Die Entscheidung, den von ihrer Mutter übernommenen Hofladen aufzugeben, fällt Ulrike Debou im Frühjahr 2022. Schon länger läuft das Geschäft schleppend. „Die Misere hat angefangen mit Corona. Da sind viele Kunden weggefallen“, sagt die 45-Jährige. Ein Umsatzhoch, wie es viele Läden vor allem im Jahr eins der Pandemie haben, hält bei Naturkost Kling nur kurze Zeit.
Bald fahren weniger Kunden mit dem Auto ins 2.000 Einwohner zählende Benningen im Allgäu, um in einem ausgebauten Kuhstall auf dem Biohof der Großfamilie Kling einzukaufen. Dramatischer wird die Situation, als Russland die Ukraine angreift und Benzin teurer wird. Steigende Lebensmittelpreise tun schließlich ihr Übriges, um Kundschaft von einem Laden fernzuhalten, der Wert auf qualitativ hochwertige Produkte statt Billig-Ware legt.
Nach einem miserablen Ostergeschäft, bei dem selbst preisstabile Hoferzeugnisse nicht mehr verkauft werden („Das gab es noch nie!“) zieht Ulrike Debou die Reißleine. Zu ungewiss ist, was kommt. „Ohne positiven Ausblick wollte ich keine Ware für das Weihnachtsgeschäft ordern“, sagt sie. Stattdessen macht sie einen Aushang, auf dem sie ihren Kunden mitteilt, dass sie Ende August den Laden schließen wird. „Die allgemeine momentane Lage, der Einbruch der Bio-Branche sowie die Marktprognosen für den Herbst lassen mir leider keine andere Wahl.“
„Der Ukraine-Krieg mit seinen Auswirkungen hat uns in der Entscheidung bestärkt, den Laden zu schließen.“
Mit ihrer Geschäftsaufgabe ist Ulrike Debou nicht allein. 2022 haben insgesamt 93 Naturkostläden geschlossen. Gleichzeitig kamen 42 neue Geschäfte hinzu. Grundlage der Daten zu den Öffnungen und Schließungen der BioHandel-Ladenstatistik sind die Abonnenten der Kundenzeitschrift Schrot&Korn, die wie BioHandel vom bio verlag herausgegeben wird. Da es darüber hinaus Geschäfte gibt, die das Magazin nicht anbieten, sind die vorgestellten Zahlen als Mindestangaben zu verstehen.
Die neben dem Ruhestand oft wirtschaftlichen Gründe für die Schließungen sind vielfältig. Inflation, Energiepreisexplosion und das Abwandern der Kunden an die Bio-Regale im LEH und Discount haben einige Ladnerinnen und Ladner 2022 mindestens darin bekräftigt, ihr Geschäft aufzugeben. So auch Lara Jacobs-Schäffer vom Biomarkt Kleve. „Der Ukraine-Krieg mit seinen Auswirkungen hat uns in der Entscheidung bestärkt, den Laden zu schließen“, sagt sie. Allerdings sei da auch der 2022 auf zwölf Euro pro Stunde angehobene gesetzliche Mindestlohn sowie das kaum energieeffiziente und auch sonst eher ungeeignete ehemalige Autohaus, in dem sie und ihre Schwester Bio verkauften. Beide fokussieren sich nun auf ihren zweiten Laden in Kleve.
Wie schon in den Jahren zuvor hörten vor allem kleinere Geschäfte auf. Knapp 70 Prozent waren nicht größer als 200 Quadratmeter. Der kleinste Laden, der schloss, hatte 25 (Biohof Vogel, Lugau), der größte 950 Quadratmeter (Super Biomarkt, Düsseldorf). Im Vergleich dazu öffneten nur fünf Läden mit einer Fläche von bis zu 200 Quadratmetern. 32 der insgesamt 42 neuen Geschäfte haben mindestens 400 Quadratmeter. Den größten Markt mit 1.038 Quadratmetern eröffnete die Bio Company im Dezember in Berlin am Lichtenrader Damm. Unter dem Strich kamen so trotz der deutlich größeren Anzahl an Schließungen insgesamt 2.751 Quadratmeter Fläche hinzu. Deutschlandweit haben die Läden damit im Schnitt 305 Quadratmeter, knapp 100 mehr als noch 2013.
Filialisten unter Druck
Dass der Naturkostfachhandel trotz schrumpfender Anzahl an Läden in der Fläche wächst, lag auch im vergangenen Jahr insbesondere an der Expansion großer Bio-Filialisten. 35 der 42 Neueröffnungen gingen auf ihr Konto. Doch auch die Supermarktketten kamen durch die Vielzahl an Krisen teilweise in arge Bedrängnis. Steigende Kosten und massive Umsatzeinbußen brachten gleich vier von ihnen in finanzielle Schieflage: Superbiomarkt, Biomare, Biomammut und Basic beantragten jeweils Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung.
Superbiomarkt trennte sich im vergangenen Jahr von fünf Standorten, darunter vier der insgesamt sechs Basic-Filialen, die der Münsteraner Filialist erst 2021 übernommen hatte. An welchem Punkt das Unternehmen seit Ende des Schutzschirmverfahrens im Oktober steht, wollte Vorstand Michael Radau auf Anfrage nicht kommentieren. Die Entwicklungen seien vielversprechend, aber zu dynamisch, um darüber zum jetzigen Zeitpunkt Auskünfte zu geben
Einbußen von etwa 20 Prozent veranlassten auch den Leipziger Bio-Filialisten Biomare, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Im Zuge der Umstrukturierung wurde bereits eine von vier Filialen dauerhaft geschlossen.
Vor dem Aus steht der süddeutsche Händler Biomammut. Hauptgrund sind massive Umsatzeinbrüche. Zwei Märkte hat Großhändler Bodan im Februar 2023 übernommen, die er unter neuem Namen weiterbetreibt. Für die drei weiteren Filialen fand sich bis Ende Januar 2023 kein Investor. Damit steht die Biomammut GmbH, die seit 2021 zu Basic gehört, vor der Abwicklung.
Basic selbst kämpft laut eigenen Angaben nicht primär mit der Kaufzurückhaltung der Kunden. Viel stärker belasten den Händler stark gestiegene Mieten und Energiekosten. Schließungen gab es 2022 nicht, allerdings auch nur eine Eröffnung. Aktuell arbeitet Basic an der Sanierung.
Denns und Alnatura wachsen weiter
Unbeeindruckt von der Entwicklung bei der Konkurrenz haben die zwei größten Bio-Ketten Denns und Alnatura ihr Filialnetz auch im abgelaufenen Krisenjahr ähnlich stark ausgebaut wie in den Vorjahren. Denns eröffnete 19 neue Märkte, übernahm sechs bestehende und schloss neun Standorte. Alnatura eröffnete sieben Läden – Schließungen gab es bei den Hessen nicht. Damit bringen es die beiden Platzhirsche zusammen auf fast 500 Filialen in Deutschland. Rein rechnerisch leuchtet über jedem fünften Naturkostfachgeschäft der Schriftzug von Denns oder Alnatura. Anders als andere große Filialisten kündigte Alnatura auch für 2023 Neueröffnungen an: Weitere sieben Filialen sollen hinzukommen.
Trotz der schwierigen Lage haben auch im vergangenen Jahr Ladnerinnen und Ladner den Neuanfang gewagt. Eine von ihnen ist Laura Lienhart, die im Januar 2022 als Inhaberin durchstartete. Der Bioladen, in dem sie schon seit sieben Jahren gearbeitet hatte, ging Ende 2021 in die Insolvenz und so entschloss sie sich kurzerhand, das Ruder zu übernehmen. Auch wenn das erste Jahr von Krisen überschattet war, ist sie dennoch zufrieden: „Wir haben tolle Kunden, die uns treu geblieben sind“, berichtet sie.
Krisen habe es schon immer gegeben – Laura Lienhart betrachtet sie als Herausforderung. Ihr Bioladen in Werl, Nordrhein-Westfalen, besteche vor allem durch die familiäre Atmosphäre und „tolle, besondere Mitarbeiter“ – sieben beschäftigt sie insgesamt. „Das hier fühlt sich gar nicht wie Arbeit an, wir verbringen gerne Zeit mit unseren Kunden“, schwärmt Lienhart. Wichtig ist ihr, dass sie das, was sie tut, zufrieden macht und einen Sinn hat – für die Umwelt, für die Kunden und für die Lieferanten. Lienharts Botschaft ist klar: „Der Fachhandel und der persönliche Kontakt zum Kunden müssen bestehen bleiben!“
„Wir bleiben positiv!“
Dafür sorgt auch Brigitte Gertloff, die mit ihrem 60 Quadratmeter kleinen Laden Um’s Eck im bayerischen Lauterhofen ebenfalls einen eher schwierigen Start hatte. Nachdem der einzige Lebensmittelmarkt im Ort endgültig geschlossen worden war, baute sie ein Nebengebäude am Haus zum Laden um. Ihr Konzept: der Tante Emma-Laden um die Ecke – Um’s Eck eben. Von Schreibwaren bis zur frischen Ernte aus dem eigenen Garten gibt es hier eigentlich alles, was man für den täglichen Bedarf so braucht. Daneben betreibt sie noch einen Partyservice, der sehr gut angenommen werde.
Das Jahr verlief für die Inhaberin „nicht so prickelnd, die Leute schauen deutlich aufs Geld“, erzählt sie. Doch da sie keine Miete zahlen muss und alles bis auf die Buchhaltung alleine macht, kann sie sich weiterhin halten. „Es bleibt aber auch nichts hängen“, so ihr wirtschaftliches Fazit aus 2022. Zumal Gertloff in der ländlichen Gegend noch einiges an Pionierarbeit zu leisten hat: Vegetarische oder gar vegane Ernährung sind vielen im Ort noch eher fremd, ebenso wie so manches Produkt, das sie in ihrem Laden verkauft. „Viele müssen da erst noch umdenken“, erzählt sie. Dass im vergangenen Jahr viele Bioläden geschlossen haben, findet Brigitte Gertloff „sehr schade“ – nicht zuletzt auch für die kleinen regionalen Lieferanten. Sie selbst will weiter kämpfen und verspricht: „Wir bleiben positiv!“
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