Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Rekord-Wachstum

Wie Corona das Geschäft mit Bio-Abokisten verändert

Abo-Kisten mit Bio-Lebensmitteln boomen durch Corona. Die Branche ächzt und muss kreativ werden. Mit welchen drastischen Mitteln die Lieferdienste reagieren und wie sie die Neukunden halten wollen – zwei Beispiele aus der Region Berlin-Brandenburg.

Dass der Betrieb bei der Märkischen Kiste am Limit ist, sieht man schon vor dem Eingang zur Pack-Halle. Zwei weiße Schiffs-Container mit Kühlaggregaten wummern auf einem Rasen vor sich hin. „Die mussten wir im Herbst dazukaufen, um mehr Lagerfläche zu schaffen“, erzählt Geschäftsführer Christoph Scholz. Der Kunden-Ansturm durch die Corona-Pandemie stellt den Berliner Abokisten-Pionier vor große Herausforderungen.

4.000 Haushalte beliefert die Märkische Kiste aktuell – ein Plus von 50 Prozent seit Beginn der Pandemie. Der Umsatz stieg 2020 im Vergleich zum Vorjahr um eine auf drei Millionen Euro. „Sowas hatten wir noch nie. Normal sind zehn bis 20 Prozent Wachstum“, so Scholz. Deswegen hat das Unternehmen aus Marienfelde die Notbremse gezogen und zu drastischen Mitteln gegriffen: bis auf Weiteres gibt es einen Neukunden-Stopp.

Auf der Warteliste tummeln sich schon rund 700 Interessenten. „Die internen Abläufe und die Logistik müssen behutsam mitwachsen. Sonst kommen wir nicht mehr hinterher und vergraulen Stammkunden“, warnt Scholz, der das Unternehmen 1997 zusammen mit seiner Frau gegründet hat.

Effizientes Pack-System erleichtert Arbeit

Den Trend hin zu mehr Bio spürt die gesamte Branche in der Region. Laut der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) ist die Nachfrage nach gesunden Lebensmitteln enorm gestiegen. Die Gesamtumsätze des regionalen Naturkostfachhandels lagen 2020 bei 715 Millionen Euro – ein Wachstum von 23 Prozent im Vergleich zu 2019.

Den größten prozentualen Anstieg gab es bei Abokisten. Das sorgte dem Bio-Großhändler Terra zufolge vor allem im ersten Lockdown für Engpässe, einige Hersteller konnten zeitweise nur 20 bis 30 Prozent ihrer Ware liefern. Die Gründe für den Boom laut FÖL: fürs Kochen zu Hause wird eher Bio-Ware eingekauft. Außerdem gebe es ein Bedürfnis nach Regionalität und Transparenz, nach kurzen Wegen und Verlässlichkeit.

Um den Bestell-Boom zu managen, hat die Märkische Kiste 30 neue Mitarbeiter eingestellt und Sonderschichten gefahren. Viele sind aus der Catering-Branche gewechselt. Ein Großteil des Teams arbeitet in der Pack-Halle – an den beiden Gemüse- und Obst-Bändern. Aus Corona-Schutzgründen mit Abstand und Maske. An jeweils drei Stationen werden Kartoffeln, Zitronen oder Salat abgewogen und in grüne, wiederverwendbare Kunststoff-Kisten gepackt.

Schwere Produkte kommen als erstes rein, empfindliche Ware wie Pilze als letztes. Jede Kiste hat einen Strich-Code – wird er eingescannt, erscheint auf dem bunten Display der Waage die gewünschte Zusammensetzung der online bestellten Kiste. Ein effizientes System, so Scholz: „Damit arbeiten wir schon einige Jahre, weil es auch individuell anpassbar ist. In der Stunde schaffen wir so pro Pack-Straße bis zu 100 Kunden.“

Enger Kontakt zu Erzeuger-Betrieben

Neben Gemüse und Obst liefert die Märkische Kiste auch Trockenartikel, Brot, Milch, Fleisch- und Käseprodukte. Die Ware kommt nachts und in den Morgenstunden von 20 bis 30 regionalen Gärtnereien und fünf Großhändlern. „Wir kennen die Betriebe in der Region lange und besuchen sie oft. Die sind mit uns gewachsen. Wenn wir es schaffen, fahren wir auch mal zu Erzeugern nach Spanien und Italien, um uns ein Bild zu machen und Wünsche abzugeben“, beschreibt der gebürtige Niedersachse die Philosophie.

Im Fokus: Samenfeste, besondere Sorten, um eine attraktive und nachhaltige Produkt-Palette anzubieten. Auch das Pack-Papier wurde vor kurzem umgestellt, um eine Schadstoff-Belastung noch besser auszuschließen.

Beim Ausliefern geht noch was in Sachen Öko-Bilanz. Die Flotte besteht aus 17 Sprintern, die meisten mit Verbrennungsmotor. Pro Tag beliefern sie immer nur einen bestimmten Stadt-Bezirk, für effiziente Touren mit vollen Autos. Die Kunden geben einen festen Abstellort an. Milch-und Fleischprodukte kommen in Kisten mit Kühl-Akkus.

Große Investitionen geplant

Um sich für die nächsten Jahre zu wappnen, investiert die Märkische Kiste deutlich. Anderthalb Million Euro fließen in den Ausbau der Lager- und Packhalle. Auch die Bestell-Software bekommt ein Update. Angst vor zu großen Schritten? „Nein. Das Wachstum der Branche ist schon beachtlich. Das wird aber auch so weitergehen, wenn die Wertschätzung für Lebensmittel noch mehr steigt.“

Überregional liefern will Scholz nicht. Denn: genau daran würden besonders die Start-ups in der Branche scheitern, die aufgrund von Fremdkapital schnell wachsen müssen. Der 56-Jährige möchte lieber die Neukunden halten, unter denen viele junge Menschen sind. „Wir versuchen sie abhängig zu machen von unserer Qualität. Davon, dass die Möhre wieder nach Möhre schmeckt.“ Topseller ist die „Regionalkiste“ mit Gemüse und Obst aus der Region für 15,00 Euro plus 3,45 Euro Liefergebühr.

Marketing macht das Unternehmen kaum. Mund-zu-Mund-Propaganda und die auffälligen Lieferfahrzeuge reichen. Drei Viertel sind Stammkunden, die regelmäßig eine feste Kiste bekommen. Darunter auch viele „Überzeugungstäter“, die bereit sind, mehr Geld für den Lieferservice und die Qualität auszugeben.

Kunden-Ansturm auch im Ökodorf Brodowin

Auch das Ökodorf Brodowin beliefert seine Kunden mit Bio-Lebensmitteln. Der Demeter-Betrieb mit eigenem Hof in der Nähe von Eberswalde stellt viele Produkte für die Abo-Kisten selbst her. Neben den Topsellern Käse und Milch gibt es auch Fleisch und Brühe oder verschiedene Suppen, abgefüllt in umweltfreundlichen Pfand-Weckgläsern.

Im Online-Shop werden vor allem Suppen und Salate gezielt fürs Homeoffice angeboten. Aber: Auch in Brodowin ist man am Limit und muss längst Ware von außen dazu ordern – von Bauern, Molkereien, Gärtnereien und Großhändlern. 50 Partner sind es insgesamt.

„Wir beliefern jetzt wöchentlich 3.800 Haushalte – 1.400 mehr als vor Corona“, so Qualitätsmanagerin Franziska Rutscher. „Das können wir mit unseren Produkten alleine natürlich nicht stemmen. Da streitet man sich auch schon mal mit anderen Anbietern auf dem Markt um Ware.“

Lastenfahrräder sind wichtiger Logistik-Baustein

Der Abokisten-Umsatz in Brodowin ist 2020 im Vorjahres-Vergleich um 60 Prozent auf sieben Millionen Euro gestiegen. „Das freut uns sehr, aber es kommt auch extrem schnell. Wir mussten teilweise sehr spontan reagieren“, gesteht Rutscher.

Eine neue Halle mit Pack-Straße ist dazu gekommen, weitere Investitionen sind geplant. Und: es wurde kräftig eingestellt: 90 Mitarbeiter sind es im Lieferservice aktuell – 30 mehr als in der Vor-Corona-Zeit. Das Team arbeitet auf Hochtouren an zwei Packstraßen, in der Küche und in den Lagern. Gemüse und Obst werden in einer Nebelkühl-Zelle frisch gehalten.

Die Produkte werden tourenweise vorkommissioniert und an die Packplätze gebracht, wo dann nach dem gleichen Strichcode-Prinzip wie bei der Märkischen Kiste gearbeitet wird – die Branche tauscht sich aus. Ausgeliefert wird in speziellen Pfandkisten. Zu den Kunden gehören auch große Unternehmen wie Delivery Hero, die über 300 Mitarbeiter im Homeoffice beliefern lassen.

Ein Schlüssel, um den enorm gestiegenen Lieferaufwand abzuwickeln, sind Rad-Logistiker. Im Berliner Innenstadt-Ring werden die Brodowiner Kisten fast ausschließlich mit Lastenfahrrädern ausgeliefert. „Wir fahren die fertig gepackten Kisten in gekühlte Zwischenlager im Zentrum, sogenannte Hubs. Da holen sich die Fahrrad-Kuriere die Ware und strömen zu den Kund:innen aus“, erklärt Qualitätsmanagerin Rutscher. „Ohne dieses System hätten wir den Ansturm nicht geschafft!“

Neben den „Überzeugten“ und jungen Familien sind auch Kunden dazu gekommen, die weniger bio-affin sind und kleine Macken an den Produkten schneller kritisieren. Die 34-Jährige geht davon aus, dass die allermeisten Neukunden aber auch nach der Pandemie bleiben werden. „Viele merken, wie angenehm es ist, gute Lebensmittel geliefert zu bekommen. Da gab es lange noch eine Hürde. Die hat die Corona-Krise eingerissen.“

Mehr zu den Themen

Kommentare

Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.

Weiterlesen mit BioHandel+

Melden Sie sich jetzt an und lesen Sie die ersten 30 Tage kostenfrei!

  • Ihre Vorteile: exklusive Berichte, aktuelles Marktwissen, gebündeltes Praxiswissen - täglich aktuell!
  • Besonders günstig als Kombi-Abo: ausführlich in PRINT und immer aktuell mit ONLINE Zugang
  • Neu: das BioHandel e-Paper inkl. Archivfunktion
30 Tage kostenlos testen
Sie sind bereits Abonnent von BioHandel+? Dann können Sie sich hier anmelden.

Auch interessant: