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Herbizideinsatz

Warum ein rein deutsches Glyphosat-Verbot nicht viel bringen könnte

Im Herbst stimmen die EU-Staaten über eine erneute Zulassung von Glyphosat ab. Darf das Totalherbizid weiter verwendet werden, hätte das Folgen für das geplante Glyphosat-Verbot in Deutschland. Eine Aufklärungskampagne soll das verhindern.

Die Zulassungsgeschichte von Glyphosat, dem weltweit am weitesten verbreiteten Herbizid, gleicht einem schlechten Krimi. Obwohl das Unkrautvernichtungsmittel unsere Umwelt vergiftet, die Artenvielfalt, unsere Böden und unsere Gesundheit bedroht, wurde seine Zulassung 2017 zunächst um weitere fünf Jahre verlängert. 2022 erfolgte erneut ein Aufschub bis Ende des Jahres.

Die Gründe dafür sind einerseits administrativer Natur, haben aber auch mit einer starken Agrarlobby zu tun, die nicht auf das Gift verzichten möchte. Im Herbst werden die EU-Staaten nun ein weiteres Mal darüber abstimmen, ob die Zulassung des Totalherbizids, das bereits 2015 von der Weltgesundheitsorganisation als potenziell krebserregend eingestuft wurde, verlängert wird. Glyphosat tötet alle grünen Pflanzenteile, die mit ihm in Berührung kommen. Deshalb wird es besonders vor der Aussaat auf die Felder gesprüht, um die Äcker von Unkraut zu befreien. Aber auch kurz vor der Ernte kommt es manchmal zum Einsatz, etwa um die Ernte zu erleichtern oder um das Reifwerden von Feldfrüchten zu beschleunigen.

Damit das Herbizid endgültig verboten wird, hat das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL) gemeinsam mit Greenpeace, dem Umweltinstitut München, Slowfood Deutschland und EKO eine Aufklärungs- und Mitmachkampagne inklusive Online-Petition initiiert, an der sich auch Nicht-Mitglieder des BEL und Privatpersonen beteiligen können.

„Jeder zusätzliche ökologisch bewirtschaftete Hektar kann dabei helfen, die Menge an Glyphosat, die hierzulande ausgebracht wird, zu verringern.“

Julia Schumacher, BEL

„Bio kaufen heißt Glyphosat stoppen“ lautet die Kernbotschaft der Kampagne. „Jeder zusätzliche ökologisch bewirtschaftete Hektar kann dabei helfen, die Menge an Glyphosat, die hierzulande ausgebracht wird, zu verringern. Denn Bio-Landwirte und Landwirtinnen verzichten auf den Einsatz synthetischer Pestizide“, sagt BEL-Sprecherin Julia Schumacher. „Jenseits bürokratischer Hürden und starker Agrar-Lobbys ist daher der einfachste Weg, Glyphosat vom Acker zu bekommen: Bio-Produkte zu kaufen.“

Insgesamt werden in Deutschland jährlich rund 4.000 Tonnen des Herbizids versprüht. Und das geht auch zulasten der ökologisch arbeitenden Landwirtschaftsbetriebe. Obwohl offiziell als „nicht flüchtig“ eingestuft, scheint sich das Gift auch über die Luft zu verbreiten: bei einer bundesweiten Auswertung wurde Glyphosat an allen Teststandorten nachgewiesen – mitunter weit jenseits seines Einsatzortes. Und 2015 wurden bei einer bundesweiten Feldstudie bei 99,6 Prozent von rund 2.000 Urinproben Glyphosat gefunden.

„Durch Abdrift von konventionellen Feldern oder anderweitige Kontamination kann es passieren, dass selbst Bio-Produkte Pestizid-Rückstände wie Glyphosat aufweisen. Die Bio-Branche führt daher regelmäßig teure Kontrollen und Analysen durch. Wenn Glyphosat endlich verboten wird, wäre das Kontaminationsrisiko und der Kostenaufwand für Bio deutlich geringer“, so Schumacher.

Mit großformatigen Plakaten wirbt das BEL für ein Ende der Glyphosat-Zulassung in der EU.

Kostenloses Infomaterial und Aufruf zur Anti-Glyphosat-Petition

Unter den Anwendern von Glyphosat ist laut verschiedener epidemiologischer Studien besonders das Risiko für Lymphdrüsenkrebs erhöht. Auch die Parkinson-Krankheit wird unter Landwirten mit Glyphosat in Verbindung gebracht.

In zehn von elf Studien, bei denen Tiere mit dem Mittel in Berührung kamen oder es ins Futter beigemischt wurde, stiegen die Tumorraten. Bei Ratten wurde zudem eine Schädigung der Darmflora, eine Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit und bei Fröschen und Hühnern Erbgutschädigungen mit Missbildungen bei Embryonen festgestellt. Vergleichbare Auswirkungen auf uns Menschen können nicht ausgeschlossen werden.

Um es möglichst vielen Unterstützern zu ermöglichen, sich gegen eine erneute Glyphosat-Zulassung einzusetzen, bietet das BEL auf seiner Webseite kostenlos Kampagnen-Material an – darunter Poster, Aufkleber und Unterschriftenflyer. „Die Kampagne ist für uns als kleines Bündnis sehr kostspielig. Aber das Anliegen ist uns so wichtig, dass wir auch an Nicht-Mitglieder kostenlos Material versenden. Für Spenden sind wir natürlich dennoch sehr dankbar“, so Julia Schumacher. Die Plakate wünscht sie sich vor allem in den Schaufenstern von Bioläden. Digitales Material für Social Media, Banner und ein Unterschriftentool für Webseiten wird das Bündnis ebenfalls zur Verfügung stellen.

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Pestizide sind eine Gefahr für die ganze Bio-Branche. Damit es gelingt, sie zu reduzieren, kommt es auf jeden einzelnen Bio-Betrieb an. Das Engagement lohnt sich schon aus Eigennutz.

Parallel zur Kampagne hat das BEL eine Online-Petition gestartet, mit der das Bündnis Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auffordern, in Brüssel gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu stimmen. „Dafür brauchen wir so viele Stimmen wie möglich. Gemeinsam wollen wir den starken, gesellschaftlichen Willen gegen das Ackergift zum Ausdruck bringen“, sagt Julia Schumacher.

Stimmen auf EU-Ebene mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren, gegen die Wiederzulassung, wird Glyphosat auf europäischer Ebene verboten. Als bevölkerungsreichstes Land hat die Stimme Deutschlands dabei also durchaus Gewicht.

Aber ist ein EU-weites Verbot des Herbizids überhaupt zwingend notwendig? Schließlich hat sich die aktuelle Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag auf Seite 46 darauf geeinigt, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen.

„Es ist noch unklar, ob ein nationales Anwendungsverbot überhaupt in Einklang mit dem europäischen Recht steht“, sagt BEL-Kampagnen-Managerin Alisa Hufsky. Und auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) schreibt auf seiner Internetseite, dass der Einsatz des Herbizids nicht komplett verhindert werden kann, solange der Wirkstoff in der EU genehmigt ist.

Glyphosat Verbot jetzt! - Stimmen aus der Bio-Branche

Das BEL hofft auf so viele Firmen wie möglich, die sich an der Anti-Glyphosat-Kampagne beteiligen. Mit dabei ist zum Beispiel der Biosupermarkt-Filialist Bio Company. Boris Frank ist dort Vorstand für Einkauf, Sortiment sowie Marketing und gleichzeitig auch BEL-Vorstandsvorsitzender. Er sagt: „Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass sich Glyphosat auch über die Luft verteilt und nicht auf dem Acker bleibt. Dies ist in den Zulassungsverfahren noch nicht berücksichtigt. Wir unterstützen daher die Petition gegen eine Wiederzulassung von Glyphosat und beteiligen uns mit Postern in den Läden sowie Beiträgen auf unserer Webseite, in unserem Newsletter und auf Social Media an der Anti-Glyphosat-Kampagne.“

Bio-Großhändler Naturkost Elkershausen begleitet die Kampagne medial und gibt Infos und Material an seine Fachhandelskunden weiter. „Wir sind von der guten Arbeit des Bündnisses im Kampf gegen Pestizide überzeugt und schon seit 2020 Unterstützerin. Wir nehmen dieses Thema sehr ernst und wollen das Ziel einer enkeltauglichen Landwirtschaft aktiv mitgestalten“, so Marketing-Verantwortliche Iris Kreykenbohm.

Und Kerstin Stromberg, Gründerin und Geschäftsführerin von Sodasan bekräftigt: „Pestizide wie Glyphosat sind mittlerweile überall zu finden. Allein eine Agrarwende hin zu einer ökologischen Landwirtschaft sichert gesunde Luft und Böden für die uns nachfolgenden Generationen. Als Waschmittelhersteller übernehmen wir Verantwortung und setzen wo immer möglich Rohstoffe aus biologischem Anbau ein. Die Anti-Glyphosat-Kampagne des Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft findet unsere volle Unterstützung!“

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