Die EU-Kommission hält die Immunokastration von Bio-Ferkeln für nicht öko-konform. Die Ökobehörden der Bundesländer können sich nicht auf eine einheitliches Vorgehen verständigen. Es droht ein föderaler Flickenteppich. Doch um was geht es eigentlich genau?
Im Grunde geht es um einen Konflikt zwischen zwei Bio-Zielen: Dem Wohl der Nutztiere und dem möglichst weitgehenden Verzicht auf synthetische Substanzen. Die Frage ist: Wer entscheidet den Konflikt. Der Bio-Bauer, der für die Tiere verantwortlich ist, oder die Behörden? Und wenn ja, welche? Für die Antwort braucht es erst einmal Infos.
Männliche Mastferkel werden in Deutschland in den ersten Wochen kastriert, damit sie am Ende der Mast keinen Ebergeruch entwickeln, der ihr Fleisch unverkäuflich machen würde. Der Eingriff findet bisher meist ohne Betäubung statt.
Ursprünglich wollte das Bundeslandwirtschaftsministerium ab Anfang 2019 die betäubungslose Kastration verbieten. Auf Druck der Agrarlobby verschob Ministerin Julia Klöckner den Termin auf Anfang 2021. Für EU-Bio-Ferkel gilt bis dahin, dass bei der Kastration eine Schmerzmittelgabe reicht. Die Bio-Verbände schreiben inzwischen alle Schmerzmittel und Betäubung vor; lange stand hier Bioland alleine.
Impfung als Alternative zur Kastration
Eine Alternative zum Abzwicken der Hoden ist die als Immunokastration oder Geruchsimpfung bezeichnete Behandlung der männlichen Ferkel mit dem Wirkstoff Improvac. Dabei handelt es sich um ein synthetisches Eiweiß, das bei der ersten Impfung im Alter von acht Wochen im Immunsystem des Ferkels eine Sensibilisierung auslöst.
Durch eine zweite Impfung vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung bilden sich im Tier Antikörper gegen ein Hormon, das als Botenstoff die Pubertät in Gang bringt. Dadurch lässt sich die Pubertät bis zum Schlachttermin verzögern. Die Impfung ist EU-weit zugelassen.
„Mit der Impfung wird in den Hormonhaushalt eingegriffen, aber das ist gewollt und passiert auch bei der chirurgischen Kastration“, erklärt Claudia Salzborn, Leiterin des Referats für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Die Impfung hinterlasse keine Rückstände im Produkt und sei für den Verbraucher völlig unbedenklich.
Für den Deutschen Tierschutzbund ist deshalb klar: „Aus
tierschutzfachlicher Sicht ist die Impfung gegen Ebergeruch als
minimal-invasive Methode, die auf das Amputieren der Hoden verzichtet,
eine sehr gute Alternative.“ Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz schreibt:
„Die zweimalige Impfung der Tiere ist im Vergleich zur chirurgischen
Entfernung der Hoden, die bei weitem tierschonendste Methode“.
Die chirurgische Kastration verletze die körperliche Integrität der Tiere weit stärker. „Darüber hinaus bestehen Narkose- und Operationsrisiken und das Handling der Ferkel bis zur Narkose erzeugt Angst und Stress bei den Tieren.“
Das Tierwohl war auch für Naturland das ausschlaggebende Argument, um
die Impfung ab 2016 zu empfehlen. Die anderen Bio-Verbände haben die
Immunokastrierung dagegen untersagt. Bioland begründete das 2017 mit
„offenen Fragen zu den Folgen des Eingriffs in den Hormonhaushalt, zur
deutlich leistungssteigernden Wirkung oder zur Einordnung als
Impfstoff“.
EU-Kommission lehnt die Impfung ab
Die Länderarbeitsgemeinschaft Ökolandbau, in der die Ökokontrollbehörden der Bundesländer sich absprechen, hielt 2010 die Immunokastration, die damals gerade auf den Markt kam, für zulässig. Entscheidendes Argument damals: „Die Gesetzgebung im ökologischen Landbau hat eindeutig zum Ziel, Leiden und Schmerzen von Nutztieren zu vermeiden.“
Die EU-Kommission sieht das anders. Sie hatte 2017 und 2018 in zwei Schreiben darauf hingewiesen, dass sie den Einsatz von Improvac im Ökolandbau als nicht zulässig ansieht. Und zwar sowohl nach der alten als auch nach der neuen EU-Öko-Verordnung. Allerdings fehlen in beiden Regelwerken konkrete Aussagen dazu.
Die kritische Position der Kommission sei problematisch, schrieb Ende 2019 das Bundeslandwirtschaftsministerium in seiner Antwort auf eine schriftliche Anfrage der linken Agrarexpertin Kirsten Tacke im Bundestag. Das Ministerium kündigte damals an, es wolle sich an die Kommission wenden, „um die Möglichkeiten einer Vereinbarkeit des Verfahrens mit den Regeln des ökologischen Anbaus auszuloten.“ Anscheinend gab es aus Sicht der Kommission nichts auszuloten.
Agrarheute.com berichtete im Juni: „Der Einsatz des Impfstoffs Improvac für die Immunokastration von Ebern ist im Ökolandbau nicht erlaubt.“ Das habe die EU-Kommission dem Landwirtschaftsministerium in Berlin per Brief mit Datum vom 9. Juni mitgeteilt, in dem die Kommission Improvac als „hormonähnliche Substanz“ eingestuft habe.
Bundesländer sind sich uneinig
Ende Juni beriet die Länderarbeitsgemeinschaft Ökolandbau (LÖK) über das Thema. „Die Länder beurteilen den Einsatz unterschiedlich. Es gibt aktuell zwischen den Ländern keinen abgestimmten Beschluss zum Einsatz von Improvac“, teilte LÖK-Geschäftsstellenleiter Martin Fuchs mit.
Nun sollen sich die Agrarminister der Länder mit dem Thema befassen, wenn sie von 23. bis 25. September zu ihrer halbjährlichen Konferenz zusammenkommen. Sollten sie zu keiner Einigung über Improvac kommen, droht ein föderaler Flickenteppich, bei dem womöglich in einem Bundesland die Impfung verboten würde, in einem anderen aber erlaubt bleibt.
Denn rein rechtlich ist es so: Die alte und die neue EU-Öko-Verordnung treffen keine explizite und damit rechtlich verbindliche Aussage zu Improvac. In ihren Schreiben gibt die EU-Kommission Hinweise und Klarstellungen, wie ihrer Ansicht nach das EU-Öko-Recht auszulegen sei. Diese Hinweise sind rechtlich nicht verbindlich. Die Öko-Behörden der Bundesländer, die das Öko-Recht umsetzen, entscheiden eigenständig, welche Bedeutung sie den Hinweisen der Kommission beimessen und wie sie damit umgehen.
Aufgabe der LÖK ist es, diese Eigenständigkeit zu beachten und gleichzeitig einen bundesweit möglichst einheitlichen Vollzug zu gewährleisten. Sollte die EU-Kommission ein Problem damit haben, dass ein Mitgliedsstaat trotz ihrer Hinweise weiterhin den Einsatz von Improvac bei Bio-Ferkeln erlaubt, müsste sie ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Vermutlich würde dann in zehn Jahren der Europäische Gerichtshof den oben angesprocheneen Zielkonflikt entscheiden.
Tierschutzbund und Tierärzte haben auf die - in manchen Fachmedien
als Beschluss kommunizierte - Diskussion in der LÖK mit deutlichen
Worten reagiert. „Dieses Vorgehen ist für uns absolut unverständlich und
inakzeptabel. Wir werden uns daher erneut an die Ländervertreter wenden
und unseren scharfen Protest äußern“, sagte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.
„Die
Politik sollte endlich den Weg für den flächendeckenden Einsatz der
Immunokastration freimachen, anstatt der wissenschaftlich belegt
tierschonendsten Methode immer wieder neue Steine in den Weg zu legen“, sagte Thomas Blaha, stellvertretender Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT).
Naturland fordert Rechtssicherheit für die Impfung
Die Kritik richtet sich weniger an die Behördenvertreter in der LÖK sondern deren Vorgesetzten, die Landwirtschaftsminister der Bundesländer. Naturland hat zusammen mit der Tierschutzorganisation ProVieh, dem Handelspartner Rewe und der TVT Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und die Länderminister aufgefordert, „auf der nächsten Agrarministerkonferenz (AMK) für Klarheit im Sinne des Tierwohls zu sorgen und Rechtssicherheit für die Impfung zu schaffen.“ Deren Verbot würde den Grundwerten des Ökolandbaus widersprechen.
„Die Impfung gegen Ebergeruch ist ganz klar die tiergerechteste Alternative zur Ferkelkastration. Es ist völlig unverständlich, warum diese Alternative nun ausgerechnet den Öko-Betrieben, die sich ja besonders ums Tierwohl kümmern, verwehrt werden soll“, sagte Naturland Präsident Hubert Heigl. Sein Respekt gelte Niedersachsen, „das sich als einziges Bundesland nicht dem Druck aus Brüssel beugt, sondern die Impfung weiterhin zulassen will.“
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