Christian Fenner, Mathias Tholey und Thomas Stoffels wollen die Lebensmittelindustrie revolutionieren. Mit ihrem Start-up The Nu-Company bitten sie am kommenden Donnerstag die großen Player unter den Süßwarenherstellern zum „Schokoriegel-Gipfel“ in Leipzig an einen Tisch. Zur Debatte steht ein Reinheitsgebot für Schokoriegel, das unter anderem einen reduzierten Zuckergehalt vorsieht.
Das Bio-Unternehmen, an dem auch der ehemalige Formel-1-Star und Investor Nico Rosberg beteiligt ist, hat sich auf Schokoriegel spezialisiert, die deutlich weniger Zucker enthalten als vergleichbare Produkte. Im Handel gibt es die „Nucao“ getauften Riegel unter anderem bei Rewe und der Drogeriemarktkette DM.
Bereits im vergangenen Jahr fuhr The Nu-Company eine Kampagne gegen die Politik von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). „Wir können nicht akzeptieren, dass die Politik Lobbyarbeit für Lebensmittel betreibt, die völlig überzuckert sind”, sagte Mit-Gründer Mathias Tholey damals.
In einem offenen Brief, den das Magazin „Der Spiegel" und die „Lebensmittelzeitung" veröffentlicht hatten, forderte das Start-up unter anderem die Einführung einer Zuckersteuer. Kritisiert wurden darin neben dem nach Meinung des Unternehmens hohen Zuckergehalt von Massenprodukten auch die CO2-Bilanzen der dahinter stehenden Lebensmittelkonzerne und deren Umgang mit Einweg-Plastik.
Was ist das Reinheitsgebot für Schokoriegel?
Mit einem sechs Punkte umfassenden Reinheitsgebot für Schokoriegel hat The Nu-Company seine Forderungen an die Lebensmittelindustrie nun weiter präzisiert (siehe Infobox). Den bisherigen Konfrontationskurs hat das Start-up jedoch beendet und setzt mit dem Schokoriegel-Gipfel stattdessen auf Dialogbereitschaft.
Reinheitsgebot für Schokoriegel
- Zuckergehalt in Schokoriegeln um mindestens 30 Prozent reduzieren.
- Einwegplastikverpackungen durch heim-kompostierbaren Materialien oder Papier ersetzen.
- Tierische Zutaten wie Milchpulver durch pflanzliche Alternativen ersetzen.
- Transparenz in der Zutatenliste schaffen durch wenig verarbeitete und möglichst natürliche Zutaten.
- Kinderarbeit bei Kakaolieferanten vollständig bekämpfen.
- Klimaneutralität oder -positivität der Produkte erreichen.
Eingeladen hatte das Bio-Unternehmen Großkonzerne wie Nestlé, Storck, Ferrero, Mars, Barry Callebaut, Lindt & Sprüngli, Mondelez, Bahlsen, Gourvita, Hachez und Lambertz.
Mit Christian Fenner, Mitgründer und Head of Marketing bei The Nu-Company, hat BioHandel über das Reinheitsgebot für Schokoriegel gesprochen.
Interview mit Christian Fenner, The Nu-Company
Christian Fenner, angenommen, ich bin Bio-Händlerin und werde im Laden gefragt, was es mit dem Reinheitsgebot für Schokoriegel auf sich hat. Was antworte ich?
Erstmal ist das eine Idee, um alle Schokoladenhersteller an einen Tisch zu bringen. Wir wollen mit ihnen über Themen sprechen, durch die unsere Lebensmittelindustrie und die dazugehörige Schokoladenindustrie gesünder und nachhaltiger werden kann: fairer Handel, Zuckerreduktion, plastikfreie Verpackungen, Klimaneutralität und Klimapositivität, mehr pflanzliche Alternativen und natürliche Zutaten, die man auch als Verbraucher verstehen kann.
Dafür braucht es ein Reinheitsgebot?
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum es für Bier ein Reinheitsgebot gibt, nicht aber für die Süßwarenindustrie? Genau diese Frage haben wir uns gestellt und fordern in unserer aktuellen deutschlandweiten Kampagne gewisse gesundheitliche und nachhaltige Standards auch von Wettbewerbern in der Süßwarenindustrie. Jeder mit gesundem Menschenverstand würde doch sagen: Ja, ein Schoko-Riegel sollte nicht den Menschen auf den Kakaoplantagen schaden, er sollte nicht der Umwelt schaden, er sollte nicht Krankheiten fördern – und trotzdem ist all das der Fall.
Warum sind The Nu-Company die insgesamt sechs Punkte (siehe Infobox oben) so wichtig?
Seit der Gründung sind uns Themen wie Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sehr wichtig, sowohl was Menschen angeht als auch Tiere, und auch die Generationengerechtigkeit für die Zukunft. Es ist an der Zeit, dass man auch bei Lebensmitteln genau hinschaut und gerecht handelt, sodass weder der Planet noch Tiere noch Menschen ausgebeutet werden.
Das wäre nicht nur bei der Schokoriegel-Produktion wünschenswert.
Das stimmt. Wir fangen mit dem Schokoriegel an, weil es unser Hauptprodukt ist. Aber natürlich soll es zum Leuchtturm werden für weitere Produkte. Und ich meine, wenn es die Menschheit nicht mal mit einem Schokoriegel schafft, wie sollen dann die großen Probleme gelöst werden?
Ich habe hier drei unterschiedliche Schokoriegel: einen konventionellen, einen Bio-Riegel und einen Nucao-Riegel von The Nu-Company. Erfüllt einer davon das Reinheitsgebot?
Ich weiß jetzt nicht, was in dem Bio-Riegel drin ist, aber einer davon auf jeden Fall, ja.
Den Bio-Riegel schauen wir uns gleich noch genauer an.
Also unser Nucao-Riegel erfüllt das Reinheitsgebot. Aber wir wollen damit nicht sagen, dass wir alles schon hundert Prozent perfekt machen.
Christian Fenner, Mitgründer und Head of Marketing bei The Nu-Company: „Wenn es die Menschheit nicht mal mit einem Schokoriegel schafft, wie sollen dann die großen Probleme gelöst werden?“
„Bio-Qualität ist für uns unerlässlich“
Die Kampagne adressiert vor allem die großen konventionellen Player aus der Lebensmittelbranche. Machen Bio-Hersteller schon vieles richtig?
Ja, auf jeden Fall. Bio-Qualität ist für uns schon allein aus Biodiversitätsgründen unerlässlich. Bei den anderen Kriterien aus unserem Reinheitsgebot kommt es auf den Hersteller an. Beim Zuckergehalt ist absolut noch Luft nach oben und auch im Bio-Handel gibt es noch viel zu viele Plastikverpackungen.
Der Nucao-Schokoriegel, den ich hier habe, enthält laut Verpackungsangabe „65 Prozent weniger Zucker“. Auf was bezieht sich der Vergleich?
Gemeint ist ein herkömmlicher Schokoriegel mit einer ähnlichen Kalorienanzahl. Der Standard-Zuckergehalt bei Schokoriegeln liegt bei etwa 50 Prozent. Unsere Riegel kommen nur auf 15 bis 17 Prozent Zucker.
Dieser Riegel hier aus dem konventionellen Regal enthält sogar 62 Gramm Zucker pro 100 Gramm. Schmeckt er der Zielgruppe auch noch mit deutlich weniger Zuckergehalt?
Das muss man sehen. Wir merken auch, dass viele, die unsere Riegel probieren, den Geschmack erst einmal gewöhnungsbedürftig finden. Nach dem zweiten oder dritten haben sie sich an die geringere Süße gewöhnt. Die Zuckerreduktion ist ein gesellschaftlicher Prozess. Wir sind auch nicht so naiv zu glauben, dass die großen Player von heute auf morgen den Zucker reduzieren. Für sie spricht ja auch vieles für Zucker: Er ist günstig, schmeckt jedem Kind und macht süchtig.
Wie will The Nu-Company die großen Hersteller trotzdem überzeugen, weniger Zucker zu verarbeiten?
Konzerne könnten für den Übergang neue Marken mit weniger Zucker auf den Markt bringen, die ähnlich wie vegane Ersatzprodukte funktionieren, und den gesellschaftlichen Weg zu weniger Zuckerkonsum ebnen. Wir beraten da auch gerne. Aber eigentlich sagen wir, es braucht eine Zuckersteuer, damit sich das Problem marktregulatorisch regelt.
Lässt The Nu-Company den Zucker im Nucao-Riegel einfach weg?
Er wird im Prinzip ersetzt. Also nicht durch Süßungsmittel oder dergleichen, das entspricht nicht unseren Maximen der Natürlichkeit, aber wir haben eben Zucker rausgenommen. Stattdessen sind Hanfsamen drin, Acerola, Erdmandelmehl, Mandeln und Haselnüsse. Und ansonsten süßen wir mit Kokosblütenzucker, wobei es auch normaler Zucker sein könnte. Uns geht es dabei um die Menge.
Und wie steht es mit der Verpackung? Nach dem geforderten Reinheitsgebot sollen nur noch heim-kompostierbare Materialien oder Papier verwendet werden. Worin ist mein Nucao-Riegel hier gewickelt?
Unsere Riegel sind in heim-kompostierbarer Folie aus Zellulose und Papier verpackt. Alle eingesetzten Materialien sind zertifiziert kompostierbar und werden in natürlicher und industrieller Umgebung in H2O, CO2 und Biomasse zersetzt. Damit lässt sich der natürliche biologische Kreislauf schließen und ein neuer Standard in einer Zero-Waste-Economy setzen. Die Dauer des Kompostierungsprozesses hängt stark von den Umgebungsbedingungen ab. Je wärmer, feuchter und bioaktiver das Milieu, desto schneller wird das Material assimiliert. Die Verpackung zersetzt sich in natürlicher Umgebung innerhalb von 42 bis 180 Tagen.
„Es ist unnötig, Milchprodukte zu verwenden“
Die Zutatenlisten der drei Riegel hier sind sehr unterschiedlich. Der Bio-Riegel mit Keksstückchen enthält Rohrohrzucker, Vollmilchpulver, Kakaobutter, Mürbekeks und Kakaomasse. Der Keks besteht nochmal aus Rohrohrzucker, Sonnenblumenöl, Zuckerrübensirup und Meersalz. Was sagt The Nu-Company dazu?
Da ist viel Zucker drin und es ist Milchpulver enthalten. Es ist aus meiner Sicht unnötig Milchprodukte zu verwenden, weil der CO2-Abdruck von Milch wahnsinnig hoch ist, und es entsteht Tierleid. All das nur, damit die Schokolade ein bisschen cremiger ist. Wir sagen, das geht auch besser. Unser Riegel, den wir hier als Beispiel haben, ist mit Erdmandelmehl und der ist auch super cremig. Man muss nicht groß verzichten, um nachhaltiger zu konsumieren.
Der perfekte Schokoriegel ist also vegan?
Absolut.
Kinderarbeit ist im Kakaoanbau seit Jahrzehnten ein riesiges Problem. Hat das The Nu-Company in der eigenen Lieferkette im Griff?
Ja. Wir arbeiten mit einer zertifizierten Kakao-Kooperative aus Peru zusammen und stehen in Kontakt mit den Bauern-Familien. Leider waren wir aufgrund der Pandemie noch nicht dort, doch das werden wir nächstes Jahr nachholen. Man muss einfach vor Ort gewesen sein, um absolut sicher sein zu können.
Viele konventionelle Hersteller beziehen ihren Kakao aus Westafrika.
Ja, viel Kakao kommt aus Westafrika, wo die Probleme mit Kinderarbeit noch krasser sind. Dabei hat sich die Kakaoindustrie schon bis Mitte der 2000er Jahre auf die Beseitigung von Kinderarbeit festgelegt. Doch bis heute hat das nicht geklappt, nicht einmal ansatzweise. Das kritisieren wir und deshalb wollen wir darüber offen kommunizieren, und zeigen, wie man es besser machen kann.
Wenn es nach The Nu-Company geht, sollen alle Schokoriegel klimaneutral oder klimapositiv sein. Ist mein Nucao-Riegel hier klimapositiv?
Ist er, ja.
Wie geht das?
Wir pflanzen für jedes verkaufte Produkt einen Baum, vor allem Mangroven in Madagascar. Mangroven binden viermal mehr CO2 als ein tropischer Baum und das 700-fache der Emissionen, die ein Nucao-Riegel entlang seiner ganzen Wertschöpfungskette emittiert.
Ist The Nu-Company auch klimaneutral zertifiziert?
Wir haben uns jetzt zusätzlich über Climate Partner klimaneutral zertifizieren lassen, damit wir das auch offiziell sagen dürfen, ja.
„Bahlsen würde gerne mit uns ein Produkt kreieren“
Klingt nach einem Vorbild-Riegel, den ich hier habe. Folgt in Zukunft jede Menge Konkurrenz?
Die ist eh schon da. Wir haben uns als Mission gesetzt, dass jedes unserer Produkte ein Signal für eine bessere Welt sein kann. Da Nucao geschmacklich und mit den Zutaten relativ speziell ist, und wir eine starke Marke drumherum bauen, machen wir uns da keine Sorgen.
Werden sich die großen Hersteller auf eure Forderungen einlassen? Was ist von den Gesprächen beim Schokoriegel-Gipfel am Donnerstag zu erwarten?
Wir erwarten erst einmal Gesprächsbereitschaft und eine offene Kommunikationskultur. Dass wir uns fragen, ob wir uns vielleicht auch gegenseitig helfen können, um die Ziele zu erreichen. Wünschenswert wäre eine freiwillige Selbstverpflichtung, die man dann auch Schokoriegel-Reinheitsgebot nennen kann, und die alle unterschreiben. Aber das scheint noch ein weiter Weg.
Wer hat bislang zugesagt?
Wir haben jetzt vier Firmen, die kommen. Viele von den großen haben abgesagt oder sich nicht gemeldet. Von den Großen ist bislang nur Bahlsen dabei und davon erhoffen wir uns einen offenen Dialog und eventuell sogar eine Zusammenarbeit.
Eine Zusammenarbeit inwiefern?
Während sich die meisten Konzerne auffällig unauffällig auf unsere Einladung zum Schokoriegel-Gipfel verhalten, wagte sich das Familienunternehmen Bahlsen als erstes zum Dialog, und das öffentlich auf Linkedin. Gleichzeitig würde Bahlsen gerne gemeinsam mit uns ein Produkt kreieren. „Habt Ihr Lust mit uns ein Produkt zu machen? Vielleicht können wir gemeinsam mehr erreichen“, haben sie gefragt. Das finden wir sehr spannend.
Vielen Dank für das Gespräch.
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