Auch Einzelhändler, die Bio verkaufen, müssen sich zertifizieren lassen. Bisher gibt es eine Ausnahmeregelung – doch sie wird zunehmend enger ausgelegt. Das könnte Folgen für viele Bioläden haben.
Das Schreiben der nordrhein-westfälischen Ökokontrollbehörde LANUV war deutlich: Der Biomarkt werbe auf seinen Internetseiten für Wein, Käse, Obst und Gemüse, ohne dass das Geschäft dem Öko-Kontrollverfahren unterstellt sei. „Damit bringen Sie Produkte mit Bio-Kennzeichnung in den Verkehr, ohne Ihr Unternehmen dem dafür notwendigen Kontrollverfahren zu unterstellen (Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 Buchstabe c) EG-Öko-VO 834/2007) und diese kontrollpflichtige Tätigkeit dem LANUV gemeldet zu haben (Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 Buchstabe a) EG-Öko-VO 834/2007).“
Adressiert war das Schreiben an Felix Matterne, der in Aachen den Biomarkt Vital führt. Das LANUV forderte ihn auf „unverzüglich jegliches Anbieten und Abgeben der Erzeugnisse mit Hinweisen auf die ökologische/biologische Produktion insbesondere die Verwendung der Angabe „Bio“ / „biologisch“ in der Kennzeichnung/Werbung zu unterlassen“ oder sich von einer Öko-Kontrollstelle zertifizieren zu lassen. Angehängt waren eine Verpflichtungserklärung, abzuliefern innerhalb von zehn Tagen.
„Erst schießen, dann fragen“
„Das Schreiben das LANUV kam per Mail, ohne vorherigen Kontakt, ohne Nachfrage oder Besuch“, erzählt Felix Matterne. „Da kommst du dir vor wie ein Schwerverbrecher.“ Der Ladner, der in Aachen seit 30 Jahren erfolgreich und mit viel Herzblut Bio-Lebensmittel verkauft, war stinksauer. Er informierte den BNN und Naturkost Südbayern und wandte sich an die grüne Bundestagsabgeordnete und Ex-Ministerin Bärbel Höhn. Sie riet ihm, der Argumentation des LANUV folgend, sich zertifizieren zu lassen.
Inzwischen hat Felix Matterne einen Kontrollvertrag mit einer Öko-Kontrollstelle abgeschlossen und wartet auf den Inspektionstermin. Zwei Mitarbeiter des LANUV hätten inzwischen seinen Biomarkt besucht, berichtet er: „Sie haben den Brief als Standardschreiben dargestellt. Trotzdem, erst schießen und dann fragen, das geht nicht.“
Nun ist die Zertifizierungspflicht für den Einzelhandel kein neues Thema. Ungewohnt sind der Ton und die Argumentation, mit der sie in diesem Fall eingefordert wurde. Zum 1. Juli 2005 wurde der Einzelhandel durch eine Ergänzung der EU-Ökoverordnung in das Öko-Kontrollverfahren integriert – mit einer Ausnahmeregel. Die Bundesregierung hatte diese 2005 in ihr Ökolandbaugesetz übernommen. Schon damals wurden in der Branche die unklaren Formulierungen und die vielen sich daraus ergebenden Auslegungsfälle thematisiert.
Für diese Tätigkeiten braucht es eine Zertifizierung
Die Ausnahmeregel stellt klar, dass für Einzelhändler, die ausschließlich mit fertig abgepackten und etikettierten Bio-Produkten handeln, keine Kontrollpflicht besteht. Auch das Abpacken von Bio-Lebensmitteln direkt vor den Augen der Verbraucher, etwa an der Bedientheke, löst noch keine Kontrollpflicht aus. Kontrolliert und zertifiziert werden muss dort, wo der Kunde nicht nachvollziehen kann, ob das als „Bio“ ausgelobte Produkt tatsächlich aus dem Originalgebinde stammt. Das gilt zum Beispiel für:
- vorverpackten Käse
- in eigene Tüten abgepackten Tee
- den Cappucino aus dem Kaffeeautomat
- aufgebackene Snacks im Bistro
- selbst hergestellte Salate oder selbst mariniertes Fleisch ...
Ein entscheidender Punkt sind Obst und Gemüse. Sie werden vom Großhandel in der Regel in entsprechend etikettierten Napf-, Steko- oder sonstigen Kisten angeliefert. Kommen die Originalkisten ins Regal, ist das kein Problem – sieht aber oft nicht schön aus. Doch wer Obst und Gemüse in neue dekorative Behältnisse umpackt und dabei neu etikettiert, der verrichtet eine kontrollpflichtige Tätigkeit, denn die Änderung der Kennzeichnung betreffend den ökologischen Landbau ist als kontrollpflichtige Aufbereitung definiert, argumentiert das LANUV. Bei dieser Auslegung bräuchten fast alle Bioläden eine Zertifizierung – wenn sie jemand einfordert.
Bisher gibt es 2.000 zertifizierte Händler
Bisher sind im Facheinzelhandel außer größeren Filialisten nur wenige Unternehmen öko-zertifiziert. Im LEH haben sich die Vollsortimenter mit einem Teil ihrer Regiefilialen sowie einige selbständige Händler dem Kontrollverfahren unterstellt. Zertifizieren lassen müssen sich auch Online-Versender. Insgesamt führte die amtliche Bio-Statistik für Ende 2013 in der Kategorie H („reine Händler“) 2.302 Unternehmen, wobei Filialen in der Regel nicht einzeln gezählt werden.
Bei einer strengen Auslegung der kontrollpflichtige Tätigkeiten (siehe oben) wären vermutlich weitaus mehr Betriebe zertifizierungspflichtig. Doch bisher hatte die Zertifizierung des Einzelhandels für die Behörden der Bundesländer keine Priorität. Zu Recht übrigens, wie ein vom Bundesprogramm Ökolandbau gefördertes Projekt zeigte.
Dafür hatte Joachim Neuendorff, Geschäftsführer der Öko-Kontrollstelle GfRS, über 1.000 Kontrollergebnisse aus Einzelhandelsmärkten ausgewertet. Das Ergebnis: „In den Jahren 2005 bis 2011 war es nur in Einzelfällen nötig abzumahnen oder nachzukontrollieren. Behördliche Verfahren – zum Beispiel Ordnungswidrigkeiten gemäß Öko-Landbaugesetz (ÖLG) – mussten gar nicht durchgeführt werden.“ Die meisten dieser Kontrollen betrafen Filialen konventioneller Handelsketten, bei denen das Risiko einer Vermischung oder Verwechslung konventioneller und biologischer Erzeugnisse weitaus größer ist als in einem Bioladen.
Keine verstärkten Kontrollen
Der BNN teilte mit, man könne „keine Änderung in der Kontrollpraxis für den stationären Einzelhandel erkennen“. Auch habe man bei den Einzelhandelsmitgliedern bei Vor-Ort –Terminen keine besondere Besorgnis feststellen können.
Von einem verstärkten Vorgehen der Öko-Kontrollbehörden gegen Einzelhändler könne keine Rede sein, heißt es beim LANUV. Auch bundesweit gebe es keine diesbezüglichen Absprachen zwischen den Bundesländern. Man gehe insbesondere Hinweisen nach. Diese kämen von der Lebensmittelüberwachung oder auch von Mitbewerbern, „die sich zertifizieren lasssen mussten und nun erreichen wollen, dass Wettbewerbsgleichheit herrscht“, erklärt der für die Öko-Kontrolle zuständige Fachbereichsleiter Antonius Woltering. „Natürlich hat diese Art der sozialen Kontrolle einen gewissen Schneeballeffekt“.
Felix Matterne wurde allerdings nicht von einem bereits zertifizierten Ladner hingehängt. Er hatte einen befreundeten und zertifizierten Kaffeehändler mit Bio-Weinen versorgt und diesem dafür Rechnungen ausgestellt. Dessen Öko-Kontrollstelle beanstandete die Rechnung und informierte das LANUV. Denn formell wurde der Biomarkt durch die Lieferung zum Wiederverkäufer und zertifizierungspflichtig. „Das war der Auslöser, so ist die Behörde überhaupt auf mich aufmerksam geworden“, erklärt Felix Matterne. Seinen Wein bekommt der Kaffeehändler übrigens weiterhin. Doch bis die Zertifizierung abgeschlossen ist „holt er sich seine Kisten und zahlt sie ganz normal wie ein Endkunde auch an der Kasse“. Dafür braucht es keine Zertifizierung.
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Die Ausnahme von der Regel
Im Ökolandbaugesetz § 3 (2) heißt es:
„Unternehmer, die Erzeugnisse (...) direkt an Endverbraucher oder –nutzer abgeben, sind von dem Einhalten der Pflichten nach Artikel 28 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 freigestellt, soweit sie diese Erzeugnisse nicht selbst erzeugen oder erzeugen lassen, aufbereiten oder aufbereiten lassen, an einem anderen Ort als einem Ort in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagern oder lagern lassen oder aus einem Drittland einführen oder einführen lassen.“
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Weitere Infos: Der Leitfaden Zertifiziert Bio – erfolgreich im Einzelhandel! erklärt, wann eine Zertifizierung notwendig ist und wie sie abläuft.
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Kommentar
Zertifizierung? Eigentlich ein alter Hut
Zahlreiche Biofachgeschäfte sind längst zertifiziert. Sie halten die von den Verbänden BNN und Naturkost Südbayern getragene Sortimentsrichtlinie ein und lassen sich das durch eine externe Kontrolle bestätigen. Diese gilt allerdings nicht als amtliche Öko-Kontrolle, obwohl sie über deren Anforderungen hinausgeht. Denn die Sortimentsrichtlinie gibt vor, dass alle angebotenen Lebensmittel Bio sein müssen und stellt weitere Anforderungen an Non-Food-Sortimente. Für derart zertifizierte Betriebe ist eine zusätzliche Öko-Kontrolle kein großer Akt. Die Mitglieder des Naturkost Südbayern werden jährlich von ABCert zertifiziert, die des BNN vom Prüfverein. Die Inspekteure dieser beiden Öko-Kontrollstellen brauchen (flapsig formuliert) lediglich einen zusätzlichen Zettel für die amtliche Öko-Kontrolle ausfüllen. Und Bio-Fachgeschäfte, die sich den strengen Sortimentsrichtlinien nicht unterwerfen wollen? Denen schadet es nicht, wenn sie ihren Anspruch zumindest durch eine Öko-Kontrolle dokumentieren.
Leo Frühschütz
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