Biohandel

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Marktanalyse

Wohin geht der Vegan-Trend?

Vegane Lebensmittel haben durch neue Konsumenten für Umsatzsteigerungen gesorgt. Jetzt schwächeln typische Veggi-Sortimente im Naturkostfachhandel. Der LEH profitiert offenbar stärker vom Vegan-Trend.

Als vor wenigen Jahren sichtbar wurde, dass sich vegane Ernährung zum Trend entwickelt, reagierte der Naturkostfachhandel zurückhaltend. „Bei uns ist doch das meiste vegan oder vegetarisch, warum sollen wir die Produkte extra kennzeichnen oder dafür werben?“, war eine vielgehörte Antwort auf die Frage, ob man den Trend nicht besser nutzen wolle.

Wer sich bewusst ernährt, werde den Weg in die Bio-Märkte schon finden, so die Annahme. Der konventionelle Handel wurde nicht als Wettbewerber gesehen, hatte er sich doch schon bei der Einführung von Bio über ein Jahrzehnt Zeit gelassen – warum sollte das bei Vegan schneller gehen? Zumal die Gefahr bestand, dass die tierproduktfreie Ernährung vielleicht nur eine vorübergehende Modeerscheinung ist oder zumindest in der Nische verbleibt.

Inzwischen weiß der Fachhandel, dass konventionelle Hersteller und der LEH sehr schnell auf den Trend reagiert haben: Durch eine Vielzahl neuer Produkte, eindeutige Kennzeichnung oder spezielle Zusammenstellung wurde die sich neu formierende Kundengruppe aus Veganern, Vegetariern und Flexitariern in die konventionellen Supermärkte gelotst. Parallel entwickelte sich mit Veganz eine eigene Vegan-Kette mit heute zehn Outlets. Und die Reformhäuser besannen sich auf ihre Stärken und machten Vegan ebenfalls zum Thema.

Der Naturkostfachandel hingegen nutzte die Chance, Vegan und Bio zu einer unzertrennlichen Einheit zu schmieden und in die Bio-Märkte einzuladen, nur halbherzig. Dennoch stiegen die Umsätze bei typischen Vegan-Produkten, doch der Run auf tierproduktfreie Kost ebbt im Fachhandel ab und bahnt sich offenbar neue Wege.

Tofu verliert an Reiz

Nach einigen Jahren Vegan-Trend ist es nun an der Zeit zu prüfen, wie sich der Verkauf tierproduktfreier Waren im Naturkostfachhandel gestaltet. Bei fleischloser Ernährung denkt man zunächst an das Tofu-Sortiment, mit dem die am bioVista-Handelspanel teilnehmenden Läden durchschnittlich 10.000 Euro pro Jahr umsetzen. Doch wer erwartet hätte, dass sich diese Warengruppe (alle Tofu-Arten und Vergleichbares) aufgrund der Fleischverweigerer weiter gut entwickelt, wird enttäuscht sein: Um durchschnittlich 2,8 Prozent sind laut bioVista die Umsätze mit Tofu gesunken. Betrachteter Zeitraum: Oktober 2014 bis September 2015 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Frischconvenience keine Alternative mehr

Als Nächstes liegt es nahe, bei der Warengruppe „Vegetarische Frischconvenience“ (Schnitzel, Falafel usw.), also den Fleischersatzprodukten nachzusehen. Auch hier ist die Umsatzentwicklung im Naturkostfachhandel rückläufig: minus 4,1 Prozent. Bei Burgern, Bratlingen und Snacks, ebenfalls „typische“ Vegan-Kost, gibt es mit 0,5 Prozent lediglich ein verhaltenes Umsatzplus.

Vor dem Hintergrund, dass inzwischen sogar namhafte konventionelle Fleischproduzenten in die Herstellung
vegetarischer Alternativen eingestiegen sind, müssen solche Zahlen als schwache Ausbeute bezeichnet werden. Möglich wäre auch, dass Kunden eben wegen dieser Alternativen in den LEH abgewandert sind. Das zum Beispiel bei der Rügenwalder Mühle im Dezember 2014 eingeführte fleischlose Segment wuchs laut Lebensmittelzeitung (LZ) mit 15 Prozent recht schnell. Die Nachfrage sei so hoch, dass 100 neue Mitarbeiter eingestellt und ein Betrag um die zehn Millionen Euro investiert werden sollte, um die nötigen Kapazitäten aufzubauen, schrieb die LZ im Mai 2015. Inzwischen hält sich das Unternehmen mit Blick auf Wettbewerber zurück und wollte keine aktuellen Entwicklungszahlen aus dem Vegan- bzw. Veggie-Sortiment nennen.

Vegetarier lieben Fleisch- und Wurstgeschmack

In einer repräsentativen Umfrage hatte die Rügenwalder Mühle ermitteln lassen, was den Deutschen am besten schmeckt und die Ergebnisse mit externen Ernährungsexperten erörtert. Die schätzen, dass die Anzahl derer, die sich fleischfrei ernähren, stetig steigt. Viele Vegetarier greifen dabei auch zu Wurst- und Fleischalternativen. Denn laut Studie lieben 80 Prozent der Vegetarier den Geschmack von Fleisch und Wurst.

Es sei vor allem die Sorge um das Tierwohl, das diese Gruppe motiviere, kein Fleisch mehr zu essen. Ganz besonders beliebt sei vegetarischer Aufschnitt als Brotbelag. Fleischfreie Würstchen, Salami und Frikadellen würden am liebsten als Snack verzehrt. Bei den Mahlzeiten stünden vegetarische Schnitzel und Geschnetzeltes, Veggie-Bolognese sowie Chili sin Carne an der Spitze der Hitliste.

Eine Umfrage des Portals www.vegan.eu. hat zumindest für überzeugte Veganer ermittelt, dass sie selten zu Fleischersatzprodukten greifen. Demnach essen mehr als zwei Drittel der Befragten derartige Produkte höchstens einmal in der Woche oder gar nicht. Drei Viertel der Veganer gaben an, hoch verarbeitete Produkte zu vermeiden und vorwiegend Bio-Lebensmittel einzukaufen. Im Fokus stehen dabei frisches Obst und Gemüse sowie Vollkornprodukte.

Pikante Brotaufstriche wachsen

Wenn überzeugte Veganer dem Naturkostfachhandel die Treue halten, vereinnahmt der LEH offenbar viele Vegetarierer und Flexitarier für sich. Eine Erklärung für die Rückgänge bei vegetarischen Brotaufstrichen und -belägen im Frischesortiment des Fachhandels (minus 3,2%) könnte aber auch der Anstieg pikanter Brotaufstriche im Trockensortiment sein, denn jedes Brot lässt sich nur einmal belegen. Mit 12,1 Prozent Umsatzzuwachs sind die Produkte von Allos, Zwergenwiese, Tartex [&] Co die Shooting-Stars im Trockensortiment. Der Wettbewerb unter den Marktführern hat viele neue Geschmacksrichtungen hervorgebracht. Das hat offenbar einen Wechsel von stark verarbeiteten Brot-Belägen aus dem Frischetresen zu den pikanten Brotaufstrichen des Trockensortiments befördert.

Gewachsen ist auch der Sortimentsbereich Getreide, Körner, Saaten mit 11,9 Prozent Plus. So zählen die Chia Samen von Davert und Govinda zu den Top-Aufsteigerartikeln und erzielen jeweils eine Vervielfachung der Umsätze. Die Renaissance des Ursortiments von Bioläden dürfte maßgeblich durch den Vegan-Trend beeinflusst worden sein.

Zu berücksichtigen ist, dass der LEH mit der Vielfalt und Qualität von pikanten Brotaufstrichen nicht mithalten kann, wohl aber bei der vegetarischen Frischconvenience und den Snacks eine breite und geschmacklich attraktive Auswahl bereithält. Vor diesem Hintergrund könnten sich die Einkaufsprioritäten zumindest bei den dem Vegan-Trend folgenden Neukunden ausdifferenziert haben: Im Fachhandel schätzt man eher die Aufstriche, im LEH eher die Fleischersatzprodukte. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die den gesamten Lebensmitteleinzelhandel untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass Fleischersatzprodukte deutlich stärker wachsen als pflanzliche Brotaufstriche. „Dieses Wachstum können die auf Soja-Produkte abonnierten Veganer aber nicht allein bewirken. Vielmehr zeigt sich hier, dass sich die ‚fleischlose Bewegung‘ aus der Nische heraus in die Mitte der Gesellschaft ausdehnt.“

Da das Wachstum im Naturkostfachhandel umgekehrt verläuft, muss man sich fragen, wo die Liebhaber vegetarischer Fleischersatzprodukte einkaufen. Weil Edeka und Rewe für die Veggie-Linie viel Platz geschaffen haben, machen die Food-Vollsortimentern das Geschäft. Sie haben laut GfK ihren wertmäßigen Marktanteil an den Veggie-Linien zusammen mit den SB-Warenhäusern seit 2010 um acht Punkte auf fast 40 Prozent gesteigert. Der Chart links unten zeigt, dass sich der Anteil auch zulasten des Fachhandels verschoben hat, der vier Prozentpunkte im gleichen Zeitraum verliert.

LEH macht 25 Prozent Plus mit Veggi-Produkten

„Von Februar 2014 bis Januar 2015 setzte der LEH (inkl. Drogeriemärkte) circa 289 Millionen Euro mit vegetarischen und veganen Produkten um – und verbuchte damit gegenüber dem Vorjahr ein Plus von über 25 Prozent in seinen Kassen“, meldet das Marktforschungsinstitut Nielsen. Auch das Absatzwachstum habe mit dieser „außerordentlich positiven“ Entwicklung in etwa Schritt gehalten(+ 23%). Das Volumen belaufe sich auf ungefähr 98.000 Tonnen bzw. Liter.

Zu den Veggi-Produkten zählt Nielsen:

  • Wurstwaren SB: Fleischzubereitung, Wurst, Schinken
  • Gelbe Linie SB: Blauschimmelkäse SB, Frischkäse SB, Geriebener Käse SB, Hart- [&] Schnittkäse SB, Mozzarella SB
  • Weiße Linie SB:Fertigpudding, Frucht-/Naturjoghurt, Milchmischgetränke, Schlagsahne, Spraysahne
  • Speise-Eis
  • Trockenfertiggerichte: Nährmittel inkl. Tofu
  • Nassfertigprodukte: Nassfertiggerichte inkl. Ravioli, Würstchenkonserven, Würstchensnacks
  • Fette [&] Öle: Brotaufstrich auf pflanzl. [&] Milchbasis
  • Feinkost gekühlt: Frischteigwaren, herzhafte Snacks, Nassfertiggerichte gekühlt
  • Tiefkühlkost: TK-Bratfleisch, TK-Fertiggerichte, TK-Gemüse, TK-Pizza, TK-Restliche

Das Handelspanel bioVista kommt für den Naturkostfachhandel im genannten Zeitraum nur auf 17 Prozent Plus, ohne dass die Sortimente 1:1 vergleichbar sind. „Je näher wir der Gegenwart kommen, desto geringer wird der Zuwachs“, sagt Vertriebsleiter Fabian Ganz. Die Umsatzzahlen bei bioVista errechnen sich aus verkauften, EAN-codierten Artikeln, die bei ecoinform als „vegan“ bezeichnet werden.

Dass Verbrauchermärkte in der Vermarktung vegantrendiger Produkte besonders gut sind, stellt auch Nielsen fest: „Durch die zunehmende Bedeutung dieser Märkte für die Veggie-Ernährung erwirtschafteten sie 2014 rund 58 Prozent des Gesamtumsatzes von vegetarischen/veganen Produkten und deckten damit knapp 50 Prozent der verkauften Tonnage ab. Die Discounter liegen mit mittlerweile 22 Prozent Marktanteil nach den Verbrauchermärkten an zweiter Stelle im Absatzranking, zeigen gegenüber dem Vorjahr aber nur eine stabile Entwicklung.”

Wo kaufen die grünen Käufer?

Getragen wird der Veggie-Boom laut Gfk vor allem von jüngeren Verbrauchern unter 40. Aktuell liege ihr Anteil bei 34 Prozent, obwohl die Altersgruppe in der Gesamtbevölkerung kleiner wird (siehe Chart auf Seite 10). „Was aber nicht heißt, dass Veggie (nur) eine Jugendbewegung ist. Die Verhältnisse in den Altersgruppen haben sich vor allem‚ relativ‘ verschoben, das heißt: Die anderen kaufen heute nicht spürbar weniger, die Jüngeren aber eklatant mehr Veggie-Produkte als noch vor vier Jahren“, so die Analyse im Consumer Index 3/2015 der GfK.

Wie alt sind die grünen Käufer?

Milchersatzprodukte drehen sich stark

Im Naturkostfachhandel gibt es im Frischebereich den Trend, dass Milchersatzprodukte die bestehenden Sortimente substituieren. Soja-, Reis- und Haferdrinks wuchsen flächenbereinigt von September 2014 bis September 2015 um rund 20 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres, während Milch (alle Milcharten) um knapp ein Prozent zurückging. Die Drinks erzielen damit bereits rund die Hälfte des Umsatzes von Milch.

Stark im Kommen ist laut bioVista auch Soja-Joghurt mit einem Umsatzplus von fünf Prozent, während der Umsatz des Frucht-Joghurts von der Kuh um etwa die gleiche Prozentzahl sinkt. Naturjoghurt (Kuh) kommt auf etwa den gleichen Umsatz wie im Vorjahr. Ebenfalls erwähnenswert im Frischebereich ist das 8,7-Prozent-Plus bei pflanzlichen Sahneprodukten, die aber vom Umsatzvolumen her noch keine große Rolle spielen.

Bio Company: Handel soll stärker aufklären

Auch bei der Bio Company haben sich Fleischersatzprodukte mit Stand Oktober gegenüber dem Vorjahr unterproportional entwickelt – im Gegensatz zu Milchersatzprodukten. Letztere haben hingegen deutlich überproportional zugelegt. „Dies hängt aber auch damit zusammen, dass sich hier in den vergangenen Jahren die Bandbreite des Sortiments deutlich erweitert hat“, so Vertriebsleiter Manuel Pundt. „Beginnend von Reismilch über Hafer-, Dinkel- und Mandelmilch hat sich da neben Sojamilch viel getan“, erläutert Pundt.

Hinsichtlich Fleischersatzprodukten wie Tofu oder Seitan verzeichne das Unternehmen im Zeitraum Januar bis Oktober 2015 gegenüber dem Vorjahr lediglich einen geringen Umsatzzuwachs. „Das ist schon ein klares Zeichen, da Tofu bislang immer überproportional gelaufen ist“, so der Vertriebsleiter. Ob sich daraus ein Trend bei Fleischersatzprodukten oder anderen Substituten ablesen lässt, bleibe offen. „Grundsätzlich ist es aber vorstellbar, dass ein Biokunde von seiner Ernährungsphilosophie her eher zu weniger verarbeiteten Produkten tendiert“, meint Pundt.

Menschen, die vegane Produkte im LEH kaufen, hätten möglicherweise auch eher den Tierschutz im Fokus als eine nachhaltige, biologische Wirtschaftsweise, die neben dem Tier auch den Menschen und den Boden mit einschließt, heißt es aus dem Unternehmen. „Hier kann der Fachhandel stärker aufklären, vor allem wenn es um Kreislaufwirtschaft geht“, unterstreicht Pundt.

Gewinner / Verlierer vegan

Umsatzentwicklung im Naturkostfachhandel, 10/2014 bis 9/2015 (im Vergleich zum Vorjahr)

• Soja-, Reis-, Hafermilch

+ 20,1 %

• Pikante Brotaufstriche

+ 12,1 %

• Getreide, Körner, Saaten

+ 11,9 %

• Soja-Joghurt

+ 5,0 %

• Tofu (alle Arten + Vergleichbares)

– 2,8 %

• vegetarische Frischconvenience

– 4,1 %

• veget. Brotaufstriche u. -beläge

– 3,2 %

Kommentar: Neue Kundengruppen für sich gewinnen

Das durch den Vegan-Trend generierte neue Verbraucherbewusstsein haben Biomärkte nicht ausreichend genutzt. Von dem meist ethisch bedingten Einstieg in Fleischersatzprodukte profitieren ausgerechnet diejenigen, die für die Missstände in der Tierzucht mitverantwortlich sind: die Fleischkonzerne. Man würde es ihnen ja gönnen, wenn sie im gleichen Maße die Fleischproduktion einstellen würden. Doch was sich im Inland nicht verkaufen lässt, wird mit EU-Geldern exportiert. So ändert sich an Haltungsformen und Tierleid nichts. Im Gegenteil: Mit dem Wechsel zu Fleischersatzprodukten konventioneller Fleischkonzerne sorgen Verbraucher für höhere Margen, die ins Exportgeschäft investiert werden können. Wer also das Tierleid beenden will, ohne im Sinne des ökologischen Landbaus ganz auf Fleisch zu verzichten, ist im Biomarkt besser aufgehoben als an den Ersatzwursttheken des LEH. Auch Veganer sind im Naturkostfachhandel zumindest näher an ihren ethischen Zielen als im konventionellen Handel.Diese Zusammenhänge sollte der Fachhandel stärker kommunizieren und damit die neuen Kundengruppen für sich gewinnen.

Horst Fiedler

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