Biohandel

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CO2-Bilanz

Warum Mehrweg nicht immer die klimafreundlichste Verpackungslösung ist

Eine aktuelle Studie zeigt: Einwegverpackungen haben bei bestimmten Produkten eine bessere Klimabilanz als Mehrweg-Pfandgläser. Welche Produkte das betrifft, woran das liegt und wie die Branche darauf reagiert.

„Dass Plastik per se schlecht ist und Mehrweg immer super, stimmt nicht!“ Alina Schmidt muss es wissen. Sie arbeitet für das Forschungsprojekt Innoredux des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Instituts für Energie- und Umweltforschung (Ifeu). Das Projektteam hat verschiedene Produktgruppen und ihre Verpackungsmöglichkeiten untersucht, um herauszufinden, welche Verpackungsform die beste CO2-Bilanz hat. Neben dem Energieaufwand bei der Herstellung sind in die Berechnung auch Faktoren wie der Transport mit eingeflossen.

Auf den ersten Blick kommen die Forscher zu einer überraschende Erkenntnis: Bei trockenen Lebensmitteln wie Mandeln oder Nudeln sind Mehrweg-Pfandgläser in Punkto Ökobilanz nicht die beste Variante. „Das liegt zum einen an der geringen Produktdichte und dem verschenkten Platz", erklärt Schmidt. „Ein schweres Glas für wenige Nüsse ist ökologisch ineffizient. Und: Das System dahinter verbraucht viel Energie, mit Abwasch, Transport und der energieaufwendigen Produktion des Blechdeckels.“ Das bedeutet: Nudeln und Mandeln sind mit Blick auf die Ökobilanz in leichten Plastikverpackungen besser aufgehoben oder landen am besten ganz unverpackt in mitgebrachten Behältern.

Einwegverbundkarton und Plastikfolie mitunter besser als Glas

Bei einem Klassiker der schnellen Pasta-Küche sieht das ähnlich aus. Passierte Tomaten im Einwegverbundkarton haben die beste Verpackungs-CO2-Bilanz – verursachen allerdings mehr Müll. Expertin Alina Schmidt: „Bei der Müllmenge schneidet das Pfandglas besser ab, wenn es viele Umläufe hat. Auch in der Klimabilanz steht es dann fast genauso gut da. Das Einweg-Glas hat dagegen die schlechtesten Werte, weil die Glasproduktion viel Energie frisst!“

Gerade bei Passata sei das Glas also sehr trügerisch, so Schmidt. „Viele greifen zum Einwegglas, weil sie denken „ist besser für die Umwelt“. Das stimmt so pauschal aber oft nicht.“ Ein interessanter Punkt, der oft übersehen wird: Auch die Logistik spielt eine Rolle. Der Einwegverbundkarton lässt sich zum Beispiel platzsparender stapeln. Das macht die Abläufe und den Transport effizienter.

Auch Käse-Verpackungen haben die Experten untersucht. Der Ökobilanz-Sieger hier: die ganz dünne Einwegplastikhülle, die man von der Frischetheke und abgepackten Käsestücken kennt.

„Käse braucht einen hohen Produktschutz, weil er sonst schneller abläuft. Es bringt ja nichts, wenn wir bei der Verpackung aus Klimagründen sparen und den Käse dann aber wegwerfen müssen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Gut seien auch hier Unverpackt-Lösungen wie eigene Käseboxen. Auf rot steht die Klima-Ampel im Vergleich dazu bei Einwegkunststoffschalen oder Schalen aus beschichteter Pappe.

Alnatura will Einweggläser reduzieren

Wie reagiert die Bio-Branche, die inzwischen verstärkt auf Mehrweglösungen setzt, auf die neue Studie? „Uns überrascht das Ergebnis nicht“, sagt Constanze Klengel, Pressesprecherin bei Alnatura. „Unser Verpackungsteam beschäftigt sich schon seit Jahren mit Ökobilanzen. Deswegen ist für uns klar, dass Mehrweg nur dann Sinn macht, wenn es schwere Einwegverpackungen ersetzt.“

Erst letztes Jahr hatte die Bio-Supermarktkette unter der Marke „Pfandwerk“ Produkte wie Linsen, Reis oder auch Passata in Mehrweggläsern ins Sortiment aufgenommen. Der Bereich soll wachsen – aber mit bestimmten Kriterien. „Bei der Ausweitung wollen wir perspektivisch einen Schwerpunkt auf Produkte legen, die sonst beispielsweise im Einwegglas angeboten würden“, so Klengel.

Voelkel: „Mehrweg-Systeme ausbauen“

Einer der großen Mehrweg-Pioniere in der Branche, Saftproduzent Voelkel, sieht Studienergebnisse wie die von IÖW und Ifeu ebenfalls entspannt. „Es hängt auch immer davon ab, welche Faktoren genau betrachtet werden, zum Beispiel Gewicht oder Distanzen“, erklärt Co-Geschäftsführer Jacob Voelkel. „Unsere Flaschen können bis zu 50 Mal wieder befüllt werden und es kommen keine unerwünschten Stoffe in den Saft. Das ist uns wichtig.“

Es gehe auch nicht nur um die Ökobilanz, sondern darum, dass Mikroplastik aus Einwegverpackungen in Flüssen und Meeren lande. „Glasscherben sind kein Problem, die werden irgendwann zu Sand“, so Voelkel.

Das Kunden-Feedback gibt dem Safthersteller recht: Der letztes Jahr eingeführte Haferdrink in der Glasflasche war die erfolgreichste Produktneuheit der Firmengeschichte. „Mehrweg-Systeme müssen insgesamt ausgebaut werden, um die Wege dahinter noch kürzer zu machen“, sagt Voelkel. „Unser Appell an den Handel ist deshalb: bitte nehmt den Mehraufwand für Pfandsysteme auf euch und helft damit, natürliche Ressourcen zu schonen.“

Schutz des Lebensmittels hat oberste Priorität

Auf den Mehrweg-Zug aufgesprungen ist vor kurzem auch die Supermarkt-Kette Tegut. Seit Mitte April können Kunden mehr als 20 vegane Bio-Lebensmittel wie Basmatireis, Kakao oder Ketchup im Pfandglas kaufen. „Wir schauen uns solche Forschungsergebnisse natürlich genau an und prüfen, wie relevant das für uns ist“, sagt Tegut-Sprecher Matthias Pusch.

Insgesamt setze man darauf, Verpackungen zu reduzieren und alternative Konzepte an den Start zu bringen. Die Resonanz auf die Pfandgläser sei groß, so Pusch. „Die Kunden haben das Angebot vom ersten Tag an sehr gut angenommen.“

Wo geht die Reise also hin? Verpackungs-Expertin Alina Schmidt empfiehlt eine klassische Einzelfall-Bewertung. „Es gibt keine einfache Antwort. Man muss von Produkt zu Produkt schauen, was Sinn macht“. Priorität habe immer, dass Käse, passierte Tomaten und Co. gut geschützt sind, statt aus Klimaschutzgründen bei der Verpackung zu sparen und dann die Haltbarkeit zu gefährden.

Mitgebrachte Behälter sind fast immer beste Wahl

Eine Variante hat aber fast immer die beste CO2-Bilanz: „Wenn es das Produkt zulässt, sind Unverpackt-Lösungen, bei denen die Kundinnen und Kunden ihre eigenen Behälter mitbringen, ganz oft der klimaschonendste Weg. Allerdings müssen die auch wirklich intensiv genutzt werden.“

In mehreren Supermärkten und Unverpackt-Läden in Heidelberg informiert das Forschungs-Team aktuell Verbraucher über verschiedene Verpackungsoptionen. Das Feedback sei positiv, so Schmidt. „Die Leute freuen sich, weil sich viele ja auch für die richtige Verpackung entscheiden wollen, aber oft die Information fehlt.“

Klar ist aber auch: Die Verpackung spielt zwar eine wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle bei der Klimabilanz eines Produktes. Deswegen sollte man auch nicht nur darauf achten, so Schmidt. Beim Kaufen sei auch wichtig, ob die Ware Saison habe oder aus der Region komme.

Weiterführende Informationen zum Thema:

Forschungsprojekt Innoredux – Ökobilanzen verschiedener Verpackungsformen

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