Biohandel

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Geschlechtergerechtigkeit

„Macker weg vom Acker": Wie es um Gleichstellung in der Bio-Branche steht

Die Bio-Branche stellt Strukturen seit jeher infrage und ändert sie zum Wohle aller. Für Geschlechtergerechtigkeit im ökologischen Landbau und in Führungspositionen bleibt aber noch viel zu tun.

Bio is(s)t weiblich – zumindest, wenn man einen Blick in die deutschen Einkaufskörbe wirft. Denn nach wie vor legen Frauen beim Kauf von Lebensmitteln mehr Wert auf eine ökologische Erzeugung als Männer. Doch wie geht es eigentlich den Frauen, die Bio nicht nur essen, sondern davon leben? Die ökologisch ackern oder Bio in Herstellung und Handel vorantreiben? Können sie Familie und Beruf gut vereinen, sind sie gut abgesichert? Und werden sie fair bezahlt?

Deutschlandweit verdienen Frauen während ihrer Erwerbstätigkeit nach wie vor rund 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Und erhalten ganze 49 Prozent weniger Altersrente. Corona hat die Lage für Frauen, die nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit übernehmen, weiter verschlechtert.

Auch im Bio-Bereich? Der Bio-Dachverband IFOAM hat Gerechtigkeit immerhin als eines der Grundprinzipien der ökologischen Landwirtschaft definiert. Und da die Bio-Branche geübt darin ist, bestehende Strukturen infrage zu stellen, scheint es naheliegend, dass die Gleichstellung von Frauen kein großes Thema mehr ist. Doch leider trügt der Schein.

„Frauen sind oft nur mangelhaft sozial abgesichert.“
Dr. Susanne Padel, Thünen-Institut für Betriebswirtschaft

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden lediglich elf Prozent aller Höfe in Deutschland von Frauen geleitet. Und bei nur 18 Prozent ist eine Frau als Nachfolgerin vorgesehen. Differenziertere Informationen, die die Lebenssituation von Frauen in der Landwirtschaft abbilden, gab es bis vor kurzem jedoch kaum.

Um das zu ändern, haben Dr. Susanne Padel und das Team vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und der Universität Göttingen mehr als 7.000 Frauen landwirtschaftlicher Betriebe aus ganz Deutschland befragt. Dabei haben sie auch Unterschiede zwischen biologisch und konventionell wirtschaftenden Höfen ermittelt. Unter den Befragten der Bio-Betriebe waren rund 27 Prozent als Betriebsleiterinnen oder Geschäftsführerinnen eingetragen – das sind acht Prozent mehr als bei den konventionellen Betrieben. „Außerdem gaben im Bio-Bereich fast doppelt so viele Frauen an, die Betriebe neu gegründet beziehungsweise mitgegründet zu haben“, sagt Padel.

Trotzdem sehe es insgesamt jenseits des Ackers mit der Diversität weder bei bio noch bei konventionellen Betrieben allzu rosig aus. Besonders nach der Geburt von Kindern kehrten viele landwirtschaftlich ausgebildete Frauen zurück zur Haus- und Care-Arbeit, weg von Leitungsaufgaben. Padel bedauert außerdem: „Obwohl sie vielfältige Leistungen für unsere Landwirtschaft erbringen, sind Frauen oft nur mangelhaft sozial abgesichert“. Gemeint sind damit vor allem eine unzulängliche Altersvorsorge sowie mangelnde Absicherung im Falle einer Trennung oder Scheidung.

Padels Fazit: Auch im wertebasierten Ökolandbau gibt es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch Luft nach oben. Ein möglicher Grund: Viele Bio-Frauen sind bereits Grenzgängerinnen, die sich für Tier- und Umweltschutz starkmachen. Oft mangelt es da an Kraft und Zeit, für die eigenen Rechte einzutreten.

Frauen-Diskriminierung in der Landwirtschaft fängt oft schon im Praktikum an

Ungerechtigkeit einfach hinnehmen – das ist für Naturland-Bäuerin Marion Bohnert keine Option. Sie leitet gemeinsam mit ihrem Mann einen Milchviehbetrieb in Oberschwaben. Seit zwei Jahren ist sie eine von zwei Frauen im fünfköpfigen Naturland-Präsidium. „Noch heute ärgere ich mich, wenn die Post für unseren Betrieb nur an meinen Mann adressiert ist. Frauen müssen in der Landwirtschaft mehr gesehen werden! Als Mitglied des Naturland-Präsidiums habe ich die Möglichkeit, mich hierfür stark zu machen“, sagt sie.

Über falsch adressierte Briefe musste sich Tina Esser hingegen noch nie ärgern. Seit 2015 leitet sie den 45 Hektar großen Bioland-Betrieb Hof Meyer zu Theenhausen in der Nähe von Bielefeld. Esser sagt: „Es überrascht mich, dass es auch im Bio-Bereich bei der Geschlechtergerechtigkeit noch hapert. Allerdings ist Landwirtschaft ja sehr vielfältig. Ich könnte mir vorstellen, dass im kleinflächigen Gemüseanbau wie bei uns insgesamt mehr Gleichberechtigung herrscht als im großflächigen, maschinenintensiven Ackerbau. Ich persönlich fühle mich in meinem Beruf jedenfalls wunderbar angenommen. Und kann mich an keine Situation erinnern, in der ich mich als Landwirtin diskriminiert gefühlt hätte.“

Engagement gegen das Patriarchat auf dem Acker

Womöglich hat Tina Esser einfach nur Glück gehabt – das könnte man jedenfalls vermuten, wenn man sich andere Geschichten aus der Landwirtschaft anhört. Hanna Schwager vom Emanzipatorischen Landwirtschaftsnetzwerk Elan weiß, dass die Diskriminierung von Frauen in der Landwirtschaft schon häufig in der Berufsausbildung oder beim Praktikum anfängt.

Schwager sagt: „Frauen werden auch im 21. Jahrhundert oft von Tätigkeiten wie Schweißen, Kettensägen oder Traktorfahren ausgeschlossen. Und selbst wenn tendenziell etwas mehr Bio-Höfe von Frauen geführt werden, liegt das vor allem daran, dass diese oft kleiner sind als konventionelle Betriebe.“

Schwager hat ihr Bachelor-Studium an der Hochschule für ökologische Agrarwissenschaften in Witzenhausen absolviert. Hier, wo der Frauenanteil unter den Studierenden sowie unter den wissenschaftlich Beschäftigten bei rund 50 Prozent liegt, engagierte sie sich mit anderen Ackerfeministinnen unter dem Motto „Macker weg vom Acker“ für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Im Masterstudium geht sie dem Gender-Gap an der Humboldt-Universität in Berlin nun auf den Grund.

Schwager engagiert sich dafür, Stereotype sichtbar zu machen und aufzubrechen. Zum Beispiel im Rahmen der jährlichen Wir-haben-es-satt-Demo in Berlin, bei der auch queerfeministische Menschen gegen Patriarchat und Diskriminierung protestieren. Die Teilnehmenden wenden sich hier direkt an die Politik, fordern etwa Existenzgründungs- und Mentoring-Unterstützung für Frauen und Queers in der Landwirtschaft.

„Wirtschaft muss menschlicher und vielfältiger werden.“
Stephanie Mosbacher, Geschäftsführerin Byodo

Darüber, wie es Frauen in Bio-Firmen geht, gibt es so gut wie keine Daten. Lediglich der Bundesverband Naturkost Naturwaren, BNN, hat im Jahr 2016 eine Erhebung unter seinen rund 200 Mitgliedern aus Bio-Herstellung und Handel durchgeführt. Damals wurden immerhin rund 40 Prozent der teilnehmenden Unternehmen von Frauen geleitet oder mitgeleitet.

BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel kam vor vier Jahren als Quereinsteigerin in die Bio-Branche. Sie bestätigt: „Im Vergleich zu anderen Branchen sehe ich hier mehr Frauen in Führung und Verantwortung als anderswo. Das ist prima, darf aber gerne noch weiterwachsen. Als Geschäftsführerin und Mutter von zwei Töchtern ist es mir persönlich ein Anliegen, dass Frauen sich trauen, in Verantwortung zu gehen.“ Letzteres fördert Jäckel auch mit ihrem Engagement bei Next Generation Bio, dem Traineeprogramm Ökolandbau und tagtäglich in der Geschäftsstelle des BNN. „Wir tun alles, damit die Arbeit und das Leben von Müttern und Vätern bestmöglich zueinander passen. Das ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich!“, sagt sie.

Dass sich flexible, familienfreundliche Arbeitsbedingungen für alle rentieren, beweist das Feinkostunternehmen Byodo, das seit 2022 von Stephanie Moßbacher geleitet wird. Knapp drei Viertel aller Beschäftigten sind weiblich; auf der Führungsebene liegt der Frauenanteil bei rund 60 Prozent. Moßbacher sagt: „Unsere vielfältigen Arbeitszeitmodelle machen eine gerechte Verteilung der Care-Arbeit möglich. Und unsere Gehälter zahlen wir je nach Position – unabhängig vom Geschlecht.“

Moßbacher beschreibt ihren Führungsstil als partizipativ und empathisch – nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil dies ihrem Naturell entspricht. Sie ist überzeugt: „Wirtschaft muss menschlicher und vielfältiger werden, wir müssen wegkommen von Stereotypen.“

In Führungspositionen herrscht noch keine Parität

Dass Frauen wie Stephanie Moßbacher oder Liane Maxion (siehe Interview) nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel darstellen, bedauert auch Tina Andres. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW. „Gerade was die Besetzung von Führungspositionen angeht, herrscht noch keine Parität. Das ganze System muss dazu beitragen, Frauen weiter zu empowern“, sagt sie.

Die Bio-Branche sei zwar aus einer Bewegung entstanden, in der Gleichberechtigung von Männern und Frauen schon früh ein Thema war. „Dennoch befinden wir uns erst am Anfang auf dem Weg hin zu einer echten Geschlechtergerechtigkeit. Es liegt noch ein gutes Stück vor uns – auch in der Biobranche“, so Andres.

Damit Frauen mehr Verantwortung wagen, fordert die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, BNW, Dr. Katharina Reuter für Führungspositionen mehr Flexibilität – zum Beispiel in Form von Jobsharing. „Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Unternehmen, die divers zusammengesetzte Gremien und einen hohen Frauenanteil in Führungspositionen haben, erfolgreicher sind. Gerade in Nachhaltigkeitsdisziplinen, die heute immer wichtiger werden, können sie punkten!“, ist Reuter überzeugt.

Im Gespräch mit Liane Maxion, Naturata-Geschäftsführerin

Liane Maxion, Geschäftsführerin von Naturata

Wurden Sie beruflich schon mal diskriminiert, weil Sie eine Frau sind?
Ich hatte das Glück, nie wirklich einer Diskriminierung ausgesetzt gewesen zu sein. Im Gegenteil: Es gab in meiner beruflichen Laufbahn immer Männer, die mich vorbehaltlos gefördert haben. Da hatte ich es sicherlich leichter als andere Frauen. Aber die Reaktionen außerhalb der Bio-Branche waren schon oft seltsam. Ich erinnere mich an eine Bank-Veranstaltung, bei der auch mein Mann mit dabei war. Er wurde von den Bank-Verantwortlichen direkt angesprochen, weil vermutet wurde, dass er der CEO von Naturata ist. Als mein Mann das richtigstellte und auf mich verwies, waren die irritierten Blicke sehr amüsant. In der Bio-Branche erlebe ich die Akzeptanz Frauen gegenüber insgesamt deutlich größer als in anderen Branchen.

Wie sorgen Sie für Geschlechtergerechtigkeit?
Bei Naturata arbeiten rund 77 Prozent Frauen. Allerdings ist mir nicht nur Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch Akzeptanz bei Religion oder Sexualität sehr wichtig. Ich lebe das vor und mache keinen Unterschied zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Außerdem achte ich bei einer Neueinstellung darauf, dass die Person die gleichen Werte teilt. Daher ist das bei uns selbstverständlich – und das soll auch so bleiben.

Brauchen wir eine Frauenquote?
Früher war ich gegen die Frauenquote. Ich war der Ansicht, dass man es allein mit Können und Engagement schaffen kann. Dem ist aber leider nicht so und ich musste meine Meinung revidieren. Um alte Strukturen aufzubrechen, braucht es die übergeordnete Regulation. Nur so kann Neues entstehen und auch erfahren werden, dass es für Unternehmen nur bereichernd sein kann, wenn Frauen und Männer auf gleicher Augenhöhe gemeinsam arbeiten.

In der Weinbranche ist der Frauenanteil merklich gestiegen

Neben dem BNN, dem BÖLW und dem BNW steht auch an der Spitze von ECOVIN eine Frau. Keine Neuheit – der Bundesverband ökologisch arbeitender Weingüter hatte bereits in den 1990er Jahren weibliche Geschäftsführerinnen. „Innerhalb unseres Verbands begegnen mir als Geschäftsführerin höchst selten Vorbehalte wegen meines Geschlechts.

Etwas anderes ist es, wenn ich mich in der Weinbranche insgesamt bewege, da werde ich als junge Frau schon einmal belächelt. Doch auch hier ist der Frauenanteil in den letzten zehn Jahren merklich gestiegen. Grundsätzlich kann ich mir gut vorstellen, dass wir in 20 bis 30 Jahren genauso viele Weingutsinhaberinnen wie -inhaber zählen“, gibt sich Geschäftsführerin Petra Neuber optimistisch.

Auch die junge Bio-Winzerin Christina Andrae kennt viele Frauen, die den Winzerberuf lernen oder studieren. Nachdem sie ihren Vater nicht überzeugen konnte, das familiengeführte Weingut auf bio umzustellen, gründete sie an den steilen Schiefer­terrassen bei Ernst an der Mosel einen eigenen ökologisch wirtschaftenden Betrieb.

„Ich hatte das Privileg, mit der Unterstützung aufgewachsen zu sein, dass man als Frau alles machen kann, wenn man sich fachlich und praktisch als kompetent erweist“, sagt Andrae. Wenn sie Vorurteilen begegnet, zeigt sie durch ihr Handeln, dass diese unberechtigt sind. Doch ihr ist bewusst, dass nicht alle Frauen diese Energie haben. „Deswegen unterstütze ich es sehr, dass immer mehr Frauenbewegungen laut werden. Wir sind die Hälfte der Bevölkerung und als diese sollten wir wahrgenommen werden“, so Andrae.

„Netzwerke sind die Basis für gegenseitige Unterstützung."

Christine Brandmeir, Bio-Frauen-Netzwerk

Damit starke Bio-Frauen, die Höfe und Weingüter, Unternehmen und Verbände leiten, keine Ausnahmen bleiben, haben sich einige von ihnen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Darunter ist auch Christine Brandmeir. Sie leitet heute den Bereich Gremien und Ehrenamt bei Bioland und war 2019 Mitinitiatorin des Bio-Frauen-Netzwerkes.

Brandmeir ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen und erzählt: „Es war üblich, dass die Söhne den Hof übernehmen. Das fand ich schon als Kind ungerecht.“ Im Netzwerk möchte sie Frauen aus der Bio-Branche zusammenbringen.

„Netzwerke sind die Basis für gegenseitige Unterstützung. Viele Frauen machen sich erst dann für Gleichstellung stark, wenn es eine Plattform dafür gibt. Eine solche haben wir nun geschaffen.“ Jedes Jahr finden mindestens zwei Treffen statt, bei denen mitunter Studien zu Gleichstellungsthemen vorgestellt werden und bereits ein Mentoring-Programm mit rund 30 Teilnehmerinnen auf den Weg gebracht wurde.

Hierüber haben auch Sigrid Griese von Bioland und Ursula Huber vom VollCorner BioMarkt zueinander gefunden. „Wir sind beide im Nachhaltigkeitsmanagement tätig und hatten so inhaltlich von Anfang an viele Schnittstellen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten haben wir uns einmal im Monat per Videokonferenz ausgetauscht. Dabei ging es uns jedoch nicht unbedingt darum, wer von uns Mentorin und wer Mentee ist, sondern um das Gemeinschaftsgefühl und das gegenseitige Empowern“, sagt Sigrid Griese.

Bio-Frauennetzwerk

Aktuell werden alle Aktivitäten des Bio-Frauen-Netzwerks noch ehrenamtlich ausgeführt, an einer Grundfinanzierung und einer verbandsübergreifenden Lösung wird jedoch bereits gearbeitet. Bis dahin wenden sich Interessentinnen per E-Mail an: christine.brandmeir@bioland.de.

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