Bio-Lachs aus Norwegen ist schon seit 1. Januar 2015 nicht mehr Bio. Das meint die EU-Kommission und teilte dies jetzt den Mitgliedsstaaten schriftlich mit. Was daraus folgt, ist völlig ungeklärt. Klar ist nur eines: An den Produktionsbedingungen der norwegischen Biolachs-Züchter hat sich nichts geändert. Hier geht es um Juristisches – und um Agrardiplomatie.
Norwegen ist kein Mitglied der EU. Es gehört aber, wie Island und Liechtenstein, dem europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an. Dieses Abkommen dehnte den Europäischen Binnenmarkt auf diese drei Staaten aus und verpflichtete sie, wichtige Binnenmarktsregeln in die nationale Gesetzgebung zu übernehmen. Dazu zählt auch die EU-Öko-Verordnung. Deren Neufassung in den Verordnungen 834/2007 und 889/2008 hat Norwegen bis heute nicht umgesetzt, so dass dort pro forma noch die alte EU-Öko-Verordnung von 1992 gilt – und die kannte noch keine Bestimmungen für die Fischzucht.
Der Bio-Fisch kam erst 2009 in die Verordnung, mit dem Verweis, dass nationale Regeln nur noch bis 1. Januar 2015 toleriert werden. Bis dahin durfte Norwegen noch nach eigenen Regeln Bio-Lachs zertifizieren. Seither gelten nur noch Zertifikate nach den Verordnungen 834/2007 und 889/2008 – und die hat Norwegen immer noch nicht umgesetzt. Also kann es keinen EU-zertifizierten Bio-Lachs aus Norwegen geben, folgert die EU-Kommission.
EU-Kommission: Eineinhalb Jahre kein Wort – jetzt eilt es
Auch die EU-Kommission brauchte eine Zeit lang, um das seit 1.1. 2015 virulente Problem zu erkennen. Erst im Juni 2015 fiel es Inspektoren des Food and Veterinary Office (FVO) der EU auf, dass die norwegische Kontrollstelle Debio immer noch EU-Öko-Zertifikate für norwegischen Lachs ausstellte und Abpacker das EU-Öko-Logo verwendeten. In ihrem Report heißt es auch, dass die norwegische Ökokontrollbehörde NFSA mangels Rechtsgrundlage die Arbeit der Kontrollstelle im Bereich Aquakultur nicht überwacht habe.
Danach dauerte es gut ein weiteres Jahr, bis die EU-Kommission Mitte Juli 2016 die Ökobehördenvertreter der Mitgliedsstaaten in einer der regelmäßigen Sitzung des Ausschusses zur ökologischen Produktion informierte und Ende Juli dann einen schriftlichen Bericht nachreichte. Als Grund für die Aktivität werden darin Bedenken genannt, „die von einigen Mitgliedstaaten und Erzeugerorganisationen erhoben wurden.“ Erwähnt ist in dem Bericht auch, dass die Vertreter von Deutschland, Italien und Frankreich Nachfragen stellten und Norwegen (als Beobachter) um eine Zwischenlösung bat.
Was nicht in dem Bericht steht ist, wie die Mitgliedstaaten diese Ausführung der Kommission zur Rechtslage denn nun umsetzen sollen.
- Müssen sie die Kontrollstellen losschicken, damit diese jedes norwegische Bio-Lachsfilet, das nach dem 1. Januar 2015 erzeugt und in die EU importiert wurde, im Markt sperren?
- Oder gilt als Frist das Datum des Kommissionsberichts vom 28. Juli 2016?
- Gilt das auch für andere Bio- Zuchtfische/-Muscheln aus Norwegen oder gar für alle norwegischen Bio-Produkte?
- Und warum hat die EU-Kommission die letzten Monate nicht genutzt, um mit den norwegischen Vertretern eine einvernehmliche Übergangslösung zu finden? Zeit genug war ja.
BMEL und BLE: Kommentarlos an die Länder weitergeleitet
Angesichts dieser Unklarheiten ist zu vermuten, dass die Mitgliedsstaaten dem norwegischen Bio-Lachs-Problem sehr unterschiedliche Prioritäten einräumen. Schließlich hat sich an dessen Qualität nichts geändert, Basis der Zertifizierung waren und sind die Aquakulturstandards von Debio. In Deutschland haben sich das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und die Bundes-Ökobehörde BLE nach Angaben Beteiligter darauf beschränkt, das Kommissionspapier und die damit verbundenen Vollzugsfragen unkommentiert an die Länderbehörden weiterzureichen.
Bundesweite Vorgaben waren nach Meinung dieser Behörden anscheinend nicht veranlasst. bio-markt.info fragte nach, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, die Weitergabe des EU- Berichts mit konkreten Verfahrensvorschlägen zu verbinden. Das Ministeriums antwortete kurz angebunden: „Bitte wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage an die LÖK-Geschäftsstelle. Diese koordiniert in dieser Angelegenheit die Vorgehensweise der zuständigen Länderbehörden.“
LÖK steht für Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau und eine eigene Geschäftsstelle hat dieses bisher nur ein paar mal im Jahr tagende Gremium erst seit wenigen Monaten. Diese neue Struktur wurde eigens geschaffen, um einen einheitlicheren bundesweiten Vollzug der Öko-Verordnung sicherzustellen. Doch von der LÖK war in Sachen Lachs zu Beginn nichts zu hören und zu lesen – womöglich wegen Sommerpause und Urlaubszeit.
Bundesländer: keine einheitliche Handlungsweise
Zudem sahen die meisten Landes-Ökobehörden keine besondere Dringlichkeit. Erst mal abwarten, was Brüssel und Norwegen weiter verhandeln, lautete deren Rezept für den norwegischen Lachs. Schließlich gibt es mit Ölsaaten und Getreide aus Süd- und Osteuropa, mit konventionellen Legehennenküken aus den Niederlanden oder hohen Paraquatbelastungen in Chiasamen aus Paraguay wahrlich genug Betätigungsfelder.
Die baden-württembergische Ökolandbaubehörde verschickte allerdings am 16. August 2016 ein Rundschreiben an die in ihrem Bundesland tätigen Kontrollstellen, stellte darin kurz die Rechtsauffassung der EU-Kommission vor und bat die Kontrollstellen, einschlägige Kunden in Baden-Württemberg, „die möglicherweise Bio-Lachs, andere Erzeugnisse der Öko-Aquakultur oder damit hergestellte Erzeugnisse handeln oder verwenden, unverzüglich auf die vorgenannte Rechtslage“ hinzuweisen.
Hans-Georg Borowski-Kyhos, Mitarbeiter der Ökolandbaubehörde, begründete das Vorgehen gegenüber bio-markt.info mit den Aussagen und Anmerkungen des Kommissionsberichtes. „Das ist eine klare Darstellung der Rechtslage und es ist unsere Aufgabe, die Kontrollstellen über diese – auch für uns überraschende – Rechtslage zu informieren und sie zu bitten, die Information an die von ihnen kontrollierten und möglicherweise davon betroffenen Unternehmen weiterzugeben, damit diese entsprechend handeln können.“
In dem EU-Bericht ist geschildert, dass die norwegische Ökokontrollbehörde NFSA mangels Rechtsgrundlage die Arbeit der Kontrollstelle Debio im Bereich Aquakultur nicht überwacht habe.
Die Kontrollstelle Ecocert veröffentlichte aufgrund der baden-württembergischen Rundmail eine Mitteilung auf ihrer Webseite und machte so den Vorgang öffentlich. Darin bat sie Kunden, sich zu melden, sofern sie norwegischen Lachs auf Lager hätten, der nach dem 28.7.2016 importiert wurde.
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Was passiert mit dem Fisch, der bereits aus Norwegen importiert wurde? Solche Fragen müssen erst noch geklärt werde,
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Der Kontrollstellen-Verband KdK nahm das Schreiben zum Anlass, um einen Tag später allen Länderbehörden und der Bundesbehörde BLE zu schreiben. In dem bio-markt.info vorliegenden Brief heißt es: „Die Kontrollstellen erhielten bisher von den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Informationen zu Produkten der Aquakultur aus Norwegen. Diese unterscheiden sich zum Teil hinsichtlich des Inhalts und folglich hinsichtlich der Auswirkungen für die Unternehmen.“ Weiter schrieb die KdK, dass die bisher vorliegenden Informationen weder ausreichen, um die Unternehmen angemessen zu informieren geschweige denn, um irgendwelche Zertifizierungsentscheidungen zu treffen.
Dann folgen sechs detaillierte Fragen, etwa „ab welchen Zeitpunkt werden norwegische Produkte als nicht mehr konform bewertet?“ Oder: „Darf die noch vorhandene Ware sowie daraus hergestellte Produkte abverkauft werden oder muss diese aus dem Handel zurückgerufen werden?“ Erst wenn Klarheit bezüglich der oben genannten Fragen bestehe, erscheine eine Information der Unternehmen sinnvoll. Die KdK würde es „sehr begrüßen, wenn die Bundesländer sich zu den Fragen in diesem Themenkomplex auf einheitliche Antworten und Umsetzungen und somit Rechtsfolgen für die Unternehmen einigen könnten.“ Doch der Fall zeigt, dass es bei akut auftretenden Vollzugsfragen noch keinen Modus gibt der sicherstellt, dass die LÖK tatsächlich die Vorgehensweise der Länderbehörden zeitnah koordinieren kann.
Baden-Württemberg: Norwegischer Bio-Lachs muss vom Markt
Eine offizielle Antwort erhielten die Kontrollstellen bisher nur aus Baden-Württemberg. Darin stellte die dortige Behörde am 19. August klar: „Diese Rechtslage gilt für Erzeugnisse, die ab dem 01.01.2015 eingeführt wurden“ und zwar nicht nur für Lachs, sondern „für alle Erzeugnisse der Aquakultur, die aus Norwegen stammen.“ Unternehmen, die solche Produkte besitzen, seien verpflichtet, „Verfahrensschritte einzuleiten, um jeden Bezug auf die ökologische/biologische Produktion von diesen Erzeugnissen zu entfernen und das Erzeugnis nur ohne solchen Bezug in den Verkehr zu bringen.“
Im Klartext: Ein in Baden-Württemberg ansässiger Hersteller oder Inverkehrbringer muss alle Produkte, in denen nach 1. 1. 2015 importierter norwegischer Bio-Lachs verarbeitet wurde, vorerst sperren und dürfte den Bestand aktuell nur konventionell vermarkten. Nur Bio-Einzelhändler, die nicht dem Kontrollsystem unterliegen, können die Ware noch abverkaufen.
Genau das sei der vorgesehene Ablauf, wobei Baden-Württemberg das bisher nicht verlangt, sondern der unternehmerischen Verantwortung anheim gestellt hat. Nicht unbedingt in anderen Bundesländern: Ein Hersteller berichtete, dass „aktuell ein Importstopp für norwegischen Bio-Lachs vorliegt“, und er deshalb nur bestehenden Bestände abverkaufen und ansonsten abwarten könne. Einen solchen Abverkauf schon verarbeiteter und verpackter Ware halten dem Vernehmen nach auch die meisten anderen Bundesländer und die LÖK-Geschäftsstelle für zulässig.
Verschiedene Bundesländer forderten die Öko-Kontrollstellen zwischenzeitlich auf, „Art und Menge der betroffenen Erzeugnisse“ auf dem Bio-Markt zu erheben und an die Behörden zu melden. Über die Konsequenz einer solchen undifferenzierten Anordnung machten sich die Ländervertreter offenbar keine Gedanken, schimpft Jochen Neuendorff, Leiter der Kontrollstelle GfRS. „Statt gezielt an den Flaschenhälsen, den Importunternehmen von norwegischen Bio-Produkten, Mengen zu erheben und das Spektrum der betroffenen Erzeugnisse durch Gespräche mit Marktexperten abzuschätzen, soll die deutsche Bio-Branche nun die Kosten für eine spontane Markterhebung tragen.“
Unverständnis in der Branche
Das unterschiedliche Vorgehen der Länderbehörden und die Fragen des Vollzugs (die bisher nur aus baden-württembergischer Sicht geklärt sind), sorgten in der Bio-Branche für Kopfschütteln. „Da wiehert der Amtsschimmel“ sagt einer der vom Bio-Lachs-Problem Betroffenen, „eine Farce“ nennt ein anderer den Vorgang. „Unglaublich, was da schon an Zeit und Nerven reingegangen ist“, beklagt ein Dritter. Hinter den Kulissen laufen Bemühungen, die von der EU-Kommission losgetretene und von anderen Behörden verstärkte Lawine einzudämmen. Denn in der Praxis bedeutet ein Vorgehen wie von Baden-Württemberg nahegelegt, dass etwa ein Hersteller von Ravioli gefüllt mit norwegischem Bio-Lachs (Anteil 15 Prozent) alle noch vorhandenen Packungen erst mal auf Eis legen muss. Bleibt es bei der Aberkennung, kann er sie konventionell vermarkten Da er keine entsprechenden Absatzwege hat, landen die Lachs-Nudeln auf dem Müll – oder bei einer Tafel.
Betroffen sind aber nicht nur deutsche Fischfiletanbieter und Händler sondern insbesondere die gesamte norwegische Bio-Lachszucht. Allein SalMar, der größte Erzeuger, produzierte 2015 9.000 Tonnen Bio-Lachs, insgesamt sind es rund 14.000 Tonnen jährlich. Laut der Zeitschrift IntraFish haben die derzeit in Norwegen gemästeten Bio-Lachse einen Marktwert von über 100 Millionen Euro. Ein unglückliche Situation sei das, schreibt der norwegische Fischereiminister Per Sandberg und entschuldigt die eigene jahrelange Untätigkeit damit, dass es landwirtschaftliche Details seien, die bisher die Umsetzung der neuen EU-Öko-Verordnung in norwegisches Recht verhindert habe. Und für die Landwirtschaft sei ein Kollege zuständig.
Dem Vernehmen nach geht es bei diesen Details insbesondere um die Kriterien der Schafhaltung, die angepasst werden müssten. Norwegerpulli aus Bio-Wolle oder Bio-Lachs also – oder vielleicht doch beides? Im September treffen sich der norwegische Landwirtschaftsminister und der irische EU-Agrarkommissar Phil Hogan (irischer Bio-Lachs, irische Schafwollpullis). Für den 20. September ist die nächste Sitzung des Ausschusses für die ökologische Produktion anberaumt. Da haben EU-Kommission und Mitgliedsstaaten noch einmal die Chance, das Problem sinnvoll zu lösen.
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