Biohandel

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Ladenportrait

PurNatur: Eigene Spezialitäten überzeugen

Alles selbstgemacht – im Kemptener PurNatur Bioladen sind Bistro und Frischetheke Publikumsmagneten, die die Kunden in den Laden ziehen. Einmal drin, finden sie zahlreiche Anregungen, die Lust machen, länger dazubleiben und wiederzukommen.

Die Geschichte von PurNatur beginnt mit einem Apotheker, der immer schon bereit war, über seinen Tellerrand zu blicken. Dietmar Wolz, der 1985 die Kemptener Bahnhofs-Apotheke gepachtet hatte, will nicht nur beim Gesundwerden helfen, sondern auch dazu beitragen, dass Menschen gesund bleiben. Über die Ernährungsberatung kam er zur Überzeugung, dass gutes Essen eine wesentliche Säule der Gesundheit ist. Gut bedeutet für ihn bio, nachhaltig und vor allem frisch und ohne Zusatzstoffe.

Bio-Mittagstisch für Mitarbeiter und Kunden

Diese Überzeugung und ein Händchen, Chancen zu ergreifen, haben dafür gesorgt, dass Wolz 2001 direkt neben seiner Apotheke einen kleinen Bioladen einrichtete und in der darüber liegenden Wohnung Bio-Mittagessen für seine Mitarbeiter kochen ließ. Gekocht wurde so großzügig, dass auch für Kunden unten im Laden ein Mittagstisch eingerichtet werden konnte. Der Umzug eines Textilunternehmens eine Straße weiter machte 2015 den Weg frei für die Vergrößerung des Bioladens von 39 auf 800 Quadratmeter Verkaufsfläche.

Selbstgemachtes empfängt den Kunden schon direkt hinter dem Eingang: Dort waltet Jenny Hailer in der Espresso-Bar, bereitet Kaffee und Waffeln und versorgt darüber hinaus Laufkundschaft über die Eistheke mit Gefrorenem aus dem Hause PurNatur. „Morgens kommen viele Mütter mit Kindern zum Frühstück, das geht dann nahtlos in den Mittagsansturm über und dann ist Kaffeezeit“, berichtet Bistroleiterin Doris Rogg. Aufstriche und Marmelade kommen aus der Küche, auch Kuchen, Torten, Wraps, Semmeln, selbst die Burgersemmeln für den Burgerabend mittwochs stammen aus eigener Produktion.

Kostenloses Wasser aus dem Brunnen

Direkt neben dem Bistro-Café-Bereich ist für Kinder ein extra Raum zum Spielen eingerichtet. Am Trinkwasserbrunnen im Bistrobereich dürfen sich die Gäste umsonst bedienen – für Dietmar Wolz eine Frage der Gastfreundschaft. Auf die Essensausgabe folgt an der Wand entlang eine 14 Meter lange Frischetheke mit Snacks, Müsli, Obstsalat, Salaten, Brot und Kleingebäck direkt aus der Back stube, Antipasti, Käse und einem beachtlichen Angebot an Wurst und Fleisch.

Donnerstags bis samstags gibt es frischen Fisch. Parallel zur Theke wechseln sich Bistrotische und Barhocker mit Verkaufsregalen ab. Wer da sitzt und sein Mittagessen verzehrt, kann seine Blicke über die Angebote im Laden gleiten lassen und anschließend direkt mit dem Einkauf loslegen.

Tresen, Möbel, Regale, Kassenbereich, Tische für Sonderplatzierungen, die Ummantelung für die Kühltruhen, selbst die Einkaufswägen wurden individuell vom Südtiroler Tischler Albert Kofler aus Eichenholz gefertigt. Das wirkt edel, bringt aber auch Wärme und Ruhe in den Raum. Eine spezielle Akustikdecke sorgt dafür, dass der Geräuschpegel in Laden und Bistro gut austariert ist, nicht zu laut und nicht zu leise.

Für PurNatur arbeiten 65 Menschen, mit dabei vier Küchenhelfer, geflüchtet aus Ländern wie Syrien oder Sudan, die Gemüse putzen und spülen und Roman, der junge Mann mit Downsyndrom, der in der Küche dort eingesetzt wird, wo’s gerade klemmt. Küchenchef Tobi Pfeiffer nennt ihn den „Küchenschatz“. Viele Mitarbeiter machen es möglich, dass die Küche einen Catering-Service anbieten kann und Kitas mit Essen beliefert.

Regionales Biofleisch von den Allgäuer Hornochsen

Viele Mitarbeiter, das bedeutet, dass immer jemand da ist, wenn Kunden Fragen haben. Und viele Mitarbeiter sind eine ergiebige Quelle für zahlreiche Ideen. „Diese Offenheit für Neues“, das über den üblichen Naturkostladenstandard hinausgeht, gefällt Claudia Komeyer, die jüngst die Leitung des Naturkostladens übernommen hat. So entstehen in Teamarbeit kulinarische Weinproben, bei denen sich die Weinfachfrau Doris Rogg um die Getränke kümmert und Tobi Pfeiffer aus der Küche erlesene Speisen beisteuert. Die Veranstaltungen seien oft schon zwei Monate vorher ausgebucht.

Christoph Eisele, der die Frischetheke leitet, hat vor kurzem ein Diplom als Käsesommelier erworben. Demnächst stehen daher als Novum Käse-Verkostungen auf dem Programm. Eisele bestückt auch die Fleisch- und Wursttheke mit besonderen Spezialitäten. Kunden finden dort Wurst, die individuell für PurNatur gefertigt wurde, und hochwertiges, fair bezahltes, regionales Biofleisch der Initiative Allgäuer Hornochsen.

PurNatur-Kunden haben sogar die Chance, sich mit dem Geschmack von Ziegenfleisch vertraut zu machen. „Die Deutschen mögen inzwischen Ziegenkäse, aber das Fleisch wird hier noch kaum gegessen, stattdessen als Spezialität ins Elsass exportiert“, erklärt Eisele. Küchenchef Tobi Pfeiffer hat Eintöpfe mit Ziegenfleisch gekocht und in Gläser abgefüllt. Sie stehen im Regal neben weiteren Eintöpfen, Suppen und Soßen, frische Gerichte für Menschen, die es eilig haben und trotzdem daheim essen wollen.

Guter Sortiment-Mix

Auf einen guten Mix aus Standard und Besonderem achtet Christina Scherf-Clavel bei der Sortimentspflege. „Wir bieten kein 08/15-Sortiment. Die Kunden sollen die Chance haben Neues auszuprobieren. Neues wie etwa Kakaoschalentee oder auch Regionales wie Aroniaprodukte aus dem Allgäu. „Klar sind wir Lebensmittelhändler“, sagt Scherf- Clavel, „aber Becher für den Coffee-to-go, Glasflaschen für unterwegs und Wachstücher anstelle von Folie runden das Angebot ab.“

Die Vermeidung von Plastik und Verpackungsmüll sei in diesem Jahr ein großes Thema. Kunden finden daher auch speziell beschichtete Stoffbeutel für die Brotzeit, für den Einkauf von Obst und Gemüse und um offen gekaufte Seife einzupacken. Im Getränkebereich sind an prominenter Stelle Trinkhalme aus Papier platziert. Nicht alles funktioniert perfekt. „Wir bieten schon seit langem diverse Abfüllstationen“, berichtet Scherf-Clavel, „aber die Nachfrage dürfte größer sein.“

Nischen besetzen mit besonderen Marken und Produkten

Beratungskompetenz, ein besonderes Sortiment, spezielle Services, gute Atmosphäre – eigentlich sollten Mitbewerber für PurNatur kein Problem darstellen. „Aber die großen Märkte halten uns schon auf Trab“, sagt Marktleiterin Komeyer.

Der nahegelegene Drogeriemarkt etwa verfüge über eine große Fläche für Naturkosmetik, könne andere Preise und Rabatte aushandeln. „Das ist für uns eine Herausforderung.“ Man suche sich dann eben seine Nischen mit besonderen Marken und Produkten. Christina Scherf-Clavel bestellt etwa Deocremes, Shampooseife und handgeschöpfte Seifen von kleinen Manufakturen. „Wir schauen eben, was es gibt. Das läuft dann nicht über die tägliche Bestellung beim Großhändler.“

Wer Besonderes bieten will, muss also mehr Arbeit investieren. PurNatur kann das leisten, weil in diesem Naturkostladen mit seinen vielfältigen Nebenfunktionen viele Menschen beschäftigt sind. Personal zu finden, sei allerdings nicht einfach, gibt Claudia Komeyer zu bedenken. „In Kempten ziehen Tourismus und Gastronomie Personal ab“, sagt sie. Der Markt sei leer.

Betriebseigene Kita

Allerdings bietet PurNatur einige Extras: Mitarbeiter können ihre Kinder bis zum Alter von drei Jahren in der betriebseigenen Kita unterbringen, bekommen Mitarbeiterrabatt und eine extra Altersversorgung. Oben im zweiten Stock wurde ein Ruhe- und ein Fitnessraum fürs Personal eingerichtet, außerdem eine begrünte Dachterrasse. Zusammen mit der Kantine bildet sie den sogenannten Marktplatz – als Ort der Begegnung und des Austauschs für alle Mitarbeiter.

Drei Fragen an Inhaber Dietmar Wolz

Wie kommt ein Apotheker dazu, einen Naturkostladen zu gründen?

Das ergab sich so. Wir erweiterten die Produktion unserer Aromamischungen und schufen direkt nebenan zusätzliche Räumlichkeiten. Dabei blieb im Erdgeschoss Platz übrig. Plötzlich stand die Idee im Raum, dort einen kleinen Naturkostladen einzurichten. Das haben wir umgesetzt.

Planen Sie schon das nächste Projekt?

Nein. Jetzt sind wir dabei, klare Strukturen zu schaffen. Das, was einmal ausreichte, um eine Apotheke mit kleiner Produktion zu führen, passt nicht mehr für ein Gesamtunternehmen mit 350 Mitarbeitern. Das ist ein längerer Umbau-Prozess, den wir mit Hilfe eines externen Coachs nach und nach bewältigen.

Und was kommt danach?

Die Restrukturierung ist dafür da, das Unternehmen übergabefähig zu machen. Meine beiden Söhne werden die Leitung übernehmen.

Zahlen – Daten – Fakten

Inhaber: Dietmar Wolz
Adresse: Kotterner Str. 78-80, 87435 Kempten (Allgäu)
Öffnungszeiten: Montags – Freitags 8.00 bis 19.30 Uhr, Samstags 8.00 bis 19.00 Uhr
Produkte: 10.000
Anzahl Mitarbeiter: 65 (Bistro, Backstube, Eisproduktion), Küche: 30, Laden 35, 10 Prozent Vollzeit, keine Geringverdiener
Fläche: 1.100 qm, davon 800 qm Verkaufsfläche
Großhändler: Rapunzel Partnerladen, Rapunzel, Bodan, Weiling, Biogarten
Umsatzanteil Bistro: 30 Prozent
Mittagessen pro Tag: 300 (inkl. Kantine)
Kunden pro Tag: 800 – 1.200
Webseite: www.bahnhof-apotheke.de/purnatur.html

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