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Ladenportrait

Bioritter in Schwäbisch Hall: Vom Ladenbauer zum Ladner

Eine Familie übernimmt einen Bio-Laden in einem trostlosen Einkaufszentrum, investiert knapp 600.000 Euro und macht den damals 27-jährigen Sohn zum Geschäftsführer. Das ist der Beginn einer Bio-Erfolgsgeschichte.

Die Geschichte von Bioritter beginnt damit, dass der Ladenbauer Jörg Kunze im Februar 2019 zum Telefon griff. Er hatte gehört, dass die dortige Biomammut-Filiale in einem trostlosen Einkaufszentrum im nahegelegenen Schwäbisch Hall ums Überleben kämpft. In Kunzes Firma Der Holzhof stecken viele Jahre Erfahrung im Planen und Einrichten von Bio-Läden – der Schreiner wollte Rat und Hilfe anbieten. Und bekam stattdessen die Filiale zum Kauf angeboten.

2016 hatte sich Kaufland aus dem Ritter-Areal zurückgezogen, woraufhin die GWG Grundstücks- und Wohnungsbaugesellschaft Schwäbisch Hall umbaute, um Platz für mehrere mittelgroße Läden zu schaffen. Biomammut, ein Schnäppchenmarkt und ein Kiosk zogen ein, aber über 1.000 Quadratmeter Ladenfläche blieben leer. „Das wirkte kalt und tot“, beschreibt Jörg Kunzes Sohn Ruben seinen damaligen Eindruck. Kunden verirrten sich selten dorthin.

Standort mit Potenzial

Eigentlich wollten die Kunzes das Kaufangebot ablehnen. Doch sie sahen Potenzial. Die Shopping Mall liegt am Rand der historischen Altstadt, am Ende der Fußgängerzone; zum Komplex gehört ein Parkhaus. „Die Lage ist nicht perfekt, aber gut zu Fuß, per Rad und mit dem Auto zu erreichen“, sagt Ruben Kunze. Und warum nicht den großen kahlen Flur vor dem Bio-Laden als Gastrobereich ausbauen? Von dort aus könnten Gäste direkt in den Innenhof schauen. Und warum nicht auch dort draußen Tische und Stühle aufstellen?

Ein Gespräch mit der Vermieterin brachte den Umschwung. „Die GWG-Vertreter fanden unsere Idee eines Bio-Cafés und -Bistros, das Angebot regionaler und unverpackter Produkte sehr gut!“, erinnert sich Jörg Kunze. Und sie machten viele Zusagen.

Ladenumbau im laufenden Betrieb

Innerhalb weniger Tage übernahm die Familie den Laden mit sämtlichem Inventar sowie Personal und gründete eine GmbH. Zu der gehören Senior Jörg Kunze, seine Frau Evelyn, Sohn Ruben und Tochter Elisabeth sowie deren Lebenspartner. Gemeinsam investierten sie knapp 600.000 Euro und krempelten den Laden bei laufendem Betrieb komplett um.

Das Holzhof-Team zog Wände ein und schuf auf der 550 Quadratmeter großen Verkaufsfläche Nischen und ruhige Ecken. Viel Holz wurde verarbeitet und für die Arbeitsplatten im Thekenbereich Granit. Wände der Weinabteilung bekamen einen dunkelroten Anstrich. Wer den Laden betritt, erlebt einen heimeligen Verkaufsraum. Warmes Licht schafft eine angenehme Atmosphäre.

Der Eingangsbereich empfängt den Kunden mit einer Café-Bar und Eisstation. In der Weinabteilung laden Tische und Stühle aus hellem Birnenholz zum Verweilen ein, in der Naturkosmetik-Abteilung gehören ein Schminktisch mit Spiegel und eine Sitzecke mit Sofa zum Interieur. „Wir wollten eine Wohlfühlstimmung erzeugen“, sagt Ruben Kunze, der den Bio-Supermarkt leitet.

Fokus auf Regionalität

Parallel dazu nahmen sich die neuen Ladner das Sortiment vor. Großhändler Bodan unterstützte beim Sortieren in Verkaufsschlager und Ladenhüter und die Kunzes setzten neue Schwerpunkte. Einer davon ist Regionalität: Ins Sortiment geschafft haben es beispielsweise Käse aus der Dorfkäserei Geifertshofen, Nudeln vom Däubers Hof, frisch gepresstes Öl der Marke M.Oel aus dem 35 Kilometer entfernten Hönig, Wein vom Heilbronner Weingut Stutz oder vom Demeter-Weingut im Zwölberich und Moo-Heumilcheis aus dem 30 Kilometer entfernten Kirchberg.

Linsen liefern die Honhardter Demeterhöfe. Ein Angebot mit regionalen Bio-Lebensmitteln zusammenzustellen und zu pflegen, macht viel Arbeit, sagt Ruben Kunze. „Das läuft oft nicht über den Großhandel, sondern direkt über den Erzeuger. Da muss ich jeden einzelnen kontaktieren und das rechtzeitig, weil die Lieferung manchmal etwas länger dauert.“

Unverpackt-Ecke zur Vermeidung von Müll

Im Bioritter finden Kunden auch eine Unverpackt-Ecke. Dort können sie Linsen, Getreide oder Nudeln in mitgebrachte Gefäße abfüllen. Reinigungsmittel deckt Sonett mit einer Abfüllstation ab. Ruben Kunze legt Wert auf Nachhaltigkeit, Qualität und authentische Lebensmittel mit einer Geschichte. Preisaktionen sucht man hier vergebens. Willkommen sind dagegen gute Ideen, so wie die einer Mitarbeiterin, die für die Unverpackt-Station ein Fotoalbum gestalten möchte, um zu zeigen, wo und wie die angebotenen Produkte hergestellt werden.

Quereinsteiger mit gutem Netzwerk

Die Einsteiger haben viel verändert. Damit kamen nicht alle übernommenen Mitarbeiter zurecht. Einige kündigten, darunter auch branchenerfahrene Kollegen mit viel Know-how. Das Team heute steht voll hinter dem Konzept und Quereinsteiger Ruben Kunze, der wie sein Vater gelernter Schreiner ist und sich mit viel Elan in die Materie eingearbeitet hat. „Ich fühle mich wohl in der Bio-Branche, man macht etwas Sinnvolles“, sagt er.

Ratschläge holt er sich etwa bei Biooffice, die das Warenwirtschaftsprogramm für Bioritter erstellt haben. Auch bei Bodan findet Kunze immer ein offenes Ohr. Darüber hinaus bringt er sich an dem vom Großhändler initiierten Zukunftslabor ein, einem Netzwerk für Bio-Hersteller und -Ladner.

Unterstützt wird der 28-Jährige auch vom Familien-Clan. An erster Stelle von Vater Jörg, der das neue Konzept entwickelt und mit seiner Firma den Laden hochwertig ausgebaut hat und der über reichlich Kontakte in die Bio-Branche verfügt.

Ich fühle mich wohl in der Bio-Branche, man macht etwas Sinnvolles.

Ruben Kunze

Ruben Kunzes Schwester Elisabeth Christ ist für die Instagram- und Facebook-Kommunikation zuständig, Schwager Sebastian Christ regelt die Bankgeschäfte, Mutter Evelyn packt nach ihrer regulären Arbeit mit an und kümmert sich auch um die Laden-Deko. Ruben Kunzes Partnerin Marei Abraham pflegt Dienst- und Urlaubspläne und ist zuständig für das Schilder-Leitsystem im Bioritter.

Lounge und Innenhof als Begegnungsräume

Viel haben die neuen Bio-Ladner schon bewältigt. Als mühsam empfand Ruben Kunze die zähen Verhandlungen mit Vermieterin, Nachbarn und Stadt über die Nutzung der Fläche vor dem Laden und des daran anschließenden Innenhofs. Doch der Erfolg kann sich sehen lassen. Vor dem Laden lädt ein Lounge-Bereich mit Vollholzmöbeln und einer Kinderspielecke zum Bleiben ein.

Wenige Schritte weiter genießen Gäste ihren Espresso in der Sonne. Dort, neben dem Blauglockenbaum im Innenhof, hat das Holzhof-Team eine Terrasse mit Gartenmöbeln und Sonnenschirmen errichtet. Begegnungsräume sind so entstanden, Räume für Leben im Ritter-Areal.

Marktplatz für regionale Künstler geplant

Doch die Zeit der Herausforderungen ist noch nicht zu Ende. Wegen Corona wurden der Mittagstisch und Verkostungen ausgesetzt, Veranstaltungen mit Musikern fielen aus. Der Online-Shop mit Lieferservice läuft noch nicht rund. Und auch die Fläche neben der Lounge ist noch eine Baustelle. Bis hier ein Marktplatz für regionale Schmuck- und Textildesigner, Künstler und Kunsthandwerker entsteht, stellt Kunze den Raum der Solidarischen Landwirtschaft Schwäbisch Hall zur Verfügung.

Neue Konkurrenz

Mit gemischten Gefühlen sieht Bioritter den Edeka- Markt, der kürzlich 1.000 Quadratmeter im Ritter-Areal bezogen hat. Der könnte dem Bio-Laden neue Kundschaft bringen. Andererseits führt er ebenfalls Bio- und Demeter-Produkte, die er wegen anderer Handelsstrukturen preiswerter verkaufen kann. Ruben Kunze setzt deshalb verstärkt auf fachhandelstreue Produkte und hofft, „dass unsere Kunden unser Konzept und unseren Einsatz für 100 Prozent Bio schätzen und uns weiter unterstützen“.

Zahlen, Daten, Fakten

  • Inhaber: Die GmbH besteht aus 6 Mitgliedern der Familie Jörg Kunze; Geschäftsführer: Ruben Kunze
  • Adresse: Johanniterstr. 4, 74523 Schwäbisch Hall
  • Öffnungszeiten: Mo- Sa 8:00-20:00 Uhr
  • Eröffnung: Oktober 2019
  • Verkaufsfläche: 550 Quadratmeter
  • Anzahl Mitarbeiter: 9 (8 Frauen, 1 Mann / 3 Vollzeit, 6 Teilzeit)
  • Produkte: 7.000
  • Großhändler: Bodan
  • Website: www.bioritter.eu
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