Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Biokreis-Geschäftsführer Josef Brunnbauer

„Der Wunsch nach neuen Absatzwegen war groß“

Auf die Krise im Fachhandel reagiert Biokreis mit einer weiteren Öffnung des Verbands hin zum klassischen Lebensmittelhandel. Im Interview spricht Geschäftsführer Josef Brunnbauer über die Beweggründe und was das für den Fachhandel bedeutet.

Herr Brunnbauer, eine hauchdünne Mehrheit der Biokreis-Mitglieder hat dafür gestimmt, dass künftig auch die Handelsmarken klassischer Supermarkt- und Discountketten das Biokreis-Logo tragen dürfen. Warum ist diese Entscheidung so knapp ausgefallen? Und was waren die wichtigsten Argumente für und gegen diese Öffnung?
Der Biokreis hat durch die strategische Ausrichtung auf den Fachhandel beim Absatz von Produkten gewonnen und auch die Bekanntheit von Biokreis in der Fachhandelslandschaft hat zugenommen. Es haben sich Partnerschaften und persönliche Kontakte ergeben, die vertrauensvoll und wertschätzend sind. Das sprach aus Sicht etlicher Mitglieder dafür, den Fachhandelsbeschluss, der vor fünf Jahren gefasst worden war, beizubehalten, ebenso wie der Punkt, dass der Biokreis durch den Beschluss ein Alleinstellungsmerkmal gewonnen hat.

Dieser Beschluss ist nun Geschichte.
Der Wunsch nach einer Öffnung für neue Absatzwege war in der Mitgliedschaft ebenfalls groß. Der Bio-Fachhandel ist nur bedingt in der Lage, große Mengen an Rohwaren abzusetzen. Genau diese Absatzwege brauchen wir aber aktuell für unsere Mitgliedsbetriebe. Der Entscheidung ging eine lange Diskussion auf der Mitgliederversammlung voran, in der die Argumente beider Seiten sachlich überzeugend dargestellt wurden. Das Für und Wider und das Abwägen des richtigen Wegs kam in der knappen Entscheidung zum Ausdruck.

Biokreis begründet die Öffnung damit, dass der Fokus auf den Fachhandel die Marktposition des Verbands nicht im erhofften Maße stabilisiert und verbessert habe. Was heißt das konkret? Wie haben sich die Absätze von Biokreis-Ware seit dem Fachhandelsbeschluss im Fachhandel entwickelt?
Es gibt zahlreiche gute Projekte, die zusammen mit verschiedenen Fachhandelspartnern auf den Weg gebracht wurden und die fortbestehen. Aber die äußeren Rahmenbedingungen haben sich seit dem Fachhandelsbeschluss massiv verändert – erst durch die Corona-Pandemie und kurz darauf durch die hohe Inflation aufgrund des Kriegs. Vor diesem Hintergrund war es schwierig, den Schwung in die Zusammenarbeit zu bringen, den es gebraucht hätte, um eine dauerhafte Exklusivität des Biokreis in Bezug auf den Fachhandel in der Mitgliedschaft durchzusetzen.

Konventionelle Händler können nun auch Mitglied bei Biokreis werden, unabhängig davon, welchen Anteil Bio-Lebensmittel am gesamten Sortiment ausmachen. Bislang lag die Mindestquote bei 20 Prozent. Haben Sie schon Mitgliedsanträge erhalten?
Es gibt vielversprechende Kontakte mit Vertretern des konventionellen LEH über eine mögliche Zusammenarbeit, die wir mit Blick in die Zukunft weiterentwickeln.

„Viele Fachhändler sind nicht auf eine strategische Zusammenarbeit mit den Verbänden angewiesen.“

Wann und wo wird es voraussichtlich erste Handelsmarken mit dem Biokreis-Siegel im klassischen LEH / Discount geben?
Wir gehen davon aus, dass wir dort vor Ende des Jahres erste Handelsmarken-Produkte mit Biokreis-Auslobung finden werden.

Biokreis hat stets eine Zusammenarbeit mit dem Discount abgelehnt. Warum nun auch der Schritt dorthin? Hätte eine Öffnung ausschließlich für die Handelsmarken der Vollsortimenter wie beispielsweise Edeka, Rewe und Kaufland nicht ausgereicht?
Eine Belieferung von Discountern mit Biokreis-Herstellermarken war schon immer möglich und fand punktuell auch statt. Die Öffnung bezieht sich also ausschließlich auf den Bereich der Handelsmarken. Hier ist es so, dass wir uns in einer sehr dynamischen Handelslandschaft aktuell keine Möglichkeiten verschließen möchten. Es ist für den Absatz unserer Rohwaren und Produkte wesentlich, dass wir als Verband auf kurzfristige Veränderungen reagieren und neue Möglichkeiten ausprobieren können. Durch die Erschließung vielfältiger Absatzmärke kann eine stabile Vermarktungssituation für unsere Mitglieder am besten erreicht werden.

Wie reagiert Biokreis auf die Sorgen der Fachhändler, die mit der Öffnung von Biokreis zum LEH/Discount ein weiteres Alleinstellungsmerkmal verlieren?
Der Fachhandel hat eine große Stärke: seine hohe Glaubwürdigkeit gegenüber der Verbraucherschaft. Daher sind viele Fachhändler auch nicht auf eine strategische Zusammenarbeit mit den Verbänden angewiesen. Sie überzeugen durch ihre Läden, ihr Personal, ihre glaubwürdige Selbstdarstellung gegenüber der Kundschaft. Ganz abgesehen stehen wir als Verband weiter für den Fachhandel zur Verfügung, um gemeinsam Projekte zu entwickeln und Biokreis-Produkte in die Regale zu bringen.

Zur Person

Josef Brunnbauer ist langjähriger Geschäftsführer des Biokreis e.V. und betreut dort den Bereich Verarbeitung & Handel. 2005 gründete er die Ökologische Landwirtschaft Stelzlhof in Passau.

Ist der Fachhandel mit der Entscheidung künftig nur noch ein Absatzkanal von vielen?
Nein auf keinen Fall – der Fachhandel ist und bleibt unser wichtigster Partner. Das ist schon deshalb der Fall, weil die Strukturen des Biokreis am besten zu einer regionalen Versorgung mit Qualitätsware passen. Für uns ist der Fachhandel zudem der Innovationsmotor der Branche und damit unverzichtbar für die Marktentwicklung.

Laut BÖLW-Branchenreport ist die Zahl der Biokreis-Betriebe im vergangenen Jahr um 69 beziehungsweise um 5,2 Prozent zurückgegangen. Bei allen anderen großen Anbauverbänden war der Schwund geringer, Naturland verzeichnete ein Plus. Was sind die Gründe für den Rückgang bei den Biokreis-Betrieben?
Diese Entwicklung ist an sich nicht neu, ihre Dimension aber schon. Aktuell ordnen sich viele Lieferketten neu. Das ist zum einen der Stagnation bei der Nachfrage nach Bio-Produkten geschuldet, zum anderen sind Vermarktungszugänge inzwischen deutlich stärker an der Verbandszugehörigkeit orientiert. Das verunsichert die landwirtschaftlichen Betriebe, denn sie sind auf eine optimale Vermarktung angewiesen, um ihren Hof gewinnbringend zu bewirtschaften. In solch einer Situation kommt es zur Neuorientierung bei den Betrieben.

Warum spielen die Vermarktungszugänge heute eine größere Rolle bei der Auswahl des Verbands?
Viele Handelsmarken im LEH waren in der Vergangenheit mit dem EU-Logo versehen, werden aber in der Zwischenzeit ganz oder teilweise mit Verbandszeichen ausgelobt – Beispiele dafür sind die Eigenmarken von Lidl, Aldi und Rewe. Nun muss die Rohware für die ausgelobten Produkte natürlich auch von den entsprechenden Verbänden stammen. Dadurch schließen sich die Türen für die Rohwaren, die unter anderen Verbandssiegeln erzeugt wurden, auch wenn die Qualität gleich ist. Deshalb spielen die Vermarktungszugänge heute eine größere Rolle bei der Auswahl des Verbands als das in der Vergangenheit der Fall war.

Seit dem 1. März ist Biokreis ordentliches Mitglied der Branchenvereinbarung, die von Bioland, Naturland und Gäa initiiert worden ist. Sie ermöglicht es, dass Rohwaren der beteiligten Verbände gemeinsam gelagert und verarbeitet werden können. Welche Vorteile hat das?
Der Vorteil besteht vor allem für die herstellenden Unternehmen, die bei mehreren Verbänden Mitglied sind und entsprechend verschiedene Rohwarenströme organisieren müssen. Das betrifft auch Biokreis-Mitglieder. Sie erhalten ein einheitliches Verfahren, nach dem sie die Warenströme organisieren können. So wird sichergestellt, dass keiner der bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe aus Marktgründen den Verband wechseln muss.

„Die Anzahl der Betriebe schrumpft; die verbleibenden Betriebe arbeiten spezialisierter und werden von der Flächenausstattung her größer.“

Sie selbst sprechen sich dafür aus, künftig die Freigabe von Rohstoffen überverbandlich zu regeln. Wie ist das Verfahren aktuell? Und was würde eine Neuregelung bewirken?
Die Freigabe von Rohwaren orientiert sich an der Verfügbarkeit von originären Verbandsrohstoffen. Hier arbeitet jeder Verband für sich und auf Basis der eigenen Datenlage, die in der Regel die Verfügbarkeit von originären Rohstoffen des jeweiligen Verbands abbildet. Bei einer verbandsübergreifenden Regelung gehen wir davon aus, dass die Datenlage umfassender sein könnte und die Verwendung originärer Verbandsware der teilnehmenden Verbände gesteigert werden könnte, während der Anteil an EU-Bio-Ware gesenkt werden würde. Auch würde eine Einheitlichkeit des Verfahrens dazu führen, dass verarbeitende Unternehmen die gleichen Voraussetzungen bei Form, Inhalt und Kosten des Antragsverfahrens haben.

Anders als bei den Betrieben hat die Fläche, die nach Biokreis-Kriterien bewirtschaftet wird, im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent zugenommen. Wie kommt diese Entwicklung zustande?
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft macht sich auch bei Biokreis-Betrieben bemerkbar: Die Anzahl der Betriebe schrumpft; die verbleibenden Betriebe arbeiten spezialisierter und werden von der Flächenausstattung her größer. Zudem sind Neumitglieder im Biokreis heute insgesamt größer als der traditionelle Biokreis-Betrieb.

Was ist wichtiger für Biokreis: mehr Anbaufläche oder mehr Betriebe?
Wir freuen uns über jeden Betrieb, der zu Biokreis kommt, ungeachtet dessen, ob er nun groß oder klein ist. Da wir uns zum Ziel gesetzt haben, uns vor allem für kleine und mittlere Familienbetriebe stark zu machen, sehen wir den Strukturwandel im Bio-Bereich durchaus kritisch. Mit dem Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten, in die wir vor allem kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe und handwerkliche Verarbeiter integrieren, wollen wir dieser Entwicklung entgegenarbeiten. Auch hier passt der Fachhandel von seiner Struktur und Wertschätzung her gut und wird ein wertvoller Partner für uns bleiben.

Mit welchen Aussichten geht Biokreis durch das Jahr 2024?
Wir entwickeln neue Absatzwege für unsere Mitgliedsbetriebe und setzen darauf, dass sich der Bio-Markt insgesamt wieder erholt. Dann wird es deutlich leichter werden, Marktzugänge zu erschließen, für die es zu wirtschaften lohnt, und neue Bio-Betriebe aufzunehmen. Im Vordergrund steht dabei die Sache: Wir wollen Positives für unsere Bio-Bauern und Bio-Bäuerinnen bewirken.

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