Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Erfahrungswerte aus dem 12. Marktgespräch

Wie Bioläden die Kunden von morgen für sich gewinnen

Megatrends nutzen, Orientierung geben, Kunden mitreißen – der Fachhandel kann mehr, sagen Branchenexperten. Ein vertiefender Blick auf die Impulse vom 12. Marktgespräch, und was sie für die Praxis bedeuten.

Die Welt retten, nichts weniger wollten die Biopioniere. Diesen Spirit gilt es aufzuladen, will der Fachhandel die Transformation von Ernährungs- und Landwirtschaft mit seinen Kunden vorantreiben. Gleichzeitig muss er sich gegen den LEH mit deren Old School-Preispolitik und wachsendem Biosortiment behaupten.

Die Chancen, die in dieser Konstellation auch liegen, aufzuzeigen und so den Fachhandel zu unterstützen, war Ziel des 12. Marktgesprächs. Dafür hat der BioHandel eine Kundenbefragung beim Rheingold-Forschungsinstitut in Auftrag gegeben und Patrick Müller-Sarmiento, Partner bei Roland Berger, sowie die Verbände um ihre Einschätzungen gebeten. Eine gute Kombi, die derart vielfältige Anregungen und Impulse brachte, dass ein vertiefender Blick lohnt.

Die Rheingold-Studie

Zunächst nochmal kurz zur Studie „Kunden für die Transformation der Lebensmittelwirtschaft gewinnen“: Durch tiefenpsychologische Befragung und Einkaufsbegleitung von Kunden im Fachhandel wurde ein praxisbezogener Ist-Stand herausgearbeitet. Positiv bewertete die Kundschaft etwa eine überzeugende Verbindung des Ladens mit der Region oder ein plastikfreies Angebot an gut sortierten Frischetheken.

Eher abschreckend wirkten Eindrücke wie aufgerissene, herumstehende Kartons „wie beim Discounter“. Die Ergebnisse legen nahe, dass der LEH vielfach als niedrigschwelliges Einstiegstor für Bio fungiert. Mit der Zeit werde die Kundschaft dann bewusster und skeptischer und hinterfrage Preis- und Handels-Zusammenhänge.

Je bewusster die Kundschaft, desto mehr ziehe es sie in den Bioladen, der als „das Original“ empfunden wird. An diesem Punkt angelangt, rangiere dann sogar bei weniger kaufkräftigen Kunden Wertekanon vor Preis.

Kathrin Jäckel, BNN

Mit unseren Produkten und der nachhaltigen Wertschöpfungskette stehen wir für globale Perspektiven, wie dem Engagement für Klima und Umweltschutz. Zu uns kommen gut informierte Kunden, weil sie bei uns Antworten erwarten auf Fragen wie „Woraus besteht diese Verpackungsfolie genau?“, „Kann ich sie recyclen?“ Und sie erwarten bei uns auch, dass sich etwas verändert, wenn sie etwa sagen, „Warum gibt es dieses Produkt nicht in einer Mehrwegverpackung?“.

Die aktuellen Herausforderungen sind in jeder Hinsicht komplex. Die Ergebnisse der Rheingold-Studie sind für mich das genaue Abbild davon. Dazu kommt das Spannungsfeld zwischen Wert und Preis, das im Fachhandel präsenter ist als im LEH. Andererseits spielen auch Erwartungen eine Rolle – die Kunden kommen, weil sie eine andere Form des Handels wollen – und genau das können wir bieten.

Dazu gehört eine gute Beziehungsqualität – Nähe zu den Menschen, die bei uns einkaufen, aber auch Nähe zu den Produkten, die wir jeden Tag berühren und in die Regale räumen.

Über den Bioteller hinaus

Ein Ergebnis, das laut Patrick Müller-Sarmiento die Stärke des Fachhandels gut spiegelt. Die Differenzierung zum LEH indes sei schwierig. Bioqualität, persönliche Ansprache oder pfiffige Eventideen seien keine Alleinstellungsmerkmale mehr.

Andererseits steige das Bewusstsein der Menschen für Umwelt und Klimazusammenhänge gerade stark an, von daher, so seine Anregung, müsse der Fachhandel sich Fragen wie diese stellen: „Wie schaffe ich es, dass sich das neue Bewusstsein der Menschen auch im Umsatz niederschlägt? Wie kommuniziere ich die Aspekte meiner Produkte, die über Bio hinaus gehen? Wie bilde ich mein Personal so aus, das es diese Geschichten an den Endkonsumenten weitergeben kann?“

Solche Geschichten „über Bio hinaus“, können Produkte – und die gesamte Ladenaktivität – in einen Rahmen globaler Entwicklungen einbetten. Hier beispielhaft fünf davon, jeweils von Müller-Sarmiento einführend erläutert:

Schnell und bequem

Man könnte auch sagen, das Smartphone ist der neue Einkaufswagen. 2021 wurden weltweit 65 Prozent aller Einkäufe über das Smartphone getätigt. Dazu Müller-Sarmiento: „Der Kunde wird immer anspruchsvoller. Am liebsten würden viele vom Sofa aus bestellen – Stichwort Quick Commerce – und die Ware in fünf bis zehn Minuten nach Hause geliefert bekommen. Das mag nicht das Thema eines Bioladens sein, zeigt aber: Das Thema Convenience, nahe am Kunden gedacht, wird immer wichtiger.“

Hierfür hat der Fachhandel eine wunderbare Ausgangsposition. In den Städten etwa ist er immer schon dicht am Kunden gewesen. Darin könnte ein wichtiger Pluspunkt für die Zukunft liegen. Mit Blick auf die Fachhandelskundschaft gibt es verschiedene Möglichkeiten, diesen Aspekt aufzugreifen. Ob Lastenrad, Webshop oder telefonische Bestellung – da geht einiges, man muss es nur je nach Kundschaft auf den Ladenleib schneidern. Mit dem Lastenrad etwa beliefern bereits einige Bioläden ihre Kundschaft, darunter auch die als bester Bioladen prämierte Kornblume.

Dazu passt auch eine Idee, die gut ankommt und etwa von Alnatura praktiziert wird: Das Lastenrad zum Ausleihen. Zu einer anderen, schnellen und bequemen Einkaufsvariante animierte die Pandemie den ebenfalls goldprämierten Bio-Hofladen Marienhof: vorgepackte Einkaufskisten zum Abholen. Super Idee und ausbaufähig – sowas kann man auch Firmen für ihre Mitarbeiter anbieten.

Regina Müller, Bioland e.V.

Beratung ist ein wichtiger Punkt, das erwartet die Kundschaft – und das kann der LEH so nicht bieten. Meine Erfahrung ist: Bioladen-Personal ist sehr freundlich. Es wird immer geholfen, wenn man etwas sucht, sobald man aber mehr wissen will – Woher kommt das Produkt? Wie schmeckt es? – hört es leider oft auf.

Auch fehlt oft das Grundwissen: Was ist eigentlich Bio? Was machen die Verbände? oder: Warum ist unser Laden besonders? Wir als Verbände können die Ladner und Ladnerinnen mit unseren Tools unterstützen, ihr Personal mit mehr Fachwissen auszustatten.

Zudem sollte man für die Nähe zu jungen Kunden Social Media nicht unterschätzen. Bei Flyern und anderen Werbeformen ist in der Regel alles perfekt in Szene gesetzt, während Instagram am besten mit spontanen Ideen funktioniert. Es muss nicht perfekt sein. Einfach machen. Einfach sich trauen, den Alltag zu teilen und das, was mir im Laden wichtig ist.

Trends nutzen

Pflanzenbasierte Proteinquellen machten im Lebensmittelbereich jahrelang nur ein oder zwei Prozent des Gesamtumsatzes aus. Doch Diskussionen über Massentierhaltung oder Monokulturen hat viele Investoren und Start-Ups bewegt, die Perspektive zu ändern.

„Aktuellen Studien zufolge wird dieser Bereich von 10 bis zu 30 Prozent pro Jahr wachsen“, betonte Müller-Sarmiento. Was das betrifft kann der Biofachhandel nur sagen: Ich bin schon da! Denn bei pflanzlichen Proteinprodukten ist die Auswahl groß. Das Thema ist nicht brandneu, daher sind einige Bioläden hier gut sortiert.

Aber steht das Thema auch im Fokus? Ein guter Impuls, neu über Thementische nachzudenken und gleich weitere Aspekte mit aufzunehmen – etwa Soja-, Lupinen-, oder Hülsenfruchtprodukte von Bauern aus der Umgebung. Man kann auch den Bogen weiter aufspannen und etwa darauf hinweisen, dass pflanzenbasierte Ernährung bis zu 73 Prozent der CO2- Emissionen einsparen kann.

Weitere Lebensmitteltrends lassen sich durch Kundenwünsche, Start-up-Produkte, Messen, Neuprodukte der Erzeuger oder im neuen Food-Report des Bundeszentrums für Ernährung erkennen und einbinden. Hier am Ball zu bleiben – oder jemanden im Team auszugucken, der genau das macht –, gehört zum Einmaleins der Ladenentwicklung.

Außerdem wichtig ist das Thema Mobilität. Dazu sagt der Marketing-Experte Müller-Sarmiento: „Die Leute sind nicht mehr bereit, sich in der Hauptverkehrszeit ins Auto zu setzen, um dann eine Stunde einzukaufen. Überzeugende Nahkonzepte, Nahversorgung und Erreichbarkeit sind gefragt, denn an diesen Punkten sehen wir auch das Wachstum. Insbesondere kleinere Flächen zwischen 150 und 250 Quadratmetern sind weltweit auf dem Vormarsch.“

Ein Beispiel dafür ist der Göttinger Mitgliederladen Naturkost in der Südstadt. Der 80 Quadratmeter große Laden hat persönliche Atmosphäre und eine Auswahl regionaler Produkte wie etwa Mohn von einem nur sieben Kilometer entfernten Hof. Das Ladenteam kann dafür die Kampagne des Großhändlers Elkershausen nutzen, der ein Regionalsortiment in ansprechendem Eigenmarken-Design liefert.

Dr. Alexander Beck, AöL

Über Social-Media-Kanäle könnte sich eine neue Form von Community- oder Movement-Bildung gestalten lassen. Bewegung ist schließlich das, was uns ausgemacht und bis hierher gebracht hat. Vielleicht gelingt so ein neues Handeln, weg vom Angebotsdenken, hin zu einer partizipativen Prosumenten-Struktur.

Qualität, Verbindung und Verbindlichkeit

Regionalität ist ein Bringer, das hat auch der LEH auf dem Schirm. Doch was der LEH nicht hat: Die persönlichen Beziehungen zu den Höfen, die Möglichkeit, mit Kunden die Erzeuger zu besuchen und Geschichten erzählen zu können, weil man die Menschen hinter den Produkten kennt. Zudem haben Hersteller wie LaSelva, Rapunzel oder Spielberger einiges an Mehrwert im Gepäck, mit dem sich viel hermachen lässt.

Nicht zuletzt sollte es im Fachhandel immer auch um die Freude am Genuss guter Lebensmittel gehen. Dazu noch einmal Müller-Sarmiento: „Genuss kann überzeugen!“ Dafür brauche es dann allerdings auch hervorragende Produkte. „Es reicht nicht, dass ein Kaffee bio ist und fair – er muss auch wirklich gut schmecken.“

Das Handeln mehr noch als bisher ins große Ganze einzubetten ist eine wichtige Anregung. Denn obwohl oder weil es dem Biofachhandel in der DNA steckt, steht es nicht unbedingt im Fokus. Hier kann das Quäntchen Bio-Booster fürs Ladenengagement liegen.

Auch kollegiale Vernetzung ist hilfreich. Über eine verbandsübergreifenden Verteilungsplattform wurde beim Marktgespräch jedenfalls schon nachgedacht. Sich darauf einlassen ist mehr als Back to the Roots. Es ist die Chance, Kundschaft mit neu aufgeladener Erfahrung mitzureißen. Ihr zu bieten, was sie sucht: Qualität, Verbindung und Verbindlichkeit.

13. Marktgespräch im neuen Format

Die konkreten Empfehlungen der Rheingold-Studie für den Fachhandel stehen im Mittelpunkt des 13. Marktgesprächs am 23. Mai – im Marktgespräch der Akteure.

In moderierten Podiumsrunden werden jeweils drei exemplarisch ausgewählte Fachhändler, Bio-Berater und Hersteller die Bedeutung und Zukunftsbefähigung dieser Studie hinterfragen. Das Eröffnungsreferat wird die Entwicklung von „Bio im LEH“ thematisieren.

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