Herzlich, Schnörkellos und Tante Emma sind Best-Practice-Beispiele für aktuelle Neueröffnungen im Bereich Bio und Unverpackt. Unterschiedlicher könnten sie von Konzept und Angebot her kaum sein, doch grundsätzlich liegen sie auf einer Linie: Sie sind nah dran an ihrer Kundschaft, haben sich gründlich auf die Eröffnung vorbereitet und sprühen vor Elan.
Tante Emma: Beruflicher Neustart durch Pandemie und Baby
Erstes Beispiel dafür ist Verena Weingut mit ihrem Anfang 2022 eröffneten Bio- und Unverpacktladen Tante Emma in Schrobenhausen. Ursprünglich arbeitete sie in der Tagungsbranche und war viel im Ausland unterwegs. Bis die Pandemie kam – und ihr Baby. Sie erzählt: „Erst wollte ich bei einem Unverpacktladen auf Minijobbasis mitarbeiten, aber meine Freunde sagten, es wäre doch cool, wenn wir auch in Schrobenhausen einen hätten. Damit war die Idee in der Luft und irgendwann gab es kein Zurück mehr.“
Ihre Bilanz nach gut anderthalb Jahren? „Es läuft gut – darf aber noch besser werden.“ Um das zu erreichen, macht sie regelmäßig Aktionen oder neue Angebote. Im Mai etwa führte sie ihr wöchentliches Gemüsekisten-Abo ein. Zwar hatte sie anfangs regionales Obst und Gemüse, doch das lief nicht und ihr fehlten geeignete Lagermöglichkeiten. Für die Abokiste sind die nicht nötig: Mittags geliefert ist abends alles weg. Sie ist froh, dass sie das gemacht hat, denn es zieht Leute an, erzählt sie: „Wenn sie schonmal da sind, kaufen sie auch noch anderes ein.“
Um für Abwechslung und neue Kundschaft zu sorgen, hat sie von Anfang an eine Art Pop-up-Store integriert. Jeden Monat verkaufen dort kleine handwerkliche Unternehmen aus der Region Produkte wie Töpferware, Spielzeug, selbst genähte Kinderkleidung. Ihre jüngste Idee ist ein Elterntreff. Als junge Mutter wusste sie um den Bedarf: „Das gab es in Schrobenhausen vorher nicht, einen Treffpunkt für junge Eltern, wo sie mit ihren Babys hinkommen und sich beim Kaffee austauschen können. Das kommt sehr gut an.“
Weingut nutzte das bayerische „Vorgründungscoaching“-Programm für ihren Businessplan. Dadurch fand sie den Unternehmensberater Attila Flöricke (Interview am Textende) – und erhielt einen Zuschuss von 70 Prozent der Beratungskosten. Fragt man ihn, wie sich Neugründer in diesen unsicheren Zeiten gegenüber Mitbewerbern behaupten können, nennt er drei Basics: unternehmerische Persönlichkeit, Standort in lebendigem Umfeld, ausreichend Eigenkapital. Außerdem müsse man sich strategisch gut positionieren.
Am Beispiel von Weinguts Tante Emma erklärt er, wie er das meint: „Sie hat zwar in der direkten Umgebung keinen Unverpacktladen, aber eben doch einen Biofilialisten, der sicher manches Produkt günstiger anbietet.“ Also müsse sie sich mit einem hervorragenden Angebot abheben. Das sei bei ihr neben dem Prinzip Unverpackt der Schwerpunkt Regionalität.
Und wenn die Konkurrenz auch Unverpacktstationen anbietet? Flöricke winkt ab: „Je mehr Unverpackt zum Mainstream wird, desto besser. Damit ist es für die Leute nicht mehr so ungewohnt. Andererseits muss ich dann auch die bessere Beratung haben, die bessere Qualität und das bessere Angebot.“
Schnörkellos: Crowdfunding und Zimtschnecken-Flatrate
Auch Unverpackt und neu ist Schnörkellos von Melanie Steven in Frechen. Vor drei Jahren eröffnete die studierte Betriebswirtschaftlerin ihn zum ersten Mal am Marktplatz. Lief gut, doch dann wurden ihr im Frühjahr die Räume gekündigt und sie musste entscheiden: schließen oder Neustart? Neustart. Das war anstrengend, aber eine Chance, denn der bisherige Laden hatte nur 60 Quadratmeter Verkaufsfläche und außer am Markttag oder bei Events gab es weniger Laufkundschaft, als am neuen Standort direkt in der Fußgängerzone. Zudem fehlte die Möglichkeit, eine Küche zu installieren, also Snacks oder ähnliches selbst herzustellen.
Genau das ist nun Teil des neuen Konzepts, das sie ohne Beratung selbst entwickelt, geplant und umgesetzt hat. Ihr neuer Laden hat doppelt so viel Verkaufsfläche plus Küche und Fläche für Café-Tische, innen und außen. Entsprechend höher sind die Kosten, doch die Lage ist prima und als neuen Schwerpunkt setzt sie auf Café-Betrieb. Den Bedarf dafür hat sie schon länger registriert: „Wir haben in der Nähe nur ‚Sahnetorten-Cafés‘, aber kein gemütliches, das die jüngere Zielgruppe anspricht.“
Zur zweiten Crowdfunding-Kampagne sagt sie: „Ich war mir nicht sicher, ob es auch diesmal klappt. Es hätte sein können, dass die Leute in Krisenzeiten ihr Geld nicht für etwas ausgeben wollen, das erst in der Zukunft stattfindet.“ Trotzdem hat es gut funktioniert. Davon habe sie die Neueröffnung allerdings auch abhängig gemacht. Ein Teil der Leute wird einmal pro Woche kommen, denn als Gegenwert konnten die Crowdfunder neben Gutscheinen auch Kaffee- und Zimtschnecken-Flatrates auswählen.
Was sie von Mitbewerbern abhebt? „Das Bio-Backwaren-Angebot und der Snacktisch, wo man sich wie früher eine bunte Tüte Süßes oder Knabberzeug selbst zusammenstellen kann.“ Nach ihrer Erfahrung sind am Knabbertisch die besonderen Produkte gefragt, auch wenn sie hochpreisig sind. Gesalzene Erdnüsse etwa gehen gar nicht, „die Nuss-Mischung von Fairfood aus Freiburg dagegen, bei der jede Nuss eine andere Würze hat, ist super beliebt“.
An Mut und Unternehmergeist fehlt es der zweifachen jungen Mutter nicht. Als Serviceplus betreibt sie eine Paket-Annahme- und Abgabestelle im Laden und organisiert ansonsten Sommer-Musik-Events sowie Martins- und Weihnachtsmärkte auf dem Marktplatz. Auch wenn ihr Laden nicht mehr dort ist, ihren Pop-up-Biergarten und den Glühweinstand wird sie beibehalten.
Bioladen Herzlich: Fokus auf Frische und Regionalität
Last but not least, der neu eröffnete Bioladen Herzlich in Friedrichshafen: 80 Quadratmeter Verkaufsfläche plus 30 für je vier Café-Tische, innen und außen. Prinzipiell ist dieses Ladenprojekt anders strukturiert und doch gibt es Überschneidungen: Mit seinem abgeschlossenen Studium der Gesundheitsförderung ist Inhaber David Tovmasyan ebenso Quereinsteiger wie die Kolleginnen. Er hat sich wie Weingut beraten lassen, allerdings durch seinen Großhändler, und wie Steven wurden ihm zuvor Geschäftsräume gekündigt.
Und das war auch für ihn eine Chance: Tovmasyan hatte mit 24 Jahren den Bioladen seiner Mutter übernommen und ein Jahr lang geführt. Mit dem Standort wechselte er Konzept, Warenangebot und Großhändler: „Ich wäre nie so schnell fertig geworden und so professionell aufgestellt, wenn ich nicht die Begleitung von Weiling gehabt hätte.“ Deren Beratung ist für Ladner kostenlos. Der Neugründer hat dazu auch die von der Akademie des Großhändlers angebotenen Seminare belegt, darunter etwa zu Kalkulation oder Führung.
Das Besondere bei ihm? Er setzt auf Frische und Regionalität – dafür kooperiert er mit vier Bauern aus dem nahen Umkreis – sowie auf seine Beratungskompetenz und die Kommunikation mit der Kundschaft. Bevor er den alten Laden zumachte, fing er an Newsletter zu schreiben: „Alle Interessierten konnten sich eintragen. So habe ich sie monatlich über die Baustelle auf dem Laufenden gehalten.“
Einen Gutteil seiner Kundschaft konnte er dadurch in den nahen Nachbarort mitnehmen, wo er im Gebäudekomplex eines früheren Bioland-Bauernhofs einen Kuhstall zum Laden umgebaut hat. Er ist froh, diesen Schritt gewagt zu haben, denn er wirtschaftet „seit Tag eins im Plus.“ Seine Partnerin arbeitet auch im Laden, jetzt erwarten sie Nachwuchs. Wie Weingut hat ihn das bestärkt. Er betont: „Für mich ist die Biobranche das einzig sinnvolle und nachhaltige, das man heutzutage machen kann.“
Vielfältig in die Zukunft
Drei Läden drei Geschichten, die stellvertretend für andere stehen. Zwar sind Neugründungen bei Nicht-Filialisten deutlich zurückgegangen, doch diese drei zeigen: Unternehmensgründungen, die mit Herz und Verstand umgesetzt werden, sind vielfältig und haben auch in unsicheren Zeiten Zukunft.
„Eine Schulung kann vieles verändern“
Herr Flöricke, liegen Ladenschließungen der Branche an der Krise oder am Konzept?
Wir haben keine Krise der Bio- oder Unverpackt-Branche, sondern eine Krise kleiner inhabergeführter Läden. Das veränderte Konsum- und Einkaufsverhalten. trifft den Fachhandel insgesamt. Bei Lebensmitteln gehen die Leute statt in den kleinen Laden in den Supermarkt, und vom Supermarkt sehen wir eine Verschiebung zum Discounter.
Dazu kommen oft zwei weitere Faktoren: Zum einen sind etliche unterfinanziert gestartet und konnten die Krisenjahre nicht auffangen, zum anderen haben viele Unverpacktläden nur Negativ-Botschaften ausgegeben wie „Rettet mich!“ oder „Kommt, mir geht’s schlecht!“. Das wurde in Social Media und Presse sehr schnell aufgegriffen – mit kontraproduktiver Wirkung.
Was hilft in der Krise?
In der Vorkrisenzeit waren die Leute eher bereit im Fachhandel Geld auszugeben – das hat sich geändert. Also muss ich mich auf meine Kundschaft konzentrieren und analysieren: Was kauft sie? Dann kann man versuchen mit Strategien wie Cross- und Up-Selling die Bonwerte zu erhöhen. Also, dass sie nicht nur Produkt A kauft, wegen dem sie immer kommt, sondern auch noch Produkt B oder C. Oder man stellt Produkt A in der höherpreisigen Version in den Fokus. Verköstigungen oder Neuplatzierungen sind dafür gute Möglichkeiten. In dem Zusammenhang kann man auch gleich die Beratungskompetenz der Mitarbeitenden prüfen. Eine Schulung kann vieles verändern.
Welchen Tipp haben Sie für Neugründer?
Derzeit steht bei vielen Unternehmen der Biobranche die Nachfolge an. Nicht immer gibt es jemanden aus der Familie, der übernehmen möchte – darin liegt ein großes Potenzial. In der aktuellen Situation würde ich einem komplett neuen Geschäft den eingeführten Laden an einem guten Standort vorziehen. Die neuen Inhaber können dann dem Ganzen stückweise einen neuen Anstrich oder Schwerpunkt geben.
Sieben Tipps für die Laden-Gründung
- Bin ich unternehmerisch? Kommunikationstalent und Spaß am Verkaufen sind die Basics.
- Kann meine Idee funktionieren? Laden-Konzept und Kunden-Zielgruppe genau beschreiben (für Freunden, Verwandte oder in einem Forum) und Läden der Mitbewerber anschauen.
- Bester Standort? Prüfen: Welche Läden sind vor Ort? Passt das zu mir? Konkurrenz? Leerstand? Gesunde Infrastruktur?
- Info und Beratung: Auf Gründerportalen und bei künftigen Kollegen umschauen, Vorcoaching beantragen oder andere Beratungsmöglichkeiten nutzen.
- Gründung konkretisieren: Businessplan schreiben, Liste aller erforderlichen Behördengänge.
- Finanzen klären: Fördermöglichkeiten recherchieren, Startkapital berechnen, Kredit nötig? Empfohlene Eigenkapitalhöhe 25-30 Prozent.
- Nach dem Start: Begleitung durch Berater und kontinuierliche Reflektion. Läuft alles nach Plan? Muss etwas angepasst oder geändert werden?
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