Die Corona-Jahre 2020 und 2021 waren „verrückt“. So beschreibt bioVista-Marktanalyst Fabian Ganz im Gespräch mit dem BioHandel die Zeit der Hamsterkäufe und der Rekordumsätze bei den Naturkostherstellern.
Verrückt und turbulent ging es aber auch danach, im Jahr 2022 weiter. Denn da endeten die Corona-Maßnahmen und ihre Auswirkungen wie die große Bevorratung mit Bio-Lebensmitteln. Was folgte, waren der Krieg in der Ukraine, die Inflation, gestiegene Energiepreise – und ein verändertes Kaufverhalten. Das schwankte zwischen erneuten Hamsterkäufen, Kaufzurückhaltung und der gestiegenen Nachfrage nach günstigen Handelsmarken-Produkten.
Darauf, dass 2022 nicht einfach werden würde, hatten sich die Top 25 aus dem Vorjahr bereits eingestellt. Es wurde aber noch schwieriger. „Ein Umsatzplus pro Laden gab es bei keiner Marke“, bilanziert Fabian Ganz, der die Daten für 24 der Top-Naturkost- und -Naturkosmetikhersteller ausgewertet hat. Einzige Ausnahme ist Alnatura, deren Jahresumsatz pro Laden auf Berechnungen von BioHandel beruhen.
Die Umsatzzuwächse aus den Corona-Jahren hat kein Hersteller halten können. Im Gegenteil: Fast alle sind von einem Umsatzrückgang betroffen. Inzwischen seien die Zahlen vergleichbar mit denen aus dem Jahr 2019.
Rapunzel: „Müssen Maßnahmen zur Verkaufsförderung schnell anpassen“
Der Spitzenreiter unter den Biolebensmittel- und
Naturkosmetikherstellern ist erneut Rapunzel, mit 780 Artikeln im
Sortiment die stärkste Marke unter den Top 25. Der Nettoumsatz des
Unternehmens aus dem Allgäu sank 2022 überdurchschnittlich stark von 237
Millionen Euro auf 208 Millionen. Damit liegt er aber noch höher als
vor Corona. „Für Markenhersteller wie uns war es ein herausforderndes
Jahr“, sagt Pressesprecherin Eva Kiene.
Laut Rapunzel wurden Olivenöle, Saatenöle und Pasta weiterhin sehr nachgefragt. Der hohe Absatz in diesem Segment ist eine Folge des Ukraine-Krieges: Dieser hatte anfangs zu Panikkäufen bei Speiseölen geführt. Nudeln wiederum zählen zu den Grundnahrungsmittel, an denen laut Fabian Ganz nicht so stark gespart werde. Anders sei das bei Nüssen und Trockenfrüchten, also den klassischen Snacks – sie waren deutlich weniger gefragt als im Vorjahr.
Das Verhalten der Verbraucher ändere sich aktuell sprunghaft, sagt Eva Kiene. „Unsere Maßnahmen zur Verkaufsförderung müssen wir schnell daran anpassen.“ Die volatile Weltlage erschwere die Absatzplanung. Eva Kienes Prognose lautet: „Vorsichtig optimistisch erwarten wir eine leicht positive Umsatzentwicklung.“ Ziel sei es, weiter zu wachsen. Rapunzel sei derzeit – wie einige andere Hersteller – auf der Suche nach neuem Personal. Seit kurzem vertreibt der Bio-Pionier seine Produkte auch über den LEH.
Der
Hersteller Dennree (Platz 2) und der Großhändler Weiling (Platz 4)
waren vom Umsatzrückgang im Vergleich zu Rapunzel weniger stark
betroffen. Sie konnten auch jene Kunden bedienen, die vermehrt im
Preiseinstiegssortiment kauften. Mit dieser Strategie waren sie
erfolgreich, weil sie mehr Umsatz auf sich vereinen konnten.
Kehrtwende bei Bio Planète
„Wir beobachten, dass unser Angebot in den BioMärkten auch für Kundinnen und Kunden attraktiv ist, deren Einkaufsverhalten preissensibler geworden ist“, heißt es dazu von Dennree. Nahrungsmittel wie Käse waren bei Dennree unverändert nachgefragt und kaum vom Umsatzrückgang betroffen. Säfte hingegen taten sich schwer, denn sie gehören wie die Snacks zur Komfortkategorie, an denen die preisbewussten Käufer sparten.
Das Darmstädter Unternehmen Alnatura (Platz 3) bestätigt die von Dennree beschriebene Preissensibilität: „Ebenso wie der gesamte Handel haben auch wir in den Alnatura Bio-Märkten eine leichte Kaufzurückhaltung aufgrund der Inflation erlebt, allerdings nicht so stark wie der Bio-Fachhandel insgesamt. Die Anzahl unserer Kundinnen und Kunden ist stabil.“ Allerdings lägen verstärkt günstigere Bio-Produkte im Einkaufskorb.
Der Ölhersteller Bio Planète (Platz 17) musste 2022 mit einer Kehrtwende umgehen: „Der Ausbruch des Ukraine-Krieges hat im Frühjahr 2022 zunächst zu wahren Hamsterkäufen bei den klassischen Speiseölen wie Sonnenblumenöl, Rapsöl, Brat- und Olivenölen geführt“, sagt Geschäftsführerin Judith Faller-Moog. „Während uns noch der kriegsbedingte Engpass für Rohstoffe wie Glas und das Auseinanderbrechen der durch Corona geschwächten Lieferketten beschäftigte, schlug das Nachfrage-Pendel plötzlich in die entgegengesetzte Richtung aus.“
Die Kaufzurückhaltung im Fachhandel spüre Bio Planète bis heute. Zudem macht Faller-Moog die steigende Konkurrenz von preisgetriebenen Handelsmarken Sorge, die das bislang gute Verhältnis zwischen Fachhandel und Herstellern belaste. „Wir wollen dennoch keine Schwarzmalerei betreiben“, sagt die Unternehmerin. „Die Statistiken – und auch unsere treuen Kundinnen und Kunden – zeigen, dass die Menschen immer größeren Wert auf gesunde Öle legen. Wir sehen also durchaus optimistisch in die Zukunft. Sowohl was den Umsatz als auch die Mitarbeiterzahl betrifft.“
„Preisaggressives Auftreten“ der Hersteller
Die Natursafterei Voelkel (Platz 6) hat ihren Umsatzanteil pro Laden erhöht. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat das Unternehmen die 100-Millionen-Euro-Umsatzgrenze geknackt, vermutlich auch durch Verkäufe außerhalb des Fachhandels. Der Absatz im Bio-Fachhandel an Saft und Nektar sank, dafür gab es ein großes Plus bei Milch- und Sahnealternativen.
Mit seiner Hafercuisine Sahnealternative lag Voelkel beim Absatz noch vor Allos-Sahne, die schon länger auf dem Markt ist. Trotz des Rekordergebnisses musste sich die Safterei nach zwei Jahren mit zweistelligem Wachstum im vergangenen Jahr mit einem Umsatzplus von 5,4 Prozent zufriedengeben und das Umsatzziel für 2022 nach unten korrigieren.
Viele Naturkosthersteller arbeiten angesichts der angespannten Situation an Strategien, um zukünftig Energie zu sparen und die Lieferketten zu stabilisieren. Darüber hinaus ergriffen sie verschiedene Maßnahmen auf das veränderte Kaufverhalten. Fabian Ganz beobachtete ein „preisaggressives Auftreten“: So wurden neue Handelsmarken-Produkte zu Preisen eingeführt, die die bis dahin günstigsten Artikel der Wettbewerber unterboten. Diese Strategie zahle sich für die Handelsmarken-Hersteller aus, die mehr Umsatz auf sich vereinen können. Den Gesamtumsatz der Läden ziehe dieses Vorgehen aber nach unten und es gehe Wertschöpfung verloren, so Ganz.
Manche Hersteller haben sich für ein Downsizing entschieden, das bedeutet: Produkte, früher beispielsweise in 420-Milliliter-Portionen angeboten, gibt es jetzt als 370-Milliliter-Größe. „Die Menge ist kleiner geworden, damit der Preis pro Portion gehalten werden kann“, erklärt Fabian Ganz. Und auch Preissteigerungen dienten dazu, den Umsatzrückgang aufzufangen.
„Die Menschen werden nicht wieder anfangen mehr Fleisch zu essen, sondern der Trend zu vegetarischen und oder veganen Alternativen wird sich weiter fortsetzen.“
Der Biolebensmittel-Produzent Allos (Platz 7) ist 2022 in vielen Produktkategorien gewachsen, berichtet Geschäftsführer Eike Mehlhop. 2022 konnte das Unternehmen mit pflanzlichen Milchalternativen weitere Marktanteile holen. Den Umsatzrückgang von insgesamt einem Prozent über alle Vertriebskanäle wertet Melhop als „ein stolzes Ergebnis“. „Die durch den Ukraine-Krieg verursachten Kostensteigerungen in allen Unternehmensbereichen sind allerdings eine große Herausforderung und belasten das Ergebnis deutlich“, sagt Melhop weiter.
Auswirkungen davon erwartet das Unternehmen auch noch für das laufende Jahr. Zu den Top-Artikeln des Unternehmens zählen der Mandel- und der Haferdrink sowie der Linsenaufstrich und die „Iss mir nicht Wurst“-Alternativen für Leberwurst. „Die Menschen greifen immer häufiger zu Fleischalternativen – auch beim klassischen Abendbrot. Da ist unser Angebot an vegetarischen Produkten perfekt“, sagt Mehlhop.
Die Entwicklung zur
vegetarischen oder veganen Ernährung wertet Allos nicht als
kurzfristigen Trend, sondern als eine grundsätzliche Veränderung der
Essgewohnheiten. „Die Menschen werden nicht wieder anfangen mehr Fleisch
zu essen, sondern der Trend zu vegetarischen und oder veganen
Alternativen wird sich weiter fortsetzen.“ Wie auch Rapunzel setzt
Allos auf die mittel- bis langfristige Geschäftsentwicklung und
investiert trotz des Kostendrucks weiter in die Zukunft des
Unternehmens. Doch es gibt auch noch andere Faktoren, die das
Unternehmen mit Sorge beobachtet: „Wir sehen Herausforderungen für die
kommenden Ernten aufgrund der schon ersichtlichen Trockenheit auf uns
zukommen.“ Es ist ein Thema, das viele der befragten Top 25-Unternehmen
umtreibt.
Wie auch Allos hat Zwergenwiese
(Platz 13) 2022 mit würzigen Brotaufstrichen gepunktet. Obgleich auch
Zwergenwiese mit erschwerter Langzeitplanung zu kämpfen hatte, sieht das
Unternehmen sich bestätigt in der strategischen Entscheidung, Rohstoffe
aus dem Direktanbau sowie aus deutschem Bio-Anbau zu beziehen. „Wir
werden auch weiterhin auf diese Rohstoffe und regionale Anbauprojekte
setzen. Zudem stehen Themen wie die Sicherstellung der Lieferfähigkeit
auf unserer Agenda“, heißt es weiter.
Branche sieht den nächsten Monaten optimistisch entgegen
Im vergangenen Jahr noch auf
Platz 24, ist Naturata, der Bio-Pionier aus Baden-Württemberg, 2022
nicht mehr unter den Top 25. Der Trend, hochwertige Backzutaten,
Schokolade oder Pralinen zu kaufen und sich zuhause etwas Besonderes zu gönnen, sei vorbei. „Man geht wieder ins Café“, sagt Fabian Ganz von bioVista. Mehr
noch: „Viele Leute, die sich das leisten können, reisen wieder. Bei
einer dreiwöchigen Flugreise fallen deren Einkäufe im Bioladen weg. Das
macht sich dann bei den Zahlen bemerkbar“, schildert Datenanalyst Ganz
die veränderte Situation. Der durchschnittliche Konsument wiederum kaufe
momentan ganz gezielt günstiger ein.
Die
Rückkehr in die Außer-Haus-Verpflegung spürte auch Lebensbaum (Platz
5). Laut Thore Quednau (Gesamtleitung Vertrieb) gab es eine generelle
Kaufzurückhaltung bei den Gewürzen. „Mit der sukzessiven Öffnung der
Gastronomie ist die Küche vieler Verbraucher wieder häufiger kalt
geblieben.“ Trotz dieser zu beobachtenden Konsumzurückhaltung waren
Klassiker wie Basis-Tees aber gefragt.
Was
neue Produkte betrifft, so beobachtet Fabian Ganz, dass die Eigenmarken
des Groß- und Einzelhandels die Herstellermarken kopieren. Unternehmen
würden auf Trends aufspringen und so genannte „Me-Too-Produkte“ für
den Biohandel einführen, beispielsweise wie Joghurtalternativen. Diese
Produkte sollen für Saisongeschäft sorgen, beziehungsweise Nischen
abdecken. Eigene Innovationen seien selten, sagt Ganz. Und wie geht‘s weiter?
Allen
Schwierigkeiten zum Trotz sehen die meisten Unternehmen den nächsten
Monaten optimistisch entgegen. Einstimmig äußern sie die Hoffnung, dass
die Preise sich stabilisieren und der Markt sich erholen wird. Auch
Fabian Ganz hat gute Nachrichten: Der Umsatzrückgang wurde im März 2023
fast gestoppt. Die Anzahl der Kunden rehabilitiere sich und die Branche
sei vorsichtig optimistisch. Mehr denn je brauche sie aber Strategien,
um mit den vielen Unwägbarkeiten umgehen zu können.
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