Das zentrale Thema des 19. BioHandel-Marktgesprächs ist die aktuelle Studie des Institut für Handelsforschung Köln (IFH) „30/30 Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“. Darin werden unterschiedliche Szenarien analysiert, in und mit denen der Lebensmittelhandel erfolgreich mehr Bio verkaufen und die Bio-Strategie mit dem Ziel „30 Prozent Biofläche bis 2030“ unterstützen kann. Im Vorfeld des Marktgesprächs, das am Montag, den 16.09.2024 stattfinden wird, haben wir mit Dr. Eva Stüber vom IFH über die Ergebnisse der Untersuchung gesprochen.
Frau Dr. Stüber, Sie haben sich in Ihrer Studie „Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“ mit dem 30/30-Ziel der Bundesregierung befasst. Ist dieses Ziel angesichts der derzeitigen Situation überhaupt noch zu erreichen?
Das Flächenziel war von Beginn an sehr sportlich. Das Ziel 2030 zu erreichen, bedeutet einen Zuwachs um 433.279 Hektar pro Jahr – das ist 6,5 Mal so viel wir bisher. In der Trendentwicklung wären es 14 Prozent. Aber: Wo ein Wille ist, gibt es auch Wege.
Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihrer Studie: Was müsste sich ändern, um 30/30 noch zu erreichen oder diesem Ziel zumindest nahe zu kommen?
Unser Blickwinkel in der Studie ist der Handel und das Konsumentenverhalten: Was wird dort umgesetzt, wenn die Entwicklung im Trend weitergeht beziehungsweise im Best Case 30 Prozent Öko-Flächenanteil erreicht wird? Wie stehen die Kundinnen und Kunden zu Bio? Wie groß ist das Potenzial und was sind ihre Anforderungen? Von dieser Seite können wir untermauern, dass ein Zuwachs an Bio-Produkten abgesetzt wird. Die Menschen in Deutschland setzen sich mehr mit ihrer Gesundheit, aber auch der Umwelt auseinander. Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit sowie dem Anbau von Lebensmitteln und der Umwelt werden immer präsenter.
19. Marktgespräch am 16.09.2024
Dr. Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung am IFH Köln, wird auf dem 19. Marktgespräch der BioHandel Akademie die aktuelle Studie des Institut für Handelsforschung Köln (IFH) „30/30 Bio-Revolution im Lebensmittelhandel“ ausführlich vorstellen. Darin werden unterschiedliche Szenarien analysiert, in und mit denen der Lebensmittelhandel erfolgreich mehr Bio verkaufen und die nationale Bio-Strategie mit dem Ziel „30 Prozent Biofläche bis 2030“ unterstützen kann.
Wo sehen Sie die größten Wachstums-Chancen für Bio im Handel – wo tut sich derzeit am meisten?
Die erhöhte Sichtbarkeit von Bio im Lebensmitteleinzelhandel ist der große Hebel für mehr Wachstum durch das Erreichen neuer Zielgruppen. Über die Hälfte der Befragten gibt an, mehr Bio zu kaufen, seitdem es mehr Produkte im LEH gibt. So halten die Supermärkte den höchsten Anteil am Bio-Markt und die Discounter verzeichnen das größte Wachstum.
Welche Sortimente sind der Treiber für Bio-Wachstum?
Aktuell liegen die Frischesortimente bei höheren Wachstumsraten als das Trockensortiment. Im Rahmen der Frischesortimente weisen Fleisch und Fleischerzeugnisse sowie Fleischersatz die höchsten Wachstumsraten auf. Auf kleinem Niveau realisiert Milchersatz starkes Wachstum.
„Geschmack und Gesundheit sind die wichtigsten Treiber für den Kauf.“
Was sind die Gründe für Kundinnen und Kunden, Bio zu kaufen?
Geschmack und Gesundheit sind die wichtigsten Treiber für den Kauf, erst dann kommt Nachhaltigkeit. Bei den „Fokus Bio-Käuferinnen und -käufern“, die möglichst bis hin zu ausschließlich Bio-Produkte erwerben, verliert der Geschmack zugunsten von Nachhaltigkeit zwar ein bisschen, bleibt jedoch gleichbedeutend mit Gesundheit auf Platz eins. Dies in der Kommunikation zu nutzen, ist ein wichtiger Hebel, um mehr Menschen für Bio zu gewinnen.
Wo kaufen die Menschen bevorzugt Bio – und gibt es Marken, die sie bevorzugen?
Wie bei Lebensmitteln im Allgemeinen wird im Einkaufsstätten-Portfolio gekauft. Der eigene Bewegungsraum, also die Bereiche, in denen man durch Wege zur Arbeit, Schule, Kita, Hobbys und sonstigen Verpflichtungen sowieso unterwegs ist, und damit einhergehend das Thema Bequemlichkeit spielen bei der Wahl der Einkaufsstätte eine wichtige Rolle.
Daneben ist die Einstellung zu Bio wichtig: Bezogen auf den Lebensmittelhandel sind im Supermarkt die meisten Menschen mit Fokus auf Bio unterwegs, während im Discounter die meiste selektive Käuferschaft anzutreffen ist. Spannend ist hierbei, dass es zwischen der Kundschaft in den Geschäften und den Onlineshops der Händler deutliche Unterschiede gibt: Der Anteil der Fokus-Käuferschaft ist in den Onlineshops bei den betrachteten Anbietern deutlich höher als in den Geschäften. So ist in den Onlineshops von Rewe und DM der Anteil der Fokus-Käuferschaft genauso hoch wie im Bio-Fachhandel.
Passend dazu, besitzen die Eigenmarken Rewe Bio, DM Bio und Edeka Bio die größte Bekanntheit und werden laut Angaben auch am meisten gekauft. Bei den Herstellermarken können wir kategorieübergreifend sehen, dass mit Alnatura, Berchtesgadener Land und Andechser Natur drei Marken am beliebtesten sind, die eine breite Distribution besitzen. Sichtbarkeit und einfache Zugänglichkeit sind und bleiben entscheidende Faktoren.
„Informationen zu Hintergründen und Zusammenhängen helfen, das ökologische Bewusstsein weiterzuentwickeln.“
Was bedeutet das für den Bio-Fachhandel?
Nachdem ich so viel über den LEH gesprochen habe und die vielen Vorteile, könnte man meinen, dass der Bio-Fachhandel in Zukunft keine Rolle mehr spielt: Das ist jedoch ganz und gar nicht so. Auch wenn die Ausgangssituation für LEH im wachsenden Bio-Markt besser ist, können alle Formate profitieren. Für den Naturkosthandel geht es darum, Spezialist für ein breites und tiefes Bio-Sortiment mit Nachhaltigkeitsfokus zu werden. Für Supermärkte gilt es hingegen, näher ans heutige Bio-Angebot des Fachhandels zu rücken, um die Fokus-Bio-Käuferschaft besser zu bedienen. Für die Discounter heißt es, vor allem die Erwartungen der Menschen beim Einstieg zu erfüllen und heranzuführen.
Was würde ein Forcieren des Bio-Flächenwachstums wirtschaftlich bedeuten?
Ohne Flächenwachstum werden die ökologisch bewirtschafteten Flächen zum Engpassfaktor. Für die Händler heißt es also zeitnah zu prüfen, mit welchen Partnern sie strategische Allianzen eingehen. Für eine nachhaltige Positionierung braucht es klare Entscheidungen und Taten, um wertschöpfungsübergreifend agieren zu können. Dies dient im Lebensmitteleinzelhandel auch zur Positionierung im Mehrwertbereich und hilft, unabhängiger von Preissteigerungen zu werden. Da Bio-Produkte weniger preissensibel sind als konventionelle, nähern sich die Preise von Bio- und konventionellen Produkten nun langsam an. Ein wichtiger Punkt, denn das Preis-Leistungsverhältnis ist aus Konsumentensicht einer der wichtigsten Faktoren im Handel.
Welche Aufgaben fallen Ihren Erkenntnissen nach den verschiedenen Akteuren zu, um das Ziel 30/30 zu erreichen?
Zuerst braucht die Landwirtschaft Absatzsicherheit, um sich für ein Investitionsrisiko zu öffnen. Das Flächenwachstum ist schließlich der Knackpunkt. Dies bezieht auch eine Klarheit über die weitere politische Ausrichtung ein. Unterstützend wirkt hierbei eine zielgerichtete finanzielle Subvention. Hindernd sind dagegen Informationsdefizite – dies gilt für alle beteiligten Akteure, aber auch für die Konsumentinnen und Konsumenten. Informationen zu Hintergründen und Zusammenhängen helfen, das ökologische Bewusstsein weiterzuentwickeln.
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