Die Versorgung mit Lebensmitteln, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel treibt angesichts der Pandemie in Deutschland viele Menschen um. Neben den berüchtigten Hamsterkäufen, die auch in Bioläden an der Tagesordnung sind, muss nach Schließung von Gaststätten, Bistros, Schulen, Kitas und Betriebskantinen wieder mehr zuhause gekocht und gegessen werden. Entsprechend mehr wird auch in Bioläden gekauft, wie unsere Beispiele aus dem Norden, Westen und Osten der Republik zeigen. Die Umsätze steigen in ungeahnte Höhen.
Naturmarkt Schleswig: 30 Prozent Umsatzplus
Der Naturmarkt Schleswig im hohen Norden erlebt seit etwa 14 Tagen Hamsterkäufe. Geschäftsführer Peter Schumacher schätzt die Umsatzsteigerung nach grober Sichtung auf "um die 30 Prozent". Regale im Trockenbereich seien halb leer. Der Großhändler Dennree konnte wegen Überlastung seiner Kapazitäten am Dienstag keine Trockenware und TK liefern, inzwischen soll wieder das meiste dabei sein. Länger währende Engpässe gebe es nur in bestimmten Produktgruppen, z.B. verarbeiteten Tomatenprodukte aus Italien, und bei beliebten, sehr lang haltenden Produkten wie getrockneten Linsen.
Kunden aus dem konventionellen Handel
Vor allem Nudeln wurden stark nachgefragt. Sie haben dem Naturmarkt Schleswig auch neue Kunden beschert, weil die Ware in den konventionellen Märkten in Schleswig schon vergriffen war. Definitiv ausverkauft sind die Desinfektionsmittel von Sonett und Sodasan.
Maßnahmen zum Schutz von Personal und Kunden
Um die Beschäftigten und Kunden vor dem Virus zu schützen, hat der Naturmarkt sein Bistro geschlossen und die Kasse am Bäckereitresen abgestellt. Die Backwaren müssen jetzt an der Hauptkasse bezahlt werden.
Über Aushänge werden die Kunden gebeten, Bargeld-Verkehr zu vermeiden, eigene Einkaufskörbe mitzubringen und einen Abstand von 1,5 Meter zu anderen Kunden und dem Personal zu halten.
Bedrückende Stimmung trotz Umsatzsteigerung
Für Peter Schumacher, der sich wegen der Schließung der Kitas in Schleswig-Holstein die Betreuung des gemeinsamen Kindes mit Inhaberin Lena Kirchschläger im Wechsel teilt, ist die Stimmung trotz der Umsatzsteigerung bedrückend: „Viele Kunden sind in großer Anspannung und lassen ihre durch Angst getriebenen Launen an unseren Mitarbeitern aus. Ich beobachte auch mit Sorge, dass diejenigen, die es sich leisten können, riesige Mengen an Vorrat kaufen. Ältere Menschen mit einem kleine Einkaufstrolley, die praktisch täglich kommen müssen, haben das Nachsehen und stehen mitunter vor leeren Regalen. Mit Solidarität in der Gesellschaft haben diese Hamsterkäufe wenig zu tun.“
Vorwerk Podemus: Vierfache Menge Kartoffeln verkauft
Wegen der starken Rückgänge in der Gastronomie sowie der Schließung von Kitas und Schulen sind auch die Sachsen gezwungen, mehr selbst zu kochen. Bernhard Probst, Inhaber von einem Dutzend Vorwerk Podemus-Biomärkten im Raum Dresden merkt das vor allem am vierfachen Kartoffel-Absatz. Aber auch Hamsterkäufe bei Nudeln, Klopapier und Konserven sind an der Tagesordnung. In einem Markt musste sogar eine Schlägerei um knappe Ware geschlichtet werden. „Die Leute sind hier zum Teil schräg drauf“, so Probst.
Personaldecke stark ausgedünnt
Die Schließung der Kitas habe dazu geführt, dass seine Spielangebote am Bio-Hofmark - Schaukel und Trampolin - stark von Kindern frequentiert werden. Die Kleinen würden jetzt ihre Eltern beim Einkauf begleiten. Im Gegensatz dazu hat sich die Personaldecke in den Vorwerk Podemus-Filialen stark ausgedünnt. Weil zahlreiche Verkäuferinnen nun ihre Kinder betreuen müssten, werde in den Läden ein Ein-Schicht-Betrieb gefahren. Zudem seien einige nach einem Ski-Urlaub in Italien in Quarantäne, die normale Grippe-Welle sorge für weitere Ausdünnung. Und Studenten, die als Aushilfskräfte dienten, blieben aus Angst vor dem Coronavirus lieber zuhause.
Einräumen der Regale vor Ladenöffnung
Die Regale werden bereits vor Ladenöffnung eingeräumt, um so die mögliche Kinderbetreuung durch Ehepartner zu nutzen. Außerdem sei es nach Öffnung der Ladentüren meist zu voll, um die Massen an fehlender Ware in vertretbarer Zeit einzuräumen. Den Umsatz in diesen Tagen bezeichnet Probst als „gutes Weihnachten“.
Aufruf zur Solidarität per Handzettel
Bernhard Probst geht davon aus, dass der Höhepunkt der Corona-Krise noch bevorsteht. Nach seinen Informationen habe sich die Uni-Klinik Dresden bereits voll auf Coronavirus-Infizierte eingestellt. Damit es nicht zu übermäßigen Hamsterkäufen kommt, will er seine Kunden per Handzettel zur Solidarität aufrufen. Schließlich soll „die alte Oma“ auch noch Nudeln abbekommen. Demnächst, so Probst, wollen in Dresden auch das Frauenhofer Institut und der Sanitär-Großhandel schließen – bei seinen vielen Bauvorhaben keine gute Nachricht. Freude an Corona haben seine dagegen Fahrer: In der Stadt sind die Straßen jetzt meist frei.
Momo: Montag ist wie Samstag und Samstag wie Ostersamstag
Auch bei Momo in Bonn sind Hamsterkäufe an der Tagesordnung. Geschäftsführer Raoul Schaefer-Groebel schätzt, dass etwa die Hälfte seiner Stammkunden weiter normal einkauft, die andere Hälfte sich aber zum Teil kräftig bevorratet. Die Bons pro Kunde hätten sich um 30 bis 100 Prozent erhöht. Je nach Corona-Nachrichtenlage könne es an einem Montag so voll werden wie an einem Samstag und an einem Samstag so voll wie an einem Ostersamstag.
Nachschub funktioniert nicht zeitnah
Zurzeit ist ein leeres Reisregal bei Momo zu beklagen, bei Nudeln und Haferflocken ist die Lage ähnlich dramatisch. Der Nachschub funktioniere wegen knapper Ware nicht zeitnah. Teilweise kürze der Großhandel auch Bestellungen, weil Basislebensmittel bereits die Transportkapazitäten auslasteten.
Ellenbogenmentalität bei Kunden
Im Laden sei auch eine gewisse Ellenbogen-Mentalität zu beobachten. Beispiel: Eine Kundin hatte einen Wagen voller Nudeln gepackt und war nicht bereit, einem anderen Kunden wenigstens eine Packung zu überlassen. „Hätte ich das gesehen, ich hätte ihr die Packung aus dem Wagen genommen“, so Schaefer-Groebel. Momo hat jedoch keine Höchstgrenzen für den Abverkauf bestimmter Waren eingeführt.
Kinderbetreuung nach Kita-Schließungen nicht unproblematisch
Zum Schutz vor dem Coronavirus werden die Einkaufswagen täglich desinfiziert. Alle Beschäftigten seien sich über die hohen Hygiene-Anforderungen bewusst seien fleißig am Händewaschen. Die Schließung der Kitas in Nordrhein-Westfalen könnte allerdings bald Probleme bereiten, weil nicht überall Großeltern oder andere Verwandte auf Dauer die Betreuung übernehmen könnten. Eine Mitarbeiterin betreue ihr Kind im Wechsel mit ihrem Mann, der flexible Büroarbeitszeiten habe. Ein Mitarbeiter bringe seine Tochter mit in den Laden. Dort schaue sie sich dann Youtube-Videos von Influenzern an.
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