Satte zwanzig Story-Snippets und ein Video waren es am Ende, die Influencerin Julia Rodriguez Diaz (@happykids_ausflugstipps) rund um den Biomarkt Paradieschen auf Instagram teilte. Kurze Videos aus dem Laden bei Hanau, von der Schnuppertüte des Lieferdienstes, wie sie Käse nascht, kocht oder einen Apfel isst.
„Das war unsere InfluencerPremiere“, erzählt Mario Blandamura, Geschäftsführer vom Paradieschen. Eine Marketingagentur hatte Julia Rodriguez Diaz ausgewählt, weil auf dem Kanal der Influencerin Tipps aus der Region geteilt werden und ihr immerhin 150.000 Menschen folgen. „Die Regionalität war uns wichtig. Den Account kannten auch Mitarbeiterinnen aus dem Kundenservice, junge Mütter. Das hat also gut gepasst“, sagt Blandamura.
1.000 Euro hat sich der Biohändler die Kooperation im Februar kosten lassen. Im Anschluss bekam das Paradieschen viele Nachrichten von anderen Accounts, die auch werben wollten, aber geographisch nicht passten. „Einer hat dann sogar unbezahlt, ohne zu fragen, mit ein paar Videos Werbung gemacht. Das war aber leider teilweise ein bisschen peinlich von der Machart“, erinnert sich Blandamura.
Influencer-Marketing läuft gut bei Lebensmitteln
Der Bio-Supermarkt Paradieschen liegt mit seiner Influencer-Werbung im Trend. In Deutschland haben Firmen laut der Statistikplattform Statista im vergangenen Jahr über 570 Millionen Euro in Influencer-Marketing gesteckt. Tendenz klar steigend.
570 Millionen
Besonders bei Lebensmitteln zieht diese Form der Werbung. Eine Umfrage der Such- und Vergleichsplattform Get App zeigt, dass mehr als jeder dritte Befragte schon mal ein Lebensmittel gekauft hat, nachdem eine Influencerin oder ein Influencer das empfohlen hatte. Nur Kleidungsempfehlungen sind noch erfolgreicher.
Auch im Bio-Bereich wird diese Form der Werbung immer bedeutender. Dem Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) nach könnten Kooperationen insbesondere bei der Einführung neuer Produkte, zur Bewerbung von konkreten Aktionen oder zur Steigerung der Markenbekanntheit wirkungsvoll sein.
„Gerade für Bioläden, die ein breites Sortiment führen, bietet es sich an, in Kooperation auf ein bestimmtes Produktsegment aufmerksam zu machen, zum Beispiel auf die spezielle Käsetheke und dafür einen Influencer zu suchen, der sich auf Käse spezialisiert hat, am besten aus der Region“, teilt der Verband mit. Gleichzeitig sei es wichtig, einerseits immer transparent zu machen, dass es sich um bezahlte Partnerschaften handele, und andererseits mit Influencern zusammenzuarbeiten, die eine authentische Affinität zu Bio-Produkten haben.
Safthersteller Voelkel setzt schon länger auf diesen Marketing-Weg. „Wir haben ein Set von rund 30 Influencer:innen. Mit denen arbeiten wir je nach Ausrichtung der Kampagne zusammen“, erklärt Marketingleiter Jannis Meseke. Dafür teilt das Unternehmen das Jahr in thematische Abschnitte und stimmt Online-Marketing und die Offline-Präsenz ab. In beiden „Welten“ wird dann auf das gleiche Thema wie beispielsweise Vitalität oder Vielfalt gesetzt.
Vor rund vier Jahren hat Voelkel damit begonnen. Marktanalysen hatten gezeigt, dass die bioaffine Zielgruppe zwischen 25 und 40 Jahren – junge Erwachsene, die eine Familie gründen wollen – hauptsächlich auf der Social-Media-Plattform Instagram zu erreichen ist. „Dann haben wir geschaut, wer sind da in dem Bereich die wichtigsten Multiplikator:innen. Daraus sind dann langfristige Partnerschaften entstanden“, erklärt Meseke.
Der Kontakt lief oft direkt, selten über Agenturen – laut Meseke viel besser, um Vertrauen aufzubauen. Mit manchen, wie Marisa Becker (@mysustainableme), geht die Kooperation sogar so weit, dass Produkte zusammen gestaltet werden. In dem Fall die Kräuterlimonade „Bio Zisch Light Kräuter“. „Wir versuchen tiefere Partnerschaften aufzubauen“, so Meseke. Trotzdem sind die Kooperationen auch Geschäftsbeziehungen. Heißt: Es gibt vorher Vertragsverhandlungen und ein klares Briefing.
Glaubhafte, ehrliche Kommunikation ist eine der wichtigsten Komponenten findet Voelkels Marketingleiter. „Entscheidend ist Authentizität. Ist das ehrliche Liebe oder nur gespielt? Da haben wir auch schon einige Partnerschaften beenden müssen.“
Oberstes Ziel: Reichweite und Bekanntheit
Viel wichtiger als die Zahl der Follower ist Meseke zufolge außerdem die Interaktionsrate. „Also wenn jemand etwas postet, inwiefern reagieren die Leute? Spricht sie das an, kommentieren sie das, liken sie das oder wischen Sie das nur durch?“
Pro Jahr steckt der Bio-Saft-Pionier einen mittleren fünfstelligen Betrag in die Influencer-Werbung. Ein Ziel, das dabei über allem steht: die Reichweite und Bekanntheit der Marke zu stärken. Mit manchen Influencern sollen außerdem auch die Verkäufe im Online-Shop angekurbelt werden. „Für ein Posting geben wir zwischen ein und zehntausend Euro aus. Grob kann man sagen: 1.000 Euro pro 10.000 Follower:innen“, so Meseke.
Perspektivisch will Voelkel die Zahl der Partnerschaften reduzieren und lieber intensiver mit einem kleineren Stamm zusammenarbeiten. „Denn je sprunghafter das Ganze ist, je mehr Produkte von verschiedenen Marken jemand bewirbt, desto weniger authentisch wird es“, sagt Meseke. Sein Tipp an Neulinge: „Ich würde raten, erstmal klein anzufangen, vielleicht mit jemanden aus der Region. Dann ist es nicht so anonym.“
Austausch mit Influencern suchen
Dazu rät auch Anna Böhme (@whatslueneburg), die sich selbst lieber als „Content Creatorin“ bezeichnet. Sie hat schon oft mit Voelkel zusammengearbeitet und gibt bei Instagram Tipps für den Raum Lüneburg. „Gerade beim ersten Mal kann man uns auch transparent anschreiben und sagen, dass man das noch nie gemacht hat. Ich setze dann da an und erkläre das!“
Ist man auf regionalen Blogs oder über lokale Instagram-Posts auf jemanden aufmerksam geworden, würde die 30-Jährige sich die Inhalte des Accounts genauer anschauen und überlegen, ob eine Zusammenarbeit passen könnte. Wichtig sei, eine eigene Präsenz bei Instagram zu haben oder zumindest eine Webseite, die verlinkt werden kann.
Kreative Freiheit statt starre Vorgaben
Der große Vorteil einer Kooperation mit einem Influencer, einer Influencerin: Die Kampagne könne viel besser ausgewertet werden als etwa bei einer Zeitungsanzeige, sagt Böhme. „Ich lege immer alle meine Daten offen, also die Reichweite meiner Posts.“
Wichtig ist für sie bei Kooperationen, die authentische Art der Influencer zu erhalten. Also keine starren Vorgaben zu machen. In ihre Posts baut sie Voelkel-Produkte wie den Hygge-Punsch oder den Haferdrink ein oder teilt Stellenangebote von Voelkel. All das verbindet sie mit ihrer eigenen Story als Lüneburgerin und junge Mutter. So kommt Voelkel in ihrem Feed immer wieder vor, das schafft Bindung.
„Ich bin keine Videografin, die einfach nur umsetzt. Die Unternehmen kaufen ja meine Authentizität mit ein“, sagt Böhme. Deshalb gebe es oft zwar Vorgaben über den Output und die thematische Klammer, aber keine konkreten Anweisungen und zig Korrekturschleifen. „Vertrauen ist total wichtig“, sagt Böhme. „Bei Bio-Unternehmen war das bisher immer sehr groß.“
Nachhaltigkeits-Influencer haben hohe Reichweite
Kommunikationswissenschaftler Dr. Nils Borchers von der Universität Tübingen forscht schon lange zu Influencer-Marketing. Er bestätigt: „Authentizität und Vertrauen sind wichtige Währungen.“ Das gleiche gelte für eine hohe Interaktion mit der Community, dass auf Nachrichten von Followern reagiert und zu ihnen eine enge Beziehung aufgebaut werde.
Insgesamt habe sich der Bereich sehr professionalisiert, bestimmte inhaltliche Formen wie Reactions, Challenges oder Produkt-Tests seien etabliert, so Borchers. Das Bio-Thema über Nachhaltigkeits-Influencer zu spielen, habe eine „hohe Netto-Reichweite“. Die Themen verfangen laut Borchers besser, weil es in der Followerschaft eine hohe Sensibilität für nachhaltige Themen gibt.
Grundsätzlich zeigt die Forschung auch“, so Borchers, „dass Kooperationen mit Influencer:innen erfolgreicher sind als mit bekannten Promis.“ Stichwort Glaubwürdigkeit. Und: „Langfristige Partnerschaften liegen im Trend. Der Vorteil ist: Ich weiß, mit wem ich zusammenarbeite und tauche als relevanter Akteur in den Inhalten der Influencer:innen auf.“
Wichtiger als die Zahl der Follower und Followerinnen ist dem Wissenschaftler zufolge der sogenannte „Fit“. Damit ist gemeint, wie gut eine Werbefigur zur eigenen Marke passt und ob er oder sie bereits Werbung für die Konkurrenz macht.
Byodo: Influencer nicht mehr wegzudenken
Bei Byodo schaut die Online-Marketing-Spezialistin Marina Zeiler „vor allem auf die Interaktionsrate“. Der Bio-Hersteller kooperiert mit mittelgroßen Accounts. „Der größte hat 300.000 Follower. Aber wir haben auch schon mit kleineren angefangen und dann langfristige Partnerschaften entwickelt“, erklärt Zeiler.
Mit festen Partnern, darunter beispielsweise Köche, will Byodo vor allem mehr Reichweite generieren, bekannter werden. Bei der Auswahl der Influencer achtet Marina Zeiler darauf, wie diese Kooperationen auf ihren Accounts einbinden. Ein Briefing geht dann rund zwei Monate vorher raus. Strenge Vorgaben gibt es nicht, die Inhalte entstehen oft durch Vorschläge der Influencer. Bis zu viertausend Euro zahlt Byodo maximal pro Post.
Für Zeiler ist Influencer-Marketing kaum mehr wegzudenken. „Die Leute sind auf Instagram, die Leute sind auf Youtube, auf Tiktok und man muss da hingehen, wo die Zielgruppe ist.“ Außerdem könne jedes Unternehmen seine Nische finden und dafür passende Influencerinnen und Influencer.
Sie selbst hat sich viel angelesen, verfolgt Trend-Reports wie den von der Online-Seite Pinterest und recherchiert, was andere machen. „Neulingen würde ich außerdem raten: Einfach ausprobieren!“
B2 Bio: Zusammenarbeit ist nicht immer einfach
So hat es auch der B2 Biomarkt mit Filialen in Balingen und Rottweil versucht. Paul Franz, Sohn der Chefin Sabine Franz, hörte sich vor gut drei Jahren im Freundeskreis um, recherchierte selbst in der Region und kreiste dann drei Influencer ein. „Auch, weil die Investition mit mehreren hundert Euro günstiger war als SEO oder Instagram Ads“, sagt Paul Franz. So entstanden Videos zur Lieferkiste oder Fotos mit Produkten aus dem Laden.
Die Erfahrungen von Franz sind geteilt. „Die Kommunikation war teilweise sehr anstrengend und unprofessionell. Man muss sich überlegen, ob man die Zeit und die Kraft da reinstecken will. Es braucht Zeit, sich Wissen anzueignen oder Strategien zu überlegen.“ Aber er sagt auch: Die Zahl der Follower sei durch die Kooperationen gestiegen. Deswegen sei es schon eine gute Möglichkeit.
Beim Paradieschen und Mario Blandamura bleibt es vorerst bei einem einmaligen Ausflug in die Influencer-Welt. „Aktuell sehe ich keinen, mit dem wir aus der Region gerne noch kooperieren würden“, sagt er. Sein Fazit nach mehr als 50 Neu-Bestellungen: „Man bekommt Aufmerksamkeit. Aber es ist total schwierig zu messen, wie viele Kunden das neu generiert.“
Kommentare
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Spannender Artikel, danke für den Einblick!