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Bio-Herstellung

„Die Verarbeitungsebene läuft viel zu oft unter dem politischen Radar“

Friedhelm von Mering und Carola Krieger vom BÖLW über die Relevanz der Bio-Verarbeitung für den ökologischen Ernährungswandel und warum insbesondere Molkereien einen großen Einfluss darauf haben, dass Erzeugerbetriebe umstellen. 

Mittelständische und handwerkliche Hersteller von Bio-Lebensmitteln sind ein Schlüsselelement für den Ausbau des Ökolandbaus in Deutschland. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) identifiziert deshalb unter dem Projektnamen „BioVerarbeitungStark“ seit Mai 2023, mit welchen rechtlichen und politischen Hemmnissen kleine und mittlere ökologisch produzierende Verarbeitungsunternehmen zu kämpfen haben und wie die Rahmenbedingungen für diesen Sektor langfristig verbessert werden können. 

Gefördert wird das Projekt im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau. Friedhelm von Mering, Leitung Politik und Recht beim BÖLW, und seine Verbandskollegin Carola Krieger, Referentin Verarbeitung und Handel, sprechen über aktuelle Ergebnisse.  

Der BÖLW bezeichnet die Verarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe als einen oft übersehenen Flaschenhals zwischen Landwirtschaft und Handel. Was genau ist damit gemeint?
Friedhelm von Mering: Die Zahl der mittelständischen oder handwerklichen Lebensmittelverarbeiter schrumpft seit Jahrzehnten. Die verbleibenden Unternehmen werden immer größer und industrieller und sind oft technisch gar nicht mehr in der Lage, kleinere und weniger homogene Chargen von Bio-Rohstoffen aufzunehmen. So hat sich die Verarbeitung über Jahrzehnte zum Flaschenhals gerade auch in Bio-Wertschöpfungsketten entwickelt und ist krisenanfälliger geworden. Für resiliente Wertschöpfungsketten braucht es aus unserer Sicht eine Vielzahl an vielfältigen Verarbeitungsstrukturen. 

Carola Krieger, Referentin Verarbeitung und Handel beim BÖLW

Eine gut ausgebaute mittelständische Bio-Verarbeitungsebene ist also Voraussetzung für mehr Bio insgesamt?
Carola Krieger: Der Ausbau des Ökolandbaus ist nur mit einer starken Bio-Ernährungswirtschaft realisierbar. Ohne Bio-Molkereien gibt es keine neuen Bio-Milchviehbetriebe, ohne Öko-Mühle, Öko-Bäckerei oder Bio-Brauerei keinen Hektar Öko-Getreide, ohne Bio-Schlachthof keine Bio-Tierhaltung. Bio-Rohstoffe sind besonders vielfältig, denn durch vielgliedrige Fruchtfolgen, artgerechte Tierhaltung und den Verzicht auf synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel entstehen hochwertige, aber teils auch weniger homogene Rohstoffe. Ihre Verarbeitung erfordert daher Unternehmen mit passender Struktur, Technologie und Know-how. Außerdem sind Bio-Rohstoffe in vielen Regionen nicht beziehungsweise noch nicht in großen Dimensionen verfügbar, daher werden für deren Verarbeitung eher kleine und mittlere Betriebe benötigt.

Was sind bei den Unternehmen die größten Hürden für eine Bio-Umstellung?
Friedhelm von Mering: Wie bei vielen Veränderungen steht an erster Stelle die Entscheidung im Kopf, etwas Neues zu wagen. Je nach Betriebsart müssen eventuell Rezepturen oder Abläufe verändert werden wie beispielsweise die Festlegung bestimmter Zeitfenster für die Bio-Milchverarbeitung. Und auch die Mitarbeitenden sollten bei einer Umstellung miteinbezogen und dafür motiviert werden. 

Welchen Einfluss haben die Bio-Kontrollen auf die Entscheidung für oder gegen eine Umstellung?
Friedhelm von Mering: Das kann eine kleine psychologische Hürde sein. Bio-Verarbeiter werden einmal jährlich durch eine Öko-Kontrollstelle überprüft und kontrolliert. An dieses Prozedere müssen sich einige zunächst gewöhnen und Vertrauen aufbauen – schließlich kann es ungewohnt sein, einer außenstehenden Person die eigenen Betriebsunterlagen offenzulegen.

Friedhelm von Mering, Leitung Politik und Recht beim BÖLW

Finden die Bio-Hersteller genügend Fachkräfte?
Friedhelm von Mering: Die Verarbeitung von Bio-Rohstoffen erfordert handwerkliches Know-how und hierfür braucht es wiederum geeignete Fachkräfte, die das notwendige Wissen mitbringen oder sich aneignen möchten. In vielen Berufsfeldern herrscht jedoch Fachkräftemangel, Berufsschulen vermitteln teils wenig Wissen zur Bio-Verarbeitung.

Wenn mehr Betriebe umstellen, braucht es auch mehr Bio-Rohware. Ist ein ausreichendes Angebot vorhanden?
Carola Krieger: In der Tat ist auch die Frage der regionalen Rohwarenverfügbarkeit für umstellungsinteressierte Unternehmen relevant. Hier können verbindliche Bio-Ziele in den Bundesländern und ein klares Signal der Politik viel bewirken. Grundsätzlich zeigt sich, dass gerade Molkereien eine enorme Sogwirkung entfalten können und die Umstellung auf den landwirtschaftlichen Betrieben stark befördern. Hier ergibt sich ein positiver Push- and Pull-Effekt. Gleichzeitig ist der Anteil der Bio-Milch an der Gesamtmenge der in Deutschland produzierten Milch quantitativ nach wie vor eher gering – niemand muss Angst haben, dass relevante Volumina wegfallen, wenn eine gemischtwirtschaftende Molkerei eine Bio-Linie startet.

Warum haben insbesondere Molkereien einen großen Einfluss darauf, dass Betriebe umstellen? 
Friedhelm von Mering: Für Milchviehbetriebe ist eine Molkerei in der näheren Umgebung besonders relevant, weil die Erfassung von Bio-Milch über längere Strecken sehr aufwändig und damit teuer wird. Höfe, die sehr weit weg von der nächsten Bio-Molkerei liegen, laufen deshalb Gefahr, dass die Molkerei aus Kostengründen ihre Milch nicht mehr erfassen will oder kann. 

Wenn also in der näheren Umgebung keine Molkerei in die Bio-Verarbeitung einsteigt, stellen die Höfe auch nicht auf Bio-Haltung um. Umgekehrt kommt es oft zu einer „massenhaften“ Umstellung von Betrieben, wenn in der Region eine Molkerei in die Bio-Verarbeitung einsteigt. Konkretes Beispiel ist die Molkerei Ammerland in Niedersachsen: Kurz nach der Ankündigung, künftig auch Bio-Milch zu verarbeiten, haben 50 Höfe in der Umgebung auf Bio umgestellt.

„Es ist viel einfacher, bestehende Betriebe auf Bio umzustellen als neue zu gründen.“

Friedhelm von Mering, BÖLW

Wie sehr leiden Bio-Betriebe unter den bürokratischen Anforderungen in Deutschland? 
Carola Krieger: Bio-Betriebe sind teils doppelt betroffen, da sie zusätzlich zur regulären Bürokratie in Lebensmittelverarbeitungsbetrieben auch noch Dokumentationspflichten zur Bio-Qualität zu erfüllen haben. Zudem sind Bio-Verarbeiter eher mittelständisch oder handwerklich strukturiert, verfügen also selten über eigene Abteilungen für die Erledigung von Dokumentations- und Berichtspflichten. Stattdessen müssen sich die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter selbst um die Bürokratie kümmern und sind somit häufig stark im Büro eingebunden, statt sich um die Lebensmittelherstellung kümmern zu können.

Welche Maßnahmen und Anreize braucht es, damit mehr Bio-Verarbeiter auf Bio umstellen?
Friedhelm von Mering: Grundsätzlich ist für umstellungsinteressierte Betriebe wichtig, dass sie sich auch künftig auf eine verlässliche Nachfrage nach Bio-Produkten einstellen können. Die Politik kann hier Impulse geben, beispielsweise durch verbindliche Bio-Quoten in der öffentlichen Beschaffung und Außer-Haus-Verpflegung in Schulen, Kitas und Kantinen.

Ebenfalls hilfreich ist es, wenn die Politik die Verarbeitungsebene direkt anspricht und gezielt stärkt. Häufig beziehen sich Bio-Ziele und generell politische Maßnahmen vor allem auf die landwirtschaftliche Erzeugung, beispielsweise mit Flächenzielen in den Bundesländern. Doch damit die Rohwaren in den Regalen und auf den Tellern der Menschen ankommen können, braucht es die Verarbeitungsebene – und die läuft viel zu oft unter dem politischen Radar. 

„Ziel muss es sein, bundesweit ein dichtes, resilientes Netz an mittelständischen Lebensmittelverarbeitungsstrukturen zu erhalten beziehungsweise aufzubauen und diese Strukturen dann gezielt für Bio zu motivieren und bei der Umstellung zu unterstützen.“

Carola Krieger, BÖLW

Woran liegt das und was müsste sich ändern?
Friedhelm von Mering: Grundsätzlich wird gerade die mittelständische und handwerkliche Lebensmittelwirtschaft häufig übersehen und nicht konkret politisch gefördert, weder durch die Landwirtschafts- noch die Wirtschaftsministerien – auch weil beide Ressorts die Verantwortung jeweils im anderen Haus sehen. Hier braucht es ein Umdenken und vor allem eine aktive Zusammenarbeit beider Ressorts auf Bundes- und Länderebene. 

Selbst wenn ein mittelständischer Verarbeiter bisher noch kein Bio macht, ist das Unternehmen ein potenzieller Kandidat für eine künftige Umstellung und ein wichtiger Baustein für die heimische Lebensmittelversorgung. Denn es ist viel einfacher, bestehende Betriebe auf Bio umzustellen als neue zu gründen. Daher sollten die bestehenden Unternehmen unbedingt erhalten bleiben, unabhängig von der Wirtschaftsweise. Dafür braucht es bessere mittelstandsgerechte Rahmenbedingungen.

Auf welche Fördertöpfe und Beratungsangebote können Bio-Verarbeiter zurückgreifen?
Carola Krieger: Es gibt bereits Fördertöpfe, die für Bio-Unternehmen grundsätzlich geeignet sind, beispielsweise aus Mitteln der GAK oder der GRW. Leider sind diese Programme jedoch bisher viel zu wenig bekannt, nicht in allen Regionen nutzbar (GRW) oder zum Teil so kompliziert, dass sie von den Unternehmen kaum oder gar nicht genutzt werden können (GAK). Umstellungsinteressierte Unternehmen und auch bestehende Bio-Betriebe können technologische Beratung beispielsweise durch die Bio-Verbände nutzen, hier gibt es häufig Ansprechpersonen zu Brot, Milch, Gemüseverarbeitung und so weiter. Fragen zum Bio-Kontrollsystem können auch die Bio-Kontrollstellen beantworten.

GAK und GRW

Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) ist ein Förderinstrument von Bund und Ländern zur Unterstützung der Landwirtschaft, der ländlichen Entwicklung und des Küstenschutzes in Deutschland. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarbetriebe zu stärken und Lebensverhältnisse im ländlichen Raum zu verbessern. Sie fördert unter anderem Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe, Infrastrukturmaßnahmen und Naturschutzprojekte. Die Finanzierung erfolgt gemeinschaftlich durch Bund und Länder.

Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) ist ein zentrales Instrument zur Förderung strukturschwacher Regionen in Deutschland. Ziel ist es, dort Arbeitsplätze zu schaffen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Gefördert werden vor allem Investitionen von Unternehmen und Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand. Auch Maßnahmen ohne Bau- oder Anschaffungskosten, wie etwa zur Unterstützung von Innovationen oder zur Vernetzung von Akteuren, können gefördert werden. Die Finanzierung erfolgt gemeinsam durch Bund und Länder.

Wo erhalten Verarbeiter Informationen zu Förderangeboten? 
Friedhelm von Mering: Erste Ansprechpartner für Verarbeitungsunternehmen sind meist die Einrichtungen der örtlichen Wirtschaftsförderung. Die kennen aber oft Angebote aus dem Agrarbereich wie die GAK nicht und können daher den Unternehmen auch nur begrenzt weiterhelfen. Hier sehen wir als Verband eine Lücke und würden dringend empfehlen, die Zugänglichkeit zu Förderprogrammen zu stärken, etwa durch die Gestaltung praxisorientierter Förderleitfäden für Unternehmen und Kommunen, die erwähnte Kooperation von Agrar- und Wirtschaftsministerien oder auch die Einrichtung von Förderlotsen als Anlaufstelle für Unternehmen.

Welche Akzente sollte die Bundesregierung in ihrer Agrarförder- und Wirtschaftspolitik setzen, um regionale Bio-Wertschöpfungsketten zu stärken? 
Carola Krieger: Grundsätzlich braucht es ein stärkeres Bewusstsein für die Zusammenhänge in Lebensmittelwertschöpfungsketten und die Notwendigkeit kohärenter politischer Maßnahmen. Ganz wichtig ist die intensive Zusammenarbeit von Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerien, auch mit der Umweltpolitik. Konkret heißt das, bei Nachhaltigkeits- und Bio-Zielen die ganze Kette mitzudenken und Entlastungs- und Förderprogramme mit Nachhaltigkeitszielen zu verknüpfen.

Mit welchem Ziel?
Carola Krieger: Ziel muss es sein, bundesweit ein dichtes, resilientes Netz an mittelständischen Lebensmittelverarbeitungsstrukturen zu erhalten beziehungsweise aufzubauen und diese Strukturen dann gezielt für Bio zu motivieren und bei der Umstellung zu unterstützen. Dazu braucht es praxistaugliche Dokumentations- und Berichtspflichten, mittelstandsgerechte Förderprogramme mit verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien und faire Wettbewerbsbedingungen, die die gesellschaftlichen Leistungen von Bio honorieren.

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Kommentare

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Redaktion BioHandel

Liebe Mimmi Damnitz, lieber Georg Rieck, vielen Dank für die Kommentare. Einen "Sonderdruck" wird es nicht geben, aber wir schauen mal nach einer Alternative, um dem Thema eine noch etwas breitere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen können. Viele Grüße!

Georg Rieck

Auch wenn "erhalten einer resilienten Struktur ... schon durch ist - zumindest in Hessen ist Wüste, was das angeht, müssen wir umso mehr darauf dringen, regionale Verarbeitungsstrukturen zu restituieren!
Daher unterstütze ich die Idee von Mimmi Damnitz voll!
Das Problem stranguliert uns - und es wird trotzdem nicht thematisiert...!?
Also Bihandel: politisch gedacht und her mit dem Sonderdruck!!!
Georg Rieck

Mimmi Damnitz

Ein sehr, sehr spannender Artikel. Genau solche Berichte braucht es noch viel mehr in der breiten Öffentlichkeit.
Ich verstehe, dass ihr auch was von leben müsst und daher nicht alle Artikel kostenfrei zur verfügung stellen könnt, aber bei genau solchen Artikeln sitzen die wirklichen Adressaten doch nicht innerhalb der Branche, sondern eher außerhalb. Man würde ja gerne so einen Bericht weiter verteilen, um möglichst viele Menschen aufzuklären, aber das geht natürlich nicht, wenn er hinter einer Bezahlschranke steckt. Vielleicht wäre es im Sinne aller, hier die Praxis nochmal zu überdenken.

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