Biohandel

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Take-away-Angebot

Das sind die Mehrweg-Alternativen

Ab 2023 wird das Angebot von Mehrweg-Behältern zur Pflicht. Gute Lösungen gibt es aber schon jetzt. Und sie werden immer stärker genutzt.

Sie klingt typisch deutsch, die „Einwegkunststoffverbotsverordnung“. Hinter der sperrigen Worthülse stecken wichtige, neue Regeln, die Deutschland von einem unrühmlichen Thron stoßen sollen: „Wir sind leider immer noch Verpackungsmüll-Europameister“, kritisiert Christian Behrens, Verpackungs-Experte bei der Deutschen Umwelthilfe.

Auf 23 Seiten listet die neue Verordnung der Bundesregierung auf, was seit vergangenem Samstag tabu ist, darunter Teller, Becher, Besteck und Take-Away-Behälter aus Kunststoff. Auf den letzten Drücker setzt Deutschland damit die entsprechende EU-Verordnung aus dem Jahr 2019 um.

„Wir hätten uns noch mehr gewünscht“, kritisiert Umwelthilfe-Experte Behrens. Zwar sei das Gesetz ein guter Schritt, weil es viele umweltschädliche Verpackungen vom Markt nimmt. Viele Handels- und Gastronomiebetriebe könnten jedoch auf andere Einwegverpackungen setzen, so Behrens Sorge, zum Beispiel aus Holz oder Aluminium.

Denn erst Anfang 2023, im zweiten Teil der politischen Anti-Plastik-Offensive, wird es laut dem überarbeiteten Verpackungsgesetz zur Pflicht, auch Mehrweg-Behälter anzubieten. Gute Mehrweg-Lösungen gibt es aber schon jetzt. Und sie werden immer stärker genutzt.

Recup – über 8.000 Ausgabestellen

Das Bio-Handelshaus Alnatura setzt in seinen Märkten auf das Recup-System. „Die Kunden nehmen das gut an“, berichtet Sprecherin Constanze Klengel. Die mintgrünen Becher aus Polypropylen haben sich seit mittlerweile vier Jahren als umweltfreundliche To-Go-Alternative in Deutschland etabliert. Bei Alnatura sind sie an allen Café-Bars im Einsatz. „Die Kundinnen und Kunden bezahlen einen Euro Pfand und können den Becher deutschlandweit in allen Recup-Partnerläden zurückgeben“, erklärt Klengel.

Bis zu 1.000 Mal kann ein Recup-Becher wiederbefüllt werden – eine deutlich bessere Bilanz als die klassischen Papp-Kollegen, die nach einmal Schlürfen im Eimer landen und so einen großen Anteil am riesigen Verpackungsmüll-Berg in Deutschland haben.

„Unser System hat zwei große Vorteile“, sagt Greta Mager von Recup. „Das Prinzip Pfand kennt in Deutschland jeder. Man muss es also nicht kompliziert an der Kasse erklären und den Verkehr aufhalten. Und wir haben ein großes Netzwerk mit über 8.000 Aus- und Rückgabestellen etabliert“. Neben Alnatura nutzen auch Bio-Company und Basic das Mehrweg-Angebot von Recup. Anm.d.Red.: Seit Anfang Oktober gehören auch 340 „BioMärkte“ und Denns-Filialen zum Netzwerk von Recup.

Die Händler zahlen je nach Vertragslänge monatlich zwischen 30 und 45 Euro an Recup. Genau wie ihre eigenen Kundinnen und Kunden beziehen sie die Becher dann gegen je einen Euro Pfandgebühr. Marketing-Bonus: Jeder Recup-Partner taucht in der App auf. Mittlerweile bietet das Unternehmen aus München auch Rebowls an: runde, dunkelgrüne Essensbehälter für To-Go-Gerichte. Hier liegt die Pfandgebühr bei 5 Euro.

Ein Haken des Systems: Nicht immer denken Verbraucherinnen und Verbraucher daran, den Recup-Becher oder die Rebowl-Schale schnell wieder zurückzugeben. Heißt: Händler müssen nachbestellen und der Kreislauf gerät ins Stocken. Außerdem gibt es noch keinen Pfand-Deckel für die Becher, weil der nur schwer zu spülen wäre – man kann ihn für etwa 1,50 Euro dazu kaufen.

Vytal – System ohne Pfand

Mit einem anderen System arbeitet Vytal. Das Start-up bietet To-Go-Boxen mit Deckel zum Beispiel für Salatbars in drei verschiedenen Größen an, außerdem Menüschalen und wiederverwendbare Sushi- und Pizzaverpackungen. Mitbegründer Tim Breker: „Unser Ziel ist es, ein komplettes Ökosystem aufzubauen, an dem sich Supermärkte, Gastrobetriebe und Kantinen beteiligen.“

Statt auf Pfand setzt Vytal auf eine App und den psychologischen Spar-Anreiz. Das System ist kostenlos, wenn Kundinnen und Kunden die Behälter innerhalb von zwei Wochen zu einem der Partner zurückbringen. An die Rückgabefrist erinnert die App. Bei jeder Essensausgabe scannen die Vytal-Partner einen persönlichen QR-Code. „So wissen wir, wann die Schale wieder zurück muss, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten“, erläutert Breker. Als analoge Alternative können die Vytal-Partner ihren Kunden gegen eine Gebühr von 10 Euro eine Offlinekarte mit QR-Code anbieten, die nach dem Prinzip der App funktioniert.

1.300 Betriebe nutzen Vytal bereits, darunter auch die Lieferdienste Volt oder Gorillas. Rewe hat in mehreren Filialen an der Salatbar einen Testlauf gestartet. Die Partner zahlen pro Befüllung eine Gebühr von 10 bis 25 Cent an Vytal, so finanziert sich das System. 140.000 der matt-weißen Schalen aus recyclebarem Polypropylen sind aktuell im Umlauf.

Das Essen muss gut geschützt sein.

Pia Schück, Rewe

Bei Rewe erfolgen Ausleihe und Rückgabe (grob gespült) über eine extra Station im Markt. Nach der Rückgabe werden die Behälter bei den Partnerbetrieben entweder abgeholt und gereinigt oder direkt vor Ort gespült. So kann jede Schale bis zu 200 Mal wiederverwendet werden. Das Tara-Gewicht ist an der Kasse hinterlegt und wird beim Wiegen automatisch abgezogen.

Durch die Pandemie und die Homeoffice-Welle wurde der Salatbar-Test von Rewe etwas ausgebremst. Pia Schück, die das Projekt als Funktionsbereichsleiterin Nachhaltigkeit Ware verantwortet, zieht dennoch eine positive Zwischenbilanz. „Das Ziel, Verpackungsmüll zu vermeiden und zu reduzieren, ist für uns sehr wichtig. Gleichzeitig wollen immer mehr Kunden To-Go-Gerichte mitnehmen. Das Essen muss also gut geschützt sein. Mit Vytal haben wir jetzt eine smarte Mehrweg-Alternative gefunden, mit der wir das System komplett umstellen können“, sagt Schück.

Vytal selbst profitierte dagegen vom Essens-Bestell-Boom in der Pandemie. „Dadurch haben wir einen großen Schub bekommen. Weil sich der Verpackungsmüll plötzlich zu Hause gesammelt hat“, berichtet Breker. Um satte zehn Prozent wächst das Unternehmen seitdem pro Woche – ein Effekt, der abgefedert werden muss, denn die neu nachgefragten Schalen müssen auch erstmal produziert werden. Das gilt es beim Vytal-System zu bedenken, ebenso die Handhabung mit App und QR-Code.

Relevo – geringer Eingriff in den Betriebsablauf

Verpackungs-Experte Christian Behrens von der Deutschen Umwelthilfe lobt die neuen Systeme als verpackungssparend und verbraucherfreundlich. Dass gerade der Einzelhandel nicht sofort alles auf Mehrweg umstellen wird, ist für Behrens klar. „Da braucht es immer Vorreiter und auch den politischen Druck.“

Ein solcher Mehrweg-Vorreiter – gemessen an der Firmengeschichte – ist das Mindener Unternehmen Ornamin. Die Firma hat sich auf nach Kundenwunsch gebrandetes Mehrweg-Geschirr spezialisiert. Die Auswahl ist groß. Unter den Kunden sind ganze Städte wie Bielefeld oder Mannheim, die mit den Ornamin-Produkten regionale Mehrweg-Systeme mit Cafés und Restaurants als Partner aufgebaut haben.

Das Start-up Relevo, das wie Wettbewerber Recup in München sitzt, nutzt ebenfalls Becher und Schalen von Ornamin. Ähnlich wie bei Vytal funktioniert der Relevo-Ausleihprozess mithilfe von QR-Code und App. Scannen müssen bei Revelo jedoch nur die Kundinnen und Kunden. Für die Anwender bedeutet das einen Eingriff weniger im Betriebsablauf. Das Angebot richtet sich vor allem an Restaurants, um die 400 Partner konnte das Unternehmen deutschlandweit bisher gewinnen. Die Betriebe zahlen nach dem Pay-per-Use-Prinzip 10 Cent pro Becher und 20 Cent pro Schale. Die Bestandskontrolle und bedarfsorientierte Nachlieferung übernimmt Relevo. Spülen müssen die Betriebe selbst.

Tiffin Loop – Behälter aus Edelstahl

Tiffin Loop kombiniert App und QR-Code mit einem Pfandsystem. Interessant: Die Behälter der Initiative von Plastikvermeidern aus Berlin sind aus Edelstahl statt Kunststoff und kosten 15 Euro pro Stück. Hinzukommen knapp 20 Euro Mitgliedbeitrag, für die Tiffen Loop laut Webseite „werbliche Unterstützung“ bietet. Die Pfandgebühr, die Kundinnen und Kunden pro Box zahlen, beträgt ebenfalls 15 Euro. Das Angebot befindet sich seit Sommer 2020 in einer Pilotphase mit 20 teilnehmenden Restaurants in Berlin, Hamburg, Köln und Stralsund. Mit Bedburg unterstützt zudem eine Stadt als Pilotpartner ihre Gastronomen bei der Umsetzung des Systems.

Das Mehrweg-Thema ist auch als Lernprozess, findet Constanze Klengel von Alnatura. „Die Alternativen werden in unseren Märkten immer stärker nachgefragt. Und je deutlicher die gesetzlichen Vorschriften sind, desto eher werden sich die Kundinnen und Kunden insgesamt auch daran gewöhnen.“ Mit dem neuen Verpackungsgesetzt macht die Bundesregierung einen ersten Schritt. Doch die Pläne von Bundesumweltministerin Svenja Schulze gehen weiter: Sie will Mehrweg zum „neue Standard“ machen.

Weiterführende Links:

Recup für Gastronomen
Vytal für Lebensmittelhändler
Relevo-Gastropartner werden
So funktioniert die Teilnahme bei Tiffin Loop

Video: Recup - So geht's!
Video: Vytal-Mehrwegsystem an der Rewe-Salatbar
Video: Relevo - Tutorial für Gastropartner

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