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Demeter und die NS-Zeit

„Das Ausmaß der Quellenlage war umfangreicher als erwartet“

Jens Ebert und Meggi Pieschel haben vier Jahre zur Rolle der biodynamischen Landwirtschaft in der NS-Zeit geforscht. Im Interview sprechen sie über die Zusammenarbeit mit Demeter und darüber, welche blinden Flecken es noch gibt.

Frau Pieschel, Herr Ebert, gemeinsam mit der Historikerin Dr. Susanne zur Nieden haben Sie seit 2020 untersucht, welche Verbindungen die biodynamische Landwirtschaft und ihre Akteure zum Nationalsozialismus hatten. Wie umfangreich war das Quellenmaterial?
Dr. Jens Ebert (JE): Wir haben rund 30 große Archive in Deutschland, der Schweiz und der Ukraine besucht sowie circa zehn private Nachlässe durchforstet und dabei hunderte Dokumentenkonvolute mit teilweise hunderten Seiten ausgewertet. Darüber hinaus haben wir auch mit Zeitzeugen gesprochen.

Sie haben vier Jahre für die Forschung gebraucht. War 2024, der 100. Geburtstag der biodynamischen Landwirtschaft, der geplante Termin für die Veröffentlichung?
JE: Geplant war die Veröffentlichung eigentlich für 2023. Aber das Ausmaß der Quellenlage war umfangreicher als erwartet. Deshalb wurde das Projekt um ein halbes Jahr verlängert.

Wie schwer war es, Zugang zu den Dokumenten zu erhalten?
JE: Bei den klassischen öffentlichen Archiven war der Zugang einfach. Die größten Schwierigkeiten bereitete uns die Corona-Pandemie. Daher waren wir auch dankbar, dass man uns in den anthroposophischen Archiven im schweizerischen Dornach einen eigenen Raum zur Dokumentenrecherche zur Verfügung gestellt hat. Aufwändig war auch die Reise in die ukrainische Provinzstadt Schytomyr, wo noch zahlreiche bislang weitgehend unbekannte deutsche Akten aus dem 2. Weltkrieg lagern.

Meggi Pieschel (MP): Ich war sehr überrascht, wie gut man uns in den anthroposophischen Archiven unterstützt hat. Außerdem hat uns eine Forschergruppe, die sich zuvor mit den anthroposophischen Ärzten in der NS-Zeit beschäftigt hat, sehr bei der Suche nach relevanten Dokumenten in diesen Archiven geholfen. Denn anders als öffentliche Archive sind Archive von Organisationen nicht immer so gut organisiert, dass man direkt alles findet, was man sucht.

Das Buch zur Studie

„Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure, Verbindungen, Haltungen“. Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel. Metropol Verlag. 477 Seiten.
34 Euro (E-Book: 27 Euro)

Wie lief die Zusammenarbeit mit dem Demeter-Verband, einem der Auftraggeber der Studie?
MP: Wir hatten einen festen Ansprechpartner für organisatorische Fragen. Und was sehr positiv war: Demeter hat sich überhaupt nicht eingemischt.

JE: Das muss man ganz deutlich sagen: In unserer Auswahl der Dokumente und der Forschung waren wir absolut frei. Und sie haben uns unterstützt, wenn wir danach gefragt haben, etwa indem sie uns Demeter-Zeitschriften zur Verfügung gestellt haben, an die wir sonst nicht herangekommen wären.

Wie kamen Sie zu dem Forschungsprojekt?
MP: Schon vor dem Projekt hatten Jens Ebert und ich zu Landwirtschaftseinrichtungen der SS publiziert. Dabei spielte die biodynamische Landwirtschaft schon eine große Rolle. In diesem Rahmen hatten wir uns bereits an Demeter gewandt. Dabei haben wir auch darüber gesprochen, dass Demeter an einer eigenen Studie zum biodynamischen Landbau im Nationalsozialismus interessiert ist. Dass die Wahl schließlich auf uns fiel, lag auch daran, dass anderen Agrarhistorikern dieses Forschungsprojekt zum umfangreich war.

Gibt es nach ihrer Studie noch blinde Flecken, was die Beziehungen zwischen biodynamischer Landwirtschaft und Nationalsozialismus angeht?
MP: Forschung geht immer weiter. Zwei Aspekte haben wir nicht mehr geschafft, weil sie den Rahmen gesprengt hätten: Wir haben fast 900 biodynamische Landwirten aus der Zeit namentlich dokumentiert. Unser Ziel war, von allen Schlüsselpersonen biografische Angaben zu machen. Außerdem ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig wir über die Entstehung und Entwicklung der ökologischen Gegenkonzepte zur Industrialisierung der Landwirtschaft der 1920er Jahre wissen. Die biodynamische Landwirtschaft war ja nicht das einzige ökologische Landwirtschaftskonzept. In diese Richtung müsste noch wesentlich mehr geforscht werden.

JE: Wir haben so viele Archive besucht und Quellen gesichtet, dass wir beim Thema biodynamische Landwirtschaft und Nationalsozialismus davon ausgehen können, dass dazu nichts mehr grundsätzlich Neues zu finden sein wird.

Die Autoren der Studie

Dr. Jens Ebert studierte Germanistik und Geschichte. Seit 2001 arbeitet er als freischaffender Publizist und Buchautor. Seit 2008 ist freier Mitarbeiter des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden.

Meggi Pieschel hat Landschaftsplanung studiert und war unter anderem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin. Gemeinsam mit Jens Ebert war sie Co-Autorin einer Studie zur landwirtschaftlichen Forschung und Praxis während der SS-Zeit.

Dr. Susanne zur Nieden ist Historikerin. Sie forscht und publiziert zur Geschichte des Alltags im Nationalsozialismus und der frühen Nachkriegsjahre.

Neben der biodynamischen Landwirtschaft gab es noch zwei weitere ökologische Landbausysteme, die aber schon Ende der 1930er Jahre von den Nazis verboten wurden. Warum setzten sich NS-Größen wie Rudolf Heß und Heinrich Himmler ausgerechnet für die Biodynamik ein?
MP: Ewald Könemann und Wilhelm Büsselberg haben zeitgleich zur biodynamischen Landwirtschaft eigene Konzeptionen für eine alternative Landbauweise vorgelegt. Beide waren dem NS ideologisch auch viel näher als die Biodynamiker. Dass sich Heinrich Himmler, Rudolf Hess und Walther Darré eher für die biodynamische Alternative entschieden haben, liegt nicht an einer ideologischen Übereinstimmung. Die biodynamische Landwirtschaft war einfach bekannter und hatte mehr Erfolge aufzuweisen. Insofern war das eine rein fachliche Entscheidung gewesen.

JE: Was auch ganz entscheidend war: Die biodynamische Landwirtschaft hatte bereits ein ganzes System von Produktion, Konsumption und Distribution. Könemann und Büsselberg hatten bis dato nur Theorien und allenfalls praktische Versuche unternommen. Es gab zum Beispiel damals schon Demeter-Bäckereien. Und weil das NS-Regime funktionierende Systeme brauchte, um Lebensmittel zu produzieren und zu verteilen, bevorzugte es die biodynamische Landwirtschaft.

Haben Sie auch untersucht, inwieweit das ideologische Gedankengut Rudolf Steiners Parallelen zur NS-Ideologie aufweist? 
JE: Das gehörte nicht zum wissenschaftlichen Gegenstand. Wir haben uns natürlich für den Hintergrund damit beschäftigt, möchten uns dazu aber nicht äußern, weil wir dafür keine Spezialisten sind.

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