„Klimaneutral“, „umweltfreundlich“, „fair gehandelt“: Die EU-Kommission hat mit der Veröffentlichung ihrer Richtlinien-Entwürfe zur Unterbindung von unklaren und irreführenden Umweltaussagen, Nachhaltigkeitsversprechen, Möchtegern-Siegeln und Greenwashing bei Konsumgütern für große Verunsicherung bei Unternehmen der Bio-Lebensmittelbranche gesorgt. Unklar ist unter anderem, ob und inwiefern die sogenannte Green-Claims-Richtlinie Auswirkungen auf die Umweltkommunikation von Bio-Lebensmitteln hat.
Die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) hat deshalb im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Product Environmental Footprint (PEF) mit dem FiBL Deutschland und dem Öko-Institut ein Rechtsgutachten erstellen lassen. In der Green-Claims-Verordnung ist der PEF die zentrale Methode, um die Umweltauswirkungen eines Produkts während dessen gesamten Lebenszyklus zu messen. Die Gutachter der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke kommen unter anderem zu dem Ergebnis, dass bestimmte Richtlinienvorschläge aus Brüssel einerseits für kleine und mittelgroße Betriebe kaum zu erfüllen sind und andererseits im Widerspruch zur Öko-Verordnung stehen.
Um welche EU-Richtlinien geht es?
Im März 2022 präsentierte die EU-Kommission Vorschläge für eine Novellierung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) und der Verbraucherrechte-Richtlinie. Das Ziel der Änderungen: Irreführende und falsche Umweltaussagen sowie intransparente Nachhaltigkeitslabel sollen verhindert und Verbrauchende dabei unterstützt werden, umweltfreundliche Kaufentscheidungen zu treffen. Umweltaussagen wie „klimafreundlich“ sollen zukünftig nur noch möglich sein, wenn sie entweder tatsächlich das gesamte Produkt betreffen oder deutlich kenntlich gemacht wird, auf welchen Bestandteil, beispielsweise das Lebensmittel oder die Verpackung, sich die Aussagen beziehen.
Im März 2023 präsentierte die EU-Kommission ihren Entwurf zur Green-Claims-Richtlinie. Sie ergänzt die oben genannten Richtlinien und regelt die Kommunikation von Umweltaussagen genauer. Die Richtlinie sieht vor, dass Nachhaltigkeits- und Umweltsiegel sowie -Aussagen nur noch dann erlaubt sein sollen, wenn die Wirkung der dahinterstehenden Maßnahmen wissenschaftlich belegbar und vergleichbar ist.
Welche Ziele hatte das Gutachten?
- Ein Ziel des Gutachtens war es herauszufinden, inwiefern die neuen Richtlinien Konsequenzen für die Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation bei Bio-Lebensmitteln haben werden.
- Darüber hinaus prüften die Gutachter, ob die Vorschläge der EU auf Bio-Lebensmittel anwendbar sind und wo noch Regelungslücken oder Änderungsbedarf besteht.
Wo gibt es Probleme zwischen der EU-Öko-Verordnung und den Richtlinien?
Zwar gibt es direkt in Artikel 1 der Green-Claims-Richtlinie einen Passus, der dafür sorgt, dass die dortigen Regelungen „nicht für Umweltzeichensysteme oder ausdrückliche Umweltaussagen“ gelten, die unter anderem in der EU-Öko-Verordnung geregelt werden. Insofern regelt die Richtlinie nur freiwillige Umweltaussagen. „Unproblematisch sind solche Umweltaussagen, die sich auf die ökologische/biologische Produktionsweise i.S.d. Öko-Verordnung beziehen, da hier der Anwendungsvorrang der EU-Öko-Verordnung greift“, schreiben die Rechtsexperten in ihrem Gutachten. So sei etwa die Aussage „Frei von chemisch-synthetischen Pestiziden oder Düngemitteln“ zulässig.
Allerdings sei nicht immer eindeutig, ob bei einer bestimmten Umweltaussage die EU-Öko-Verordnung oder die Green-Claims-Richtlinie Anwendung findet. Als Beispiel nennt das Gutachten Aussagen über die positiven Auswirkungen der Öko-Landwirtschaft auf die biologische Vielfalt, den Boden oder das Wasser.
Um zu verhindern, dass solche Aussagen im Lichte der Green-Claims-Richtlinie bewertet werden, sei es wichtig, dass positive Auswirkungen auf Klima und Umwelt stets mit der ökologischen Produktionsweise, die durch die Öko-Verordnung geregelt ist, in Verbindung gebracht und kommuniziert werde. Alle Aussagen über die Produktherstellung hinaus, etwa die Bewerbung einer „klimafreundlichen“ Verpackung, fallen unter die Green-Claims-Richtlinie und müssen umfangreich nachgewiesen werden.
Hohe Ansprüche an Nachweis der Umweltaussagen
Artikel 5 des Entwurfs verpflichtet die Unternehmen unter anderem dazu, dass sie weiterführende Informationen zu ihren Nachhaltigkeitsbehauptungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern leicht zugänglich bereitstellen. Zudem müssen sie die den Umweltaussagen zugrunde liegenden Studien oder Berechnungen transparent machen.
Zum Nachweis der Umweltwirkung empfiehlt die EU-Kommission den Unternehmen die Anwendung der Product Environmental Footprint Category Rules (PEF). Bei Lebensmitteln sollen zudem zuvor noch Aspekte wie Biodiversität, Effekte einer extensiven Landwirtschaft oder Tierschutzmaßnahmen in die Bewertung mit einbezogen werden.
Für die Nachweise hätte die EU-Kommission am liebsten Primärdaten, also beispielsweise konkrete Angaben darüber, wie viel Wasser und Energie ein Landwirt für seine Ernte benötigt hat. Belege mittels Sekundärdaten – wie etwa wissenschaftliche Studien oder Statistiken – sollen die Ausnahme bleiben. Das stellt „für kleine und mittelständische Unternehmen einen enormen Aufwand“ dar, so die AöL-Rechtsexpertin Simone Gärtner – insbesondere wenn Unternehmen ihre Rohstoffe europa- oder weltweit beziehen.
In diesem Zusammenhang weisen die Gutachter auf die Ergebnisse des wissenschaftlichen Öko-PEF-Projektes von AöL, FiBL Deutschland und dem Öko-Institut hin. Demnach wäre auch ein Nachweis mit relevanten Sekundärdaten „angesichts der derzeit sehr begrenzten Datenlage und -verfügbarkeit mit erheblichen Herausforderungen verbunden“.
Insbesondere in Deutschland existierten kaum geeignete Datensätze für Bio-Lebensmittel zur Berechnung des PEF, führen die Juristen aus. „Dies kann zu indifferenten Ergebnissen in Bezug auf die Umweltleistung von ökologisch und konventionell erzeugten Lebensmitteln führen und insbesondere KMU erheblich benachteiligen“, schlussfolgern die Gutachter.
Widerspruch zwischen EU-Öko-Verordnung und Richtlinien
Unklar ist den Rechtsexperten zufolge noch, was die neuen Regelungen für Bio-Unternehmen bedeuten, die Mitglied bei einem Verband sind und damit freiwillig strengere Vorgaben als von der EU-Öko-Verordnung vorgegeben einhalten. „Grundsätzlich wäre hier wohl der Anwendungsbereich der Green-Claims-Richtlinie wieder eröffnet“, schreiben die Gutachter.
Mit Blick auf die Umsetzung einer nachhaltigen Ernährungswende und der Förderung der ökologischen Landwirtschaft empfehlen sie den politisch Verantwortlichen, Mitgliedern von Anbauverbänden wie Demeter, Bioland, Biokreis oder Naturland, deren Standards über die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung hinausgehen, nicht durch ein zusätzliches System mit dem Nachweis ihrer Umweltaussagen zu belasten.
Auch einen eklatanten Widerspruch zur EU-Öko-Verordnung sehen die Juristen: Laut den geplanten Änderungen bei der EU-Verbraucherschutz-Richtlinie sollen allgemeine Umweltaussagen ohne amtlich „anerkannte hervorragende Umweltleistung“ verboten werden. Davon betroffen wäre den Gutachtern zufolge auch die Bewerbung von Produkten mit Attributen wie „ökologisch“, „biobasiert“ oder ähnlichen Angaben.
Die Gutachter sehen hier einen Widerspruch zu Art. 30 Abs. 1 der Öko-Verordnung. Dort dürften ausdrücklich „sämtliche Erzeugnisse, die in der Produktion den Vorgaben der Verordnung entsprechen, als ökologisch, biologisch oder mit ähnlichen bedeutungsgleichen Formulierungen gekennzeichnet werden“. Die Juristen empfehlen der EU-Kommission, diesen Widerspruch aufzulösen, gegebenenfalls durch textliche Anpassungen der Richtlinienvorschläge.
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