Beim Geld hört die Freundschaft auf, heißt es – und das gilt auch für das Geschäft mit Lebensmitteln. Die Inflation hat den Markt radikal verändert. Sowohl konventioneller LEH, als auch Bio-Fachhandel kämpfen einerseits mit gestiegenen Kosten, andererseits mit Kaufzurückhaltung.
Ein Teil der Kundschaft schaut auf den Cent und greift zu günstigeren Eigenmarken oder wechselt gleich ganz zum nächstpreisgünstigeren Einkaufsort: vom Bioladen zum Supermarkt, vom Supermarkt in den Discount. Diejenigen, die bleiben oder neu kommen, wollen mehr. Einblicke aus der Praxis und Einschätzungen von Marktexperten.
Fabian Ganz von bioVista sieht neben der Wanderbewegung der Kundschaft zu preisgünstigeren Artikeln auch eine Bewegung im Sortiment: „Neue Artikel, die jetzt in den Markt kommen, sind auf die neue Situation hin kalkuliert und höherpreisiger als jene, die vorher schon am Markt waren“. Auch das mache Analysen derzeit schwierig. Durch vielfältig einwirkende Faktoren sei es derzeit kaum möglich, die Preisentwicklung mit „einem Prozentwert oder einer Steigerungsrate zu belegen, die seriöse Vergleiche ermöglicht.“ Prinzipiell zieht er eine bittere Zwischenbilanz: „Die Hauptprofiteure des Turnarounds zu mehr Umsatz, den wir ab Juli gesehen haben, betraf die Eigenmarken der Groß- wie der Einzelhändler.“
„Wir beobachten (...), dass die Kundschaft statt nach Markenprodukten immer häufiger zu unseren preisgünstigen Eigenmarken greift.“
Auch Harald Rinklin registriert die Verschiebung auf günstigere Marken. Er sagt dazu, man könne im Fachhandel zwar jetzt versuchen „auf Discount zu gehen“, müsse aber darauf achten, „auch die Leute mit Kaufkraft bei Laune zu halten.“ Besonders auffällig sei die Kaufzurückhaltung im Frischebereich Obst und Gemüse: „Da haben wir in der Branche immer auch auf das Besondere gesetzt, etwa samenfeste Sorten angeboten oder ungewöhnliche Tomaten. Das liegt jetzt wie Blei.“ Offensichtlich sei gerade „keine Zeit für Schleifchen. Willkommen in der Marktrealität“.
Im konventionellen LEH sieht es nicht anders aus. Auch Edeka etwa spürt diese Kaufzurückhaltung. Eine Sprecherin aus der Hamburger Zentrale fasst zusammen: „Wir beobachten in diesem Zusammenhang auch, dass die Kundschaft statt nach Markenprodukten immer häufiger zu unseren preisgünstigen Eigenmarken greift.“ Das gelte für konventionelle wie für Bio-Produkte. Dennoch verzeichne das Unternehmen ein leichtes Umsatzwachstum im Bio-Bereich.
Die Sprecherin betont: „Deshalb gehen wir auch zukünftig von einem weiter steigenden Interesse für das Bio-Segment aus und werden unser Angebot künftig weiter kontinuierlich ausbauen“. Auch Rewe und Tegut bauen Bio aus, was sich an deren wachsendem Angebot von Marken im Sortiment, wie etwa Rapunzel und Jakobsberger Milchhandwerker bei Tegut ablesen lässt.
Nicht zuletzt durch solche Verschränkungen sind auch die Preise von Bio und Konventionell verknüpft. Wer bei Edeka und Rewe mitspielt, kann sich keine außergewöhnliche Teuerung mehr leisten. Beispiel Milchpreis: Steigt der Preisabstand von der konventionellen zur Biomilch und den daraus hergestellten Produkten, müssen Hersteller damit rechnen, dass die Nachfrage wieder sinkt. Also, angleichen oder weichen.
Versucht man dem Geschehen durch Statistiken näher zu kommen, findet man nicht unbedingt die erhoffte Orientierung. Dazu noch einmal Fabian Ganz: Die beiden gängigen Mittel für Preisvergleiche, sogenannte „Warenkörbe“ und die Umsatz-/Absatzzahlen bestimmter Warengruppen, seien prinzipiell „Methoden der Vereinfachung“. In Zeiten wie diesen aber, wo das Marktgeschehen hochkomplex ist, könnten sie irreführende Aussagen produzieren.
Als Beispiel nennt Ganz die Öle. Hier habe es vor einigen Monaten noch Produkte über 20 Euro gegeben, mittlerweile würden diese aber nicht mehr angeboten. Ganz unterstreicht: „Nimmt man nur die aktuellen Regalpreise, käme rein rechnerisch heraus, dass diese Gruppe günstiger geworden ist. Das stimmt jedoch nicht, denn die anderen Öle waren vorher auch da und wurden auch gekauft.“
Verschiedene Motivationen, den Preis möglichst nicht zu erhöhen
Beim Thema Preis sind viele schmallippig. Dafür wird hinter den Kulissen seit Monaten mit harten Bandagen gekämpft. Vor allem beim LEH dringen Drohungen mit Auslistung oder Klagen über unfaire Verhandlungsmethoden nach außen durch. Beobachter reden von Schaukämpfen, denn die lautesten Beteiligten verdienen recht gut. Der deutsche Verbraucherschutz jedenfalls hat scharf verurteilt, dass derzeit viele Verpackungen weniger Inhalt haben, aber dafür mehr kosten. „Shrinkflation“ wird dieser Effekt auch genannt.
Mogelpackungen gibt es auch bei Bio, dennoch sind dort die Preise viel moderater gestiegen als etwa bei Rewe, Lidl oder Tegut. Warum ist das so? Großhändler Harald Rinklin vermutet verschiedene Motivationen, den Preis möglichst nicht zu erhöhen: „Sei es, weil sie Angst haben, sie schießen sich vom Markt, sei es weil sie relativ energieautark arbeiten und an diesem Punkt anfangs keine Preisschwankungen hatten“. Dass Hersteller die Preise jetzt wesentlich gesenkt hätten, habe er nicht beobachten können, „obwohl sich der Glaspreis wieder beruhigt hat und auch Gas- und Strompreis wieder runtergegangen sind“. Da jedoch auf der anderen Seite „die Personalkosten explodieren“ – könne er gut nachvollziehen, dass man froh sei, einen Puffer zu haben.
Bio-Hersteller: Vorsichtig vortasten und tun was nötig ist
Fragt man direkt bei verschiedenen Herstellern nach, wird wiederum deutlich, wie unterschiedlich Situationen, Prozesskosten und Reaktionen sind. Die Tendenz: Vorsichtig vortasten und tun was nötig ist. Für Byodo waren „die Preistreiber in 2022 neben Ernteausfällen vor allem gestiegene Energiepreise, die alle Bereiche betroffen haben – von den Rohstoffen bis zum Verpackungsmaterial“. Byodo hat teilweise Preise angehoben und im September teilweise wieder gesenkt. Denn: „Die Lage hat sich insbesondere bei unserer Pasta und den Ölen entspannt“.
Bei Demeter Felderzeugnisse sei die Preisentwicklung für Rohware, Energie, Transport und Verpackung sehr unterschiedlich ausgefallen, lässt das Unternehmen wissen. Preiserhöhungen und -senkungen habe man weitergegeben. Im Transportbereich erwartet der TK-Spezialist allerdings erst Ende des Jahres die Spitze der Belastung, „wenn die Mauterhöhung und CO2-Abgabe auf die Transporte aufgeschlagen werden“.
„Die Prozesskosten sind auf allen Ebenen gestiegen und bleiben auf sehr hohem Niveau.“
Rapunzel erklärt, „die Prozesskosten sind auf allen Ebenen gestiegen und bleiben auf sehr hohem Niveau“. Grund dafür seien Preissteigerungen im Energie- und Verpackungsbereich. Dafür entspanne sich die Lage derzeit bei den Seefrachten. Wo möglich, würden Preissenkungen weitergegeben. Bei italienischer Pasta sei dies unter anderem aufgrund der Erntesituation nicht möglich, bei Mandel-, Walnuss- und Cashewprodukten jedoch senkte das Unternehmen die Preise.
Auch Dr. Goerg bietet Kokosprodukte sowie Erdnussmus jetzt günstiger an. Anders als andere wirbt der Hersteller damit ganz offensiv. Äußern wollte man sich nicht, aber auf der Website gibt es einen verständlich aufbereiteten Video-Clip, der zeigt, welche Transportkosten zu den anfänglichen Erhöhungen führten.
Die Großbäckerei Praum-Sommer benötigt leistungsstarke Öfen und viel Energie, etwa für die zweifach gebackenen Zwieback- oder Chips-Produkte. Dennoch sind offenbar durch die Energiepreisbremse Senkungen möglich geworden. Das Unternehmen teilt mit: „Wir werden bei einigen Artikeln, die zwei Mal gebacken werden, die Preise spürbar senken: Chips, Zwieback, Schwarzer Emmer.“
Zwergenwiese: Preiserhöhungen wären das falsche Signal
Auch die Preise für Bier sind gestiegen, beim Brauen gibt es einige energieintensive Prozesse. Auf Nachfrage treibt die Brauerei Störtebeker derzeit vor allem die „deutliche Kaufzurückhaltung der Konsumenten“ um und „der Wechsel des Kaufortes“. Die Reaktion der Brauerei: ein neues, etwa 25 Cent günstigeres Pils mit eigener Optik und weniger Alkohol. Bier habe größtenteils die Ein-Euro-Grenze pro Flasche deutlich überschritten. Man spüre zwar einen immensen Druck auf das Segment, denke aber „dass sich die Rahmenbedingungen langsam normalisieren“.
Nicht erhöht haben nur wenige, darunter Herbaria und Zwergenwiese. Herbaria begründet das mit langfristigen Partnerschaften mit Erzeugern und Lieferanten. Daher habe man „Kostenschwankungen bei Material, Logistik und Energie abfedern können“.
Zwergenwiese sagt zum Thema Erhöhungen: „In der konjunkturellen Lage des Fachhandels wäre dies ein falsches Signal“. Man hoffe auf eine Normalisierung der Lage, und damit verbunden wieder leicht sinkende Preise am Rohstoff- und Verpackungsmarkt. Bleibt abzuwarten, ob das Unternehmen das weiter halten kann, denn nun gebe es negative Erntemengenmeldungen. Dazu kämen die Inflationsauswirkungen auf Löhne und Gehälter, welche man aus sozialer Verantwortung „ebenfalls größtmöglich ausgleichen“ müsse.
Preispolitik gehört auch im Fachhandel zu den Basics
Preispolitik zu machen gehört auch im Fachhandel zu den Basics, schließlich ist er der letzte in der Kette. Niemandem ist gedient, wenn jetzt ein Teil der 2.000 bis 2.500 Bioläden (neue Zahlen werden derzeit erhoben) dichtmachen muss. Auch sie haben gestiegene Kosten – und die günstigere Konkurrenz oft direkt vor der Haustür. In einer vergleichsweise komfortablen Position befindet sich hier nur der Großhändler Dennree. Unter dem Label BioMarkt Verbund vereint das Unternehmen zum Teil die gesamte Kette von Herstellung über Groß- bis Einzelhandel. So kann das Töpener Unternehmen wählen, auf welcher Ebene es die Marge braucht oder Ertrag erzielen will.
Auf die Frage nach den Auswirkungen der Inflation auf die Preisentwicklung, heißt es bei Dennree: Die Kundschaft wisse zu schätzen, dass Bio nicht teuer sein muss. Eine Sprecherin des Bio-Handelshauses erklärt: „Je nach Preisentwicklung haben auch wir Produktpreise angepasst. Dabei haben wir die Preise für unsere Kundschaft stets so niedrig wie möglich gehalten. Der Verzicht auf energieintensive Dünge- und Spritzmittel im Ökolandbau, eine hohe Verbindlichkeit gegenüber landwirtschaftlichen Erzeugern durch langfristige Verträge sowie kürzere Lieferketten wirken im Naturkostfachhandel nach wie vor als Inflationsbremse.“
Selbstständige Einzelhändler müssen anders kalkulieren, sie benötigen bei jedem Produkt ihre Marge. Ob bestimmte Laden-Konzepte besonders gut durch die Krise kommen, hat bioVista versucht herauszubekommen, allerdings bislang kein System herausfiltern können. Dennoch kann man davon ausgehen, dass der Erfolgs-Dreisatz nach wie vor stimmt: „Standort, Betreiber, Konzept“.
Ausgezeichnet als Beste Bio-Läden werden oft jene mit starker Kundenbindung. Praxisberichte zeigen: Wer weiterhin oder neu im Bioladen einkauft, will etwas wirklich Gutes haben oder tun. Entweder durch den Einkauf ein Zeichen setzen oder weil er oder sie dem Laden als Mitglied angehört.
Zu dieser Kategorie Mitgliederladen gehören Genossenschaftsmodelle wie Landwege. Geschäftsführer Klaus Lorenzen hebt als klaren Vorteil hervor, die Kundschaft auch abseits vom Einkauf gut erreichen zu können. Prinzipiell merkt er an: „Die Inflationsstatistik zeigt, dass wir Deutschen bisher im Schnitt zwölf Prozent unseres Geldes für Lebensmittel ausgegeben haben – und jetzt sind es 13 Prozent. Ich finde, das ist immer noch nicht viel.“ Als Teil der Genossenschaft ist die Landwege-Kundschaft selbst am Unternehmen beteiligt. Ihnen sei die Preisgestaltung durchaus zu vermitteln. Manche staunten sogar, sagt Lorenzen „dass die Preise nicht höher sind, bei dem Aufwand, den wir haben.“
„Wir haben jetzt viele junge Familien, die gut verdienen und auch regelmäßig ihren Wocheneinkauf bei uns machen. Aber wir haben auch Leute, die sagen, ich würde gern mehr bei euch kaufen, aber ich kann das nicht mehr.“
Auch ohne Mitgliedsstatus lässt sich eine Bindung – und damit ein Erfolgskonzept – entwickeln, das zeigt etwa das Beispiel Valverde. Christiane Höppner sagt, das Publikum habe sich verändert: „Wir haben jetzt viele junge Familien, die gut verdienen und auch regelmäßig ihren Wocheneinkauf bei uns machen. Aber wir haben auch Leute, die sagen, ich würde gern mehr bei euch kaufen, aber ich kann das nicht mehr.“ Sie seien umzingelt von verschiedenen Supermärkten und Discountern. Manchmal schäme sie sich, etwa wenn die Milch im nahen Edeka billiger ist. Aber schließlich will sie, dass der Bauer einen fairen Preis bekommt und die Milch laufe auch mit fairem Preis gut.
Das Erfolgsrezept? „Wir versuchen ein Wohlfühlklima zu erzeugen.“ Als Beispiel erzählt sie vom Einkauf eines Paares: „Sie lief durch die Gänge, er stand genervt rum. Man sah förmlich, dass er dachte: ‚Warum dauert das so lange?‘ Als ich ihm einen Kaffee angeboten habe, hat er sich dann entspannt.“ Auch in anderen Läden, die gut laufen, reißen sich die Ladenteams ein Bein aus, um einen Kontrapunkt zu setzen. Kundschaft im Bioladen sucht das Besondere. Mit und ohne Barcode.
Simon Döring über die Preispolitik bei Bio
Herr Döring, was unterscheidet Bio bei der Preisgestaltung von Konventionell?
Der LEH hat früh und radikal die Preise hochgezogen. Teils um über 20 Prozent, der Biohandel dagegen zog erst spät nach, mit etwa sieben Prozent. Darin schien erstmal eine Chance zu liegen, denn plötzlich klaffte die Preisschere nicht mehr so weit auseinander. Gleichzeitig wurde eine andere Chance verschenkt: Preise dann zu erhöhen, wenn sich niemand darüber aufregt.
Nicht erhöhen, wenn kein Grund vorliegt – ist das nicht auch Bio?
Sicher, aber auch im Biobereich sind Einkaufspreise, Energiepreise und Löhne gestiegen. Das Umsatzwachstum lag im Juni beispielsweise bei etwa vier Prozent, die Inflation aber bei sechs. Auf Dauer lässt sich so nur schwer wirtschaftlich arbeiten.
Lässt sich das jetzt nicht mehr kommunizieren?
Es ist eine Gratwanderung – aber auch eine Frage der Haltung und des Selbstbewusstseins. Dazu ein Praxis-Beispiel: Einem Unternehmerpaar mit einem kleinen Laden habe ich zu Preiserhöhungen geraten. Er war dafür, sie dagegen. Dann war sie eine Zeit nicht da und er zog beim Teesortiment alle Preise von 50 Cent bis einen Euro hoch. Das Ergebnis: Weder Umsatzeinbußen, noch Beschwerden. Dafür wurde im Teesortiment mehr verdient.
Gibt es Konzepte, die krisenstabiler sind?
Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Für den kleinen Bioladen ist es wichtig, eine eigene Marke zu sein und seine Kunden über Persönlichkeit und besondere Leistungen an sich zu binden. Langfristig jedoch wird sich das bisher vertraute Geschäftsmodell Bioladen ändern müssen.
Das Interview führte Sylvia Meise
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