Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Hoody

Bio aus dem Hightech-Laden

Hamburg hat seit August 2022 einen Supermarkt mit viel Bio aber ohne Kassen. Kameras und Computer Vision überwachen den Einkauf. Unser Autor wollte wissen, ob und wie das funktioniert.

Von der U-Bahn-Station Klosterstern sind es nur wenige Schritte bis zum Hoody-Markt. Jetzt wird es spannend: Mit Hilfe einer zuvor heruntergeladenen App soll sich der ohne Verkaufspersonal arbeitende Hoody-Markt öffnen und mir den Zugriff auf ein breites Bio-Sortiment gewähren.

Tatsächlich kann ich mit dem elektronischen Schlüssel in der App die gläserne Schiebetür und die dahinterliegende Schranke öffnen. Per QR-Code wird erkannt, dass ich ein Kunde bin, der Bankverbindung und Telefon-Nummer hinterlegt hat. Der Hoody-Markt wurde im August 2022 eröffnet. Von Montag bis Samstag kann man täglich 24 Stunden einkaufen. Sonntags erlaubt die Stadt Hamburg Öffnungszeiten von 10 bis 15 Uhr.

Ausgeklügelt hat den vollautomatischen Markt und die Technik dahinter das Start-up Autonomo. „Unser Bestreben war es, das einfachste und überzeugendste Einkaufserlebnis zu schaffen“, sagt Patrick Müller-Sarmiento, Gründer und Chairman der GmbH mit über 30 Mitarbeitenden. „Wir haben einen Markt geschaffen, der neu und innovativ ist, aber gleichzeitig auf eine besondere Art und Weise vertraut wirkt“, sagt er.

Kameras überwachen alles

Nach gelungenem Einlass in den knapp 70 Quadratmeter großen Laden könnte ich mir nach Belieben die Taschen vollpacken und dann wieder verschwinden. Weder schaut mir Verkaufspersonal auf die Finger, noch wartet jemand am Ausgang auf mich, der kassieren will. Beim Blick an die Decke fallen mir jedoch unzählige Überwachungskameras auf. Aha, ich werde doch beobachtet. Aber wie will eine Kamera wissen, ob ich mit einem Handgriff vier oder sechs Cherry-Tomaten aus dem Gemüsekorb entnommen habe? Oder wie viele Bananen an einem Strunk sind, den ich einpacke?

Ich brauche jemanden, der sich hier auskennt. Elena Gärtner, eine der lokalen Community-Managerinnen, die Kunden im Laden beraten, erläutert mir die autonom arbeitende Technologie: Gemeinsam mit den Überwachungskameras sorgt ein Wiegesystem dafür, dass entnommenes Obst und Gemüse dem jeweiligen Kunden zugeordnet werden können.

So sind alle Cherry-Tomaten in etwa gleichgroß und haben einen Stückpreis. Wer sechs entnimmt, bekommt sechs berechnet, weil diese vom Gewicht her im Bestand fehlen. Die Kameras halten derweil fest, wer die Tomaten entnommen hat. Auch bei Äpfeln gibt es einen Stückpreis, Bananen werden nach Gewicht berechnet.

Möglich ist das durch den Einsatz von Computer Vision. Laut IBM ist Computer Vision ein Feld innerhalb der Künstlichen Intelligenz (KI), das es Computern und dem System ermöglicht, aussagefähige Informationen aus digitalen Bildern, Videos und anderen visuellen Eingaben zu gewinnen. Auf Grundlage dieser Informationen können Maßnahmen ergriffen werden. „Wenn KI Computern das Denken ermöglicht, ermöglicht Computer Vision ihnen das Sehen, Beobachten und Verstehen“, schreibt IBM.

Sensibles Wiegesystem

Bei den Trockenprodukten erkennt das Wiegesystem ebenfalls, wie viele Artikel entnommen wurden. Wer beim Einkauf durstig ist und nur einen Schluck aus einer Saftflasche nimmt und die dann wieder ins Regal stellt, muss sie auf jeden Fall bezahlen. Denn auch wenn nur wenige Milliliter des Inhalts fehlen, stellt das System dem Durstigen die gesamte Flasche in Rechnung. Es auszutricksen gelingt offenbar nicht. Ich könnte über meine App auch eine Begleitung von maximal vier Personen mit in den Laden nehmen und sie alle gleichzeitig Waren einsammeln lassen. Keine gute Idee, denn am Ende werden mir alle entnommenen Waren in Rechnung gestellt.

Ich hätte auch gerne den Wein- und Bierschrank geöffnet, aber dazu müsste ich in der App mein Alter nachweisen, was etwas aufwendig ist. Die Überwachungskameras würden mich zwar altersmäßig einstufen können, aber weil Gesichter aus Datenschutzgründen nicht erfasst werden, gibt es nur den Weg über den Nachweis. Unter-16-Jährige sind auch nicht unbedingt am Alkohol interessiert, wohl aber am Laden, wie Elena Gärtner berichtet: „Zu uns kommen auch Kinder, die ihren Eltern voller Stolz den Laden erklären.“ Sind das die Kunden von morgen?

Einkaufen rund um die Uhr

Bei meinem Besuch Mitte November, der gut eine Stunde am frühen Nachmittag dauerte, erschien kein Kunde. „Nachdem die anderen Läden geschlossen haben, wird es hier richtig lebendig“, sagt Elena Gärtner. Besonders an Wochenenden. Um die Mittagszeit werde vor allem Convenience von Beschäftigten und Bewohnern aus der Umgebung nachgefragt. Ein Einkauf dauere in der Regel nur wenige Minuten.

„Wir sind auch der Kühlschrank der Anwohner“, berichtet die Community-Managerin. Wenn Anwohner abends Besuch bekämen und Lust auf Bio-Wein hätten, könnten sie sich bedienen wie am heimischen Vorrat: Einfach die Flaschen entnehmen – ohne langes Warten an irgendeiner Kasse. Einen Viererträger aus Pappe gibt es bei Bedarf gratis dazu. Rund 500 Artikel sind laut Gärtner insgesamt im Laden zu finden, die meisten in Bio-Qualität. Daneben spielen regionale Produkte eine Rolle, was im Angebot unübersehbar ist: beim Brot, bei Convenience, beim Wasser, beim Bier.

Kundenwünsche per App

Ein Schwachpunkt ist die Rückgabe von Pfandflaschen. Sie ist in dem kleinen Laden nicht möglich. Umliegende Händler hätten sich jedoch bereit erklärt, das Leergut anzunehmen. „Wenn ein Kunde unsere Pfandflaschen nicht loswerden sollte, kann er uns schreiben. Dann überweisen wir den Betrag auf sein Konto“, sagt Elena Gärtner. Kunden können per App auch Wünsche bezüglich des Sortiments äußern. Ladenhüter werden zu Sonderpreisen abverkauft und substituiert. Die elektronischen Preisschilder überall im Laden erlauben jederzeit und von überall aus Preisanpassungen.

Bei einer im Preis reduzierten Dose Erbsensuppe, die ausgemustert werden soll, greife ich zu. Sie wandert in meine Tasche, die Kameras schauen zu, im Regal fehlt Gewicht. Jetzt muss ich nur noch den Laden verlassen und in der App die Rechnung prüfen. Draußen vor dem Laden teilt mir die Hoody-App mit, dass meine Rechnung erstellt wird. Der Betrag wird später auch von meinem Konto abgebucht.

Und wie geht es nun weiter? Das Hoody-Verkaufskonzept eröffne Händlerinnen und Händlern den Zugang zu einem hochprofitablen Einzelhandelskonzept, das sinnerfüllte Arbeitsplätze am POS schaffe, sagt Patrick Müller-Sarmiento. So wie den von Elena Gärtner. Große Handelsketten sollen bereits bei Hoody zu Besuch gewesen sein.

Zahlen – Daten – Fakten

Inhaber: Autonomo GmbH, Victoriakai-Ufer 4d, 20097 Hamburg
Adresse:
Eppendorfer Baum 11, 20249 Hamburg
Öffnungszeiten:
Mo-Sa: 24h; So: 10-15 Uhr
Eröffnung:
August 2022
Verkaufsfläche:
ca. 70 Quadratmeter
Produktzahl:
ca. 500, der Großteil in Bio-Qualität
Großhändler:
Grell Naturkost
Webseiten:
www.myhoody.com / www.autonomo.tech

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