Biohandel

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Wie Einzelhändler Wirksensorik im Bioladen einsetzen können

Lebensmittel schmecken nicht nur, sondern wirken sich auch körperlich und emotional unterschiedlich aus. Das zu bemerken, kann man lernen – und für sein Geschäft nutzen.

Tut uns eigentlich gut, was wir essen? Machen Bio-Produkte zufriedener als konventionelle? Die noch recht junge Wirksensorik beschäftigt sich mit den körperlichen und emotionalen Wirkungen von Lebensmitteln. Dieses Wissen lässt sich vielfältig im Bioladen nutzen – etwa zur Sortimentsgestaltung und Kundenbindung – oder bei der Entwicklung neuer Bio-Produkte.

Wissenschaftlich anerkannte Methode

Diese Wirkungen kennen Sie: Nach der ersten Tasse Kaffee am Morgen fühlen Sie sich wach und fit – aber schon nach kurzer Zeit sinkt das Energielevel. Tee wirkt sanfter, er macht peu à peu munter, dafür hält die Wirkung länger an. Kakao mit Sahne oder Torte mit Buttercreme streicheln hingegen die Seele, denn sie wirken wohlig-warm und entspannend.

Alle Lebensmittel, ob Butter, Brot, Gemüse oder Wasser, wirken sich auf das körperliche und emotionale Wohlbefinden aus – wenn oft auch nicht so deutlich wie Kaffee oder Alkohol. Was da passiert, das erforscht und erfasst die Wirksensorik. Sie sammelt Erkenntnisse darüber, wie uns Essen bekommt, ob es also zufrieden und glücklich macht – oder uns nicht gut tut. Genutzt wird dafür eine wissenschaftlich anerkannte Methode, die vom Demeter Forschungsring in Darmstadt unter Leitung des Agraringenieurs Dr. Uwe Geier entwickelt wurde.

Professionelle Lebensmittelvergleiche – etwa zwischen konventionellen Säften und solchen in Bio-Qualität – werden von einer geschulten Testgruppe von circa zehn Personen durchgeführt. Dabei wissen die Tester nicht, welches Lebensmittel oder welche Marke sie vor sich haben. Außerdem kommt ein Fragebogen zum Einsatz, in den die Prüfer eintragen, was sie feststellen, ob der Saft eher behaglich wirkt oder zu Unwohlsein führt. Anhand der Ergebnisse lassen sich dann oft statistisch signifikante und somit allgemeingültige Aussagen treffen.

Darüber hinaus werden auch Empfindungen außerhalb des Fragebogens notiert. Das Wirkspektrum wird so noch mehr erweitert. Wichtig ist auch: Vor jeder Verkostung führen alle Teilnehmer einen sogenannten Bodyscan durch, eine kurze „Reise“ durch den Körper. „Damit lassen sich körperliche oder emotionale Wirkungen noch besser wahrnehmen“, erklärt Uwe Geier.

Wir gucken nach der Wirkung hinter dem Geschmack.

Dr. Uwe Geier, Leiter des Demeter Forschungsrings in Darmstadt

Essen und Trinken muss auch guttun

Ohne Frage sind der Geschmack und Gesundheitswert von Lebensmitteln wichtig. Was nicht schmeckt oder gesund ist, wird nicht gekauft und gegessen. Doch Essen und Trinken muss auch bekommen und guttun. „Wir gucken darum nach der Wirkung hinter dem Geschmack“, erklärt Uwe Geier. Und das geht so: Das Lebensmittel, ob Karotte, Nuss-Nougat-Creme oder Brot wird in den Mund genommen. Dem Geschmack wird keine Beachtung geschenkt, man lässt ihn einfach „vorbeiziehen“.

Dann wird genau gespürt: Wie wirkt das Lebensmittel im Körper, ist es wohlig-warm oder bleibt es wie der berühmte Stein im Magen liegen? Gibt es Energie oder macht es schlapp? Leitungs- oder Mineralwasser seien gut geeignet, um dies auch einmal privat auszuprobieren, sagt Uwe Geier. Denn es habe keinen deutlichen Eigengeschmack, die Wirkung lässt sich also einfacher erfassen.

Von Getreideflocken bis Mineralwasser

Vom Forschungsring und der Wirksensorik GmbH, einer hundertprozentigen Tochter, wurden bereits zahlreiche Lebensmittel wirksensorisch beurteilt. Auf den Prüfstand kamen verschiedene Gemüsesorten und -arten, Bananen, Säfte, Zucker, Ketchups, Getreideflocken, Vollkornbrötchen und Mineralwasser. Besonders spannend für Bio-Kunden ist der Vergleich zwischen bio- und konventionellen Lebensmitteln.

In einer großen Untersuchung wurden darum 13 verschiedene Gemüse wie Tomaten, Zucchini, Möhren, Porree und Blumenkohl unter die Lupe genommen. Von einem geschulten Team wurde überprüft, ob es Unterschiede zwischen Gemüsesorten aus biologisch-dynamischer Züchtung und sogenannten Hybridsorten gibt. „Hybride“ sind Sorten, die anders als die sogenannten samenfesten Sorten, nicht nachbaufähig sind. Ergebnis: Sechs Mal war die biodynamische Sorte (signifikant) überlegen, zwei Mal die Hybride.

Die getesteten Bio-Porrees wurden als „wohlig“ und „ausgewogen“ wahrgenommen, sie machten zudem zufriedener als die Hybridsorten. Auch zwischen den Gemüsearten gab es Unterschiede. Porree wurde als „leicht“ empfunden, nach dem Verzehr hatten die Probanden ein Gefühlt der Geborgenheit und Entspannung. Rettich erzeugte hingegen viel „Hitze“ und führte zu einem Ziehen im Körper.

Wasser ist nicht gleich Wasser

Spannend ist der Vergleich von Mineralwasser und Wasser aus dem Hahn. Den gab der Brunnen St. Leonhards bei den Darmstädter Wirksensorik-Experten 2016 in Auftrag. Der Vergleich der St. Leonhardsquelle mit dem örtlichen Trinkwasser ergab mehr positive Aussagen zugunsten des Mineralwassers. Das Wasser aus der Flasche wurde für „angenehm“, „harmonisch“ und „weich“ befunden, das Leitungswasser wirkte „schwer“, „dunkel“ und erzeugte Unruhe.

Auch der Verzicht auf Zusatz- und Hilfsstoffe in Lebensmitteln scheint sich positiv auszuwirken. Der Backwarenhersteller Moin aus Glückstadt ließ seine Vollkorn-Brötchen mit konventionellen Mehrkornbrötchen von 14 geschulten Testern und 25 Konsumenten wirksensorisch überprüfen. Wie immer wurde alles blind verkostet, niemand wusste also, welches Brötchen auf dem Teller lag. Ergebnis: Die Moin-Brötchen wirkten (signifikant) „belebend“, „wachmachend“, „leicht“ und „beruhigend“. Die konventionellen Brötchen wurden hingegen als „dumpf“ und „schwer“ empfunden und verursachten wiederum eine gewisse Unruhe.

Jule Prothmann, Mitglied der Betriebsleitung bei Moin Bio Backwaren freut sich, dass der Verzicht auf technische Enzyme und andere fragwürdige Hilfsstoffe und die Verwendung guter Rohstoffe sich wirksensorisch nachweisen lassen. Das Ergebnis des Tests wird darum auf der Packung in Form des Labels „Empathic Food Tested“ kommuniziert. Man habe seitdem einen klaren Absatzzuwachs feststellen können, erklärt Jule Prothmann. Zudem habe es sehr viele Anfragen von Kunden, dem Einzel- und Großhandel gegeben.

Moin will die Wirksensorik nun nutzen, um neue Produkte zu entwickeln und sie von Mitarbeitern und Kunden testen zu lassen. „Der Wirksensorik-Test hat uns in unserer Arbeit bestätigt, die Menschen mit ausschließlich natürlichen Backwaren zu nähren. Darüber hinaus kann man unternehmerisch viele Vorteile aus der Wirksensorik ziehen.“

Wirksensorik im Bioladen anwenden

Bio-Fachgeschäfte, die regelmäßig Entscheidungen in Bezug auf die Sortimentsgestaltung treffen müssen, könnten Wirksensorik ebenfalls vielfältig nutzen, erklärt Uwe Geier. Dafür sei eine einmalige wirksensorische Schulung nötig (siehe „Weitere Informationen"). Anschließend könnten Neuprodukte wirksensorisch probiert oder vorhandene Produkte beurteilt werden.

Uwe Geier hat schon mehrfach in Bio-Fachgeschäften und Hofläden Schulungen mit Mitarbeitern gemacht. Die Teilnehmer seien überrascht gewesen, dass Bio-Lebensmittel mehr können als gut schmecken und gesund sein. „Die bei mir angelangten Kommentare von Teilnehmern zu unserem Seminar waren durchweg sehr positiv“, so ein Kundenfeedback. „Im Nachgang haben wir noch gesprochen, und alle waren begeistert, wie man einen weiteren Aspekt in die Sensorik einbringen kann“, lautete ein weiteres.

Um die Kundenbindung zu verbessern, könnten Bio-Läden mit dem erlernten Wissen auch zu einem wirksensorischen Abend einladen – sobald Corona dies wieder zulässt. Im Bistrobereich oder einfach an einem großen Tisch könnten verschiedene Lebensmittel wie Wasser, Gemüse, Kekse oder Wein gemeinsam in Bezug auf ihre Wirkung überprüft werden. Uwe Geier: „Es gibt sicher jede Menge Aha-Erlebnisse.“

Weitere Informationen

  • Bio-Fachgeschäfte, die Wirksensorik als Hilfsmittel für die Sortimentsgestaltung nutzen oder ihr Wissen an Kunden weitergeben möchten, sollten zunächst ein zwei- bis dreistündiges Wirksensoriktraining machen. Eine Liste der bundesweit tätigen Wirksensorik-Trainerinnen und -Trainer gibt es unter www.wirksensorik.de, Stichwort: Trainer*innen. Dort finden sich auch weitere Infos zum Thema Wirksensorik.
  • Trainer unterstützen auch Unternehmen dabei, ein hauseigenes Panel aufzubauen, etwa, um regelmäßig (neue) Produkte zu testen oder das Sortiment zu überprüfen.
  • Vorhandene Produkte können auch von einem geschulten Panel wie der Wirksensorik GmbH beurteilt werden.

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