Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Trendsortimente

Mit Desinfektionsmitteln und Immunstärkern den Bioladen als „Health Store“ positionieren

Reinigungsprodukte und solche, die das Immunsystem stärken, sind in der Pandemie auch in Bioläden zu Top-Sellern geworden. Einzelhändler, die sich darauf konzentrieren, können mit neuen Kunden und höheren Umsätze rechnen.

Die Bio-Branche hat einen nie dagewesenen Run auf die Regale erlebt. Auf Anfrage bezeichneten zwei große Filialisten, Alnatura und Bio Company, ihre Geschäfte im August als „wieder normal“, andere Einzel- und Großhändler, etwa Biogarten, Pural oder Weiling dagegen verzeichneten ein konstant höheres Umsatzniveau vor allem bei Wasch-, Putz- und Reinigungs- (WPR) sowie Nahrungsergänzungsmitteln (NEM).

Auch die Hamsterhektik war im August abgeklungen – ob es mit den aktuellen Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie eine zweite Welle gibt, ist nicht auszuschließen.

Großhändler bieten Unterstützung

Die Großhändler bieten daher ihren Kunden ausdrücklich Sortimentsberatung und -Einrichtung an. Auf Wunsch vermitteln sie auch Schulungen oder Hersteller-Promotion. Zudem entstehen gerade Konzepte, mit denen sie Einzelhändler in diesem Herbst unterstützen wollen.

Biogarten etwa plant eine „Gesundheitsoffensive“: Im vierten Quartal erhalten Einzelhändler für die Topseller des Frühjahrs ein besonderes Angebot sowie Hintergrundinformationen zu Produkten im Händlerportal. Weiling produziert Podcasts, die über die Website bioladen.de laufen und mit den Online-Auftritten der Ladner und Bemusterung verknüpft werden können.

Chance zur Profilierung

Ulrike Claus, Geschäftsführerin bei Pural fasst zusammen: „Die Endverbraucher haben ein großes Interesse an diesen Produkten. Und sie haben entdeckt, dass man sie bequem im Bioladen bekommt. Deshalb lohnt es sich gerade jetzt, darauf einzugehen und Artikel so zu platzieren, dass sie auch auffallen.“ Außerdem brauche es unbedingt geschulte Mitarbeitende. „Die Produkte sind zum Teil recht teuer, da müssen kompetente Ansprechpartner für eine Beratung greifbar sein.“

Eine Möglichkeit, sich zu profilieren? „Unbedingt. Da ist ein Riesenmarkt, den wir nicht den Supermärkten oder Discountern überlassen müssen.“ Dasselbe gilt auch für WPR-Produkte, glaubt Anja Voss von Sodasan: „Viele unserer Verbraucher haben sich jahrelang gegen die Botschaften der konventionellen Hersteller, dass alles porentief antibakteriell sein soll – gewehrt. Schließlich basiert unser Immunsystem darauf, dass wir mit Schmutz und Keimen in Berührung kommen. Aber jetzt erleben wir andere Zeiten. Wir müssen umdenken.“

Voss wünscht sich, dass Ladner der Kundschaft vermitteln, „Bio-Lebensmittel schützen euch von innen – Bio-Hygiene-Produkte von außen.“ Als Argumentationshilfe hebt sie den 70-Prozent-Anteil an Bio-Inhaltsstoffen hervor.

Desinfektionsmittel

Alkohol kann Bakterien, Pilze und behüllte Viren wie die Corona-Varianten abtöten oder unschädlich machen. Damit Des-infektionsmittel wirken, muss ihr Alkoholgehalt bei über 62 Prozent liegen. Nur Produkte, die nach den EU-Vorgaben auf ihre Wirksamkeit geprüft sind, erhalten eine Marktzulassung.

Ein Hinweis auf die Eigenschaft „viruzid“ (wirksam gegen behüllte und unbehüllte Viren), oder „begrenzt viruzid“ (gegen behüllte Viren) zeigt zusätzlich an, ob das Produkt gegen (behüllte) Coronaviren hilft.

Bio-Hersteller verwenden für die Rezeptur reinen, pflanz-lichen Bio-Alkohol, der ein breites Spektrum von Bakterien, Hefen, Pilzen und Viren abtöten kann. Dieser Alkohol wird ohne Petrochemie durch Vergären stärkehaltiger Pflanzen wie Getreide, Mais oder Kartoffeln gewonnen – und ist biologisch abbaubar.

Meist beinhaltet die Rezeptur in kleinen Mengen auch pflanzliches Bio-Glyzerin, um das Austrocknen der Haut zu vermeiden. Ein weiterer Pluspunkt: Bio-Hersteller von Desinfektionsmitteln arbeiten mit nachhaltigen Verpackungen und regenerativer Energie

Der Selbst- und Umweltschutz vor unerwünschten Schad- und Inhaltsstoffen unterscheidet Bio-Hygienemittel von konventioneller Konkurrenz. Julia Fiagbedzi von der Schweizer Firma Farfalla fügt noch Wohlgefühl hinzu: „Unser Handhygiene-Pflegespray ist frei von synthetischen Substanzen, und besitzt dank der ätherischen Öle nicht nur antiviralen Mehrwert zum Alkohol, sondern auch einen feinen Duft.“

Auch die Naturkosmetiker Martina Gebhardt oder Cosmondial (Benecos, GRN) produzieren seit März Handdesinfektionsmittel. Der Sulzbacher Hersteller lobt seine schmale Inhaltsliste pfiffig als „Rezeptur 7 nach Empfehlung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)“ aus. So schafft man Vertrauen. Zugleich ist es preisgünstig. Neue und bereits eingeführte Produkte ermöglichen also ein vielfältiges Angebot von günstig bis hochpreisig.

Nahrungsergänzungsmittel sind gefragt

Das gleiche gilt für Nahrungsergänzungsmittel, welche von manchem Verbraucher nach Lektüre von Magazin- oder Blogbeiträgen wie Geheimtipps gehandelt werden.

Hersteller GSE sagt auf Nachfrage: „Im Sommer haben wir normalerweise ein geringeres Bestellvolumen, das ist in die-sem Jahr nicht so. Im Vergleich zu den Vorjahren haben wir eine größere Nachfrage von Vitamin-Produkten, die Abwehr und Immunsystem stärken, wie CitroPlus(R). Immer wieder wird explizit nach der Verfügbarkeit gefragt und einige Kunden beginnen bereits mit der Bevorratung für Herbst und Winter.“

Nahrungsergänzungsmittel

Nahrungsergänzungsmittel, kurz NEM, sind konzentrierte Nährstoffe, also Lebensmittel, keine Medizin. Arzneimittel müssen eine Zulassung durchlaufen, bevor sie verkauft werden dürfen, Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nur einer Registrierpflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL).

Für die Sicherheit des Produkts sind die Hersteller verantwortlich. EU-Vorschriften regeln, ob und wie auf Verpackungen und in Läden eine gesundheitliche Wirkung, sogenannte Health Claims ausgelobt werden dürfen. Dazu das Bundesinstitut für Risikobewertung: „Lebensmittel dürfen nicht als ‚besonders gut‘ vermarktet werden, wenn nicht zweifelsfrei bewiesen ist, dass sie tatsächlich einen gesundheitlichen oder ernährungsphysiologischen Mehrwert für den Endverbraucher haben“.

Beispiel Propolis, ein Bienenprodukt, das überwiegend aus Harz und Bienenwachs sowie ätherischen Ölen, Pollen und weiteren organischen Stoffen und Spurenelementen besteht: Die meisten Anhänger von Naturheilkunde gehen davon aus, dass es antibakteriell und antiviral wirkt und das Immun-system stärkt. Das aber darf man auf dem Produkt nicht so ausloben.

Angefragte Ladnerinnen und Filialisten teilen diese Einschätzung. Im 250 Quadratmeter großen ‘s Paradieserl etwa finden laut Inhaberin Hildegard Thiele Nahrungsergänzungsmittel reißenden Absatz: „Vor allem Zistrose-Tee, der vorher gar nicht gegangen ist, aber auch andere Arzneitees sowie alles mit Vitamin C.“ Im WPR-Bereich verkauft sie nur Seife weiterhin gut, Desinfektionsmittel nicht. Die Ladnerin macht sich nichts vor: Das haben die Kunden hier nur gekauft, „weil sie‘s woanders net kriagt ham.“

Die Filialleiterin des ebl-Markts Laufamholz Kristina Stolp verzeichnet ebenfalls nach wie vor gute Nachfrage bei WPR und NEM: „Wir haben den Eindruck, dass sich die Menschen von innen stärken und mit einer Extra-Portion Vitamine versorgen wollen.“ Vor allem mit Brennnessel- und anderen Heilsäften oder Spirulina-Produkten. Ihre Bilanz: „Wir sehen viele Neukunden, die uns in der Krise entdeckt haben – und weiter zu uns kommen.“

Top-Seller

Neben den WPR-Produkten zur Desinfektion und Reinigung waren im letzten Halbjahr vor allem Nahrungsergänzungsmittel und freiverkäufliche Arzneimittel mit immunstärkenden Leitsubstanzen gefragt, wie:

  • Acerola
  • Brennnessel
  • Cistus
  • Echinacea
  • Eisen
  • Hagebuttenpulver
  • Hanf
  • Manuka
  • Propolis
  • Vitamin B Complex
  • Vitamin C
  • Vitamin D
  • Omega-3
  • Zink
  • Rechtsregulat

Außerdem Duftöle mit antiviraler Wirkung, wie:

  • Niauli
  • Lycea
  • Ravintsara
  • Teebaumöl
  • Zirbenkiefer
  • Zitrusdüfte

Quelle: Ladnerinnen, GSE, Biogarten, Pural und Weiling

Auch die Super-Bio-Markt-Filialen im Raum Münster haben neue Kunden gewonnen. Sprecherin Katrin Ahmann bezeichnet die Zuwächse in den Sortimenten WPR und NEM als „weiterhin konstant“. Vielleicht auch, weil die Teams schnell auf Kundenbedürfnisse reagiert haben. WPR-Artikel wurden in Kassennähe und vor dem Laden platziert, die Themen Immunstärkung und WPR medial via Newsletter, Facebook und Instagram begleitet.

Von den Herstellern wünscht man sich, dass sie mehr Fokus auf die Vorteile der biologisch erzeugten Produkte und den Unterschied zu konventionellen Erzeugnissen legen. Die Sprecherin betont: „Nicht jeder Bio-Kunde kauft auch WPR und NEM im Naturkost-Fachhandel. Hier schlummert ein großes Potenzial für Ladner und Hersteller.“ Solidarität und Netzwerken war für alle eine wohltuende Begleiterscheinung der Krise – von daher steht der gemeinsamen Gestaltung dieses Trends sicher nichts im Weg.

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