Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Klimaschutzbewegung

Wir sind Greta! Sind wir?

Fridays for Future-Engagierte wären die Bio-Fachhandelskunden schlechthin: jung, aktiv und 150 Prozent öko. Doch was tut die Branche, um diese Zielgruppe anzusprechen? Und hören die Aktivisten überhaupt zu?

Ganz ehrlich. So waren wir doch früher auch: Engagiert und mit missionarischem Eifer unterwegs die Welt zu retten. Gegen Atomkraft, Konzerne, die ganze giftige Chemiepampe und den kapitalistischen Konsumwahnsinn. Deswegen freuen wir uns, dass die Jungen jetzt endlich wieder auf die Straße gehen. Super! Aber wieso kaufen die ihr Bio-Essen bei Lidl? Wir sind doch die Guten. Das mag überspitzt formuliert sein, macht aber eines deutlich: Junge, ökologisch engagierte Menschen sind eine interessante Zielgruppe für den Biofachhandel. Aber sie kommen nicht automatisch in die Bioläden, nur weil diese sich als besonders nachhaltige Einkaufsstätte verstehen.

Also müssen sie angesprochen werden. Aber wie? Die Antwort ist so neu nicht: Tue Gutes und rede drüber. Das hat die Naturkostbranche in den letzten Jahren auch gemacht, sich dabei aber sehr auf Landwirtschaft und Ökolandbau als DIE Alternative beschränkt. Durchaus mit Erfolg: Landwirtschaft, Grundwasserschutz, Massentierhaltung, Artensterben und Glyphosat stehen auf der politischen Agenda, der Druck wächst.

Doch beim Klima beschränkten sich die Aktivitäten auf den immer leiseren Hinweis, dass Ökolandbau Humus aufbaut und deshalb dem Klima nutzt. Das ändert sich langsam. „Der deutsche Öko-Sektor solidarisiert sich mit den weltweiten, starken Protesten für besseren Klimaschutz“, schrieb der Bio-Dachverband BÖLW. Die Anbauverbände unterstützten mit einem gemeinsamen Klima-Notruf die Forderungen der Fridays for Future-Bewegung.

Doch es blieb nicht beim verbalen Schulterklopfen. Demeter-Bauer Jakob Schererz vom Bauckhof Stütensen rief mit Unterstützung seines Verbandes Farmers for Future ins Leben. Inzwischen haben sich über 1000 Bio-Landwirte angeschlossen. Der BÖLW initiierte zusammen mit der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) und anderen Organisationen Entrepreneurs for Future. Dem Zusammenschluss gehören derzeit 4100 Unternehmen an.

Regionale Vernetzung

Einer von ihnen ist Martin Sulzbacher, der den Laden Naturkost Querbeet in Kassel betreibt. „Mir ist die regionale Vernetzung von Menschen wichtig, die umwelt- und klimabewusst handeln“, sagt der altgediente Ladner. Deshalb ist er auch im Klimabündnis Kassel dabei und wirbt in seinem Geschäft aktiv für den nächsten großen Klima-Streik. Markus Maaß von Bio am Hafen in Greifswald hat sein Geschäft beim Klimastreik im September nicht zugesperrt. „Unser Einzugsgebiet reicht weit ins Land, und wir möchten nicht, dass KundInnen oder Lieferanten vergeblich zu uns fahren“, sagt er.

Andere wie Kornhaus Naturkost in Dortmund streikten komplett und schlossen ihr Geschäft über den Mittag. Die Geschäftsstelle des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN) war am 20. September gar nicht erreichbar. Insgesamt war die Beteiligung der Bio-Branche beim Klimastreik an diesem Tag groß, der Streiktag Ende November fand nach Redaktionsschluss statt.

Aktive Unterstützung

Bio-Unternehmen sind nicht nur als Mitdemonstrierende sondern auch als Unterstützer gefragt. Den Sommerkongress von Fridays for Future etwa sponserten einige Betriebe mit Lebensmittel oder Logistik (siehe Interview). Beim Streik am 20.9. verschenkten die Alnatura-Märkte Bio-Obst an demonstrierende Schüler und Studenten. Die Bio Company verteilte Äpfel und Möhren. Die Mainzer Bio-Bäckerei Kaiser spendet die Hälfte der Nettoeinnahmen, die jeden Freitag zwischen 16 und 17 Uhr erlöst werden, für den Arten- und Klimaschutz.

Vermutlich gibt es zahlreiche solcher Unterstützungsaktionen vor Ort, aber es könnten noch viel mehr sein. Schließlich gibt es nicht bloß große weltweite Streiktage, sondern immer noch viele örtliche Freitags-Demos; die Orte finden sich auf https://fridaysforfuture.de/. Auch können Klimaschützer mehr brauchen als einen Demo-Snack. Geld für Aktionen zum Beispiel, Stoffe und Farben für Transparente, einen Transporter für die Anlage, etc. Am besten einfach mal die Fridays for Future-Gruppe vor Ort fragen. Und dabei klar machen: Das ist kein Sponsoring und es muss auch kein Logo irgendwo drauf. Sondern: Das ist aktive Unterstützung, weil mir das Klima so wichtig ist wie Euch.

Aktivisten wissen, was authentisch ist

„Die jungen Leute lassen sich nicht einfangen, die wollen keine Sprüche hören, sondern echte Taten sehen. Die haben einen guten Bullshit-Detektor“, sagt Kathrin Jäckel, Kommunikations-Chefin beim BNN. Sie ist dort für die Kampagne Öko statt Ego verantwortlich, die Ende September an den Start ging. Sie soll den Biofachhandel als ganzheitlich nachhaltige Einkaufsstätte ins Bewusstsein rücken.

„Du willst wirklich nachhaltig und verantwortungsvoll einkaufen und nicht nur ‚Bio um jeden Preis’?, lautet die rhethorische Frage auf der Webseite oekostattego.de. Dass sich die Vorbereitung dieser branchenweiten Kampagne zwei Jahre hinzog, erweist sich jetzt als Vorteil. „Sie trifft voll auf den Zeitgeist, das ist wie ein Geschenk“, freut sich Jäckel. Und sie sieht Bewegung in der Branche. So würden sich viele Akteure derzeit aktiv bei den Klimastreiks engagieren.

Klimaneutralität in Bio-Unternehmen

Einen besonderen Weg ging der Haferdrink-Hersteller Oatly. Er sammelte Unterschriften für eine Petition, dass der CO2-Fußabdruck von Lebensmitteln verpflichtend auf der Verpackung angegeben werden muss. Binnen sechs Wochen wurden 50.000 Unterschriften gesammelt. Nun muss sich der Petitionsausschuss des Bundestages in öffentlicher Sitzung mit dem Anliegen befassen. Natürlich hatte Oatly zuvor den CO2- Fußabdruck seiner Haferdrinks berechnen lassen und auf die Packung gedruckt.

Wurstspezialist Ökoland präsentierte am Klimastreiktag seine seit zehn Jahren zertifizierte CO2-neutrale Bratwurst. Damals nutzten einige Bio-Unternehmen den neu geschaffenen Stop Climate Change-Standard, um ihren CO2-Ausstoß zu verringern und die unvermeidbaren Emissionen durch CO2-Zertifikate auszugleichen. Auch die Zeitschriften des bio verlags (Schrot&Korn, BioHandel und cosmia) sind seither klimaneutral.

Andere Unternehmen arbeiten dafür mit dem Hamburger Beratungsunternehmen Soil and More zusammen, das die Emissionen durch Kompostprojekte und aktiven Humusaufbau auf Bio-Höfen ausgleicht. Die vier regionalen Biomessen wurden so klimaneutral, ebenso die Babygläschen von Holle und Naturata Logistik. Der Großhändler Weiling hat in Zusammenarbeit mit Klimaktiv für 750 Obst- und Gemüse-Produkte seiner Eigenmarke Bioladen den CO2-Fußabdruck ermitteln lassen und ihn kompensiert.

Kein erhobener Zeigefinger

Für Hassaan Hakim von der Agentur Yool ist Klimaneutralität ein wesentlicher Aspekt für die Glaubwürdigkeit: „Erst einmal selber Klimaneutralität herstellen und dann kommunizieren“, lautet sein Ratschlag für Hersteller und Händler. Dazu müsse man den Verbrauch erfassen und dann konkrete Maßnahmen ergreifen, um ihn zu verringern. „Das kann einen Transformationsprozess in Gang setzen“, ist sich Hakim sicher.

Er empfiehlt Läden herauszustellen, was sich positiv aufs Klima auswirkt: Das Lastenfahrrad für innerörtliche Lieferungen, die Abwärmenutzung der Kühlanlage, vor allem aber die regionalen Lieferanten. „Regional bedeutet kurze Transportwege und weniger CO2, das haben die Kunden gelernt“, unterstreicht er. Wer seine Hausaufgaben gemacht habe, sollte das kreativ kommunizieren, „nicht ernst und mit erhobenem Zeigefinger, junge Menschen wollen Spaß haben und unterhalten werden.“ Als Beispiel nennt Hakim die Lidl-Werbung der letzten Monate, die mit witzigen Spots dem Discounter in den sozialen Medien zu Popularität verholfen habe.

Kathrin Jäckel ermutigt Bio-Betriebe, diesen Weg auch dann zu gehen, wenn noch nicht alles 100-prozentig perfekt ist: „Beim Klimaschutz ist immer Luft nach oben, aber deswegen muss man als einzelner Betrieb und als Branche die bisherigen Leistungen nicht verstecken.“ Zumal der konventionelle Handel gezielt mit Bio wirbt – und die restlichen 90 Prozent seines konventionellen Sortiments mit allen negativen Auswirkungen auf Klima und Umwelt dabei unter den Tisch fallen lässt.

Bio-Umsatz steigt

Vielleicht liegt es an der reichweitenstarken Werbung für Bio allgemein, vielleicht lässt die Sorge ums Klima die Menschen nachhaltiger einkaufen: Der Bio-Umsatz steigt deutlich stärker als 2018. Trotz – oder auch wegen – der Werbung der Discounter profitiert auch der Fachhandel von diesem Trend. Das Umsatzbarometer von Klaus Braun meldete für die ersten neun Monate 2019 einen Zuwachs von 6,2 Prozent auf bestehender Fläche.

Dabei wuchsen die Umsätze der Hofläden und der kleinen Naturkostgeschäfte am stärksten, also der Geschäfte, die bei den Kunden als besonders vertrauenswürdig gelten. Klaus Braun vermutet, „dass die aktuellen umwelt- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen ihren Niederschlag auch im Kaufverhalten und der Wahl der Einkaufsstätte eines wachsenden Teils der Verbraucher und Verbraucherinnen finden“. Und das jetzt schon, ohne viel zu reden.

„Wir haben viel Unterstützung von Bio-Firmen bekommen“

Im Gespräch mit Klima-Aktivistin Lena Kah, Organisatorin von Kongressen und Demos bei Fridays for Future, über die Rolle von Bio, den Fachhandel und das Engagement der Branche.

Welche Rolle spielt Bio bei den Menschen, mit denen Du aktiv bist?

Menschen, die sich mit Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen, merken schnell, welche große Rolle der eigene Konsum bei diesen Themen spielt und versuchen natürlich, möglichst nachhaltig zu konsumieren und den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Dabei spielt Bio eine große Rolle.

Und für Dich persönlich?

Meine Eltern sind beide ausgebildete Öko-Landwirte, Papa leitet jetzt einen Bio-Lieferservice. Bio ist also bei uns schon immer ein Thema gewesen.

Spielt es eine Rolle, ob Bio von Lidl oder aus dem Fachhandel stammt?

Für mich natürlich schon, weil ich mit dieser Unterscheidung groß geworden bin. Aber auch anderen fällt es auf, wenn mitten im Sommer die Bio-Tomaten bei Rewe aus Spanien kommen, obwohl es bei uns auch Tomaten gibt. Alle, die sich ernsthafter damit beschäftigen, achten darauf, wo es herkommt. Ist es nur Bio oder wurde es auch lokal und nachhaltig erzeugt. Fühlt Ihr Euch denn von der Bio-Branche ausreichend unterstützt? Wir haben, etwa bei der Organisation des Sommerkongresses in Dortmund, viel Unterstützung von Bio-Firmen bekommen. Die Werkhof Gärtnerei hat uns Gemüse gespendet, das sie optisch nicht vermarkten konnte, Weiling hat uns beim Transport unterstützt, viele Firmen haben Essen gespendet oder uns Rabatt gegeben. Viele waren sofort dabei und haben sich über unser Engagement gefreut. Vielleicht haben wir ja auch einen Anstoß gegeben, dass sie sich selber nochmal mit ihrer Klimabilanz beschäftigen und schauen, was sie verbessern können.

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