Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Strategien für die Post-Corona-Zeit

Wie Bio-Händler auf das Ende des Umsatz-Booms reagieren

Der Riesen-Boom ist erstmal vorbei: Die coronabedingten Umsatzrekorde im Bio-Handel sind abgeflaut. Jetzt steht eine Umbruch-Phase an. Wie löst die Branche diese Herausforderung? Wie können neue Kunden gewonnen und alte gehalten werden? Ein Einblick in die Pläne großer Ketten und inhabergeführter Läden für 2022.

Am Anfang ging die Schlange einmal die Straße runter. „Da haben wir uns gefragt: was ist denn hier jetzt los? Die kamen alle zu uns. Ich bin überhaupt nicht mehr zum Einräumen gekommen!“ Sabine Maas kann sich genau erinnern. Die Inhaberin vom Grünen Laden in Berlin-Moabit sitzt im grauen Norwegerpulli auf der Holzbank vor ihrem Eck-Laden mit Blick auf die winterliche Spree und lässt die Corona-Anfangszeit Revue passieren „Das war auch anstrengend. Aber ich bin stolz, dass wir das so gut geschafft haben. Ich habe jedem im Team einen Corona-Bonus gezahlt. Ohne die hätte ich es nicht geschafft.“

Auf 90 Quadratmetern bietet Maas ihren Kundinnen und Kunden das komplette Bio-Sortiment an – mit viel Liebe zur Qualität. Highlights sind die sehr umfangreiche und frische Obst- und Gemüse-Auswahl und eine große Käsetheke. „Wein und Spirituosen gehen auch sehr gut. Da haben wir während der Pandemie von einem Regalfach auf fünf aufgerüstet.“ Ihr Umsatz ist insgesamt um 30 Prozent gestiegen, Obst und Gemüse waren abends oft komplett leer, in der Hochphase mussten auch ihr Sohn und seine Freunde mit ran.

Die große Stärke des Grünen Ladens: Er ist tief im Kiez verwurzelt. Alle paar Minuten grüßt Sabine Maas mit ihrer herzlichen Ruhrpott-Art vorbeilaufende Menschen. Man merkt: Die Verbindung zum Viertel ist eng. „Wir haben 90 Prozent Stammkunden. Einige sind in der Corona-Zeit auch nur zu uns gekommen, um zu quatschen.“

Umsatzzahlen sind rückläufig

Und wie geht’s jetzt weiter? „Ich habe das Gefühl, dass der Laden um die Ecke wieder wichtiger wird für die Menschen. Auch als sozialer Treffpunkt im Kiez“, meint Maas. Besondere Aktionen, um die neu gewonnenen Kunden zu halten, plant sie nicht. „Wir wollen mit Qualität und Freundlichkeit punkten. Diese Apfel-Auswahl bekommst du zum Beispiel nur bei uns. Bei Rosenkohl warten wir immer auf den aus Deutschland. Und wir haben alles da, auf kleiner Fläche – man muss gar nicht mehr woanders hin.“

Aber Maas ist auch realistisch: „Ich hoffe zwar, dass dieser Trend, mehr zu Hause zu kochen, dieses Zusammenrücken, anhält. Aber, wenn Corona vorbei ist, kann auch schnell wieder der normale Trott kommen.“

Die Zahlen deuten das jetzt schon an. Die Geschäfte im 3. Quartal 2021 waren rückläufig. Laut des BioHandel Umsatzbarometers ging der Umsatz allein im September 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,6 Prozent zurück. Auch August und Juli waren rückläufig. So einen kompletten Minus-Trend innerhalb eines Quartals gab es zuletzt Anfang 2017.

Allerdings hat das Jahr 2020 durch die Rekord-Umsätze in der ersten Corona-Phase auch ein sehr hohes Vergleichs-Niveau. Trotzdem: Das Konsumverhalten normalisiert sich wieder. Einige neue Kundinnen und Kunden bleiben den Bioläden erhalten, andere springen ab.

Wie plant die Branche generell in dieser Umbruch-Phase? Wie kann der Boom vielleicht doch noch nachhaltig gehalten werden? Was ist die Perspektive für 2022?

Kundenbindung durch Bonusprogramme

„Wir wollen mehr auf Inhalte setzen. Also weniger über den Preis locken, sondern mit Content. Den Kunden Bio erzählen“, erklärt Katrin Ahmann von SuperBioMarkt aus Nordrhein-Westfalen. Über 30 Filialen betreibt die Kette mit Schwerpunkten in Münster, Düsseldorf und Dortmund. Fürs nächste Jahr rechnet SuperBioMarkt mit einem moderaten Wachstum. „In der ersten Jahreshälfte wird es schwierig die „lockdownbedingten“ Umsätze zu halten. Aber für die Zeit ab Juni sehen wir gute Perspektiven.“

Ein großer Pluspunkt bei der Kundenbindung ist laut Ahmann das Oekobonus-Programm. „Das war absolut zielführend! Genau wie die neu ausgearbeitete Kundenreise, bei der unsere Mitarbeiter an jeder Station oder Fachabteilung in der Filiale einen Mindeststandard an Service liefern. Dafür werden sie in Einzelcoachings trainiert.“

Das Oekobonus-Programm ist ein Gemeinschafts-Programm mit der GLS Bank und ebl Naturkost. Bei jedem Einkauf sammeln die Kunden dabei sogenannte „Bees“. Ein Euro entspricht einem Bee. Jeder Bee kann beim nächsten Einkauf mit einem Cent verrechnet werden, oder die Kunden spenden an soziale Projekte. Spezielle Coupons ergänzen das Programm.

Dass Kundenprogramme ein Schlüssel sein dürften, um neu gewonnene Kunden zu halten, zeigen auch die Pläne von einem Big Player der Branche. Alnatura entwickelt gerade ganz frisch ein eigenes Programm. „Mit ‚Mein Alnatura‘ wollen wir die Verbindungen zu den Kundinnen und Kunden intensivieren“, so Verena Jäger, die bei Alnatura die Abteilung Kundenverbindung und Digitale Innovation leitet. Kunden, die sich online für „Mein Alnatura“ registrieren, finden dort ihren „persönlichen Bereich“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Und: „Hier können Sie Produkte testen oder Ihre persönlichen Lieblingsrezepte sammeln.“

Während Alnatura 2019/20 um 19,6 Prozent zulegte und im zurückliegenden Geschäftsjahr den Umsatz um sieben Prozent auf 1,15 Milliarden Euro steigern konnte, ist die Prognose für 2021/22 „ein nicht großes einstelliges Plus“. Das sagte Gründer Götz Rehn bei der Jahrespressekonferenz des Unternehmens Anfang Dezember.

Zuletzt lief es für „die Großen“ besonders gut. Das zeigt ein Blick auf die Marktverteilung in der Branche. Der Anteil der Bio-Supermärkte verdoppelte sich zwischen 2012 und 2021 von 17 auf 34 Prozent (siehe Tabelle). Jedes vierte Bio-Geschäft gehört mittlerweile zu einer der großen Ketten Denns, Alnatura, BioCompany, SuperBioMarkt, ebl oder Basic. Die größten Filial-Zuwächse haben Denns (+233 Prozent) und BioCompany (+117 Prozent).

Letztere sorgten im Herbst mit ihrer Retro-Kampagne „Aus Berlin seit 1999“ für Aufmerksamkeit. Der Schwerpunkt: Plakate mit Sprüchen wie „Wir waren schon nachhaltig, da habt ihr noch Drogen genommen“ oder „Bio verkaufen, bevor es jemand wollte“ im Vintage-Stil. Ergänzt wurde der PR-Move mit bunten T-Shirts fürs Verkaufs-Personal, einer Retro-Website und einer Spotify-Playlist mit 90er Hits.

„Die Retro-Kampagne soll potenziellen Kunden und vor allem jungen Menschen verdeutlichen, dass wir seit über 20 Jahren wirklich für Bio und Nachhaltigkeit leben und arbeiten. Das unterscheidet uns von denen, die Bio als Trend oder Hype verstehen, nur um daraus Profit zu schlagen. Außerdem war es nach den anstrengenden Wochen der Pandemie und der Wahlen auch mal wieder Zeit für etwas Leichtes und Lustiges“, erklärt Boris Frank, Vorstand Einkauf und Marketing bei BioCompany.

Spezielle Aktionen, um die Kundinnen und Kunden zu binden, planen die Berliner laut Frank nicht. „Bei uns wird es keine aggressiven Preisaktionen wie bei anderen Lebensmittelhändlern geben. Ein Preisdumping schadet nur allen.“ Stattdessen setze man auf innovative Ideen wie das Mehrwegsystem Pfabo für Mitnahmegerichte. Perspektivisch wolle man weiter „organisch wachsen“. „Die Mitarbeiter sind sehr zusammengewachsen und haben schier Großartiges geleistet. Dafür sind wir sehr dankbar und sehen uns für weitere Herausforderungen auch recht gut aufgestellt“, so Frank.

Experte sieht Potenzial – mahnt aber auch

Kein künstliches Ge-Hype, keine aktionsgetriebene Strategie – auch der BioMarkt Verbund setzt auf einen nachhaltigen Kurs. „Wir verstehen Bio als Lebensaufgabe, nicht als Hype“, so Kommunikationschef Lukas Nossol. „Wir wollen die ökologische Bewegung zukunftssicher weiterentwickeln: Gemeinsam mit den vielen Bio-Landwirten, Erzeugern, Händlern und natürlich unseren Kunden, ohne die es nicht geht.“ Ziel sei es, die Verbindungen zur Kundschaft zu festigen, so Nossol weiter. „Nicht aktionsgetrieben, sondern nachhaltig als guter und verlässlicher Partner.“ Die überzeugendsten Punkte pro Bio sind laut Nossol die Qualität und das Engagement für Umwelt und Klima.

Genau da setzt auch die Prognose von Marktforschungs-Experte Frank Quiring vom Rheingold-Institut an. Er glaubt: „Bio wird nach Corona noch relevanter werden“. Das liege neben den „Corona-Effekten“ wie einem gesteigerten Gesundheitsfokus auch an der sich verschärfenden klimatischen Lage, den Berichterstattungen dazu, dem zunehmenden Bewusstsein über Abholzungen, Tierwohl und fairen Handel.

„Bio im Fachhandel ist eingebunden in eine Gesinnung“

Was verbinden Kunden mit dem Bio-Fachhandel – und wie kommen sie dazu, von konventionellen Märkten dorthin zu wechseln? Frank Quiring hat dazu im Auftrag von BioHandel am Rheingold Institut geforscht.

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Skandalberichte wie zuletzt in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zum Tierwohl im Bio-Bereich könnten die Leute aber auch verunsichern, vermutet Quiring. „Entweder die Leute sagen dann ‚Ach, Bio ist auch nicht viel besser als konventionell, dann kaufe ich doch wieder konventionell und spare Geld‘ oder die Konsumenten suchen nach Bio, das verlässlich ist: Das führt dann zu verlässlichen Siegeln wie Demeter oder Bioland, aber auch mehr in den Fachhandel, da ist immer Verlass auf die Qualität.“

Regionalität und Transparenz werden laut Quiring nochmal an Bedeutung gewinnen. „Es wird wichtiger, als Kunde ein moralisch gutes Gefühl zu haben.“ Heißt für den Handel: in Bio geschulte Mitarbeitende, gute Behandlung etwa durch faire Löhne auch für Lieferanten. Durch die boomende Online-Berichterstattung bekomme gerade die „Generation Z“ sofort mit, wenn etwas nicht stimme.

Zunehmende Konkurrenz für Abo-Lieferdienste

Regionalität – das ist vor allem bei Bio-Lieferdiensten der USP. Die Bestellzahlen für Kisten vom Ökodorf Brodowin bei Eberswalde schossen in der Corona-Zeit durch die Decke. „Wir hatten im Sommer 2021 mit 3.900 Kunden unser Allzeit-Hoch“, so Sprecherin Franziska Rutscher. Danach ging es – auch durch die vielen Herbst-Urlauber – deutlich nach unten auf nur noch 2.500. Richtung Weihachten folgte dann wieder eine Stabilisierung. „Es war ein Auf und Ab und stellenweise sehr schwer zu planen“, so Rutscher.

Diese Unsicherheit wird sich aus ihrer Sicht auch in 2022 fortsetzen. „Es ist ganz viel Rätselraten. Wir wollen möglichst flexibel bleiben und mit allem rechnen.“ Das Team soll zusammengehalten werden, um verlässlich arbeiten und liefern zu können. Online-Auftritt und Bestell-Prozess sollen mit Hilfe von außen nochmal professioneller gestaltet werden. Denn die Konkurrenz schläft nicht. „Durch Corona haben ganz viele das Lieferding entdeckt“, so Rutscher. Gorillas, Flink und Flaschenpost haben sich in Berlin in den Markt gekämpft, neue Angebote wie der Unverpackt-Lieferdienst Alpakas kommen dazu. „Die werden sich nicht alle halten, aber wir müssen natürlich trotzdem noch mehr mit unseren ureigenen Stärken punkten“, so Rutscher.

Bio übers Internet zu bestellen wird immer einfacher

Wie viele andere Bio-Fachhandelsmarken vertreibt seit kurzem auch der Öl-Hersteller Bio Planète seine Produkte zusätzlich über einen eigenen Webshop. Inzwischen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Bio-Ware online zu ordern.

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Persönlich ansprechbar sein, auch mal zum Geburtstag gratulieren und die Kundinnen und Kunden mit Aktionen wie italienische oder bayerische Wochen binden – das sind die Bausteine des Ökodorfs Brodowin. „Wir wollen der Online-Supermarkt des Vertrauens sein.“

Die Märkische Kiste erweitert derzeit eine Halle, um den steigenden Kundenanfragen gerecht werden zu können. Außerdem arbeitet sie am Relaunch ihres Webshops. Durch Befragungen will der Betrieb seine Kunden am Entwicklungsprozess teilhaben lassen. „Den stetig wachsenden und sich ändernden Herausforderungen muss man sich stellen und immer wieder spontane Entscheidungen treffen, um die Stabilität in den Geschäftsprozessen zu wahren“, teilt Heide Hambach, Assistentin der Geschäftsleitung, mit. Für 2022 erwartet sie ein Umsatzwachstum „von bis zu 20 Prozent“.

Was gut läuft, wird intensiviert

Und die etwas größeren Kleinen? Was planen die? Der 200-Quadratmeter-Laden Organics in Erfurt ist gut durch die Corona-Zeit gekommen. „Wir konnten in fast allen Monaten weiter zulegen“, berichtet Chefin Sabine Schrumpf. „Für 2022 denken wir, dass es so weiter geht.“ Was gut lief, soll intensiviert werden: „Bei uns sind das die Käsetheke, das Bistro mit seinem Mittagsangebot und die Probierstände“, so Schrumpf. Gerade letztere konnten durch Corona kaum noch stattfinden, sollen aber wiederkommen. Das Ambiente ist entscheidend. „Viel Holz und keine Metallregale. Das fällt den Leuten sofort auf.“ Auch eine gute Chemie im Team sei entscheidend, so Schrumpf.

Um Stammkunden zu binden hat der kleine Laden unweit vom Domplatz seit zwei Jahren ein Bonus-Programm aufgebaut, eine Stempelkarte mit zehn Abschnitten. Pro Einkauf im Wert von 25 Euro gibt es einen Stempel; wenn die Karte voll ist, gibt es beim nächsten Mal einen Rabatt in Höhe von fünf Euro. Daten werden keine erhoben. „Das wird sehr gut angenommen.

Es gab schon über 1.000 Einlösungen. Gerade, wenn man knapp unter 25 Euro liegt, legen viele noch schnell einen Schokoriegel dazu“, so Schrumpf. Außerdem gib es einmal pro Monat eine Aktion mit bestimmten Artikeln wie Tee-Kalender, die auch über die Online-Kanäle gestreut wird. Der erfolgversprechendste „Marketing-Trick“ ist in Erfurt laut Schrumpf allerdings ein Klassiker. „Mund-zu-Mund-Propaganda! Viele neue Kundinnen und Kunden kommen auf Empfehlung zu uns.“

Klassische Soft Skills werden eine große Rolle spielen

Vertrauen – da ist es wieder. Eins der Leitmotive bei der Frage „Wo geht die Reise in der Branche hin?“ Generell hat man das Gefühl: die klassischen Soft Skills werden eine große Rolle spielen: eine hohe Qualität, ein freundliches Team, eine nette Atmosphäre und eine enge Verbindung zur Kundschaft. Über den Preis soll es jedenfalls nicht gehen.

Ein weiterer Trend: Bonusprogramme. Ob Stempelkarten aus Papier oder die Kundenkarte mit einem Programm dahinter – die Bindung an den Laden oder die Filiale übers Punktesammeln ist sowohl bei den „Großen“ als auch bei kleineren Bio-Läden beliebt. Probieraktionen und Innovationen wie Pfandsysteme bei To-Go-Gerichten könnten abwechslungsreiche Ergänzungen werden. Um das Einkaufserlebnis zu steigern und zu zeigen „wir denken mit und sind modern“.

Am Ende wird’s aber vor allem über eins gehen: Ein besonderes Einkaufs-Gefühl zu liefern. Auch über Herzlichkeit und kleine Aufmerksamkeiten. So wie bei Sabine Maas in Berlin-Moabit: „Wenn ich sonntags im Laden einräume und jemand an der Tür klopft, weil die Sahne alle ist, dann gebe ich die einfach mit und sag‘ ‚Geld gibste mir nächste Woche‘.“

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