Biohandel

Wissen. Was die Bio-Branche bewegt

Studie

10 Thesen: So können sich Bio-Hersteller gegen Handelsmarken behaupten

Den Großteil ihrer Bio-Umsätze machen klassische Lebensmittelhändler mit Handelsmarken. Herstellermarken fallen „dramatisch“ zurück, so Professor Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn. In einer aktuellen Studie geht er der Frage nach, wie Markenhersteller wieder Boden gut machen können.

„Die Bio-Marke hat eine Chance, wieder Marktanteile zurückzugewinnen … einfach ist es aber nicht.“ Zu diesem Schluss kommt Stephan Rüschen. Grundlage dieser Aussage ist seine aktuelle Studie „Bio – Handelsmarke oder Marke?“, deren Ergebnisse der Professor für Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn (DHBW) Ende November auf den den Öko-Marketingtage in Kirchberg vorgestellt hat.

Der DHBW-Professor geht davon aus, dass der Bio-Umsatz insgesamt in diesem Jahr überdurchschnittlich um etwa 7 bis 8 Prozent steigen und der Bio-Anteil am gesamten Lebensmittelumsatz wieder leicht zulegen werde. Für den Bio-Fachhandel prognostiziert Rüschen ein Umsatzplus von rund 2 Prozent und einen erneuten Verlust von Marktanteilen gegenüber dem konventionellen Handel von etwa 0,5 Prozent. Die Unternehmensberatung Klaus Braun, die regelmäßig die Daten für das Umsatzbarometer BioHandel erhebt, geht nach neuesten Schätzungen von einem Umsatzplus im Fachhandel von über vier Prozent aus. 

In seiner Studie ist Rüschen mit seinem Team insbesondere der Frage nachgegangen, wie sich Bio-Herstellermarken im konventionellen Handel künftig gegen Handelsmarken behaupten können, denn sie verlieren stetig an Marktanteil, wie GfK-Zahlen zeigen: Seit 2020 ist der Anteil der Bio-Handelsmarken von 52,4 Prozent auf 66,8 Prozent gestiegen, der der Herstellermarken von 47,6 Prozent auf 33,2 Prozent gesunken – eine „dramatische Veränderung“, wie Rüschen es in Kirchberg formulierte.

Zehn Thesen für strategische Optionen

Um herauszufinden, was Hersteller-Marken tun können, damit sich diese Entwicklung nicht weiter fortsetzt, wurden für die DHBW-Studie unter anderem Interviews mit Expertinnen und Experten geführt. Daraus entstanden sind zehn Thesen für strategische Optionen und die Entwicklung von Bio-Marken im Wettbewerb zu den Bio-Handelsmarken:

  1. Bio-Marken benötigen ein Alleinstellungsmerkmal und erkennbare Mehrwerte gegenüber den Handelsmarken. Solche Mehrwerte können sich zum Beispiel auf den Geschmack, die Rezepturen, die Verarbeitungsprozesse, die Herkunft der Ressourcen beziehen.

    Die befragten Experten setzen hierbei vor allem auf das Marketing und empfehlen, bei der Kommunikation ein Me-Narrativ zu verwenden, also nicht den Aspekt „Du tust etwas Gutes für die Umwelt“, in den Vordergrund zu stellen, sondern „Bio ist gut für deine Gesundheit und es schmeckt Dir besser“. Außerdem solle betont werden, dass Bio keinen Verzicht darstellt („Verzicht auf Wohlstand“, „Verzicht auf Geschmack“). Es sollte also nicht primär an das „schlechte Gewissen“ der Kundschaft appelliert werden.
     
  2. Verbandssiegel wie Bioland, Naturland oder Demeter reichen für einen Mehrwert gegenüber Bio-Handelsmarken nicht mehr aus, da die Verbandssiegel mittlerweile umfangreich von Bio Handelsmarken genutzt werden.

    Generell steht Bio laut Erhebungen der DHBW Heilbronn bei der Frage nach der Relevanz von Nachhaltigkeitskriterien nur an 10. Stelle, Bio-Verbandssiegel sogar nur an 13. und letzter Stelle. 2020 erzielten Bio- und Verbandssiegel noch eine deutlich höhere Relevanz bei der Kaufentscheidung, so die Studie, die hierzu auch auf einen BioHandel-Beitrag zum veränderten Einkaufsverhalten der Kundschaft verweist. 
     
  3. Bio-Marken sollten ihre Mehrwerte intensiv bei der jeweiligen Zielgruppe kommunizieren – Stichwort: Storytelling. Rüschen betonte in seinem Vortrag, dass sich Bio-Marken im LEH „gegen die Marketingabteilungen von Barilla und Red Bull“ behaupten müssen.
     
  4. Die Distributionsausweitung der Bio-Marken in den konventionellen Lebensmittelhandel ist sinnvoll: Alle in der Studie Befragten waren sich einig, dass der Weg in den LEH für Bio-Marken der richtige ist.
     
  5. Dieser Weg in den konventionellen LEH führt jedoch zu großen Herausforderungen: Die Herstellermarken müssen sich neue Zielgruppen erschließen und ihren Mehrwert an diese neuen Zielgruppen kommunizieren.
     
  6. Auch die Händler nehmen die befragten Experten in die Pflicht: Der konventionelle Handel sei aufgefordert, die Einführung der Bio-Marken aktiv zu unterstützen und „die Einlistung kommunikativ zu begleiten“, so Rüschen.
     
  7. Die Bio-Marken sollten ihre „Preispunkte“ überdenken, da der Preisaufschlag für Bio-Markenartikel durch die Mehrwerte gerechtfertigt werden muss. Besonders die befragten Händler waren laut Rüschen der Meinung, dass Bio-Marken sehr teuer seien und den Preisabstand zu den Handelsmarken reduzieren sollten. Auch müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sein, den Aufschlag gegenüber den Bio-Handelsmarken zu bezahlen.
     
  8. Laut einer Umfrage von Professor Rüschen auf LinkedIn zur Produktplatzierung ist eine Mehrheit der Befragten der Meinung, dass Bio-Marken im konventionellen Handel in den Warengruppen angeboten werden sollten und nicht in separaten Bio-Abteilungen. Das führt nach Meinung der Experten neue Kundschaft an die Bio-Marken heran und zeigt außerdem, dass der Preisunterschied zu konventionellen Produkten gar nicht so groß ist.
     
  9. Bei der Frage ob es sinnvoll ist, dass klassische Marken auch Bio-Produkte anbieten, zeigten sich die Experten gespalten. Die Befürworter waren der Meinung, dass Bio ohne die bekannten konventionellen Marken nicht „groß genug“ werden kann, um beispielsweise das 30 Prozent-Ziel zu erreichen. Die Skeptiker vermuteten dagegen, dass konventionelle Marken „kein Bio-Vertrauen genießen“, so Rüschen. Das Fazit der Studie: Konventionelle Marken, die Vertrauen bei den Konsumentinnen und Konsumenten genießen, könnten selektiv durch die Einführung von zusätzlichen Bio-Varianten einen Beitrag zur Ausweitung des Bio-Anteils im LEH leisten.
     
  10. Aufgrund der weiterhin umfassenden Ausweitung der Bio-Handelsmarkensortimente im konventionellem LEH ist in den nächsten zwei bis drei Jahren zunächst mit einer weiteren Steigerung des Bio-Handelsmarkenanteils zu rechnen.

 

Auch wenn die Handelsmarken laut Rüschen erst einmal weiter die Oberhand behalten werden: Für die Herstellermarken sieht er durchaus die Chance, nicht nur ein Nischen-Dasein zu fristen. Dafür müssten sie sich jedoch professionalisieren, insbesondere im Marketing, so Rüschen. 

Die Studie

Das kostenlose Whitepaper zur Studie gibt es hier. Es wurde auf Basis von Sekundärmarktforschung, Experteninterviews, Recherche in Fachzeitschriften und in Studien erstellt. Die Interviews wurden im November 2024 mit 18 Expertinnen und Experten (zehn aus dem Handel, vier Herstellern und vier aus sonstigen Bereichen) anonymisiert durchgeführt.

Kommentare

Registrieren oder anmelden, um zu kommentieren.

Ein Kunde

Vielleicht mal ein paar Gesichtspunkte eines langjährigen Biokonsumenten, der eigentlich dem Fachhandel stets treu geblieben ist, aber mittlerweile auch Ausnahmen macht – u.a. wegen der Zunahme an Preiseinstiegsmarken im Fachhandel und der damit einhergehenden Reduktion von echten „Fachhandels“-Marken. Als Konsument habe ich einen anderen Blick auf die Dinge als die Experten, Geschäftsführer von Marken oder Großhandelsvorstände. Ich denke, dass der Blick zu einseitig auf Statistiken und den „Durchschnittskunden“ gerichtet wird (der realiter nicht existiert), ganz ohne die komplexe Wirklichkeit zu berücksichtigen.

Bio-Marken?
Ich sehe vorrangig zwei Optionen: Entweder Hersteller lösen ihre Fachhandelsmarken auf und vertreiben nur noch günstige Handelsmarken. Das würde zur Folge haben, dass Qualitätsmarken – und für mich der Grund, im Fachhandel zu kaufen – verschwinden. Infolgedessen würden noch mehr Verkäufe in den LEH abwandern, sodass die unabhängigen Naturkosthändler bei gleichbleibenden Verkaufszahlen weniger Ertrag erzielen und somit auf Neukunden angewiesen wären – die sie aber nicht gewinnen können. Oder die Händler erkennen, dass die Kunden, die nach all den Krisen immer noch im Fachhandel kaufen, eben genau jene treuen Fachhandelskunden sind, die bleiben, solange das Fachhandelsangebot weiterhin attraktive Marken zu fairen Preisen und in angemessenen Verfügbarkeiten bietet. Nur das Wachstumsdenken muss man dann also neu überdenken. Letztere Herangehensweise würde dem Händler den gewohnten Ertrag und Stücknutzen sichern, der Kunde erhält seine vertrauten, hochwertigen Marken, und die Handelsmarken können dort bleiben, wo sie hingehören: im LEH. So wäre in dieser Übergangsphase jedem geholfen. Weiteres dazu weiter unten.

Alleinstellungsmerkmale?
Bio-Marken benötigen kein Alleinstellungsmerkmal und zwar aus mehreren Gründen: Bio-Marken sind etabliert und für ihre Qualität bekannt. Genau das ist ihr wesentliches Alleinstellungsmerkmal. Der Bio-Markt ist bereits stark gesättigt (evtl. sogar längst übersättigt), sodass wirklich einzigartige Differenzierungen kaum noch zu finden sind. Gerade bei zunehmend ähnlichen Bio-Standards verblassen die scheinbaren Alleinstellungsmerkmale, sodass man durch teures Marketing gezwungen wird, auf manipulative Methoden überzugehen und eine künstliche emotionale Bindung zu den Konsumenten aufzubauen.

Dazu: Firmen erleben heute eine deutlich zu hohe Präsenz von „Marketingexperten“, die primär in digitalen Kanälen tätig sind und deren Erfahrungen größtenteils auf Social Media und digitalen Plattformen basieren. Das hat zu einer Verschiebung in der Wahrnehmung und Gestaltung von Marketingstrategien geführt. In der heutigen, von Informationsüberflutung geprägten Gesellschaft, in der Konsumenten täglich mit einer Vielzahl an – oft negativen – Nachrichten konfrontiert sind, stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit und Relevanz kontinuierlicher, aufdringlicher Marketingmaßnahmen. Ein erheblicher Teil der Konsumenten erlebt heute eine kontinuierliche Übersättigung an Informationen, was zu einer zunehmenden Ignorierung/Ablehnung/ Desensibilisierung von Marketingbotschaften führt. Außerdem sprechen traditionelle Markenprodukte für sich. Stabilität und langfristige Kontinuität in der Markenführung, insbesondere in Bezug auf nachhaltiges Handeln und Produktverantwortung, könnten in Zukunft Werte sein, die den flüchtigen Trends und dem schnellen Wandel in der Marktwelt entgegenwirken. Diese Herangehensweise setzt zudem auf die langfristige Etablierung von Vertrauen und Authentizität, anstatt auf ständige Produktneuerungen und hektische Marketingaktionen und senkt Kosten.

Kurz: Es ist anzuraten, damit aufzuhören, die Konsumenten mit überbordenden Informationen in ihrer Entscheidungsfindung zu belasten. Geht es doch letztlich um die intrinsischen Werte und Qualitäten eines Produkts. Die Menschen lechzen nach einem Gegenpol zu den schnell- und kurzlebigen Trends und Praktiken der Branchen. Die Fähigkeit von Marken, eine langfristige Konsistenz in ihren Botschaften und Produkten zu zeigen, könnte sich als wirksamere Zukunftsstrategie herausstellen, um Vertrauen und Loyalität in einer Zeit der Informationsflut zu gewinnen.

Ferner: Die Marketingkosten verteuern die Produkte erheblich. Ich schätze, dass zwischen 20% und 40% der Kosten eines Produkts auf überteuerte und überbesetzte Marketingabteilungen zurückzuführen sind. Ist das wirklich sinnvoll? Schafft das Mehrwerte, oder erzeugt es nur zusätzliche Kosten, auf denen letztlich die Endverbraucher sitzen bleiben?

„Bio-Marken sollten ihre Mehrwerte intensiv bei der jeweiligen Zielgruppe kommunizieren – Stichwort: Storytelling. Rüschen betonte in seinem Vortrag, dass sich Bio-Marken im LEH „gegen die Marketingabteilungen von Barilla und Red Bull“ behaupten müssen.“

Dieses Argument zielt am Kern vorbei bzw. ist zu pauschalisierend. Die meisten Bio-Kunden sind sich der Mehrwerte bewusst, und besonders die jüngeren Kunden informieren sich ohnehin selbstständig über die Produkte, anstatt auf aufwendige Marketingkommunikation angewiesen zu sein.

„Generell steht Bio laut Erhebungen der DHBW Heilbronn bei der Frage nach der Relevanz von Nachhaltigkeitskriterien nur an 10. Stelle, Bio-Verbandssiegel sogar nur an 13. und letzter Stelle. 2020 erzielten Bio- und Verbandssiegel noch eine deutlich höhere Relevanz bei der Kaufentscheidung, so die Studie, die hierzu auch auf einen BioHandel-Beitrag zum veränderten Einkaufsverhalten der Kundschaft verweist.“

Diese Argumentation ist für die Biobranche gar nicht relevant, da wir ja hier über die Kundschaft sprechen, für die Bio einen hohen Stellenwert hat – für diese steht Bio an erster Stelle und Demeter vielleicht an zweiter. Die spezifische Zielgruppe, die genau diese Werte hochhält, wird im Argument gar nicht berücksichtigt. Dieses ist daher in diesem Kontext nicht zuständig.

Für die Hersteller, die nur dank des Fachhandels groß werden konnten, wäre es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob nicht frühere Werte wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden sollten: Kooperation statt Konkurrenz. Eine Wirtschaft/Branche, die miteinander statt gegeneinander denkt und arbeitet, und die es gerade kleineren Akteuren ermöglicht, preislich konkurrenzfähig zu bleiben – statt die großen Player preislich besserzustellen. Hier wäre ein familiäres Denken notwendig.

Dieser Ansatz würde auch nicht durch das Gegenargument entkräftet, dass Großabnehmer durch ihre größeren Bestellmengen eine höhere Planungssicherheit und eine effizientere Logistik haben, was für die gesamte Branche von Vorteil sei. Denn hier liegt der Kern des Gedankens von familiärem Denken innerhalb der Branche: Die größeren und finanzkräftigeren Akteure sollten nicht nur ihre eigenen Interessen fokussieren und Gewinne und Erträge rücksichtslos maximieren, sondern auch die kleineren Unternehmen unterstützen und mittragen. Beispiel: Warum werden Schulen, die 1.000 Kinder und Jugendliche haben preislich bessergestellt als solche, die nur 200 Kinder und Jugendliche verpflegen müssen? Man übertrage das Beispiel auf Einzelhändler aller Größen… Es geht um ein soziales Modell innerhalb der Wirtschaft, in dem Kooperation und gegenseitige Unterstützung im Vordergrund stehen. So könnte eine Balance geschaffen werden, die sicherstellt, dass auch kleinere Akteure wettbewerbsfähig bleiben und die Vielfalt innerhalb der Branche erhalten bleibt – ohne dass die größeren Player ihre Marktmacht auf unfaire Weise ausnutzen.

„Die Bio-Marken sollten ihre „Preispunkte“ überdenken, da der Preisaufschlag für Bio-Markenartikel durch die Mehrwerte gerechtfertigt werden muss.“

Klares Nein! Der Preis ist durch die konsequente Wirtschaftsweise der Biolandwirte gerechtfertigt. Anstatt teures Marketing zu betreiben, sollte lieber die wissenschaftlich fundierte Realität kommuniziert werden: Konventionelle Produkte werden massiv subventioniert, und diese müssten – aus sämtlichen Perspektiven, die man dazu einnehmen kann – eigentlich teurer sein als Bioprodukte. Jeder weiß das, aber niemand spricht es aus! Bioprodukte haben ihren (Mehr-)Wert durch die Art ihrer Erzeugung, durch nichts anderes.

Weiterlesen mit BioHandel+

Melden Sie sich jetzt an und lesen Sie die ersten 30 Tage kostenfrei!

  • Ihre Vorteile: exklusive Berichte, aktuelles Marktwissen, gebündeltes Praxiswissen - täglich aktuell!
  • Besonders günstig als Kombi-Abo: ausführlich in PRINT und immer aktuell mit ONLINE Zugang
  • Inklusive BioHandel e-Paper und Online-Archiv aller Printausgaben beim ONLINE Zugang
Jetzt 30 Tage für 0,00 € testen
Sie sind bereits Abonnent von BioHandel+? Dann können Sie sich hier anmelden.

Auch interessant: