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Eilverordnung

Glyphosat: Deutschlands Ausstieg aus dem Ausstieg

Deutschland hat den gesetzlich geplanten Glyphosat-Ausstieg gekippt und reagiert damit auf die weitere Zulassung des Herbizids durch die EU. Trotzdem gibt es Wege, den Einsatz von Glyphosat national einzuschränken.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat mit einer Eilverordnung den gesetzlich geplanten Glyphosatausstieg in Deutschland gekippt. Nach der Neuzulassung von Glyphosat durch die EU war die bisherige Bestimmung nicht mehr haltbar. Nun geht es darum, die Anwendung möglichst weitgehend einzuschränken.

Bisher stand in der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ein vollständiges Verbot von Glyphosat ab dem 1. Januar 2024. Gleichzeitig wären die bis dahin geltenden Beschränkungen der Anwendung von Glyphosat außer Kraft getreten. Einer Umfrage des Marktforschers Ipsos im Auftrag des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN Europe) würden 68,3 Prozent Menschen in Deutschland ein Glyphosatverbot begrüßen.

Weil die EU den Einsatz von Glyphosat aber um weitere zehn Jahre zugelassen hat, wäre das deutsche Verbot europarechtswidrig geworden, erklärte das BMEL seine Eilverordnung am Freitag. Diese sei notwendig „um die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission zu verhindern und auf nationaler Ebene Klagen der Hersteller und Anwender zu vermeiden“.

Nächster Streit mit der FDP ist vorprogrammiert

Mit der Verordnung ist der Glyphosatausstieg also vom Tisch und die bisherigen Beschränkungen gelten noch ein halbes Jahr. Diese Zeit will Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nutzen, um eine Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zu erarbeiten.

„Wir werden prüfen, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, die Anwendung von Glyphosat wirksam einzuschränken. Ich setze dabei auf die Unterstützung aller Ampelpartner“, sagte Özdemir. Der nächste Streit mit der FDP ist damit vorprogrammiert, da dieser Koalitionspartner keinen Bedarf sieht, die Glyphosatnutzung weiter einzuschränken.

So ist die Pestizidzulassung in der EU geregelt

Doch welche Möglichkeiten hat Deutschland überhaupt, den Einsatz von Glyphosat einzudämmen? Die Pestizidzulassung ist in der EU so organisiert: Der Wirkstoff selbst wird EU-weit zugelassen. Doch die damit hergestellten gebrauchsfertigen Pestizide brauchen eine nationale Zulassung. Diese kann mit Einschränkungen und Auflagen versehen werden.

So gilt für glyphosathaltige Pestizide derzeit lediglich, dass sie auf Wegen, Plätzen und von der Allgemeinheit genutzten Flächen sowie im Haus- und Kleingartenbereich nicht eingesetzt werden dürfen. Auch das Abspritzen reifer Bestände zur Ernteerleichterung, die so genannte Sikkation, ist verboten. Die EU hat mit ihrer Wiederzulassung weitere Einschränkungen festgelegt, die Deutschland umsetzen muss. Die wichtigste: In der Landwirtschaft dürfen nur maximal 1,44 Kilogramm Glyphosat je Hektar und Jahr ausgebracht werden.

Weitere Möglichkeiten, den Glyphosateinsatz zu reduzieren

Daneben gibt es Bestimmungen, die den Mitgliedsstaaten bei der Zulassung der fertigen Produkte einen Spielraum einräumen.

  • So sollen die Länder etwa „auf den Schutz des Grundwassers in gefährdeten Gebieten“ achten. Damit ließe sich womöglich die Anwendung von Glyphosat im Einzugsbereich von Grundwasserkörpern verbieten, in denen bereits das Glyphosat-Abbauprodukt AMPA nachgewiesen wurde.
  • Zulässig ist es auch, Zeitpunkt und Anzahl der Anwendungen zu begrenzen, um kleine pflanzenfressende Säugetiere zu schützen. Möglich sind auch Pufferstreifen „zum Schutz nicht zur Zielgruppe gehörender Landpflanzen“ und Auflagen, um die Abdrift zu verringern. Schließlich kann Glyphosat mit Bodenstaub kilometerweit verweht werden.

Warum die Biodiversität zum Knackpunkt werden könnte

Der spannendste Punkt sind die „indirekte Auswirkungen auf die Biodiversität“, weil durch das Totspritzen der Pflanzen Insekten und Säugetiere ihre Nahrungsgrundlage verlieren. Mit diesem Thema wollte sich die europäische Lebensmittelbehörde EFSA in ihrem Glyphosatgutachten nicht weiter beschäftigen und verwies darauf, dass es bisher keine einschlägigen Methoden und Leitlinien gebe, solche Wirkungen festzustellen.

Die EU-Zulassung erlaubt es den Mitgliedsstaaten, eigene Methoden zu verwenden. Lassen sich damit negative Auswirkungen auf die Biodiversität feststellen, können sie „spezifische Bedingungen oder Einschränkungen für die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten“, festlegen.

Beim Thema Biodiversitätsauflagen hat allerdings das in der Vergangenheit für die Produktzulassungen federführende Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) das ebenfalls beteiligte Umweltbundesamt böse auflaufen lassen. Hier bräuchte es vermutlich klare Weisungen vom Cem Özdemir an das dem BMEL untergeordnete BVL.

Umweltverbände setzen auf die Justiz

Das BVL hat inzwischen – ebenfalls mit Verweis auf das EU-Recht – die Zulassung von 27 glyphosathaltigen Pestiziden bis Ende 2024 verlängert. Gleichzeitig forderte es die Hersteller auf, innerhalb von drei Monaten „einen Antrag auf Erneuerung der Zulassung“ zu stellen, falls sie das Pestizid über 2024 hinaus verkaufen wollen.

Während Politik und Behörden in den nächsten Monaten sich damit beschäftigen, wie die Glyphosatnutzung eingedämmt werden kann, setzen die Umweltverbände auf die Justiz: PAN Europe und die österreichische Organisation Global 2000 kündigten bereits eine Klage gegen die Glyphosat-Zulassung vor dem EU-Gericht an, ebenso die deutsche Aurelia-Stiftung.

Foodwatch und die Deutsche Umwelthilfe klagen vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig gegen die bestehende Zulassung des Bayer-Pestizids Roundup Powerflex. Und in Frankreich hat ein Gericht bereits Zulassungen glyphosathaltiger Pestizide kassiert, weil die Zulassungsbehörde zu wenig auf den Biodiversitätsschutz geachtet hatte.

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