Wie kriegen wir frische Lebensmittel vom Hofladen im Nachbardorf auf direktem und effizienten Wege in die Supermärkte? Diese Frage stellte sich Finn Seidel, der zusammen mit Marius Mohr und Thomas Schuwald das Geschäftsführertrio von Lokora bildet. 2020 hat sich das Start-Up genau das zur Mission gemacht.
Die Firma aus Nürtingen (Baden-Württemberg) versteht sich dabei als „regionales Kooperationsnetzwerk mit einer Online-Plattform, die den Lebensmitteleinzelhandel und kleinbäuerliche Betriebe so zusammen bringt, dass diese sich effizient austauschen können“, sagt Finn Seidel. Durch Direktvermarktung werden Lieferketten beträchtlich verkürzt und Transportwege auf ein Minimum reduziert. Kunden und Kundinnen können dann im Supermarkt lokale und biologische und besonders frische Lebensmittel kaufen.
Beim Schreiben der Masterarbeit sind Finn und Thomas auf die Idee zu Lokora gekommen. Die beiden hatten regionale Vermarktungskonzepte analysiert und stellten dabei fest, dass viele Betriebe in dieser Hinsicht noch altertümlich arbeiten. Auf der Suche nach neuen Wegen für eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems haben sie Verbesserungspotenzial gesehen und ihr Konzept ausgetüftelt.
Bald holten sie sich Marius Mohr dazu, der mit Finn bereits ein anderes Start-Up gegründet hatte. Laurin Held und Felix Hennig aus Finns persönlichen Umfeld ergänzen das junge Team, welches sich auf der Website mit dem Slogan: „Wir sind jung und brauchen das Feld“ vorstellt. Der Name Lokora kommt von „lokal“ und „agora“ = griechisch für Markt(-platz).
Wie kommen nun die lokalen Lebensmittel in den Supermarkt? Produziert werden sie von meist kleineren Landwirtschaftsbetrieben, wie zum Beispiel dem Bio Gemüsehof Hörz. Einzige Bedingung: Der Betrieb darf nicht weiter als 30 Kilometer vom kooperierenden Supermarkt entfernt sein. Die Landwirte pflegen ihre Produkte in die Lokora-Plattform ein und stellen sie zur Abholung bereit. Bei Bedarf müssen einzelne Produkte noch verpackt werden.
Wenn eine Verpackung nicht vermeidbar ist, setzen Finn und seine Kollegen auf kompostierbare Materialien. Auch die Supermärkte nutzen die Lokora-Plattform und bestellen hier die gewünschten Produkte. Das Unternehmen arbeitet bisher mit selbstständigen Kaufleuten der dezentral organisierten Supermärkte Edeka und Rewe zusammen, da diese in ihrer Funktion als lokale Institution in besonderem Maße in die örtliche Community eingebunden sind.
Rund 60 Prozent der Produkte sind Bio-zertifiziert
Das Besondere an Lokora: Rund 60 Prozent der Produkte sind Bio-zertifiziert und werden als solche vermehrt nachgefragt, berichtet das Team. Finns Eindruck ist, dass es derzeit noch einfacher ist, lokale Ware aus konventionellem Anbau zu kaufen, als Ware in Bio- oder gar Demeter-Qualität. Dank Lokoras Zusammenarbeit mit vielen Bio-Betrieben können die beteiligten Supermärkte den Endkunden auch diese Produkte relativ einfach anbieten.
Hier kommt nun das Team von Lokora ins Spiel: Es holt die Produkte mit einem E-Lieferwagen an den umliegenden Höfen ab und bringt sie in die Märkte. Diese direkte Lieferung erspart viele Distributionsstufen und unnötige Wege über verschiedene Lagerstandorte und damit Kosten und CO2. Lokora hat oft Zugang zum hofeigenen Kühlhaus und kann die dort bereitgestellte Ware selbstständig abholen. Der Produzent kann sich so den Weg zum Großmarkt sparen und sich seinem Kerngeschäft, dem Anbau und der Produktion guter Lebensmittel, widmen.
Web-App als digitales Warenlager
Die Lokora-Plattform, über eine Web-App von überall aus zugänglich, spielt hier eine zentrale Rolle. Sie dient praktisch als „digitales Warenlager“ und ermöglicht einen leichten, niedrigschwelligen Bestellvorgang. „Das ist eigentlich für alle Benutzergruppen mit zwei, drei Klicks getan“, erklärt Marius stolz. Komplizierte Bestellvorgänge mit etlichen Telefonaten, E-Mails und Akquise neuer Lieferanten bleiben dem Bestellenden somit erspart. Lautb Lokora kann man unkompliziert aus einer breiten Produktpalette verschiedener Betriebe im Umland bestellen.
„Wir haben gerade Äpfel, Birnen, Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln, Weißkohl, Rotkohl, Lauch im Sortiment“, zählt Marius auf. Dank des vielfältigen Netzwerks an Erzeugern kann es auch mal sein, dass es drei Wochen lang Honigmelone oder Ingwer im Sortiment gibt - und das sogar in Bioland-Qualität. Solche Produkte, die im deutschen Lebensmitteleinzelhandel schwierig zu bekommen sind, bleiben nicht nur bedingt zugängliche Raritäten im Hofladen, sondern kommen dank des Start-ups auch in die Supermärkte.
Der Konsument findet das frische Obst und Gemüse dann bei seinem alltäglichen Einkauf in einem Lokora-Hofladen-Display. Die Produkte im Aufsteller sind mit einem QR-Code versehen, mit dem Kunden und Kundinnen mehr über die Herkunft erfahren können.
So kann man mitmachen:
Lokora arbeitet derzeit mit rund 20 Märkten und 20 Landwirtschaftsbetrieben zusammen. Marius Mohr erläutert: „Wir kennen jeden Betrieb, besuchen sie auch regelmäßig und sind in einem sehr engen Austausch.“ Wer als Supermarktbetreiber oder Landwirt mitmachen möchte, wendet sich am besten direkt an Lokora, zum Beispiel über das Kontaktformular auf der Website. Lokora als Handelsunternehmen lernt den interessierten Betrieb oder Markt nach eigenen Angaben zunächst kennen und integriert ihn dann in das vorhandene Netzwerk und die Online-Plattform. In naher Zukunft sollen Bioläden das Netzwerk ergänzen. Finn Seidel betont, dass es dem Team von Anfang an wichtig war, ein umfassendes Angebot zu schaffen, welches das gesamte „digitale Ökosystem“ und damit neben der Plattform auch die Netzwerkarbeit, den Vertrieb, das Marketing und die Logistik umfasst.
Das Team von Lokora versucht, „New Work“ zu leben. Das ist ein innovatives Konzept von Arbeit, das alte Strukturen, Hierarchien und ineffiziente Prozesse hinter sich lässt. Bei Lokora werden Entscheidungen kompetenzbasiert getroffen, so das Team. „Wir arbeiten auf Augenhöhe miteinander und nicht in der klassischen Chef-Mitarbeiter-Hierarchie-Struktur. Die Person, die inhaltlich am kompetentesten ist, hat eine gewisse Entscheidungsbefugnis gegenüber den Anderen“, sagt Finn Seidel.
Aktuell wartet das Unternehmen noch auf eine weitere Förderung (Lokora wurde bereits durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützt), damit die forschungs- und entwicklungsintensive Phase weiter finanziert und die deutschlandweite Umsetzung des Konzepts im Sommer ins Rollen gebracht werden kann. Spätestens dann muss sich das Team dringend vergrößern, denn bisher sind sie es noch selbst, die den E-Transporter vom Hof zum Markt fahren und die Aufsteller mit ackerfrischem Obst und Gemüse bestücken.
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