Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Wendlandmarkt in Lüchow

Wo die Preise noch von Hand in die Kasse getippt werden

Der Wendlandmarkt Lüchow ist mehr als nur ein Biomarkt und ein bisschen wie das Wendland selbst: unkonventionell, ausgestattet mit vielen eigenen Ideen und einer großen Auswahl an regionalen Produkten.

Die Begrüßung ist selbstbewusst: „Herzlich willkommen in einem der außergewöhnlichsten Bio-Supermärkte Deutschlands“ heißt es auf der Homepage des Wendlandmarkt Lüchow. Und beim Betreten des Ladens wird schnell klar: Dies ist tatsächlich kein Biomarkt wie viele andere, eher einer mit persönlicher Note und gewissem Retro-Charme.

In dem rund 850 Quadratmeter großen inhabergeführten Markt mit Café im Zentrum von Lüchow, wo die Preise noch von Hand in die Kasse getippt werden, mangelt es nicht an Auswahl. Zur großen Produktpalette des Wendlandmarktes gehören – neben dem gängigen Bio-Sortiment inklusive Frischetheke und Kosmetikabteilung – nach eigenen Angaben über 200 verschiedene Bio-Öle, 300 Bio-Weine und mehr als 400 Sorten Bio-Gewürze.

Seit einigen Monaten führt der Weg der Kunden zudem durch eine 200 Quadratmeter große Markthalle mit Food- und Non-Food-Produkten aus der Region. „Wir haben Dutzende Direktlieferanten – mit handgemachten Lebensmitteln, aber auch Kunsthandwerk“, sagt Inhaber Thorsten Hensel stolz. „Ich gebe den vielen Selbstständigen und Manufakturen hier in der Gegend die Möglichkeit, ihre Dinge ganzjährig zu verkaufen.“ Das Angebot reicht von der wendländischen Mettwurst über Rasierseife aus der Altmark bis hin zu gefilzten Schalen und Kleidungsstücken mit der Wendlandsonne. Die Hersteller zahlen lediglich eine Umsatzprovision für verkaufte Waren an den Markt.

Wenig Menschen, viel Bio

Das strukturschwache Wendland im nordöstlichsten Winkel Niedersachsens ist dünn besiedelt, war lange fast umschlossen von der DDR und wurde über Jahrzehnte geprägt vom Kampf gegen das geplante Endlager in Gorleben. Die Anti-Atombewegung und gemütliche Rundlingsdörfer lockten Künstler, Stadtflüchtige und auch Biobauern in die Region.

2020 betrug der Ökoanteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Landkreis Lüchow-Dannenberg 19,1 Prozent, während er niedersachsenweit nur 5,2 und bundesweit 10,2 Prozent ausmacht. Viele Biobetriebe heißt auch viele Hofläden und Biostände auf den Wochenmärkten. Zudem gibt es im Landkreis rund ein halbes Dutzend kleinerer Bioläden. Zwar gilt gerade im Wendland ein größerer Anteil der Bevölkerung als „bioaffin“, aber in Lüchow-Dannenberg leben im Schnitt gerade mal 39 Menschen auf einem Quadratkilometer.

„Die großen Bioketten siedeln sich hier erst gar nicht an“, sagt Hensel. Für ihn war genau das eine Chance. Der 52-jährige Einzelhandelskaufmann aus dem Ruhrpott arbeitete lange „im Discount-Bereich“ und startete 2009 mit einem 61 Quadratmeter großen „Dorfladen mit Bioanteil“ im Örtchen Trebel, 2011 folgte ein zweiter Laden in Lüchow mit 150 Quadratmetern. 2013 schließlich bot sich die Gelegenheit, in der Innenstadt einen größeren leerstehenden Markt zu übernehmen.

Charme statt Style

Thorsten Hensel verzichtet, auch aus Kostengründen, auf durchgestylte oder hochwertige Ausstattung. Der Wendlandmarkt wirkt weniger perfekt als die bekannten Biomärkte in größeren Städten. So sind die Regalsysteme nicht einheitlich, manches hat den Charme des Selbstgemachten und Improvisierten. „Die Regalhöhen sind bewusst niedrig gehalten“, sagt Hensel, „so haben die Kundinnen und Kunden einen besseren Überblick.

Viele Produktgruppen sind nicht nach den einzelnen Marken, sondern in alphabetischer Reihenfolge angeordnet, „damit Ihr Euch besser zurechtfindet“, heißt es auf der Homepage. Und: An nahezu jedem Produkt klebt ein Preisschild. Im Wendlandmarkt Lüchow gibt es keine Scannerkassen, die den Barcode an den Produkten einlesen.

Jeder Preis wird per Hand ins Kassensystem eingegeben, immer mal wieder auch vom Chef selbst. „Ein digitales Kassensystem mit Scannern an den fünf Kassen würde enorme Kosten verschlingen“, sagt Hensel. Zwar brauche man so rund zwei Stunden pro Tag mehr, insbesondere um alle Waren auszuzeichnen, aber es rechne sich. Zudem ist dieses herkömmliche System arbeitnehmerfreundlich, weil arbeitsintensiv.

Hoher sozialer Anspruch

Insgesamt 14 feste Mitarbeiterinnen kümmern sich im Wendlandmarkt Lüchow ums Kassieren und Auszeichnen, aber auch um die Bedienung beim Käse, bei den Backwaren oder im Café. „Auf Aushilfen verzichten wir bewusst“, sagt der Marktleiter. Hier im ländlichen Raum sei der persönliche Kontakt zu den Kunden noch wichtig: „Ich kenne jeden zweiten Kunden mit Namen.“ Auch in anderen Bereichen paart sich ein hoher sozialer Anspruch mit ganz eigenen Methoden der Kundenbindung.

Neben regelmäßigen Monatsangeboten wirbt Hensel auch mit wechselnden „Topangeboten“, etwa Markenprodukte aus Überbeständen, deren Preise bis zu 70 Prozent reduziert sind. Beim hauseigenen Rabattsystem wiederum gibt es nach 20 Einkäufen und mindestens 200 Euro Rechnungssumme zehn Euro zurück. Wer Geburtstag hat, bekommt auf fast alle Waren 20 Prozent Abschlag. Und aus der sogenannten „Rettungskiste“ gibt es Gemüse, das schon etwas reifer ist, für 99 Cent das Kilo. „Wir verkaufen nur Bio und Regionales, aber in einer großen, auch preislichen Vielfalt. Auch Kundinnen und Kunden mit schmalerem Geldbeutel sollen hier einkaufen können“, betont Inhaber Hensel.

Der Wendlandmarkt bietet außerdem nachhaltig produzierte Schreibwaren, Holzartikel und Möbel von Werkhaus sowie ein Unverpackt-Regal mit Pfandgläsern von Unverpackt Umgedacht, einem Startup aus dem nahen Mecklenburg. Und natürlich darf in der Getränkeabteilung nicht das bunte Angebot von Voelkel fehlen, immerhin ist die Saftmosterei auch ein Kind des Wendlandes.

Events im Markt

Immer wieder finden im Wendlandmarkt auch Events statt. Aktuell ist dort die Fotoausstellung „Wendland gestern und heute“ zu sehen. „Ich habe das alles Stück für Stück so aufgebaut“, erzählt Thorsten Hensel. Als nächstes will er in eine neue Automatiktür und „endlich“ auch in die Ausstattung seines Büros und der Sozialräume investieren. Dann wird zumindest dort ein kleines Stück vom Retro-Charme verloren gehen.

Zahlen – Daten – Fakten

Inhaber: Thorsten Hensel

Adresse: Wendlandmarkt Lüchow, Lange Straße 7

Öffnungszeiten: Mo - Fr: 7:00 - 19:00, Sa: 7:00 - 14:00 Uhr

Eröffnung: 2013

Verkaufsfläche: 645 Quadratmeter + 200 Quadratmeter Regionalhalle

Mitarbeiter: 14 Angestellte

Produktzahl: ca. 5.500

Großhändler/Lieferanten: Weiling, Biogarten, Elkershausen, Naturkost Nord, Rapunzel, Pural

Webseite: www.wendlandmarkt.de

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