Biohandel

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Volksinitiativen in der Schweiz

Pestizidverbot und Umbau der Agrarsubventionen – Bio-Verbände sagen „Nein!“

Die Wahlberechtigten in der Schweiz können Pestizide dauerhaft verbieten und die Agrarsubventionen zugunsten von Bio umverteilen. Doch Bio-Hersteller und Bio-Händler sind dagegen. Was ist da los?

Die Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide will per Volksabstimmung ein Pestizidverbot in der Verfassung verankern und auch den Import von Lebensmitteln verbieten, die mit Pestiziden erzeugt wurden. Umsetzungsfrist zehn Jahre. Die Initiative sauberes Trinkwasser will mit einer Verfassungsänderung die rund 2,8 Milliarden Franken (2,5 Milliarden Euro) an jährlichen Agrarsubventionen binnen acht Jahren völlig neu ausrichten auf „die Erhaltung der Biodiversität, eine pestizidfreie Produktion und einen Tierbestand, der mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann“. Am 13. Juni können die Schweizerinnen und Schweizer über diese Verfassungsänderungen abstimmen, die vor allem von den großen Umweltverbänden unterstützt werden. Nicht jedoch von den Bio-Verbänden.

Bio Suisse gegen Trinkwasser-Initiative

Die Delegierten des großen Schweizer Bio-Verbandes Bio Suisse haben am 14. April die Trinkwasser-Initiative nach einer emotionalen Debatte mit 73 zu 20 Stimmen bei 5 Enthaltungen abgelehnt. Die Probleme seien unbestritten. Mit den vorgeschlagenen Massnahmen sollten die Probleme jedoch allein auf dem Buckel der Bäuerinnen und Bauern gelöst werden, hatte Bio Suisse Präsident Urs Brändli auf der Online-Versammlung argumentiert. Ein Argument des Bio Suisse-Vorstandes war auch, dass bei einem Ja zur Initiative „die grosse Mehrheit der Grünlandbetriebe auf Bio umstellen wird. Eine massive Überversorgung der Märkte mit Bio-Milch und -Fleisch würde in diesem Fall das heute faire Preisgefüge gefährden“.

Angst vor zuviel Bio also? Karl Schefer, Geschäftsleiter des Bio-Weinhändlers Delinat kommentierte den Beschluss von Bio Suisse auf der Plattform bionetz.ch so: „Die Delegierten folgen damit nicht nur blind den hanebüchenen Schein-Argumenten des Bauernverbandes, sie beugen sich offensichtlich auch dem Druck der grossen Detailhändler.“ Denn die zwei großen Konzerne Coop und Migros sind die wichtigsten Abnehmer der Bio-Landwirte – und ihrer konventionellen Kollegen. Beide lehnen die Trinkwasser-Initiative ab.

Der Imageschaden für Bio Suisse bei überzeugten Bio-Konsumenten durch den Beschluss sei enorm, sagen Branchenkenner: „Es sieht so aus, wie wenn es dem Bauernverband und der Agrochemie-Lobby gelungen wäre, mit einem «unfriendly takeover» die Bio Suisse zu übernehmen und umzudrehen“, schreibt eine Konsumentin namens Myrtha Schaub im Tagesanzeiger. Die Facebook-Seite von Bio Suisse ist voll von negativen Kommentaren „Ganz traurig. Bio Suisse verrät die eigenen Werte“, „Masslos enttäuscht“, „Katastrophe!!!“ heißt es dort. Mehrere Bio-Landwirte seien bereits aus dem Verband ausgetreten und überlegten nun, eine Alternative zu gründen, berichten Branchenkenner.

Bio ist so oder so eine gute Lösung. Und der Einkaufszettel wirkt schneller als der Stimmzettel.

Bio Suisse

Noch im November 2020 hatten die Delegierten von Bio Suisse ihren Verband mit einem „JA“ zur Pestizid-Initiative klar positioniert. Doch der Verband selbst verhält sich seither neutral. „Bio Suisse wird keiner der Kampagnen Logo oder Name zur Verfügung stellen. Vorstandsmitglieder engagieren sich nicht in Komitees. Bio Suisse wendet keine Mittel für oder gegen eine der Initiativen auf“, heißt es in einem Argumentarium
von Bio Suisse mit Bezug auf die beiden Volksinitiativen. Aktive Unterstützung ist das nicht gerade.

So soll das Pestizidverbot in die Verfassung

„Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege ist verboten. Die Einfuhr zu gewerblichen Zwecken von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, ist verboten“.

Bio-Hersteller gegen Pestizidverbot

Die Interessengemeinschaft Bio Schweiz (IG Bio) veröffentlichte Anfang April zwei Positionspapiere, in denen sie beide Initiativen ablehnt. In dem Papier zur Pestizid-Initiative betonten die in der IG zusammengeschlossenen Bio-Unternehmen (siehe Kasten) zwar, dass sie den Grundgedanken der Initiative begrüßen und „einen dringenden Handlungsbedarf zur Eindämmung des Einsatzes von Pestiziden“ sehen. Ihre Ablehnung begründen sie damit, dass das Verbot zu umfassend sei und nach den zehn Jahren in der Schweiz „nur noch Bio hergestellt würde und auch nur noch Bio importiert werden dürfte“. Durch den geringeren Flächenertrag von Bio würde der Selbstversorgungsgrad der Schweiz sinken und es seien mehr Importe notwendig. Die Produktionkosten würden sich weiter erhöhen und Exporte noch schwieriger. Insgesamt, so das Fazit der Bio-Unternehmen „scheinen die Auswirkungen der Initiative auf das Gesamtsystem aufgrund der sehr komplexen Wechselwirkungen noch viel zu wenig untersucht und daher äusserst unklar.“

Branchenkenner hat die Haltung der IG Bio nicht überrascht, da dieser Verband von der Migros dominiert werde. Der genossenschaftlich organisierte Konzern verarbeitet und verkauft neben Bio vor allem konventionelle Lebensmittel. Mitglied der IGBio ist auch die milliardenschwere konventionelle Agrargenossenschaft Fenaco. Es ist allerdings nicht bekannt, dass sich die reinen Bio-Betriebe in der IGBio (siehe Kasten) von dem Beschluss distanziert hätten.

Die IG Bio

Die Interessengemeinschaft Bio Schweiz wurde 2015 gegründet und soll „branchenübergreifend die Interessen der Unternehmer in der Schweizer BIO-Wertschöpfungskette“ vertreten. Zu den Mitgliedern gehören namhafte Schweizer Bio-Verarbeiter und Händler, darunter Alnatura Schweiz, der Fachhandelsgroßhändler Bio Partner Schweiz, Holle Babyfood, die wichtigen Bio-Schoki-Hersteller, der Fairhändler Pronatec und die Kelterei Biotta.

Kommentare

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Malte Reupert

Wenn wir Bio-Unternehmen keine Ideen mehr für unsere eigene substanzielle Weiterentwicklung haben (reines Volumenwachstum ist nicht substanziell), dann ist natürlich unsere relativ komfortable Wettbewerbsposition gefährdet, weil die sichbare Differenzierung zur Masse, also unsere Marktnische entfällt. Ganz klar: Daraus folgt der Reflex zur Marktabschottung, wie uns nicht nur die Schweizer Kollegen demonstrieren... Marktabschottung ist jedoch kein auf die Dauer tragfähiges Differenzierungskonzept.
Umgekehrt heißt das: wenn wir als Bio-Kernbranche uns nicht ambitioniert und in unserer Kernsubstanz weiterentwickeln, dan werden wir schneller zu rückwärtsgewandten Bremsern der gesellschaftlichen Entwicklung als wir uns das jemals haben träumen lassen.

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