Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

„Wir müssen noch eins draufsetzen!“

Im Juni wurde Georg Kaiser vom Vorstand des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) zum Vorsitzenden gewählt. Der Geschäftsführer der Bio Company tritt die Nachfolge von Meinrad Schmitt, Terra Naturkost, an. Zusammen mit dem BNN-Vorstand und den Mitgliedern des BNN hat er sich einiges für seine Amtszeit vorgenommen, um den Verband noch attraktiver für den Naturkost-Einzelhandel zu machen und ihn neben einer Branchenplattform noch stärker zum Dienstleister auszubauen. Eine 100 Tage-Bilanz im Interview.

Bild: Georg Kaiser, Bio Company, bei seiner Begrüßungsrede auf der BNN-Mitgliederversammlung in Magdeburg. Foto © Karin Heinze

Herr Kaiser, seit Juni sind Sie BNN-Vorstandsvorsitzender - haben Sie sich schon im Amt eingelebt?

Mit acht Jahren Vorstandstätigkeit bin ich der Dienstälteste, vier Jahre im BNN-Einzelhandel und vier im Gesamtverband.[nbsp]In Bezug auf den Vorsitz möchte ich sagen, dass jeder im Vorstand nach seiner Kompetenz sein Bestes gibt und wir nicht hierarchisch aufgestellt sind. Meine Mission war ja bislang, das zusammenzubringen, was zusammengehört (Anm. d. Red.: den Einzelhandel mit den anderen Handelsstufen) – das ist auf einem guten Weg. Jetzt stehen neue Aufgaben an, die ich gerne mit anschieben will.

[nbsp]

Ist es als Zeichen zu werten, dass ein Vertreter des Einzelhandels das Amt übernimmt?[nbsp]Die Zahl der Mitglieder aus dieser Sparte wächst ja nur langsam.[nbsp]

Die größte Gruppe der Mitglieder ist tatsächlich die der Einzelhändler, aber was den Zuwachs angeht, ist freilich noch viel Luft nach oben. Im Laufe der Jahre haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass der ganz persönliche Kontakt und die direkte Ansprache sehr wichtig sind, um Einzelhändler als Mitglieder zu gewinnen. Deshalb ist in Magdeburg der Auftrag an den Vorstand ergangen, dass wir uns um Kampagnenarbeit kümmern sollen. Wir wollen in der Kampagne die Vorzüge des Fachhandels herausstellen und zeitgemäße Materialien anbieten, mit denen die Einzelhändler ganz konkret arbeiten können.

Das ist nicht neu. In den vergangenen Jahren wurde bei vor-Ort-Terminen und auf Messen der Einzelhandel umworben.

Das ist richtig, die Gespräche vor Ort wurden gerne angenommen und wir konnten dann auch immer Beitritte verzeichnen. Der persönliche Dialog wird selbstverständlich fortgesetzt. Aber es fehlen eben auch die Personalkapazitäten, um diese wichtige, persönliche Ebene noch auszuweiten. Deshalb würde ich mir wünschen, dass der BNN-Großhandel stärker die Initiative ergreift und sich bei seinen Kunden für deren Mitgliedschaft im BNN einsetzt. Ein Engagement von dieser Seite wäre sicherlich zielführend und stellt aus meiner Sicht den größten Hebel dar. Natürlich müssen wir die passenden Materialien entwickeln und zur Verfügung stellen.

Was können wir uns darunter vorstellen?

Die Kampagne soll vermitteln, was den Fachhandel auszeichnet – vom „Kopf“ und vom „Bauch“ her– und die Einzelhändler im BNN bei ihrer Profilierung unterstützen. Da wir keine Fernsehwerbung für Millionen von Euro schalten können, müssen wir geschickte Instrumente mit ähnlich großer Wirkung auswählen. Nur mit Flyern, die in den Läden ausliegen, kommen wir nicht weiter. Die Kampagne muss marketingtechnisch so aufbereitet werden, dass sie in die heutige Kommunikationslandschaft passt und die Kunden erreicht. Ich stelle mir da eher Virales Marketing vor mit Blogs, Videos und in den sozialen Medien. Wir wollen mit einem sehr modernen Ansatz den Nerv der Zielgruppen treffen, die wir noch erschließen wollen und natürlich auch unsere bestehenden Kunden begeistern.

Über dieses Tool können wir dann auch neue Mitglieder gewinnen. Denn Absender ist der BNN mit Themen wie 100 Prozent Bio-Sortiment, Authentizität – wer hat es erfunden – Sicherheit, Qualität usw. Damit können sich die Einzelhändler im BNN identifizieren und durch ihre eigene Arbeit die Kampagne verstärken. Darüberhinaus dürfen wir natürlich nicht vergessen, auch für unsere Mitglieder aus Herstellung und Handel Dinge weiterzuentwickeln, die ihnen das Leben erleichtern, siehe das Monitoring für Obst und Gemüse und für das Trockensortiment.

Vor welchen Herausforderungen steht der BNN noch?

Ein weiteres Nummer Eins-Thema – selektiver Vertrieb. Tatsache ist, dass wir zunehmend Fachhandelsmarken und Verbandsware im LEH haben, Verkaufsflächen mit 100 Prozent-Fachhandelssortimenten (z.B. Rewe Dachau), zudem Vertreter aus dem LEH bei den Verbandssitzungen der Bio-Anbauverbände. Wir machen die Arbeit und entwickeln Bio weiter, die anderen profitieren davon. Wir bekommen den Wettbewerb deutlich zu spüren, zum Beispiel die massive Sortimentsaufrüstung[nbsp] bei konventionellen(!) bio-veganen Produkten hat fast allen Fachhändlern ein schwieriges Jahr beschert. Deshalb plädiere ich dafür, dass bei Sitzungen der Anbauverbände jeweils ein Vertreter des BNN dabei ist und möglichst weitere Unternehmer und Unternehmerinnen aus der Mitgliedschaft des BNN, um den Anbau-Verbänden zu signalisieren, wir sind eure natürlichen Partner.

Wo liegt die Aufgabe des BNN?

Wenn wir über das Stichwort selektiver Vertrieb sprechen, dann ist die Aufgabe des BNN, den rechtlichen Rahmen für einen selektiven Vertrieb zu prüfen, Eckpunkte einer ausgewogenen Gestaltung vorzuschlagen und für Mitglieder Hilfestellung zu leisten. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis der BNN-Umfrage zur Branchenloyalität, bei der nur ein Drittel von 55 befragten Herstellern gesagt haben, dass ihre Marke beabsichtigt im LEH steht. Die anderen, also die 2/3-Mehrheit auf die Frage, ob sie in den nächsten zwei Jahren ihre Vertriebswege ausweiten möchten, bis auf 2 Unternehmen mit Nein geantwortet haben.

Diese Befragung zeigt doch zweierlei. Zum einen, dass wir uns nicht verrückt machen sollten, sondern uns auf unsere Stärken besinnen und unsere Branche so sexy, unwiderstehlich sympathisch und gleichzeitig kompetent zu machen, dass die Leute gar nicht anders können, als bei uns einzukaufen. Wir müssen noch eins draufsetzen. Dann werden wir auch wieder auf die Wachstumspfade zurückkehren. Andererseits setzt das voraus, dass wir uns den massiven Aktivitäten des LEH entschieden entgegenstellen.

Bild: Aktueller BNN-Vorstand Foto © BNN

Was haben Sie sich für die erste Amtsperiode auf der politischen Ebene vorgenommen?

Das alte Ziel gilt weiter, wir müssen noch näher an die Politik heranrücken, sichtbarer und hörbarer werden. Das gilt insbesondere für die Belange des Fachhandels. Sehr oft stehen die Nöte der Erzeuger auf der Tagesordnung, aber Hersteller und Handel kommen reichlich zu kurz. Auf Themen wie Kontrollhäufigkeit, Zusatzstoffe, steuerlicher Rahmen oder die Förderkulisse müssen wir stärker aufmerksam machen. Der Naturkosthandel ist ohne einen einzigen Förder-Euro gewachsen, keiner hat gesagt, diese Geschäfte stehen für Nachhaltigkeit und kontrollieren sich selbst, das muss honoriert werden, weil hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfüllt wird. Zudem sind wir die einzige Alternative in der Monostruktur des deutschen Lebensmittelhandels. Das in der Politik zu platzieren, ist mit Sicherheit „dicke Bretter bohren“.

Auf der letzten Mitgliederversammlung in Magdeburg wurde eine ganze Reihe von Themen intensiv in Arbeitsgruppen diskutiert - wie wird mit den Ergebnissen weiter verfahren?

Die Prioritäten haben sich ja schon in der Zahl der Teilnehmer abgezeichnet und danach wurden die Arbeitsaufträge an den Vorstand erteilt. Die Themen Branchenloyalität, die Rolle der Hersteller bei dem Umbau der Lebensmittelwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und Bio und die Frage nach der Rolle der Eigenmarken im Fachhandel sind weit oben angesiedelt. Wir haben ja aktuell drei Ebenen der Handhabung, bei der Branchenloyalität: Hersteller, die nicht in den LEH wollen und alles dafür tun. Andere, die ihre Marke nicht aktiv vor dem LEH „schützen“ und die dritte Gruppe, die eine Listung im LEH befördert. Es besteht also Gesprächsbedarf.

Insbesondere das Thema Branchenloyalität wird heiß diskutiert – wie ist die Haltung des BNN hierzu?

In der Satzung steht, der BNN ist ein auf den Fachhandel ausgerichteter Verband, das ist ja per definitionem deutlich. Damit ist es Satzungszweck des BNN, sich darum zu kümmern, dass alles dafür getan wird, dem Fachhandel die richtigen Produkte zu liefern, ihn zu stärken, ihn zu fördern. Umgekehrt wird aber auch von den Mitgliedern eingefordert, dass diese die Marken der BNN-Hersteller listen.

Bild: Diskussionsrunde zur Fachhandelstreue/ Branchenloyalität auf der BNN MV in Magdeburg. Foto © Karin Heinze

Wo sehen Sie die Rolle des BNN mittelfristig?[nbsp]

Mittelfristig sehe ich den Verband in der Rolle eines Dienstleisters, der den Mitgliedern neben einer Plattformfunktion, Dinge abnimmt, die für jeden einzelnen einen enormen Aufwand bedeuten oder unmöglich sind. Beispiele sind DataNatuRe, das Monitoring oder eben die angestrebte Kampagne. Es ist eine Art „BNN inside“ oder „powered by BNN“ unter der diese unterstützenden Angebote laufen und aus meiner Sicht geht es jetzt darum, darin noch besser zu werden und das auch an den Kunden zu kommunizieren. In der derzeitigen extrem unübersichtlichen Lage im Handel, ist es doch umso wichtiger einen starken Verband an seiner Seite zu wissen.

Lesen Sie auch den Bericht von der BNN-Mitgliederversammlung : Der BNN arbeitet an Zukunftsstrategie.

Kommentare

Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.

Auch interessant: