Erzeugern aus der Region die Möglichkeit gibt, ihre Produkte zu vermarkten. Die Verbraucher wiederum erhalten Zugang zu frischen Lebensmitteln. Auch geringverdienende Familien können in den Genuss kommen, für sie gibt es einen Sozialtarif.

Mehr als nur eine Zweckgemeinschaft

Food Hub ist aber weit mehr als nur eine Zweckgemeinschaft. Ein „Hub“ ist so etwas wie ein Dreh- und Angelpunkt, ein Umschlagplatz, an dem alles zusammenläuft. Es geht um das Miteinander, um Wertschätzung, auch um Aufklärung und Verständnis. Dahinter steckt eine Vision. „Lasst uns den sozialen und ökologischen Wandel so einfach wie den Einkauf im Supermarkt machen“, heißt es auf der Website von Food Hub.

„Unabhängigkeit von Großkonzernen und dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen“, so schildert Karl Schweisfurth seine Vision. Er trägt eine Schutzhaube, Handschuhe und eine knielange Schürze. Im türkis gefliesten Abpackraum zerteilt er gerade einen Taleggio unter den interessierten Blicken zweier Genossinnen.

Das Käsestück landet auf der Waage, der Preiszettel wird ausgespuckt. „1,95 Euro kostet das Stück“, sagt die Genossin. „Das ist wirklich günstig“, wundert sich selbst Karl Schweisfurth. „Der Abpackraum ist das Herzstück von unserem Laden“, erklärt er. Wir sparen uns damit die Theke und das komplizierte Einlernen. Das haben wir uns in Paris abgeschaut.“ Damit spricht er die Genossenschaft La Louve an. Der französische Mitmach-Supermarkt wurde 2017 gegründet und zählt heute über 7.000 Mitglieder.

40 Direktvermakter verkaufen über Food Hub

Karl Schweisfurth ist ein erfahrener Unternehmer. Er übernahm als junger Mann die Geschäftsleitung der „Hermannsdorfer Landwerkstätten“ von seinem Vater Karl Ludwig Schweisfurth, der weit über die Region hinaus als Bio-Pionier gilt. Noch heute kümmert sich der studierte Landwirt um den Hof seines Vaters, der inzwischen ihm und seinen Geschwistern gehört. Food Hub ist jedoch auch für ihn ein neues Lerngebiet. Aktuell sieht er die größte Herausforderung darin, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, Mitglied zu werden.

Ein entscheidender Faktor für die Attraktivität der Genossenschaft ist, dass die Mitglieder alles für das tägliche Leben im Laden bekommen: Lebensmittel, Kosmetika, Haushaltsartikel. Um ein Vollsortiment anbieten zu können, werden auch Produkte von den Großhändlern Ökoring und Pural bezogen. Das „Team Sortiment“ kümmert sich um die Auswahl der momentan rund 3.500 Produkte. Da sind viele Besonderheiten dabei, wie Tomatenprodukte der Marke „No Cap“ aus Sizilien, die faire und „mafiafreie“ Arbeitsbedingungen verspricht.

Gleich drei Direktvermarkter hat Food Hub in Gars am Inn gefunden. Von dort werden regelmäßig frische Produkte bezogen: Kartoffeln vom Brunnhuberhof, Ziegenkäse-Artikel der Marke „My Goas“ vom Eisner´s Bio-Ziegenhof und ein ganzes, eigens für Food Hub geschlachtetes, Weideschwein von der Hofmetzgerei Eisgruber. Produkte von insgesamt rund 40 Direktvermarktern werden aktuell im Laden angeboten. „Das ist eine große Herausforderung, denn wir holen die Ware ab. Die Landwirte haben genug mit ihren Höfen zu tun“, sagt Karl Schweisfurth, der weiß, wovon er spricht.

Zahlen – Daten – Fakten

Inhaber: Food Hub München Market e.G. (rund 800 Genossinnen und Genossen), vertreten durch den Vorstand Karl Schweisfurth, Quentin Orain und Kristin Mansmann
Adresse: Deisenhofener Straße 40, 81539 München
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr
Eröfffnung: 8. Juli 2021
Verkaufsfläche: 320 Quadratmeter
Mitarbeiter: 4
Produktzahl: ca. 3500
Großhändler: Ökoring, Pural
Webseite: https://Food Hub-muenchen.de/

30 Prozent Aufschlag auf den Einkaufspreis

Was den Erfolg eines solidarischen Mitmach-Supermarkts ausmacht, damit hat sich Food Hub-Mitgründer Quentin Orain auch praktisch auseinandergesetzt. Der Franzose hat einige Male im La Louve in Paris gearbeitet. Mit seinem Job in der Automobilindustrie war er eines Tages nicht mehr zufrieden und hat sich auf die Suche nach einem neuen Ziel begeben. Da stieß er auf La Louve.

Was den Markt ausmacht? Zum einen sei da die geballte Expertise, die die vielen Genossinnen und Genossen mitbringen. Aber nicht nur der große Pool an Fähigkeiten und Wissen, auch die Motivation sei ausschlaggebend: „Der Supermarkt gehört allen Verbrauchern, deshalb fühlen sich alle verantwortlich für ihn“, sagt Orain.

Am Eingang von Food Hub steht eine große Kreidetafel, darauf eine Liste von Lebensmitteln: Le Gruyère-Käse, Andechser Bio-Milch, Hähnchenflügel mariniert. „Ich muss heute verkauft werden“, lautet die Überschrift. „Es ist im Interesse aller Mitglieder, dass wir so wenig wie möglich wegschmeißen“, erklärt Orain. „Denn je besser wir wirtschaften, desto günstiger können wir die Preise gestalten.“ Diese sind absolut transparent: 30 Prozent Aufschlag auf den Einkaufspreis.

Das Ziel: Eine Infrastruktur aus Lebensmittel-Kooperativen

Zwei zentrale Faktoren sind ausschlaggebend für den günstigen Preis: Es gibt keine Gewinnerzielungsabsicht und es werden hohe Personalkosten gespart. Nur vier Mitglieder sind aktuell festangestellt. Zum Großteil stemmen die Mitglieder mit ihren monatlichen Arbeitseinsätzen die zwölfstündigen Tagesschichten. Einige arbeiten aber auch deutlich mehr: „Im Juni haben wir 10.000 freiwillige Arbeitsstunden gesammelt, um den Laden einzurichten“, sagt Kristin Mansmann stolz.

Die Hoffnung der Gründer: Dass es eines Tages viele Lebensmittel-Kooperativen in den Großstädten gibt, die sich vernetzen. „Wir können eine gemeinsame Infrastruktur schaffen, uns gegenseitig unterstützen“, findet Kristin Mansmann. Bereits jetzt treffen sich die europäischen Food-Coops regelmäßig online. Der Anfang ist gemacht.

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