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Ukraine

Die Bio-Branche und der Krieg

Im Angesicht des Krieges ist die Solidarität der Bio-Branche mit der Ukraine groß. Gleichzeitig müssen sich viele Firmen für wirtschaftliche Konsequenzen wappnen.

Der 24. Februar 2022 hätte ein ganz normaler Donnerstag werden können. Doch dieser Tag veränderte die Welt, wie wir sie kennen. Seit Russland in der Ukraine Krieg führt sind tausende unschuldige Menschen ums Leben gekommen. Das Leiden und die Not der Betroffenen haben auch in der Bio-Branche eine Welle der Solidarität hervorgerufen.

Gleichzeitig führt uns der Krieg vor Augen, wie vernetzt und fragil unser aktuelles Wirtschafts- und Agrarsystem jenseits des Friedens ist. Einige Bio-Unternehmen haben Standorte in Russland und der Ukraine geschlossen, viele zeigen sich angesichts steigender Rohstoff- und Energiepreise besorgt. Welche Konsequenzen hat der Konflikt für den Naturkostsektor und darüber hinaus?

Die Ukraine: unterschätzte Kornkammer

In Friedenszeiten von vielen nur wenig beachtet, sind seit Februar alle Scheinwerfer auf die Ukraine gerichtet. Die Schlagzeilen überschlagen sich mit Zahlen und Fakten rund um das fruchtbare Land in Osteuropa, in dem bis Kriegsausbruch 44 Millionen Menschen lebten. Viele von ihnen sind inzwischen geflüchtet und haben fast alles, was sie besitzen, zurückgelassen – Erinnerungsstücke an ein Leben in Frieden, ihre Häuser und Wohnungen, ihre Jobs, Betriebe, Tiere und Felder.

Über 70 Prozent der Ukraine, die flächenmäßig etwa so groß wie die gesamte iberische Halbinsel ist, werden landwirtschaftlich genutzt. Hier wurden zuletzt zehn Prozent des weltweit gehandelten Weizens und 16 Prozent des Maises angebaut; zudem produziert das Land große Mengen Ölsaaten und Eiweißpflanzen. Ein Wegfall dieser Mengen sowie russische Exportausfälle infolge von Sanktionen treffen die gesamte Weltwirtschaft.

Während bei uns in Deutschland bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch Kunden literweise Sonnenblumenöl aus den Regalen räumten, sieht die Versorgungslage in anderen Teilen der Welt wirklich dramatisch aus.

Besonders in Nordafrika sowie im Nahen Osten sind viele Länder stark von Exporten aus Russland und der Ukraine abhängig. Anders als unser Bundeslandwirtschaftsminister verspricht hier niemand den Menschen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln auch angesichts des Krieges sichergestellt sei.

Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand will Höfen und Organisationen des ökologischen Landbaus in der Ukraine helfen. Wer das Vorhaben unterstützen will, spendet an:

IBAN: DE50 4306 0967 0030 0054 13
BIC: GENODEM1GLS
Kontoinhaber: Zukunftsstiftung Landwirtschaft
Stichwort: Ukraine

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Engpässe bei Bio-Getreide und Saaten

Obwohl nur auf etwa einem Prozent der ukrainischen landwirtschaftlichen Flächen Bio-Anbau betrieben wird, fällt der hier produzierte Anteil an weltweiten Exporten durchaus ins Gewicht. Zwar importiert Deutschland laut Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI kaum Bio-Getreide aus der Ukraine, doch Preissteigerungen am konventionellen Markt haben zur Folge, dass auch die Verfügbarkeit von Bio-Rohstoffen sinkt.

Konventionelle Ware lag bereits im März fast auf dem Preisniveau von Biogetreide, berichtet Jan Plagge, Präsident von Bioland und dem europäischen Bio-Dachverband IFOAM, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Er warnt vor global weitreichenden Konsequenzen: Die Lieferketten gerieten unter Druck, an manchen Stellen brächen sie, das ließe sich nicht von heute auf morgen ausgleichen.

„Wir erwarten durch die veränderte Liefersituation zunehmend Verschiebungen im Rohstoffmarkt und damit eine zugespitzte Nachfrage, besonders im Bereich von Getreide und Fetten“, erklärt Eike Mehlhopp, Geschäftsführer von Allos.

Auch in einigen Alnatura-Produkten sind geringe Mengen Bio-Rohstoffe aus der Ukraine enthalten. „Hier prüfen unsere Herstellerpartner, wie lange die Lagerbestände reichen und ob sie auf alternative Herkünfte ausweichen müssen“, so Pressesprecherin Stefanie Neumann. Vor ähnlichen Herausforderungen steht Rapunzel: Für das Unternehmen bricht mit der Ukraine ein wichtiger Lieferant für Bio-Leinsaat weg.

Konsequenzen für Bio-Futtermittel

Neben Getreide ist die Ukraine auch wichtiger Lieferant von Bio-Soja und Sonnenblumen – beides wichtige Bestandteile von ökologischem Tierfutter. Was die Konsequenzen des Krieges für Bio-Tierhalter angeht, sind sich die großen Bio-Verbände uneinig. Vor allem Naturland rechnet mit Engpässen und drängt auf Ausnahmegenehmigungen für konventionelle, gentechnikfreie Futterkomponenten.

„Bei Bioland spielen Futtergetreide und Mais aus der Ukraine keine Rolle, Sonnenblumenkuchen hat keine Relevanz“, erklärt hingegen Bioland-Pressereferent Leon Mohr. Vor allem für Betriebe, die nur EU-Bio-zertifiziertes Futter benötigen, sieht es kritisch aus, warnt Rudolf Joost-Meyer zu Bakum, Vorsitzender der Gesellschaft für ökologische Tierernährung: „Fünf Prozent konventionelles Proteinfutter ist in der Diskussion mit den Kontrollbehörden, ebenso Fischmehl. Nicht alle Verbände werden da mitgehen, sondern voll auf die eigene Versorgung setzen“.

Ladeninhaber, die Bio-Schweinefleisch und Bio-Eier verkaufen, sollten die Entwicklungen am Bio-Futtermarkt und die diesbezüglichen Aussagen der Verbände im Auge behalten. Denn die Kundschaft wird zu Recht wissen wollen, wie viel oder wie wenig Bio denn nun im Fleisch drinsteckt.

„Ernährung der Bevölkerung in der Ukraine hat Vorrang“

Agrar-Experte Dr. Stefan Dreesmann zur Situation im ukrainischen Bio-Landbau

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Deutschland bezieht 55 Prozent des Erdgases, die Hälfte der Kohle und 35 Prozent des Erdöls aus Russland. Solange diese Abhängigkeiten bestehen, finanzieren wir den Krieg Russlands gegen die Ukraine indirekt mit. „Wir stehen in Solidarität mit der Ukraine zusammen. Wenn es dabei kurzfristig auch unbequem für unsere Unternehmen und die Verbraucher wird, ist dies das Mindeste, was wir in dieser Situation tun können“, erklärt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, angesichts der infolge des Krieges stark ansteigenden Energiekosten.

Vor allem Erdgas, welches über Pipelines zu uns gelangt, kann nicht kurzfristig einfach woanders eingekauft werden. Versorgungsengpässe oder ein politisch motivierter Importstopp russischer Energie werden unweigerlich auch Bio-Firmen treffen – und das wird teuer. „Schon jetzt leiden Betriebe in der gesamten Wertschöpfungskette unter den steigenden Energiekosten. Daher muss mit weiteren Preiserhöhungen gerechnet werden“, so Demeter-Vorstand Alexander Gerber.

Viele Unternehmen weisen außerdem auf steigende Kosten im Verpackungsbereich hin. Und einige rechnen damit, dass sich der bereits vor Kriegsausbruch problematische Fahrermangel im Transportbereich verschärfen wird.

Wer bereits in der Vergangenheit Maßnahmen zur eigenen Stromerzeugung und effizienteren Energienutzung getroffen hat, gerät nun weniger unter Druck. Das bestätigt Elke Röder von Terra Naturkost: „2021 erzeugte Terra bereits 21 Prozent des verwendeten Stroms selbst; das eigene Blockheizkraftwerk reduzierte den Zukauf externer Energie. Unsere streckenoptimierte, regionale Logistik führt dazu, dass der Anstieg unserer Transportkosten nicht so hoch ausfällt wie für national distribuierende Unternehmen.“

Nein zu Russland: Die Bio-Branche solidarisiert sich

Während ein sofortiger Energie-Importstopp aus Russland noch in den Sternen steht, haben einige Bio-Firmen aus Protest gegen den Krieg ihre Aktivitäten in und Importe aus Russland eingestellt. Die Firma Egesun, die unter der Bio-Marke Morgenland Bio-Nüsse und Trockenfrüchte vertreibt, bezieht üblicherweise Zedernnüsse aus Russland. Vor dem Hintergrund des Krieges würden hier aktuell keine Bestellungen platziert, erklärt Produktmanager Malin Hillebrandt.

Die Naturkosmetik-Hersteller Lavera und Weleda haben kurz nach Kriegsausbruch alle Lieferungen nach Russland gestoppt. Weleda hat sowohl in der Ukraine als auch in Russland eigene Niederlassungen. Um die Unterstützung der dortigen Mitarbeiter bemüht sich das Unternehmen nach Kräften, so Pressesprecher Tobias Jakob.

Auch Followfood hatte sich nach einigem Ringen dazu entschlossen, den Betrieb seiner russischen Fischfabrik vorerst einzustellen. Ebenso wie bei Weleda werden die Mitarbeitenden vor Ort zunächst weiterbezahlt.

Große Hilfsbereitschaft in der Branche

Um den Millionen Menschen vor Ort und auf der Flucht zu helfen, engagieren sich zahlreiche Bio-Firmen auf unterschiedlichste Art und Weise. Naturland-Bauer Martin Ritter betreibt selbst einen Bio-Betrieb in der West-Ukraine. Nur wenige Tage nach Kriegsausbruch kümmerte er sich nicht nur um die Evakuierung und Unterbringung von 31 ukrainischen Frauen und Kindern, sondern ist auch Mit-Initiator von „Deine Ukraine-Hilfe“ (siehe Infobox am Ende dieses Artikels).

Auf zahlreichen Bio-Höfen in Deutschland haben Geflüchtete bereits Zuflucht gefunden – zum Beispiel auf dem Bioland-Betrieb Gut Dietlhofen bei Weilheim oder dem Demeter-Betrieb Schloss Hamborn in Borchen. Neben finanziellen Mitteln haben viele Bio-Firmen auch Sachspenden bereitgestellt. „Wir haben uns an verschiedenen Hilfskonvois beteiligt und bereits mehrere Paletten Lebensmittel für die Bevölkerung der Ukraine zur Verfügung gestellt“, so Charlotte Ruck von der Spielberger Mühle.

Rapunzel spendete Schokolade, von Allos gab es palettenweise Riegel, Milchalternativen, Kekse, Müslis und Gemüsebrühe. Ebenso wie Biomarkt beteiligte sich auch Alnatura großzügig an den Spenden: mit Lebensmitteln, aber auch mit Kindertextilien.

Lavera und Weleda spendeten Naturkosmetikprodukte, Sodasan stellte Desinfektionsmittel und Seifen zur Verfügung. „Allein die Menge an Sachspenden aus der Branche, die durch den BNN koordiniert wurde, hat uns überwältigt. Innerhalb kürzester Zeit musste die ursprünglich angedachte Logistik mit Unterstützung der Bio-Großhändler noch einmal deutlich aufgestockt werden“, so BNN-Pressesprecher Hans Kaufmann.

Was wird aus Klima- und Umweltschutz?

Während viele Firmen und Privatpersonen Geld, Güter und Zeit aufwenden, um den Menschen in der Ukraine und den Geflüchteten zu helfen, wittern vor allem einige Politiker aus CDU und FDP sowie Vertreter des Bauernverbandes nun die Chance, die ökologische Agrarwende aufzuschieben. FDP-Agrarsprecher Gero Hocker forderte etwa, den europäischen Green Deal auszusetzen: „In Zeiten von Inflation und Krieg in Europa muss die Ernährungssicherung bei der Landwirtschaftspolitik Vorrang besitzen“, so Hocker.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte hingegen, dass wir auch die ökologischen Krisen entschieden bekämpfen müssen, um das Recht auf Nahrung weltweit nachhaltig zu sichern. Ähnlich äußerte sich Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umweltausschuss: An allererster Stelle müsse nun stehen, unsere Art, ineffizient mit Ressourcen umzugehen, zu hinterfragen. Das gälte für Düngemittel genauso wie für Futtermittel.

Vertreter der Bio-Verbände zeigten sich angesichts der Forderungen nach weniger Umwelt- und Klimaschutz empört. „Die Klimakrise und der Verlust der Artenvielfalt gehen unvermindert weiter und bedrohen unser aller Lebensgrundlagen. Deshalb können wir unsere Ernährungssouveränität nur sichern, wenn wir die Landwirtschaft umbauen“, betonte Naturland-Präsident Hubert Heigl.

Auch Demeter-Vorstand Alexander Gerber ist überzeugt, dass regionales und ökologisches Wirtschaften unsere Wertschöpfungsketten gegen Krisen resilienter machen. Bioland-Präsident Jan Plagge warnte, dass wir unsere Ernährung gefährden, wenn wir es nicht schaffen, Lebensmittel möglichst schnell umwelt- und klimafreundlich zu produzieren.

Wer die Lage vereinfacht, verschlimmert sie eher

Die Tendenz einiger, die Herausforderungen unserer Zeit – Kriege, Klimakrise, Biodiversitätskrise, Gesundheitskrise – gegeneinander auszuspielen, zeugt nicht von Klugheit, sondern von Feigheit.

In diesen Tagen zeigt sich mehr denn je, wer in Krisenzeiten fähig ist, über sich selbst hinauszuwachsen – und wer versucht, die Lage zu simplifizieren und damit langfristig zu verschlimmern.

„Deine Ukraine-Hilfe“

Bereits kurz nach Kriegsausbruch haben sich engagierte Unternehmen der Bio-Branche mit verschiedenen Partnern unter dem Namen „Deine Ukraine Hilfe" zu einer großangelegten Hilfsaktion zusammengeschlossen. Die Initiative bündelt Spendengüter an verschiedenen Sammelstellen in Deutschland und transportiert diese über einen Umschlagplatz in Polen in die Ukraine.

Sachspenden können aus organisatorischen Gründen nur palettenweise angenommen werden. Kontakt: info@deine-ukraine-hilfe.de. Auch für logistische sowie finanzielle Unterstützung ist die Initiative dankbar. Geldspenden sammelt der „Verein Kultur für humanitäre Hilfe e.V.“, IBAN DE39 7935 30900000 5579 34, Sparkasse Bad Neustadt. Verwendungszweck: Deine Ukraine Hilfe

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