Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Jahresrückblick

Das hat die Bio-Branche 2020 bewegt

Kaum etwas hat den Alltag im abgelaufenen Jahr so stark beeinflusst wie die Coronakrise. Aber auch unabhängig von der Pandemie hat sich in der Bio-Branche einiges getan. Ein Rückblick.

Mit überwiegend positiven Nachrichten war die Branche ins Jahr 2020 gestartet. Die Fridays for Future-Bewegung fand immer mehr Anhänger und Ableger. Endlich! Wie lange haben vor allem die Bios darauf hingewiesen, dass sich etwas ändern muss. Man sollte meinen, die Aktivisten müssen den Fachhandel als ihren natürlichen Verbündeten wahrnehmen. Ist das wirklich so?

Viele – Läden wie Hersteller – nahmen die Chance wahr, sich hinter und neben die jungen Aktivisten zu stellen, sie unter anderem mit Spenden zu unterstützen. Doch da geht noch mehr. BioHandel-Autor Leo Frühschütz hat beschrieben, wie die Branche auf die neue Aufbruchsstimmung reagierte.

Bio-Supermärkte führen den Naturkostfachhandel an

Die Zahl der Ladenschließungen war 2019 deutlich zurückgegangen – 70 im Vergleich zu 101 Geschäften im Jahr zuvor. Doch das Ganze hat eine Kehrseite. Der Strukturwandel setzt sich fort: Die Fachgeschäfte haben ihre Spitzenposition abgegeben, Bio-Märkte markieren jetzt die größte Kategorie. Gleichzeitig entwickelten sich der Markt und die Nachfrage nach Bio-Produkten positiv.

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Bio-Branche macht mobil

Die ökologisch bewirtschaftete Fläche wuchs laut Zahlen des Bund ökologische Landwirtschaft (BÖLW) 2019 um 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf rund 107.000 Hektar. Insgesamt werden 10,1 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Bis 2030 strebt die Bundesregierung mit ihrer Zukunftsstrategie ökologischer Landbau eine Steigerung auf 20 Prozent an.

Innerhalb der Europäischen Union soll der Anteil an Öko-Fläche im Laufe der nächsten zehn Jahre auf 25 Prozent erhöht werden. So hat es die EU in ihrem „Green Deal“ festgeschrieben.

Um diese Ziele zu erreichen, müsse sich das Machtgefälle vom Handel zum Landwirt reduzieren, hörte man etwa in Diskussionen bei den Öko-Marketingtagen. Gegen zu niedrige Erzeugerpreise demonstrierten wochenlang wütende Landwirte vor den Toren großer Verarbeiter und Handelsunternehmen. Mit einer Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes will die Bundesregierung unfaire Handelspraktiken stoppen.

Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) schaltete sich in die Debatte mit einem offenen Brief an Lebensmittelwirtschaft und Politik ein. Bei einem Online-Seminar des BÖLW und Misereor zeigte die Bio-Branche, dass verantwortungsvolles Lieferkettenmanagement möglich ist.

Messeveranstalter müssen umdenken

Biofach und Vivaness fanden 2020 wie gewohnt in Nürnberg statt. Über 47.000 Facheinkäufer und 3.738 Aussteller nahmen teil. Erstmals standen der Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel elf Hallen zur Verfügung. Die tiefgreifenden Auswirkungen der Corona-Pandemie erlebte Deutschland erst nach der Veranstaltung. Die kommende Ausgabe des Messeduos wird vom 17. bis 19. Februar 2021 als „eSpecial“ digital stattfinden.

Zu den Vorreitern für virtuelle Messen gehört der regionale Bio-Großhändler Kornkraft. Sein Konzept ging auf, denn die anschließenden Bestellungen hätten alle Erwartungen übertroffen. Großhändler Bodan zeigte sich ebenso zufrieden mit der Bilanz seiner ersten digitalen Hausmesse. Im Interview mit BioHandel sprach Geschäftsführer Sascha Damaschun über Herausforderungen, Chancen und Grenzen digitaler Messen.

Bio-Branche gehört zu den Gewinnern der Coronakrise

Die Veränderungen der zurückliegenden Monate betreffen einfach jeden – Ladner und ihre Mitarbeiter können ein Lied davon singen, aber auch die Hersteller, der Großhandel, die Landwirte. Welche Lehren der Fachhandel aus der Coronakrise ziehen kann, damit hat sich Berater Manuel Pick beschäftigt.

Zu Beginn des ersten Lockdowns häuften sich Nachrichten über Kunden, die in den Geschäften für Chaos sorgten. Die sich mehr Lebensmittel als üblich in die Einkaufswägen luden, und sich auch gerne mal mit dem Personal anlegten, wenn das Gewünschte nicht zu bekommen war.

Aus Angst vor dem Corona-Virus neigten Verbraucher auch im Fachhandel zu Extrakäufen – und sorgten damit für Spitzenumsätze in den Bioläden. Biovista hat analysiert, womit sich die Kunden im Bio-Fachhandel bevorratet haben.

Um dem gestiegenen Bedarf an Handseifen und Desinfektionsmittel nachzukommen, arbeitete WPR-Hersteller Sonett rund um die Uhr. In der Zwiebackfabrik Sommer drehten sich die Produktionsbänder für einige Wochen fast ohne Unterbrechung. Die Mitarbeiter arbeiteten im Dreischichtbetrieb, anders war die erhöhte Auftragslage nicht zu stemmen.

Bio-Fachhandel verbucht zweistellige Zuwächse

In vielen Bereichen des Einzelhandels kam der Konsum zum Erliegen. Reduzierte Mehrwertsteuersätze sollten die Kauflust wieder ankurbeln. Von der Maßnahme hielt die Bio-Branche wenig. Sie gehört zu den Gewinnern der Coronakrise.

Im ersten Quartal des Jahres verzeichnete der Naturkostfachhandel einen Zuwachs von 17,9 Prozent. Im zweiten Quartal, nach den Hamsterkäufen, blieben die Erlöse auf hohem Niveau: Das BioHandel-Umsatzbarometer zeigte einen Zuwachs von 19,7 Prozent. Und auch im dritten Quartal konnten Biohändler ihre Umsätze weiter steigern. Das Plus fiel zwar etwas geringer aus als zuvor, blieb mit 11,3 Prozent aber weiterhin zweistellig.

Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach ökologisch erzeugten Waren liegt die Frage nahe, ob es überhaupt genug Rohstoffe gibt, um den Bedarf zu decken. BioHandel hat nach Antworten gesucht.

Diskussionen und Skandale

Rapunzel-Gründer Joseph Wilhelm stellte in seinen Wochenbotschaften eigenwillige Thesen zur Corona-Pandemie auf und plädierte dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen. Das empörte viele aus der Branche. Mit der Einführung der Maskenpflicht im Einzelhandel wurde die Notwendigkeit des Mund-Nasen-Schutzes kontrovers diskutiert. Auch in der Bio-Branche gingen die Meinungen dazu auseinander.

Für Aufsehen sorgten Mitte des Jahres die großen Schlachthöfe, die sich mit ihren prekären Arbeitsbedingungen als Corona-Hotspots erwiesen haben. Auch Bio-Fleisch könnte betroffen gewesen sein. Schließlich bezeichnet sich Tönnies als „Deutschlands größter Bio-Schlachtbetrieb“.

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Bio-Markt im Wandel

Der Fachhandel setzt weiterhin am liebsten auf Marken, die ihm treu sind. Das hatte nach Davert, Provamel und Lavera auch Logona zu spüren bekommen – den Naturkosmetikhersteller, der von L'Oréal übernommen wurde, sucht man im diesjährigen Ranking der Top 25 vergebens. Marken, die auch im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) stehen, werden im Naturkosteinzelhandel häufig ausgelistet.

Kaufland und Rewe sind Mitglieder im Demeter-Verband

Nichtsdestotrotz wird Bio im LEH immer stärker. Durch die Aufnahme von Kaufland in den Demeter-Verband fühlten sich einige Fachhändler verraten und der BNN fürchtete negative Auswirkungen auf die gesamte Branche. Ähnlich fielen die Reaktionen aus, als Rewe dem Verband ebenfalls als Mitglied beitrat.

Demeter-Vorstand Alexander Gerber sagte beim 10. Marktgespräch der BioHandel Akademie: „Wir wollen die Konsumenten dort erreichen, wo sie einkaufen“. Die Partnerschaften mit den LEH-Ketten seien „kein Pakt mit dem Teufel“, schrieb Hassan Hakim in einem Gastkommentar. Mit seiner Agentur arbeitet der Kommunikationsexperte eng mit Demeter zusammen.

Weil Discounter Aldi bisher noch nicht mit Bio-Anbauverbänden angebändelt hat, wird spekuliert, dass der Konzern bald mit einer eigenen Bio-Strategie daherkommen wird. Etwa einer solchen, wie sie die österreichische Aldi-Tochter Hofer verfolgt. Die wurde erdacht von Werner Lampert, der in Deutschland bereits mit Aldi und Naturland im Gespräch ist. Im Interview erklärt er, warum seine Bio-Philosophie auch hierzulande funktioniert.

Penny weist "wahre Preise" aus

Auch Aldi-Konkurrent Penny machte von sich reden. Der Discounter wies in einer Filiale kurzzeitig die „wahren Preise“ bei einigen seiner Produkte aus. Die Rewe-Tochter spielte damit ein Thema, auf das die Bio-Branche seit Jahren aufmerksam macht: Dass die Verkaufspreise insbesondere von konventionellen Produkten nicht annähernd das abbilden, was sie Umwelt und Gesellschaft wirklich kosten. Der BNN reagierte darauf in einem Statement. Wie die Bio-Branche aus Pennys Aktion lernen kann, hat Leo Frühschütz analysiert.

Bio-Ware zum Discount-Preis gibt es seit September auch bei Tegut. Ein Preisvergleich der ersten Produkte der Marke „Tegut Bio zum kleinen Preis“ zeigt: der Name ist Programm. In Teguts erstem Mini-Laden Teo können Kunden seit November zudem rund um die Uhr einkaufen. Neben modernster Technik gibt es auf den 50 Quadratmetern auch eine Auswahl an Bio-Produkten.

Weichen stellen für die Zukunft

„Bio-Produkte im LEH können auch eine Chance sein“, schrieb Sybille Albrecht, die selbst einen Bioladen betreibt, in einem Gastkommentar für BioHandel. Vertreter aus dem Fachhandel und dem LEH tauschten sich beim 10. Marktgespräch der BioHandel Akademie gemeinsam darüber aus, wie das Ziel „Bio für alle“ möglich gemacht werden kann.

Mit dabei war auch Marcus Wewer, bei Rewe Referent für ökologischen Landbau und zuständig für die Qualitätssicherung der Bio-Eigenmarken. Seit November hat er im BÖLW den Posten des Handelsvorsitzenden inne. Seine Vorgängerin Elke Röder schied im April nach 30 Jahren als Geschäftsführerin des BNN aus. Mit der Übergabe an Kathrin Jäckel musste Röder auch ihr Amt im BÖLW abgeben. Seit Mitte November leitet sie die Unternehmenskommunikation bei dem Berliner Bio-Großhändler Terra Naturkost.

Röders Weggang bleibt nicht die einzige Veränderung im BNN. Unter dem Motto „Viva Attacke 2021“ soll ein offener und partizipatorischer Prozess stattfinden, an dessen Ende ein Konzept zur Erneuerung des BNN steht und über das auf der Mitgliederversammlung 2021 abgestimmt werden soll. Der Verband reagiert damit auf die Veränderungen am Markt.

Dass Bio immer stärker im konventionellen Lebensmittelhandel stattfindet, hat auch Denns zur Gründung des Biomarkt Verbunds bewogen. „Das ist eine Realität, der wir uns stellen müssen", so Denns-Geschäftsführer Joseph Nossol. Unter dem neuen Markendach wollen Denns und selbstständige Biomärkte ihre Kräfte bündeln und nach außen stärker auftreten. Mit der Kommunikation soll im Frühjahr 2021 begonnen werden.

In eigener Sache

Der bio verlag hat sich 2020 neu aufgestellt – mit angepasster Organisation und erweiterter Geschäftsleitung. Im Fokus der neuen Unternehmensstrategie stehen der Ausbau der Kernmarken und die Entwicklung neuer Angebote und Geschäftsmodelle. Dafür konsolidierte der Verlag drei neue Geschäftsbereiche: Schrot&Korn als Marke für Konsumenten, BioHandel mit Angeboten für den Bio-Fachhandel, sowie den neu geschaffenen Bereich Marktwissen. Mit dem Launch von biohandel.de im Mai wurden die Webseiten bio-markt.info und biohandel-online.de zu einer neuen Webseite zusammengefasst. (kam)

Ende des Sommers hat sich unser Kollege Horst Fiedler in den Ruhestand verabschiedet. Wir haben immer wieder Gründe gefunden, es hinauszuzögern. Aber eines Tages musste es ja so kommen. Sie alle kennen ganz sicher diesen sprichwörtlichen bunten Hund der Branche, der jede heiße Recherchespur aufgenommen und sich in so manches Thema verbissen hat – und dabei nicht davor zurückschreckte, dem einen oder anderen mal in die Waden zu zwicken. Wir in der Redaktion haben sehr von seinem schier endlosen Wissen und seinen Ideen profitiert, ihn gelöchert und gerne nach seiner Meinung gefragt. Wir werden dich und deinen trockenen Humor vermissen, Horst, sagen Danke und wünschen dir allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel! (nab)

Die BioHandel-Redaktion bedankt sich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für die Treue in 2020 und wünscht alles Gute für 2021.

(kam)

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