Dieser Artikel wurde am 14.05.2025 aktualisiert. Es wurde der Abschnitt zur „Besterampe" in Erfurt ergänzt.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist bekanntlich kein Wegwerfdatum – es kennzeichnet lediglich, bis wann ein Lebensmittel unter optimalen Lagerbedingungen seine typischen Eigenschaften wie Geschmack, Farbe oder Konsistenz garantiert behält.
Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland scheinen dies inzwischen verinnerlicht zu haben: Laut Ernährungsreport 2024 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) prüfen neun von zehn Personen Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, zunächst auf ihre tatsächliche Genießbarkeit, bevor sie diese entsorgen.
MHD-Ware verkaufen? Das ist erlaubt
Für Ware mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum gelten im Handel klare rechtliche Vorgaben. Händler dürfen solche Produkte nicht mehr als reguläre Ware anbieten. Anders als bei Artikeln mit Verbrauchsdatum ist der Verkauf abgelaufener Lebensmittel dennoch grundsätzlich erlaubt – vorausgesetzt, die Kundschaft erkennt eindeutig, dass das angegebene Datum überschritten ist.
In der Praxis greifen Händler häufig auf separate Aktionsflächen oder Sonderregale zurück, in denen diese Lebensmittel preisreduziert angeboten werden. Doch wie gehen Bio-Großhändler damit um, wenn in ihren Lagern Ware das Mindesthaltbarkeitsdatum bald erreicht oder bereits erreicht hat? BioHandel hat sich in der Branche umgehört.
Im Großhandel zählt die Restlaufzeit
Ein wichtiger Orientierungswert für den Umgang mit Ware nahe am MHD ist für Großhändler die sogenannte Restlaufzeit – also die verbleibende Zeitspanne zwischen dem letztmöglichen Zeitpunkt, um die Ware noch rechtzeitig in die Läden zu bringen, und dem tatsächlichen Ablaufdatum. Je nach Produktkategorie unterscheidet sich diese erheblich: Bei frischen Produkten wie Milch oder Fleisch beträgt sie oft nur wenige Tage, bei länger haltbaren Lebensmitteln wie Honig oder Konserven mehrere Monate.
Häufig bieten Großhändler Produkte, die die garantierte Restlaufzeit unterschritten haben, vergünstigt an. Beim Bio-Großhändler Bodan vom Bodensee gibt es dazu im firmeneigenen Online-Shop eine eigene Kategorie: das „MHD-Angebot“.
Bei überschrittener Restlaufzeit gibt es Rabatt
Sascha Damaschun, Geschäftsführer von Bodan, berichtet, dass diese Angebote besonders von Küchenbetrieben und Bioläden mit Bistrobereich geschätzt werden. „Das gilt auch für das Küchenteam der Bodan-Kantine, das für unsere Mitarbeitenden Bio-Frühstück und -Mittagessen immer tagesfrisch zubereitet“, ergänzt er.
Auch beim norddeutschen Bio-Großhändler Grell gehören Produkte mit unterschrittener Restlaufzeit nicht zum Problem, sondern zum Konzept: Sie finden gezielt Eingang in ein eigenes „MHD-Angebot“, das für alle Warengruppen gilt und laut Simon Jacobsen, Leiter Marketing und Kommunikation, von den Läden gut angenommen wird. Für Obst und Gemüse, das keiner klassischen Restlaufzeit unterliegt, hat Grell ein vergleichbares Format auf Basis interner Qualitätsstandards entwickelt.
Die Preisvorteile aus beiden Angeboten landen häufig direkt beim Endverbraucher – als attraktive Aktion am POS. Ähnlich läuft es bei Weiling in Lonsee und Coesfeld: Sobald Produkte eine definierte Restlaufzeit erreichen, werden sie automatisch im Preis reduziert und kommen in den sogenanten „aktiven Verkauf“. Für Frischeware erhalten die Läden täglich aktualisierte Angebotslisten, für Trockenprodukte wie Mehl, Wein oder Naturkosmetik wöchentlich.
Mitarbeitende und soziale Einrichtungen erhalten MHD-Ware kostenlos
Waren, die aufgrund von Übermengen oder optischen Mängeln nicht weiter vermarktet werden können, spendet Weiling an die Tafel vor Ort oder verarbeitet sie in den betriebseigenen Bistros weiter. Auch Grell und Bodan arbeiten eng mit lokalen Tafeln zusammen.
Bei Bodan profitieren außerdem die Mitarbeitenden: Einzelne Produkte werden ihnen kostenfrei zur privaten Nutzung bereitgestellt. Und wenn sich Ware gar nicht mehr verwenden lässt – etwa durch Bruch oder Verderb – übernimmt eine regionale Reststoffverwertung. Dort wird das Material zu Biogas verarbeitet, wie Sascha Damaschun mitteilt.
Was wird gebraucht? Bedarfsabfrage bei Tierschutzorganisationen
Die BS Bio Service OHG, ein südhessischer Bio-Großhändler für kleine Mengen, spendet überschüssige Artikel ebenfalls an soziale Organisationen. Geht es um Heimtierfutter, greifen die Mitarbeitenden persönlich zum Hörer, klären den Bedarf mit Tierheimen und Tierschutzvereinen – und organisieren kurzfristig die Auslieferung.
„Besterampe“ – Laden für überschüßige Ware in Erfurt
Auch bei Ökoring und Naturkost Erfurt setzt man auf bewährte Wege, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt: Preisreduzierter, aktiver Verkauf sowie Abgaben an Tafeln, soziale Einrichtungen und Mitarbeitende sind sowohl im oberbayerischen Mammendorf als auch in der Thüringer Landeshauptstadt gängige Praxis. Bei Ökoring wird die MHD-Ware zudem gelegentlich von Mitarbeitenden genutzt, um füreinander zu kochen, wie Geschäftsführer Thomas Börkey-Biermann berichtet.
Naturkost Erfurt geht darüber hinaus neue Wege: Seit rund einem halben Jahr kooperiert der Großhändler mit lokalen Bioläden und Initiativen, um überschüssige Lebensmittel sinnvoll zu verwerten. Gemeinsam wurde ein Netzwerk für Waren, die im regulären Handel keinen Platz mehr finden, aufgebaut.
Herzstück dieses Konzepts ist die „Besterampe“ – ein kleiner Laden in der Erfurter Innenstadt mit einem „dynamischen Bio-Sortiment“, bestehend aus Produkten, die im klassischen Handel keinen Platz mehr finden.Besonders geschätzt werde das Angebot laut Ephron Escher, Leitung Einkauf bei Naturkost Erfurt, von Endverbraucherinnen und -verbrauchern aufgrund der günstigen Preise. „Wir haben in den letzten sechs Monaten sehr positive Erfahrungen gesammelt und neue Kundengruppen erreicht, die dem klassischen Bioladen oder Bio-Supermarkt sonst fernbleiben“, berichtet Escher und spricht von einem Konzept, „das durchaus skalierbar ist und uns bereits überregionale Stammkundschaft beschert hat.“
Verantwortung über das MHD hinaus
Hinter all diesen Maßnahmen steht ein klares Selbstverständnis des Bio-Großhandels: Lebensmittel sind zu wertvoll, um sie leichtfertig wegzuwerfen. Was nicht mehr in den regulären Verkauf geht, findet in der Regel dennoch sinnvolle Verwendung. Verantwortung endet bei den Bio-Großhändlern, mit denen BioHandel – stellvertretend für viele – gesprochen hat, nicht beim MHD. Sie reicht bewusst darüber hinaus.
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